Trip in die Welt der Ballermann-Hits

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Trip in die Welt der Ballermann-Hits
Trip in die Welt der Ballermann-Hits
HAZ-Interview mit Alexandra Müller, die mit ihrem „Kleinen Hai“ fast das Pop-Kultur-System unterwandert hat
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Haben Sie sich so gefühlt, als würde
hier eine Idee, die als Spaß begann,
ausgeschlachtet?
Nicht von Seiten des Managements und
der Plattenfirma. Es war von Anfang
klar, dass ich immer gefragt werde, ob
ich etwas machen will. Ich steckte in
keiner „Deutschland sucht den Superstar“-Verwertungsmaschine.
ILDESHEIM. Eigentlich war der
„Kleine Hai“ nur ein Spaß am
Rande einer Hildesheimer Silvester-Feier. Eine Kamera angestellt,
ein altes Kinderlied gesungen und das
Video auf YouTube hochgeladen. Monate später brach plötzlich eine Erfolgswelle los, die das Lied sogar in die deutschen Charts spülte.
Im Interview mit HAZ-Mitarbeiter
Tim Meyer spricht Alexandra Müller,
die gerade ihr Studium der Kulturwissenschaften in Hildesheim abgeschlossen hat, inzwischen in Berlin lebt und in
Baden-Baden beim SWR arbeitet, über
die Pop-Industrie, die negativen Seiten
des Ruhms und die Intoleranz von Intellektuellen.
Aber es war eine ungewöhnliche
Erfolgsgeschichte?
Viele sind einfach perplex, dass Quatsch
heute berühmt macht. So denke ich ja
auch über „Deutschland sucht den Superstar“.
Kritisieren Sie das System, von dem
Sie selbst ein Teil waren?
Ich habe mich immer dagegen gewehrt,
auf die Menschen und diese Kultur herunterzuschauen, auch wenn ich immer
deutlich gemacht habe, dass ich sonst
andere Musik höre. Intellektuelle begegnen dem Ganzen oft mit Arroganz. Mir
käme es wie ein Verrat vor, wenn ich
mich jetzt hinstellen und die Fans des
kleinen Hais als Idioten darstellen würde.
HAZ: Sie tourten einen Sommer lang
durch deutsche Discos und traten neben
Mickie Krause, der mit Liedern wie „10
nackte Friseusen“ oder „Finger im
Po – Mexico“ bekannt wurde, auf
Mallorca auf. Ein hartes Pflaster für
eine Kulturwissenschaftlerin?
Alexandra Müller: Immer die Rampensau zu sein, fiel mir nicht sehr leicht.
Aber wenn 500 Leute im Publikum stehen und mitmachen, ist das ein geiles
Gefühl. Ich mag das Lied ja so, weil man
sich gehen lassen und Spaß haben kann.
Und die Kulturwissenschaftlerin in mir
liebt die Pop-Kultur, und jetzt war ich
eben ein Teil davon. Aber ich weiß, wie
man zwischen einer Rolle und dem Privatleben trennt.
Haben Sie deswegen am Anfang die
Kunstfigur Alemuel, eine 18-jährige
Schülerin, gespielt?
Ja. Ich wollte eigentlich so eine HelgeSchneider-Figur kreieren, die ich über
einen längeren Zeitraum durchhalten
kann.
Also war es von Ihnen als
Unterwanderung des Systems gedacht?
Teilweise schon. Aber es hat sich nicht
wirklich wie eine Unterwanderung angefühlt. Ich bin ja nicht Günter Wallraff. Es war für mich eher PerformanceArt, und ich habe natürlich als Kulturwissenschaftlerin die Strukturen und
mich selbst beobachtet, um zu schauen,
was passiert. Doch letztendlich ist der
kleine Hai an sich einfach keine Kunst.
Das ist Spaß und Trash.
Relativiert sich der Blick auf die
Party-Pop-Kultur, wenn man selbst
ein Teil davon ist?
Ich bin diesem ganzen Mallorca-Ding
gegenüber wesentlich toleranter geworden. Ich habe gemerkt, dass viele von
denen, die in diesem System stecken,
viel aufgeschlossener gegenüber anderen Lebensentwürfen sind, als es etwa
einige meiner Bekannten waren. Die
Mallorca-Kultur hält genauso viele kluge Menschen bereit wie zum Beispiel ein
Theater.
Mit ihrer theatralen Version des „kleinen Hais“ auf YouTube sang sich Alexandra Müller in die
Herzen der Fans – und der Plattenindustrie. Jetzt will die 26-Jährige, die in Hildesheim Kulturwissenschaften studiert hat, ein Buch über ihre Erlebnisse schreiben.
Foto: Raoul de Fries
Dann deckte die BRAVO Ihre wahre
Identität auf.
Die Leute wollten einfach wissen, wer
hinter diesem Mädchen mit dem grünen
Pullover steckt. In dem Moment, als die
Alemuel-Lüge aufgeflogen ist, wurde
schon die Medienkritikerin in mir wach.
Die Redakteure der BRAVO hatten andere Performances von mir im Internet
entdeckt, kannten meinen echten Namen und dann gab es diesen blöden Artikel: „Alemuel hat alle verarscht“.
Ein Kontrollverlust?
Man steckt in diesen Strukturen und
dann verselbstständigen sich die Sachen. Von den Boulevardmedien wird
kaum Rücksicht genommen. Persönlichkeitsrechte interessieren die wenig.
Als der Manager an die Tür klopfte
HILDESHEIM. Im September 2006
entpuppte sich Lonelygirl15 als Erfindung eines Produzenten-Teams. Über
Monate hatten Fans die Videos der amerikanischen Teenagerin auf YouTube
verfolgt. Wie einem Tagebuch erzählte
sie der Kamera von den streng religiösen
Eltern und ihrer Einsamkeit. Alles
falsch, alles gespielt.
Der Amerikaner Gary Brolsma wurde
bekannt, weil er auf YouTube lippensynchron den moldawischen Popsong
„Dragostea din Tei“ sang. Später bekam
er einen Werbevertrag für kabellose
Kopfhörer. In Deutschland wurden Lieder wie „Wo bist du, mein Sonnenlicht?“
oder „Schnappi, das kleine Krokodil“
erfolgreich, weil sie sich zuerst über das
Internet verbreitet hatten und anschließend von Plattenfirmen veröffentlicht
wurden.
Mittlerweile nutzt die Industrie diese
Erkenntnisse gezielt und platziert ihre
Werbung, die gar nicht als solche erkannt wird, in sozialen Netzwerken. Dabei sind es oft nur geheimnisvolle Informationen, die das Interesse an einem
Produkt schüren sollen. Die Idee dahinter ist, dass Diskussionen in Blogs und
Internetforen viel mehr Menschen erreichen als klassische Werbung. Das nennt
man virales Marketing. Selbst Sozialwissenschaftler, Ökonomen und Mathematiker sind vom „Herding“, wie das
herdenähnliche Verhalten in sozialen
Verbünden oft bezeichnet wird, fasziniert.
Riley Crane, der an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich
über das Massenverhalten und die Prognose gesellschaftlicher Handlungen in
Verbindung mit physikalischen Modellen forscht, stellte fest, dass bei YouTube
anhand der Tendenz der Klickraten eines Videos abgelesen werden kann, ob
das Stück bald zu einem Massenphänomen wird. Die Erkenntnisse sollen in
Zukunft als weiteres Marketinginstrument auf anderen Internetplattformen
benutzt werden, um Produkte, die damit
als vielversprechend erkannt werden,
noch stärker zu bewerben.
Als Alexandra Müller vor zwei Jahren
ihr „Kleiner Hai“-Video auf YouTube
(www.youtube.com/user/alemuel) hochlud, kannte sie Lonelygirl15 und
„Schnappi“. Sie wusste, was mit einem
Video auf der Internetplattform passieren kann. Dass sie aber eineinhalb Jahre
später mit dem Kinderlied auf den Bühnen der deutschen Diskotheken stehen,
bei The Dome und auf Mallorca auftre-
ten würde, damit hatte sie ganz sicher
nicht gerechnet.
Aber auch ihr Video war immer bekannter geworden, weil die YouTubeNutzer ihre eigenen Videos über den
„Kleinen Hai“ produzierten und sich
damit das Lied verselbstständigte. Hilfreich war dabei, dass Alexandra Müller
die Geschichte vom kleinen Hai mit immer ekstatischer werdenden Armbewegungen spielte, was bei den Nachahmern besonders beliebt war.
Dann klopfte ein Manager eines kleinen Labels an die Tür von Alexandra
Müller und vermittelte sie an die Plattenfirma EMI, die aus dem „kleinen
Hai“ einen Sommerhit inklusive kultigem Modetanz machen wollte. Bis auf
Platz 25 der deutschen Charts kletterte
das Lied.
Man muss das nicht gut finden, was
zwei Musikproduzenten der 26-jährigen
Kulturwissenschaftlerin als Lied zusammenzimmerten. Was im YouTubeVideo schön schrill und schräg ist, wurde für die CD-Single mittels stumpfen
Dance-Beat auf ein Spaßmusikformat
heruntergedampft. Ein Hit am Reißbrett
und die perfekte Vorlage für Mitmachspiele in Diskotheken, wie man sie auch
von „The Ketchup Song“ kennt.
tim
Wie viel Geld haben Sie denn mit
dem Charterfolg und den Auftritten
verdient?
Mir bleiben am Ende wahrscheinlich um
die 5000 Euro. Von der CD wurden zwar
viele verkauft, aber davon bekomme ich
nur Cent-Beträge. Dagegen werden die
Auftritte gut bezahlt. 450 Euro für zehn
Minuten finde ich schon ganz okay
(lacht). Am Anfang hatte ich ein
schlechtes Gewissen, das Geld anzunehmen, weil das überhaupt nicht meiner
Vorstellung von Arbeit entsprach. Aber
nur wegen des Geldes hätte ich das nicht
gemacht. Dafür ist mir die Disco-Welt
zu fremd.
Dafür bleibt Ihnen der Ruhm.
Ich habe einen jungen Mann in meinem Alter kennen gelernt, der macht
Mallorca-Lieder und findet es einfach
nur geil, auf der Bühne zu stehen. Wenn
Leute süchtig nach Ruhm werden, machen sie viel Quatsch mit und werden
von der Industrie abgespeist. Ich denke,
so cool ist Ruhm nicht.
Müsste also etwa den jungen
Kandidaten von Castingshows immer
auch Medienkompetenz vermittelt
werden?
Auf jeden Fall. Ich finde es viel zu früh,
wenn jemand mit 16 Jahren in eine
Show geht und noch gar nicht weiß, wer
er selbst ist. Der bekommt schnell eine
Rolle aufgepresst, wird ein paar Jahre
benutzt und muss dann sehen, was aus
ihm wird. Ich hatte das Gefühl, immer
die Fäden in der Hand zu haben. Und
wenn ich den grünen Pulli ausgezogen
hatte, war ich wieder Alexandra Müller,
weil ich weiß, wer ich bin.
Was wollen Sie denn jetzt aus all diesen
Erlebnissen machen?
Ich plane, über meine Erfahrungen ein
Buch zu schreiben und spreche gerade
mit einem Verleger. Ich habe ganz viel
Tagebuch geführt und Artikel gesammelt. Es soll eine Mischung aus Dokumentarbericht und Reflexion werden.

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