Interview mit Angela Sommer-Bodenburg

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Interview mit Angela Sommer-Bodenburg
Interview mit
Angela Sommer-Bodenburg
© Harald Wiese
auf der Buchmesse in Frankfurt am 17.10.2008
Das Interview führte Dr. Jana Mikota (JM)
JM: Ihr letzter Band der Reihe „Der kleine Vampir“ ist gerade erschienen. Das Ende lässt es
offen, ob nicht doch noch eine Fortsetzung kommt. Wie sehen Sie es?
Angela Sommer-Bodenburg (ASB): Für mich ist die Serie Der Kleine Vampir mit dem 20. Band
beendet und ich finde es wunderschön, dass es Anna ist, die sich weiterentwickelt. Von
Beginn an hatte Anna ein Potential, das man gespürt hat. Ich finde es auch sehr gut, dass es
für den Leser keinen abrupten Schluss gibt und man sich durchaus vorstellen kann, dass sich
Anton und Rüdiger weiter treffen und Spaß miteinander haben. Aber ich glaube nicht, dass
ich darüber noch einen weiteren Band schreiben möchte. Es wird allerdings insofern
weitergehen, als dass ich Anna von Schlottersteins Nächtebuch geschrieben habe. Anna ist
die ganze Zeit über mein Lieblingscharakter gewesen und es steckt auch sehr viel von mir
selbst in Anna. Ich war bislang dadurch eingeschränkt, dass ich aus der Sicht des
Menschenjungen erzählt habe und viel weniger über die Vampire und deren Welt schreiben
konnte als ich eigentlich wollte. Aber so war die Geschichte um den kleinen Vampir angelegt.
Hinzu kam, dass es nie zu gruselig werden konnte, da es auch eine solch große Verbreitung
hat. Insofern ist es schon ganz lange mein Wunsch und meine Idee gewesen, aus Annas Sicht
zu erzählen, was sie erlebt. Vor ein paar Monaten habe ich genau damit begonnen.
JM: Wird es für ältere Leser sein?
ASB: Wahrscheinlich. Aber es ist Anna, die in ihrem Sarg sitzt. Sie hat ein Tagebuch gefunden. Bei
ihr wird es dann zu einem Nächtebuch. Ihm vertraut sie jetzt alle Wünsche und Gedanken an.
JM: Ihre Reihe gehört mittlerweile zu den Klassikern der Kinderbücher, die das Motiv des
Vampirs aufgreifen, und es wurde auch von anderen Autoren aufgenommen. Wie sind Sie
auf die Idee gekommen?
ASB: Ich wollte schon immer Schriftstellerin werden, auch schon als kleines Mädchen. Ich hatte
aber eigentlich nie den Gedanken, für Kinder zu schreiben. Erst mit einigen Umwegen bin ich
im Lehrerberuf gelandet, habe mich dort aber nie richtig wohl und zuhause gefühlt. Habe
dann aber gemerkt, dass meine Schüler nicht wirklich gerne Bücher lesen und das waren
ganz besonders diejenigen, denen ich gewünscht hätte, dass sie lesen würden.
Es waren jene, die schwach im Lesen, in der Rechtschreibung waren. Die fragten dann, ob sie
Bücher lesen müssten. Viel lieber wollten sie ein Spiel spielen. Ich habe mich dann Ende der
1970er bemüht, entsprechende Bücher zu finden. In den Augen der Kinder waren sie aber
entweder langweilig oder mit einem erhobenen Zeigefinger. Da kam ich auf die Idee, warum
ich es nicht selbst versuche. Ich habe dann Anton erfunden, der modellhaft begeisterter
Leser ist. Aber er liest nur über Vampire. Da lag es einfach nahe, dass eines Abends bei ihm
ein echter kleiner Vampir auf der Fensterbank saß. Dann habe ich das erste Kapitel, 15 Seiten,
geschrieben. In vielen Verlagen gab es Vorurteile gegen Vampire: [und] es wäre kein Thema
für Kinder. Kinder und Friedhöfe würde nicht zusammenpassen. Ich habe dann Glück mit
Uwe Wandrey bei Rotfuchs. Er hat das erste Kapitel gelesen und mich gefragt, ob ich mir
vorstellen könne, 100 Seiten zu schreiben. Ich antwortete ganz mutig mit Ja. Zu dem
Zeitpunkt hatte ich allerdings nur Gedichte und Kurzgeschichten geschrieben.
JM: Hat sich die Kinder- und Jugendliteratur seit den 1970er Jahren geändert?
ASB: Oh ja. Die Entwicklung ist vielleicht zu sehr in die Richtung Entertainment gegangen. Die
problemorientierte Kinder- und Jugendliteratur hat es inzwischen sehr schwer. Verleger
stehen auch unter einem Verkaufsdruck. Ich sehe das an meinem Buch Julia bei den
Lebenslichtern (1989). Es ist ein Bilderbuch, in dem der Tod der Großmutter thematisiert
wird. Es wurde wunderschön illustriert von The Tjong Khing. Das Buch wird in der
Trauerarbeit eingesetzt, nur es ist seit Jahren nicht mehr lieferbar. Wir haben alles versucht,
einen neuen Verlag zu finden. Aber keiner traut sich. Dieses Buch ist 1989 bei Bertelsmann
erschien, es gab eine zweite und dritte Auflage. Ich kriege aber nach wie vor per Email
Fragen, ob man es kaufen kann. Dies ist ein Beispiel für die Schwierigkeiten der
problemorientierten Kinder- und Jugendliteratur.
JM: Mittlerweile existiert ja ein ganzer Medienverbund zu kleinen Vampir. Wie sieht dort Ihre
Mitarbeit aus?
ASB: Die allererste Serie mit Gert Froebe kommt Ende Oktober auf DVD heraus. Es ist die schönste
Umsetzung. Auf der DVD ist zudem noch ein 15minütiger Bericht über mich. Auch der
englische Soundtrack ist dabei. Ich habe eine Mitarbeit versucht, aber es war sehr
frustrierend. Die meisten Produzenten glauben, sie haben die besseren Ideen.
JM: Wie sieht es mit den Hörspielen aus?
ASB: Ich habe an den Hörspielen selber mitgearbeitet, zum Teil die Drehbücher geschrieben und
das merken die Leser sicherlich.
JM: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Lesungen und Leseförderung?
ASB: Unbedingt. Sehr wichtig dabei sind die Schule und das Engagement der Lehrer/Lehrerinnen.
Ich mache tolle Erfahrungen mit Lehrern/Lehrerinnen, die eine solche Lesung vorbereiten,
Fragen mit den Schülern/Schülerinnen erarbeiten oder auch Vampire/Fledermäuse basteln.
Sie machen daraus ein regelrechtes Leseevent. Anschließend lesen sie noch mit ihrer Klasse
einen Band. Aber es gibt auch solche Lehrer, die denken, dass eine Lesung eine schöne
Freistunde wäre.
JM: In Rezensionen und in Artikeln heißt es immer wieder, dass Sie das Motiv des Vampirs
parodieren, ich würde sagen, neu interpretieren. Lesen Sie Vampirromane? Wir erleben ja
mittlerweile erneut einen Boom.
ASB: Ich lese gerne Vampirromane. Ich mag es aber nicht, wenn Vampire benutzt werden, um
Gewalt darzustellen oder zu verherrlichen.
JM: Welche Funktion erfüllt die Freundschaft zwischen Rüdiger und Anton für die kindlichen
Leser? Welche Funktion erfüllt der kleine Vampir als Reihe?
ASB: Mir ging es um Leseförderung und um den Abbau von Ängsten, aber auch um den Abbau
von Vorurteilen. Als ich Anna entwickelte, gab es noch kaum starke Mädchen in der Kinderund Jugendliteratur. Anna ist ein solches starkes Mädchen. Antons Mutter ist ebenfalls eine
emanzipierte Frau, die Anton bestimmte Dinge beibringt und ihn nicht zu einem „Chauvi“
erzieht. Auch Antons Vater bricht mit der typischen Vaterrolle in der Kinder- und
Jugendliteratur. Er hilft der Mutter im Haushalt, unterstützt sie und hat somit eine andere
Rolle. Insofern könnte man den kleinen Vampir auch als emanzipatorische Kinder- und
Jugendliteratur lesen.
JM: Liest bzw. arbeitet man zu Vampiren, kommt es immer wieder zu kritischen Stimmen.
Manche Gruppen erlaubten nicht, dass Harry Potter in der Schule gelesen wurde. Ihre Reihe
eignet sich hervorragend für die Schule. Wurden Sie bei Lesung mit solchen Vorurteilen
konfrontiert? Gibt es Beispiele, dass Eltern nicht erlaubt haben, den kleinen Vampir in der
Schule zu lesen?
ASB: Vorurteile gegen die Reihe haben uns die ganze Zeit begleitet. Heute sind es weniger
geworden als noch in den 1970er und 1980er Jahren. In mindestens drei Veranstaltungen
mussten Eltern und Kinder, die zu meiner Lesung wollten, durch eine Phalanx von Christen,
die gegen die Lesungen protestierten. In einem Fall wurde die Bibliothekarin entlassen,
Veranstaltungen sollten boykottiert werden. Die Kinder waren verstört und ich musste sie
aufmuntern bevor ich mit der Lesung beginnen konnte. Es war uns aber klar, dass die Gegner
die Bücher nicht kannten, sondern nur das Wort „Vampir“ sahen und sich daraus ihr Urteil
bildeten. Der Vampir wurde als das Böse schlechthin gesehen.
JM: Sie leben in den USA und beschreiben die USA, insbesondere Kalifornien als befreiend,
etwas was ich nachempfinden kann. Wie hat sich eine solche Umwelt auf Ihr Schreiben
ausgewirkt?
ASB: Ich habe wieder mit dem Malen angefangen. Die Landschaft hat mich sehr beeinflusst. Ich
liebe die Wüstenlandschaft und die Bilder von Georgia O’Keeffe und Frida Kahlo. Meine
Malerei hat sich in diese Richtung entwickelt. Ich habe den Roman Jeremy Golden und der
Meister der Schatten geschrieben, der in Amerika spielt und Orte und Motive der mir
bekannten Landschaft aufnimmt.
JM: Wie sieht Ihr Arbeitstag aus?
ASB: Nach dem Frühstück setze ich mich an den Computer und dann ist es so, dass ich mich sehr
konzentriere, weder online gehe noch telefoniere. Ich versetze mich in eine fast klösterliche
Abgeschiedenheit. Ich begebe mich in die Handlung und in die Figuren hinein, höre sie in
meinem Kopf sprechen und arbeite an der Geschichte. Nachmittags kann ich nur noch
korrigieren. Ich arbeite 7 Tage in der Woche. Anstrengend ist das ständige Überarbeiten. Ich
habe einmal einen Ausspruch von Picasso gelesen: „Ein Bild ist nie fertig, man hört nur auf,
daran zu malen.“ Das gilt auch für Bücher. Irgendwann erreiche ich den Punkt, an dem ich
mich von dem Buch, der Geschichte und den Figuren trennen kann. Mein Mann Burghardt
liest meine Texte, gibt mir Anregungen und Tipps. Ich schreibe ungefähr ein halbes bis ein
Jahr an einem Buch.
JM: Wie sehen ihre weiteren Projekte aus?
ASB: Ich denke schon länger über einen Vampirroman für Erwachsene nach. Annas Nächtebuch
ist mein aktuellstes Projekt. Es ist nicht gruselig, spielt jedoch in der Gruft, in der Anna ihr
Nächtebuch schreibt.
JM: Könnten Sie sich auch vorstellen, mit Jugendlichen gemeinsam an einem Buch zu schreiben?
ASB: Ja, aber das wäre wieder ein ganz neues Projekt.
JM: Vielen Dank für das schöne Gespräch.
www.alliteratus.com / 13.11.2008