Essen ist Geschmacksache

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Essen ist Geschmacksache
Essen ist Geschmacksache
Edmond sah ganz genau hin. Betrachtete von allen Seiten, was zwischen seinen Fingerspitzen
surrte und gab dann, sichtlich zufrieden, den Arm in die Höhe, der Fliege die Freiheit zurück.
Einen kurzen Moment, sah man unter seinem Jackett, was für ein Kaliber er war.
Auf der lehnenlosen Seite des Sofas, sie war abgebrochen, sass Jean-Luc. Zusammen
beobachteten sie die Betriebsamkeit im Quartier. Mütter am Gemüsestand über der Strasse,
skateboardende Teenies im Park, Verliebte beim Flanieren, bleiche Serviererinnen beim
Servieren von Pastis. Ein nur fast zu freundliches Dankeschön mit einem Lächeln an die
Bedienung.
Ohne ein Zumwohl, zückte sie ihr Serviererinnenportemonaie. Jean-Lucs Pilotenbrille
verdeckte seine lachenden Augen oder einen enttäuschten Hundeblick.
Nach getaner Transaktion drehte sie sich und zog ihre Flipflops Richtung Bar hinter sich her.
Zurück in ihre Festung, wo sie auf den nächsten Angriff eines Gastes warten würde. Die
Pilotenbrille kippte samt Kopf auf zwei Uhr.
„Früher hatten Bedienungen noch ein adrettes Schürzchen um. - Zu dieser Uhrzeit, haben sie
unter Einsatz ihrer Weiblichkeit gefragt, ob man noch ein Kanapee möchte.“
„Früher. Da hättest du um diese Uhrzeit keinen Pastis getrunken, Alter.“
Die Bedienung verschwand im Bistroeingang. Jean-Lucs Brille nivellierte sich wieder auf zwölf
Uhr.
„Wieso die?“
Eine kleine Verlegenheit setzte sich auf Jean-Lucs Schulter. Er zuckte kurz, um sie
abzuschütteln.
„Die hat was von der Jolie.“
„Die? - Was? Die schmalen Lippen? Oder die nicht vorhandenen …“
„Stil, Alter. Die hat voll den Stil.“
Edmond griff nach seinem Pastis. Der Anisgeschmack rann von Eis gekühlt, süss seine Kehle
hinunter. Er stellte sein Glas mit einem genüsslichen Laut auf die kniehohe Tischplatte zurück.
„Jep, sie hat was von einem Besen.“
„Denkst du dir eigentlich solche Oldschoolantworten aus, während du Pastis trinkst? Alter,
Frauen wie die, sieht man sonst nur in Hochglanzzeitschriften, in der Kosmetikwerbung, auf
dem Laufsteg oder…“
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„In einer Klinik für Unterernährte? Nein ehrlich, Jean-Luc. Ihr Jungs seid Wahnsinnskerle. Ihr
ertragt locker die Klimaveränderung. Den wirtschaftlichen Druck, den euch unsere Generation
hinterlassen hat. Habt smartPhones, lernt schiessen auf der Playstation und Kleider tragt ihr nur
mit Markenlabel. Doch euer Frauenideal…euer Frauenideal ist zum Kotzen.“
„Update, Edmond. Die Welt dreht sich schneller seit damals, als dein Benzinfresser noch an der
ersten Ölkrise zu würgen hatte. Schnall?“
„Damals hatten Frauen wenigstens noch Formen.“
„Heute liegen sie nicht so fett im Bett wie damals. Die Namen deiner Schönheitsideale kennt
man höchstens noch, weil sie Hamburger im ‚Movies’ bezeichnen.“
„Die Monroe?“
„Doppelcheese mit Bacon.“
„Rachel Welch?“
„Brownies mit Sahne.“
Edmond beobachtete den Hausgang quer gegenüber. „Von deinem Geschwafel bekomme ich
Hunger.“
Jean-Lucs Pilotenbrille hob sich auf den Kopf.
„Krass. Und was willst du dagegen tun?“
„Auf der anderen Seite vom Park ist ein Gourmetrestaurant. Ich brauche jetzt was, das mit
Liebe zubereitet wurde.“
„Und wenn unser Paket eintrifft?“
„Pass auf, beobachte und warte bis ich zurück bin.“, sagte Edmond im Aufstehen.
„He! Vielleicht knurrt mir auch schon der Magen. Bring mir was vom Takeaway.“
„Ihr Jungs seid doch multitaskingfähig. Bestell dir einen Cameron Diaz bei der Jolie und halt
gleichzeitig den Eingang im Auge!“
„Ei Mann, mach dich geschmeidig. Fu-huud!“
„Wo ich hingehe gibt’s keinen Food. Keine Gwyneth Paltrows. Nur Rita Hayworths, Mae
Wests, Kim Novaks, Hazel Courts, Jane Russels, Anita Eckbergs, …“
Jean-Luc hörte das Ende der Aufzählung nicht. Er hob den Mittelfinger.
„Deine Mudda, Edmond. Deine Mudda!“
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