und Verhänger-Dossier aus GLEITSCHIRM 10/2004 hier kostenlos im
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F l u g t e c h n i k K l a p p e r u n d Ve r h ä n g e r Klapper, Klapper, Klapper, Klapper, Verhängnis, Verhängnis, Verhängnis, Verkettung, Verkettung, Verkettung, Verhänger ... Einklapper sind bei unseren weichen Stoffflügeln manchmal nicht zu vermeiden. Das ist eigentlich nicht weiter schlimm - gefährlich werden diese Flügelverformungen meistens nur, wenn der Pilot falsch oder unzureichend reagiert. In schlimmsten Fällen kann es durch die Verkettung von Fehlern sogar zu Verhängern kommen ... VON SASCHA BURKHARDT lapper waren schon immer ein heißes Thema an Landeplätzen und FliegerStammtischen. Es hat sich mittlerweile aber auch herumgesprochen, daß die Einklappgefahr durch aktives Fliegen deutlich herabgesetzt werden kann - wenn die Luft nicht allzu turbulent ist und der Pilot mit dosierten, gut getimten Steuerleinenbefehlen dafür sorgt, daß die Kappe immer „schön überm Kopf bleibt“, bleiben die meisten Flüge wirklich völlig klapperfrei. Voraussetzung dafür aber ist ein gutes Gespür für die Bewegungen der Kappe - das kann man am besten auf einer flachen Wiese in einer mäßigen Brise trainieren. Wir haben schon mehrfach die Möglich- Foto: Michel Ferrer K keiten für solche bodenständigen Windspiele in GLEITSCHIRM beschrieben. Ein sinnvolles Training ist beispielsweise, den Schirm am Boden im Wind aufzustellen und mit geschlossenen Augen den Schirm überm Kopf zu halten. Der Pilot bekommt so ein hervorragendes Gefühl dafür, was ihm die Kappe über das Gurtzeug und über die Steuerdrücke mitteilen kann. In der Luft schrillen dann automatisch die Alarmglocken, wenn die Steuerkräfte auf einmal absinken, weil die Kappe nach vorne nickt und in „klappergefährliche“ Anstellwinkelbereiche gerät. Und der Pilot hat gelernt, dosiert zu reagieren. Denn eine „Überreaktion“ kann unter Umständen noch gefährlicher sein als eine fehlende Reaktion und zu einer Verkettung von Zwischenfällen führen. Um das zu verdeutlichen, begleiten wir Ludwig Lahmarm, einen überaus passiven und „grobmotorischen“ Piloten, auf seinem Spazierflug durch einen turbulenten Nachmittag. gleitschirm-magazin.com 10-04 35 F l u g t e c h n i k K l a p p e r u n d Ve r h ä n g e r 1 1 Ludwig Lahmarm fliegt sorglos durch die immer turbulenter werdende Luft: vor allem früher von den Fluglehrern empfohlen wurde. Selbstverständlich hängt das richtige Verhalten auch im großen Maße vom Gerätetyp ab. Ludwig Lahmarm fliegt wenigstens mit einem DHV-1-2er .... Was passiert? Die ersten paar starken Turbulenzen durchfliegt Ludwig Lahmarm noch unbeschadet - sein relativ klappstabiler Schirm verzeiht einiges. Doch irgendwann kommt eben doch ein kleines Teufelchen in Form einer vertikalen Scherung und läßt die Kappe auf der linken Seite deutlich einklappen ... 2 Was ist zu tun? Ob beschleunigt oder nicht, in ruhiger Luft würde auch einem absolut passiven Piloten nichts Ernsthaftes passieren: Der maximale Roll- bzw. Nickwinkel war beim DHV-Test in beiden Fällen kleiner als 45 Grad, der Höhenverlust gering, die Stabilisierung selbständig. Das Schirmverhalten dieses 12ers kann in der Realität der turbulenten Luft aber auch ganz anders ausfallen - nicht nur aus Prinzip, sondern auch aus Sicherheitsgründen sollte der Pilot also reagieren. Die schulbuchmäßige Reaktion auf einen solchen Einklapper: 1) Zunächst die Richtung korrigieren, dann erst 2) eventuell geklappte Seite wieder öffnen, beispielsweise durch leichtes Pumpen, falls die Kappe das nicht schon von alleine tut. Die allererste Sorge gilt also dem möglichen Wegdrehen des Schirmes: Der Pilot muß auf der offenen Seite dosiert gegenbremsen. Die Dosierung hängt von Schirmtyp und den Umständen des Klappers ab: Lesen Sie dazu den Infokasten auf Seite 39. Was tut Ludwig Lahmarm? Leider zunächst nichts. Er läßt den Was ist zu tun? Aktives Fliegen ist die grundlegende Voraussetzung für sicheres Fliegen. Das bedeutet, kontinuierlich und möglichst verzögerungsfrei auf die Bewegungen der Kappe zu reagieren. Wenn die Kappe beispielsweise auf einer Seite vorschießt (= Anstellwinkelverringerung und Klappergefahr), verringert sich der Steuerdruck der betreffenden Bremsleinen. Der aktive Pilot spürt dies sofort und bremst die entsprechende Seite etwas mehr an. Während die Kappe wieder zurückpendelt, läßt er die Bremse dosiert aus. Analog löst der Pilot die Bremse(n), wenn der Schirm beispielsweise beim Eintritt in die Thermik etwas „hinten hängen bleibt“ (= Anstellwinkelvergrößerung, erhöhte Sackflug- und Stallgefahr). Was tut Ludwig Lahmarm? Unser Beispielpilot fliegt mit leicht gesetzten Bremsen passiv durch die Luftmassen. Für einen überforderten Anfänger, der sich ungewollt in turbulenter Luft befindet, kann das sogar „das kleinere Übel“ sein: falsch dosierte Überreaktionen können unter Umständen gefährlicher sein als die Einnahme einer defensiven Haltung mit „den Händen in Ohrenhöhe“, wie sie 36 10-04 gleitschirm-magazin.com 3 3 Der Schirm ist mittlerweile schon wieder brav aufgegangen, wie es seine Einstufung erfordert (selbständig verzögert), die Drehung hat sich schon verlangsamt. Der Vorfall wäre eigentlich fast beendet, wenn Ludwig Lahmarm jetzt nicht in der Panik geraten wäre ... Was ist zu tun? Normalerweise geht der Schirm jetzt wieder in einen „normalen Flugzustand“ über, auch wenn der Pilot weiterhin nicht reagiert. Der aktiv fliegende Pilot, der zuvor die Rotation des Klappers gestoppt hat, braucht jetzt eigentlich nur noch die Bremse dosiert freigeben. Eventuell müssen sogar beide Bremsen dosiert freigeben werden, weil der Schirm mit der Verlangsamung und aufgrund des durchpendelnden Piloten etwas „hinten hängenbleibt“. Was tut Ludwig Lahmarm? Ludwig Lahmarm hat angesichts der raschen Drehbewegung einen so ordentlichen Schreck bekommen, daß er jetzt unbedingt reagieren will. Mit Verspätung und ziemlich unkontrolliert reißt er an der kurvenäußeren Bremse. 4 2 Der Klapper passiert zum Glück nicht im beschleunigten Flug - er hätte der Kappe eine ungleich höhere Drehtendenz aufgezwungen. Das zeigt auch deutlich das Testprotokoll Ludwigs 12ers: Während der DHV-Zulassung bekam der Schirm beim einseitigen Einklapper im unbeschleunigten Flug eine 1, im beschleunigten Flug dagegen eine 1-2, was schließlich als alleiniger Grund zur Abwertung des Schirmes führte - alle anderen Manöver waren ebenfalls mit 1 benotet worden. Beim unbeschleunigten Flug hatte die Kappe ein sofortiges Wegdrehen von unter 90° mit geringer Drehgeschwindigkeit und Verlangsamung gezeigt (Note 1), beim beschleunigten Flug dagegen ein sofortiges Wegdrehen von 90-180 Grad mit durchschnittlicher Drehgeschwindigkeit und Verlangsamung (Note 1-2). Bei Ludwig Lahmarm handelt es sich aber um eine unkontrollierte Drehbewegung aufgrund der Passivität des Piloten. Was passiert? Diese Situation geht mit einem 1-2er, der mit ausreichendem Bodenabstand fliegt, auch bei „sträflicher“ Passivität normalerweise völlig glimpflich aus. Allerdings hat Ludwig Lahmarm Pech: Die vertikale Scherung war ziemlich kräftig, der Schirm geht beeindruckend schnell „um die Ecke“ und jagt dem unerfahrenen Piloten einen ordentlichen Schreck ein. Schirm „um die Ecke gehen“. Routinierte Piloten machen das manchmal sogar bewußt und lassen den Schirm kontrolliert ein wenig abdrehen, um etwas Geschwindigkeit für eine automatische Wiederöffnung „zu tanken“. Let’s not twist again: Die schnelle Drehbewegung der Kappe twistet die Fangleinen ein, nach mehreren Umdrehungen können sogar die Bremsen blockieren ... Was passiert? Selbst dieses Fehlverhalten sollte mit Ludwigs 1-2er normalerweise glimpflich ausgehen: beim DHV-Test hieß es beim Punkt „Einklapper mit Gegensteuern“: Gegensteuern einfach, keine Tendenz zum Strömungsabriß, Note 1. Doch das ist kein Freibrief: In der Realität der turbulenten Luft kann es trotzdem zum Strömungsabriß auf der gebremsten Seite kommen. In unserem Beispiel schießt just in diesem Moment eine starke Blase von unten an die stark überbremste Schirmhälfte, der Anstellwinkel wird so groß, daß die Strömung an dieser Kappenhälfte abreißt. 4 Die gestallte rechte Seite des Schirmes kippt nach hinten ab, die linke beginnt eine rasche Drehbewegung um die gestallte Seite: Der Schirm dreht also sehr schnell nach rechts ab und damit in die entgegengesetzte Richtung der ursprünglichen, durch den Klapper provozierten Drehbewegung. Gleichzeitig pendelt der Pilot etwas vor. Was ist zu tun? Diese Situation erfordert eine rasche Reaktion: Die rechte Bremse muß unverzüglich dosiert freigegeben werden, um die rechte Schirmhälfte wieder Fahrt aufnehmen zu lassen, ohne sie jedoch vorschießen zu lassen. Gleichzeitig und gegenläufig muß der Pilot die beschleunigende linke Schirmhälfte je nach Konfiguration mehr oder weniger anbremsen, um die mögliche Drehbewegung zu stoppen. Allerdings muß diese Bremsbewegung sehr wohldosiert sein, um nicht auch noch diese Flügelhälfte zu stallen. Was tut Ludwig Lahmarm? Der arme Kerl ist jetzt völlig überfordert. Er spürt, daß die rechte Schirmhälfte hinter ihm weggekippt ist, und läßt unkontrolliert beide Bremsen aus. Was passiert? Mancher Schirm dieser Klasse verträgt ein komplettes Auslassen beider Bremsen in einer solchen Situation ganz gut und schießt nur mäßig vor. Ludwig Lahmarms Segel zeigt sich diesbezüglich etwas giftiger, zudem verstärkt eine Turbulenz die Nicktendenz. Der Schirm schießt also zu Ludwigs Pech mit großer Energie mehr oder weniger asymmetrisch vor. gleitschirm-magazin.com 10-04 37 F l u g t e c h n i k K l a p p e r u n d Ve r h ä n g e r 5 Was ist zu tun? Gegenbremsen, wenn nötig bis „weit unter den Hintern“. Denn eine Kappe, die „hammerartig“ nach vorne schießt, hat in diesem Moment so lange Steuerwege, daß ein weiterer Stall momentan nicht möglich ist. Die oberste Priorität ist also, den Schirm zu stoppen. Da der Schirm in diesem Fall asymmetrisch nach vorne nickt, müssen die Bremsen dementsprechend asymmetrisch gesetzt werden: auf der stärker schießenden Seite deutlich mehr. Was tut Ludwig Lahmarm? Immer noch genau das Falsche: Es sieht rat- und tatenlos zu, wie die Kappe nach vorne jagt, und läßt weiterhin „die Arme oben“. Das Gefühl ist äußerst unangenehm: Die Kappe zieht nicht mehr nach oben, sondern nach vorne, ja sogar fast nach unten. Ludwig hat fast den Eindruck, ein galoppierendes Pferd rase mit ihm davon ... Was passiert? Durch das unkontrollierte, asymmetrische Vorschießen klappt jetzt die rechte Flügelhälfte ein. (Zur Erinnerung: Die Verkettung begann mit einem Klapper auf der linken Seite) 6 Die rechte Flügelhälfte klappt nicht nur ein, sondern verhängt sich auch in den Fangleinen: Die verhängnisvolle Verkettung endet im klassischen Verhänger. Der Schirm beginnt eine Drehbewegung nach rechts, also entgegengesetzt zur ursprünglichen Drehrichtung ganz zu Beginn der Verkettung. 38 10-04 gleitschirm-magazin.com Was ist zu tun? Wie beim „normalen Einklapper“ gilt es in erster Linie, die aufkommende Drehbewegung zu stoppen. Diese kann je nach Schirmtyp und Größe des Verhängers vollkommen unterschiedlich ausfallen. 1) Manchmal läßt sich der Schirm ganz „normal“ abbremsen und stabilisieren. Im günstigsten Fall kann der Pilot eventuell geradeaus weiterfliegen, und , falls immer noch ausreichend Manövrierbarkeit vorhanden ist, auf einem großen Terrain notlanden. Wichtig ist, die offengebliebene Seite nicht zu stallen: Der Bremseinsatz muß entsprechend dosiert ausfallen, um einen weiteren Stall und eine weitere Verkettung zu verhindern. Oft muß also die Bremse nach einem kurzen und kräftigen Abstoppen der Drehbewegung wieder behutsam freigegeben werden. Es kann auch vorkommen, daß der Schirm nur soweit 6 abgebremst werden kann, daß er auf einer langsamen Kreisbahn weiterfliegt. Das läßt die Zeit, den Verhänger eventuell zu lösen. Tiefes, langsames „Pumpen“ auf der verhängten Seite ist eine Möglichkeit, die aber nur selten zum Erfolg führt. In der Regel muß der Pilot die Stabiloleine der verhängten Seite ausfindig machen und diese solange an sich heranwickeln, bis das verhängte Flügelende wieder aus den anderen Leinen herausrutscht. Andere Möglichkeit: bewußtes „Ohrenanlegen“, dann wieder öffnen. Wenn das alles nicht hilft, können sehr routinierte Piloten auch einen Fullstall fliegen, um bei der Wiederöffnung eventuell einen normalen Kappenzustand zu erhalten: der Rückwärtsflug im Stall hilft dabei mit. Manche Profis leiten auch einen SAT ein, um den Verhänger zu lösen. 2) In vielen Fällen führt ein solcher Verhänger aber zu einem extrem schnellen Abkippen und damit zu einem vollkommen unkontrollierten Spiralsturz. Wenn sich dieser nicht sofort stoppen läßt, bleibt nur noch eines: Die Rettung muß „raus“, und zwar so schnell wie möglich. Was tut Ludwig Lahmarm? Fast nichts - er findet sich in einer raschen Spiraldrehung wieder und zögert, den Rettungsschirm zu werfen. Was passiert? Die Kappe schraubt sich in wenigen Sekunden in einen gewalttätigen Spiralsturz. Hohe Fliehkräfte machen den Piloten innerhalb kurzer Zeit handlungsunfähig, oft auch bewußtlos. 7 Die Fliehkräfte sind so stark angestiegen, daß Ludwig noch nicht mal mehr den Retter werfen kann. Er wird bewußtlos. Nicht nur die Sinkrate ist beim Aufschlag bedrohlich, auch und gerade die Kreisgeschwindigkeit des Pilotenkörpers hat schwerwiegende Folgen beim Aufprall auf den Boden. Zum Glück ist diese geschilderte Verkettung bei einem Schirm der unteren Gütesiegelklassen äußerst selten - bei jedem Schritt war ein bißchen Pech dabei, und Ludwig Lahmarm hätte bei jedem Schritt der Verkettung die Möglichkeit gehabt, eine weitere Verschlimmerung durch richtiges Verhalten abzuwehren. Allerdings sollte sich jeder Pilot bewußt sein, daß ein Verhänger auch anders entstehen kann. Im Jahr 2003 verunglückte beispielsweise ein Pilot, der bei einem Wing- 7 Foto: Daniel Kalberer 5 Die Verkettung nimmt weiter ihren Lauf: Während der Pilot wieder zurückpendelt, jagt die Kappe bei der Wiederaufnahme ihres Fluges nach dem einseitigen Stall mit hoher Geschwindigkeit nach vorne. Aufgrund der asymmetrischen Dynamik ist dies einer der typischen Vorschießer, die sehr häufig zu einem Verhänger führen können. Simulierte Klapper: Unser Fotograf und Acrospezialist Daniel Kalberer bringt auf Wunsch jeden Schirm absolut „filmreif in Nöte“ ... Over an der kurvenäußeren Seite wegen der hohen Flügelgeschwindigkeit einen Klapper mit Verhänger erlitt. Die verhängte kurvenäußere Seite wurde in Sekundenbruchteilen zum Kurveninneren eines raschen Spiralsturzes: Aufgrund der Pendelkonfiguration drehte der Schirm sofort rasant um diese Flügelhälfte herum. Die Resthöhe reichte nicht aus, um den Retter auszulösen. Wing Over sollten aufgrund der möglichen Verhängergefahr also immer nur mit ausreichender Höhe von mehreren hundert Metern geflogen werden! Das oben beschriebene Unglück unseres Beispielpiloten zeigt auf jeden Fall deutlich, daß aktives Fliegen und dosierte Reaktionen die beste Lebensversicherung sind - und beides erlernt man nur durch stetes Training am Boden und in der Luft. Und selbst wer diese Voraussetzung nicht mitbringt, kann auch mit Sicherheit unfallfrei fliegen - unter der Bedingung allerdings, daß er nur startet, wenn die Luft garantiert entsprechend ruhig ist ... DIE DOSIS MACHT’S ... Es gibt im Gleitschirmsport keinen „Standardklapper“ und auch keine „Standardreaktion“. Der DHV hat dies unter der Feder von Karl Slezak in einem äußerst interessanten Artikel auf www.dhv.de, Rubrik Sicherheit, „Achtung Einklapper, Teil 1+2“, deutlich dargestellt. Je nachdem, in welchem Flugzustand sich der Gleitschirm im Moment des Klappers befand, können Größe und Form des Klappers sowie die Reaktionen des Schirmes darauf vollkommen verschieden ausfallen. Bei einem beschleunigten Klapper ist es noch recht einfach nachzuvollziehen, daß die hohen Geschwindigkeiten meist zu sehr dynamischen Drehreaktionen führen. Aber auch im unbeschleunigten Flug kann ein- und derselbe Klapper je nach Flugzustand erstaunlich unterschiedliche Folgen haben. Befindet sich der Pilot beispielsweise in einer Pendelbewegung, kann die Abdrehtendenz je nach Richtung des im Klappermoment bestehenden Pendelausschlages zwischen „null“ und „geht ‘rum wie ‘ne Rakete“ liegen. Aus diesem Grund sind die provozierten Klapper während eines Sicherheitstrainings oftmals sanfter als jene, die in der Realität der „brodelnden“ Luft erlebt werden. Und ebenfalls aufgrund dieser Tatsache sind auch die von den DHVTestpiloten provozierten Klapper während der Zulassungsflüge nur ein Anhaltspunkt für das typische Verhalten des betreffenden Schirmes, nicht aber eine absolute Garantie für ein „jederzeitig gutmütiges“ Klapperverhalten, selbst nicht bei einem „reinrassigen Einser“! Dementsprechend können auch nicht die Pilotenreaktionen standardisiert werden: Der Pilot muß lernen, wie Karl Slezak vom DHV so schön sagt, „nicht auf den Einklapper zu reagieren, sondern auf das durch den Einklapper verursachte Schirmverhalten!“ Denn wenn der Schirm um die „Ecke geht“ wie ein Düsenjet, braucht er einen sehr viel deutlicheren Bremseinsatz als wenn er zufälligerweise bei einem sehr hohen Anstellwinkel einen Klapper kassiert und dann aufgrund des hohen Widerstandes eigentlich nur „in der Luft stehen bleibt“, ohne die Richtung maßgeblich zu ändern. In diesem Fall führt „grobmotorisches Bremsen“ schnell zu einem Strömungsabriß ... (SB) F l u g t e c h n i k K l a p p e r u n d Ve r h ä n g e r KLAPPER UND VERHÄNGER Uwe Bernholz, Paratech GLEITSCHIRM: Ist es wünschenswert, jeden Schirm möglichst klappstabil zu machen? Uwe Bernholz: Ja und nein: Wäre es physikalisch möglich, einen Schirm so zu bauen, daß er auch größere negative Lasten aufnehmen könnte und GLEICHZEITIG nicht weit nach vorne nicken (schießen) könnte, wäre das sicher eine Revolution. Bisher kenne ich keinen Schirm, der beides nur annähernd beherrscht. Einklappen kann aber durchaus auch positiv sein, da ein zu weites Vornicken (Schießen) der Kappe durch ein Einklappen gestoppt wird und so ein „Ins-Tuch-Fallen“ ‘rausgezögert, obgleich nicht verhindert werden kann. GLEITSCHIRM: Was kannst Du tun beziehungsweise was tust Du tatsächlich, um Deine Schirme klappstabiler zu machen? Uwe Bernholz: Profilwahl, Beschleunigergeometrie, Leinenaufhängung Foto: Michel Pfeiffer GLEITSCHIRM: Was kann man konstruktiv tun, um die Gefahr von Verhängern zu verringern? Uwe Bernholz: Der Außenflügel muß so gestaltet werden, daß er sehr geringe Tendenz hat, um nach vorne zu kommen. Pfeilung, Tiefenverteilung, Schränkung, Leinengeometrie GLEITSCHIRM: Besondere Anmerkungen zum Thema Klapper und Verhänger? Uwe Bernholz: Es gibt gerade bei den Einsteigerschirmen ganz klar zwei Philosophien: Der klappstabile „Panzer“, der sehr spät und schwer zum Einklappen neigt, mit mittlerweile gutem Handling und Flugspaß, der aber bei einem massiven Klapper „erschrekkend“ dynamisch werden kann und selbst mit DHV 1 sich eine gefährliche Situation ergeben kann. Auf der anderen Seite das „sensible Schaf“, welches ohne aktiven Flugstil durchaus früher zum Einklappen neigt, aber selbst bei massiven Klappern wenig Dynamik aufkommen läßt, bei teilweise etwas gedämpfterem Flugverhalten und Handling. Größter Vorteil des „fliegenden Schafes“ ist die Möglichkeit für den noch unerfahrenen Piloten, das aktive Fliegen lernen zu können, da der Schirm dem Piloten durch harmloses Einklappen zeigt, wenn er zu wenig aktiv geflogen ist. Bei einem Umstieg auf einen 1-2er kann er diese Erfahrungen sehr gut gebrauchen. Sollte der Pilot seine ersten Erfahrungen unter einem „Panzer“ gemacht haben, welcher noch verbreitet ist und von Flugschulen auch favorisiert wird, wird er das aktive Fliegen zwangsläufig nur schlecht lernen, da der Schirm ihm dies unter normalen Bedingungen nicht durch ein leichtes Einklappen bei zu passivem Flugstil zeigt. Foto: Daniel Kalberer was Konstrukteure dazu sagen ... Pilot passiv bis zum Geht-nicht-mehr: Daniel Kalberer spielt Ludwig Lahmarm Armin Graf, Pro Design GLEITSCHIRM: Was kannst Du tun beziehungsweise was tust Du tatsächlich, um Deine Schirme klappstabiler zu machen? Armin Graf: Vor allem die Nickstabilität erhöhen, zum Beispiel durch druckpunktstabileres Profil, mehr Profiltiefe, längere Leinen ... GLEITSCHIRM: Ist es wünschenswert, jeden Schirm möglichst klappstabil zu machen? Armin Graf: JEIN - wie alles im Leben ein Kompromiß! Ja, weil sich das ALLE Piloten wünschen. Nein, denn die ganzen alten Schirme mit irgendwelchen Versteifungen sind nur mit Fullstall oder ähnlichem wieder aufgegangen. Nein, weil es meist besser ist, einen „Miniklapper“ als Vorwarnung zu haben und eventuell zu korrigieren, als einen „Totalzerstörer“. Nein, weil auch die Flugeigenschaften darunter leiden. Im Extremfall stallt so ein Schirm beim Einfliegen in den Aufwind, bleibt in jedem Abwindgebiet hängen und ist nicht gerade wendig. GLEITSCHIRM: Was kann man konstruktiv tun, um die Gefahr von Verhängern zu verringern? Armin Graf: Ohne Leinen fliegen ... Nein, ernsthaft, böse Verhänger passieren hauptsächlich dann, wenn der Stabi „von vorne“ durch die Leinen schlüpft. Man muß also vor allem darauf achten, daß der Stabi nicht so leicht hängenbleiben kann. Das bedeutet: wenig Verstärkungen und viele Leinen, sodaß der Stabi „anliegt“, aber nicht durchschlüpft. Ein Schirm mit zwei Stammleinen hat normalerweise ein wesentlich größeres „Loch“ zwischen den Stammleinen, als einer mit vier und daher kann das Flügelende viel leichter nach hinten durchschlagen. GLEITSCHIRM: Besondere Anmerkungen zum Thema Klapper und Verhänger? Weiter geht’s auf Seite 44 gleitschirm-magazin.com 10-04 41 F l u g t e c h n i k K l a p p e r u n d Ve r h ä n g e r Michael Nesler: Michael Nesler zeichnet als Konstrukteur Schirmmodelle für eine große Zahl von Herstellern. Gleichzeitig fliegt Michael sowohl mit dem Einsitzer als auch dem Tandem aktiv Acro und weist eine entsprechende Erfahrung mit extremen Flugzuständen auf. Seine Ansicht zum Thema Klapper und Verhänger: Klapper Foto: Daniel Kalberer Fortsetzung von Seite 41 Armin Graf: „Aktiv fliegen“ oder zumindest LEICHT angebremst hilft meistens. Bei den meisten Unfällen kommt es irgendwann auch zu einem Einklappen der Kappe, wer das korrigieren kann, „lebt deutlich länger“. Es ist schon ein wenig sonderbar, daß sich fast alle Piloten bei Thermikwetter ziemlich knapp bei Felswänden und Bäumen fliegen trauen, aber Angst davor haben, ein Sicherheitstraining zu machen. Manfred Kistler GLEITSCHIRM: Ist es wünschenswert, jeden Schirm möglichst klappstabil zu machen? Manfred Kistler: Ein gewisses Maß an Klappstabilität ist auf alle Fälle sinnvoll. Kritisch wird es dann, wenn ein Schirm „bretthart“ ist, sehr spät einklappt, dafür dann aber sehr heftig reagiert. So versuchen wir unsere Schirme auch klassenspezifisch zu bauen. Ein 1er sollte generell eine höhere Resistenz gegen Einklappen haben als ein 2-3er, denn da setzte ich einen aktiv fliegenden Piloten voraus, der Einklapper 42 10-04 gleitschirm-magazin.com „GLEITSCHIRME, DIE BEIM DHV-TESTFLUG ZUM „VERHÄNGEN“ NEIGEN UND DIES REPRODUZIERBAR IST, WERDEN UND WURDEN SCHON IMMER MIT NEGATIV BEWERTET. VERHÄNGER KOMMEN BEIM TESTFLIEGEN IMMER WIEDER MAL VOR, VOR ALLEM BEI BESCHLEUNIGTEN TESTFLUGFIGUREN. WIR GEHEN ALLERDINGS ENTSPRECHEND „ SCHNELL UND RADIKAL DAMIT UM UND STALLEN DEN SCHIRM MEIST SOFORT AN „ ODER DURCH, SODASS DIE SITUATION ENTSCHÄRFT IST, OHNE VIEL ZEIT UND ARBEITSHÖHE ZU VERLIEREN.“ schon durch seinen Flugstil vermeiden kann. GLEITSCHIRM: Was kannst Du tun beziehungsweise was tust Du tatsächlich, um Deine Schirme klappstabiler zu machen? Manfred Kistler: • Profilwahl (dick = klappstabil) • Spannung in den Segelbahnen • Gewicht niedrig für sanftes Klappverhalten • Optimierung der Leinenaufhängungen (Position und Anzahl) • Zugentlastungsbänder müssen im optimalen Verhältnis zur Segelvorspannung sein • Kappenradius sorgt für genügend Querzug, also auch hier Potential GLEITSCHIRM: Was kann man konstruktiv tun, um die Gefahr von Verhängern zu verringern? Reiner Brunn, DHV Manfred Kistler: • jede Zelle mit einer eigenen Leinenaufhängung • darauf achten, daß keine „Lücken“ in der Leinenkonfiguration sind, wo Flügelteile allzu leicht durchschlüpfen können • konstruktiv und trimmtechnisch dafür sorgen, daß es nicht zu Gegenklappern kommt wenn der Schirm einklappt (und damit wieder das ganze Sortiment von oben) Das scheint mir am wichtigsten. Gegenklapper bergen die größte Verhängergefahr, also legen wir starken Wert darauf, daß sie nicht auftreten. • keine extrem großen Leinenwinkel realisieren • Klappverhalten per Mini-Video-Kamera analysieren Ich unterscheide strikt zwischen Einklapper und asymmetrischem Kollaps: Beim Kollaps wird die betroffene Seite einfach eingedrückt, entleert und NICHT nach unten beschleunigt. Beim Einklapper wird das Profil durch eine abrupte Änderung des Anstellwinkels (Turbulenz, Aufschaukeln, Trimmänderung) von oben angeblasen, die Strecke der Luftteilchen ist nun auf der Unterseite länger als auf der ursprünglichen Oberseite und es entsteht ein Auftrieb (eigentlich Abtrieb) auf der Unterseite. Dadurch wird der betroffene Flügelteil nach unten beschleunigt da ja in diese Richtung keine Leinen anhängen beziehungsweise kein Gewicht dagegenwirkt und reißt mehr Fläche mit, als die eigentliche Turbulenz verursachen sollte. Besonders gut sichtbar beim beschleunigtem Klapper. Daraus folgt, daß das Einklapp-Verhalten extrem vom Profiltyp und vom Trimmwinkel abhängig ist. Profile mit komplett gerader Unterkante klappen nicht, sie fallen nur ein und deformieren sich. Solche Profile finden im den meisten Sprungfallschirmen Verwendung und NUR mit solchen Schirmen kann man Hook-Turns (Extremkurven durch Ziehen der vorderen Gurte) fliegen, ohne daß die Kappe einklappt. Je mehr Wölbung und gekrümmte Unterkante (= Leistung!) das GS-Profil aufweist, desto mehr Abtrieb entsteht, wenn das Profil mal von oben angeströmt wird und desto größer werden die Klapper. Wir haben Protos gebaut, die nicht klappen, sondern nur einfallen konnten, die Leistung war jedoch ungenügend. Wir haben auch mit allen möglichen Systemen experimentiert, die ein Einklappen verhindern sollten: • Alu-Stange in der Anströmkante (Bicla GEN 3) • Schlauch in der Anströmkante (Fun Air Proto) • Plastikstreben in der Anströmkante (Chiron Mylar Comp) • Druckluftholm (AR10, Zusammenarbeit mit Paradelta) • Netze und Rückschlag-Ventile an den Öffnungen (MIG 24, Chiron PX1 u.v.a.) • Karbonlatten an der Unterseite der tragenden Rippen (Tempest) Das Ergebnis all der Testflüge mit diesen Protos hat mehr als deutlich gemacht, daß Schirme in gewissen Situationen besser einklappen sollte, anstatt die überschüssige Energie in eine ungewollte Richtung umzusetzen, auch weil die bevorzugte RichtungsUmsetzung fast nie mit der gewünschten übereinstimmte. Es gibt je nach Kategorie eine gewünschte Mindest- und Maximalsteifigkeit der Kappe. Bei Überschreiten dieser Maximalsteifigkeit muß der Schirm einklappen und so schnell und einfach als möglich wieder aufgehen. Ich bin der Ansicht, Einklapper sollten in der Grundschulung perfekt (bis zu 75 % Einklapptiefe) stufenweise erlernt werden. Die Fertigkeit, dank Erfahrung gelassen auf Einklapper zu reagieren, ist letztlich die beste Lebensversicherung beim Fliegen. Verhänger Verhänger entstehen meistens, wenn die eingeklappte Seite entweder durch ungünstige Entleerung oder seitliche Anströmung in die Leinen gedrückt wird. Oder bei falsch ausgeleiteten Manövern wie Fullstall oder Spin. Das Hauptproblem bei Verhängern ist, daß relativ wenig verhängte Fläche ausreicht, um den Schirm in eine Rotation zu bringen, bei welcher sich der Drehpunkt sehr nahe beim Piloten befindet. In dieser Situation bedarf es extremer Steuerkräfte, um die Bremse überhaupt zu betätigen. Bei wenig gestreckten Schirmen kann es sogar sein, daß der verbleibende Hebelarm der Gegenbremsung nicht ausreicht. Dann gibt es nur noch den Versuch, über einen Fullstall den Verhänger zu lösen oder, bei wenig Höhe, den Rettungsschirm. Es gibt unzählige Theorien, wie ein Verhänger zu lösen ist: betroffene Leinen ziehen, Stabiloleine rausziehen, verhängte Seite einklappen und so weiter. Sie alle funktionieren wohl nur, wenn die Rotation verhindert oder gestoppt werden kann. Wenn das der Fall ist, könnte man wohl auch so landen! Also, Verhänger sind nur dann ein Problem, wenn eine Drehbewegung des Schirmes über die Bremse nicht zu stoppen ist oder wenn der Pilot nicht geschult wurde, bei Klappern und Verhängern erst mal die Rotation zu stoppen. Glücklicherweise sind Verhänger aufgrund der modernen Leinengeometrie und vor allem der starken Rückpfeilung der meisten Schirme relativ selten. Ich bin überzeugt, daß Klapper bei den heutigen zugelassenen Schirmen auch für Wenigflieger leicht kontrollierbar wären, und genau im richtigen Rahmen extreme Turbulenzen auf diese Weise amortisieren. Das Hauptproblem der Klapper liegt wohl eher in den Versprechen der Verkäufer wie beispielsweise „Der DHV 1er klappt nicht!“ , „Er ist idiotensicher“ und schlechter Schulung. Wir haben inzwischen einen funktionierenden Prototyp, der nicht mehr einklappen kann und auch genügend Leistung hat. Er wandelt die überschüssige Energie in symmetrische Frontklapper um, die keine Tendenz zum Wegdrehen haben und wo das Sinken im sicheren Rahmen bleibt. Wir testen gerade die Praxistauglichkeit dieses Gerätes, was wohl noch etwa ein Jahr dauern wird. F l u g t e c h n i k K l a p p e r u n d Ve r h ä n g e r Wenn’s über dem Piloten mal so ausschaut, dann fangen die Probleme erst richtig an KLAPP-PROPHYLAXE: DER HANGTRICK ... Foto: Michel Pfeiffer die Situation wird noch komplexer. So kann der Schirm durch mehrmaliges Abreißen und Anfahrenlassen soweit zum Vorschießen gebracht werden, daß der Pilot in die Kappe fallen kann. Weil diese Flugzustände sehr schwer zu beherrschen sind, empfehle ich grundsätzlich als einfachere Variante den Fullstall. Dabei wird mir die Rotation sofort gestoppt, die Gefahr zum Dynamikaufbau ist weg und der Pilot befindet sich, sofern genügend trainiert, in einem „gewohnten“ Flugzustand. Ansonsten bleibt nur der Retter. Dani Loritz zum Thema „Verhänger“ Dani Loritz ist seit über dreizehn Jahren Fluglehrer und Ausbildungsleiter. Zudem hat er für Firebird Schirme entwickelt und zeichnet jetzt die Kappen bei FreeX. Er beschreibt das Thema Klapper und Verhänger aus der doppelten Sicht des Konstrukteurs und des Leiters von Sicherheitstrainings: Es gibt eine Verbindung zwischen bestimmten konstruktiven Aufbauten und einer erhöhten Tendenz zu Verhängern. Schirme mit weniger elliptischen Grundformen, sprich hoher Profiltiefe im Außenflügel sowie solche mit einer kleineren Anzahl an Stammleinen sowie speziell kurzen Galerieund Top-Leinen weisen in der Regel eine höhere Tendenz zu Verhängern auf. Dies jedoch als absolute Aussage zu bewerten wäre falsch. Vielmehr hängen gerade in der Konstruktion noch zuviel Nebenfaktoren wie Profilform, Segelvorspannung, Leinenkonfiguration damit zusammen. Die Auswirkungen eines Verhängers sind ebenfalls sehr schwierig zu pauschalisieren. In der Praxis punkten oft gerade die Geräte mit quadratischer Grundform besser als die Elliptischen, dies jedoch nur unter Laborbedingungen - und da liegt oft der „Wolf im Schaftspelz“. Alle simulierten, in Sicherheitstrainings geübten und manuell herbeigeführten Klapper oder Verhänger sind in der Regel bei solch „fliegenden Schranktüren“ harmlos. Doch wehe, wenn die 44 10-04 gleitschirm-magazin.com Situation nicht mehr der Norm entspricht - und das tut sie selten, wenn wir mit solchen Gefahren konfrontiert werden. Ungewohnt heftig und tief schießen diese Schirme vor und können ungemein schnell in beinahe nicht mehr bremsbare Spiralen stürzen. Da die elliptischen Grundformen in der Regel weniger Roll- und Nickdämpfung aufweisen, neigen diese Schirme grundsätzlich zu zeitlich schnellerem Abdrehen, weiterem Vorschießen und lassen weniger Spielraum beim Gegenbremsen. Diese Reaktionen sind jedoch meist verläßlich und konstant und sind für den erfahrenen Piloten ohne Überraschungspotential und somit, richtig geschult, eher beherrschbar. Leider lassen sich Verhänger nicht oder nur schlecht schulen. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Ausbildung. Ich zähle einen Verhänger zu den nicht alltäglichen Flugzuständen, somit stellt sich für mich in solchen Momenten immer die erste Frage nach meiner Flughöhe und parallel dazu die Überlegung, ob die Rettung unmittelbar gezogen werden sollte oder ob noch Höhe zur eventuellen Korrektur vorhanden ist. Bleibt mir bis zum Retterwurf noch Zeit, ergeben sich zwei Möglichkeiten zur Stabilisierung. Grundsätzlich muß ich davon ausgehen, daß ein Verhänger, und sei er noch so klein, eine extreme Rotation hervorrufen kann. Dies will ich als primäres Ziel verhindern - gefühlvolles und doch effektives Gegenbremsen auf der offenen Seite wäre das Richtige. Es ist nicht unbedingt nötig, die Rotation komplett zu stoppen, ich will jedoch ein stetiges Zuziehen in die Spirale verhindern. Da Verhänger oft nach nicht sauber vorgefüllten Stalls oder nach tiefen, asymmetrischen Vorschießern passieren, ist die verbleibende Zeit, um eine Rotation zu verhindern, sehr kurz. Erschwerend dazu kommen oft noch getwistete Leinen und ein ungewöhnlich hoher Steuerdruck. Da kann es vorkommen, daß die Bremsbewegung des Piloten zu heftig und stark ausfällt und die Strömung an der Flügelaußenseite abgerissen wird. Das erneute Freigeben der Bremse würde ein noch tieferes Vorschießen des Schirmes bewirken, Nicht jeder Verhänger muß in so einem beängstigenden Prozedere enden. Dabei ist jedoch von höchster Wichtigkeit, daß jeder noch so kleine Klapper oder potentielle Verhänger ernst genommen werden sollte. Gerade die kleinen, unscheinbaren „Kravättchen“ können zu unglaublicher Heftigkeit ausarten. Bleibt jedoch das Abdrehverhalten moderat und ein Richtungswechsel kann trotz nicht ganz geöffnetem Schirm über die Bremse erzielt werden, so läßt sich ohne weiteres so landen. Mit genügend Höhe kann versucht werden, durch Herunterziehen der Stabileine oder durch das Einleiten eines zusätzlich massiven Klappers den Verhänger zu lösen. Eine noch sehr junge, aber ungemein wirksame Möglichkeit zur Lösung eines Verhängers: das Erfliegen eines SAT’s. Das erste Mal wurden wir in Amerika auf diese Möglichkeit aufmerksam. Zusammen mit Enleau O’Connor, dem vermutlich besten Akropiloten der Staaten, haben wir die Wirkung des SAT’s auf Verhänger im Detail angeschaut und Erstaunliches festgestellt. Alle von uns bewußt erzielten Verhänger konnten durch ein zusätzliches Ziehen der Innenbremse und dem daraus resultierenden SAT gelöst werden. Es liegt auf der Hand, daß diese Form der Problembehebung nur sehr geübten Piloten überlassen werden kann: Der SAT muß „im FF“ beherrscht werden, denn der Umgang mit den doch erheblichen G-Kräften ist nicht jedermanns Sache. Dennoch sollten genau solche Details vermehrt thematisiert werden. Akrogegner könnten vielleicht so Argumente für die Daseinsberechtigung von Akromanövern erkennen ... Weiterbildung ist in jedem Fall wichtig: Ganz gleich in welche Richtung diese „Schräg fliegen“ ist „in“ ... Beim hangnahen Fliegen hat der erfahrene Pilot eine ganz besondere Möglichkeit, seine Sicherheit zu erhöhen: „schräges“ Fliegen mit einer dem Bremseinsatz gegenläufigen Gewichtsverlagerung. Beispiel: Der Pilot soart in einem schwachen Aufwind am Hang, dieser befindet sich rechts von ihm. Wenn der Pilot jetzt sein Gewicht mehr oder weniger deutlich nach links verlagert, will der Schirm grundsätzlich vom Hang wegdrehen: Das ist wünschenswert, weil es die Sicherheit erhöht. Mit dem richtigen Bremsleineneinsatz auf der rechten Seite steuert der Pilot jetzt so gegen diese Linksdreh-Tendenz, daß er wieder geradeaus fliegt. Natürlich muß dabei so gefühlvoll gesteuert werden, daß eine ausreichende Sicherheitsmarge gegen den einseitigen Strömungsabriß auf der rechten Seite bleibt - es handelt sich bei dieser Flugkonfiguration um die Ausgangssituation für eine Vrille! Im Zweifel muß die Gewichtsverlagerung etwas abgeschwächt werden, damit die rechte Bremse nicht zu tief gesetzt werden muß. In Maßen dosiert hat diese Flugkonfiguration dafür entscheidende Vorteile: 1) Beim hangnahen Fliegen besteht die größte Gefahr in einem Klapper auf der Hangseite mit einem schnellen Abdrehen in Hangrichtung. In der be- Weiterbildung betrieben wird, bringt sie eine Horizonterweiterung. Je breiter die Sichtweite, sprich je breiter der Erfahrungsschatz des Piloten ist, desto kleiner wird der Überraschungseffekt einer unbekannten Situation sein, und desto kontrollierter wird er seine Gegenreaktionen einsetzen. Vor allem schriebenen Konfiguration ist die hangnahe Bremse aber etwas mehr gesetzt, der Anstellwinkel dieser Flügelhälfte entsprechend höher, die Marge bis zum Klapper dementsprechend auch. 2) Falls doch eine Störung auftritt, ist das ganze System schon auf ein Ausweichen in Richtung freien Luftraum „eingestellt“: Schon das bloße Nachlassen der hangseitigen Bremse führt normalerweise zum Abdrehen in die richtige Richtung. Auch im Falle eines richtigen Klappers auf der Hangseite ist der Pilot schon in der optimalen Position, um dem Abdrehen entgegenzusteuern. 3) Die Kurven für die Kehre am Ende des Aufwindbandes bleiben mit dieser Technik sehr flach und „verbraten“ nur wenig Höhe. Allerdings nochmals zur Warnung: Überdosiert ist diese Konfiguration eine typische Ausgangssituation für eine gefährliche Vrille in Hangrichtung! Piloten mit wenig Erfahrung sollten also lieber solange auf diese Methode verzichten, bis sie ein absolut sicheres Gespür für die Stallgrenzen ihres Schirmes haben, von dieser weit entfernt bleiben und auch im Falle einer kurzzeitigen Anstellwinkeländerung (Böe!) dosiert zu reagieren wissen! Sascha Burkhardt aber wird die Chance, unangenehme Zwischenfälle zu erleben, immer kleiner, weil der Pilot Gefahren besser Vorhersehen und nötige Maßnahmen zur Vorbeugung einleiten kann. Ein Kajakfahrer, der die Eskimorolle beherrscht, wird mit seinem Boot nicht mehr umfallen! gleitschirm-magazin.com 10-04 45