E r z IE h E N H E U T E

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E r z IE h E N H E U T E
57. Jahrgang
3. Quartal 2007
in diesem Heft
Erziehung – heute. Nutzen und Grenzen
der Wissenschaft für die Erziehung
Zum Tod von Michelangelo Antonioni und
IngMar Bergmann
Wüstenzeitung über Abraham,
Sara und die Nomanden
G 5667 / ISSN 0340-6288
IntervieW mit Klaus Eberl
e r z ie h en h e u t e
4/07
Mitteilungen
der Gemeinschaft
Evangelischer Erzieher e.V.
4/07
57. Jahrgang
ISSN 0340-6288
Herausgeber
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Gemeinschaft Evangelischer Erzieher e.V.
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Tagen nach Zustellung widersprochen wird.
INHALT
BERND GIESE
Guten Tag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
BEITRÄGE
Clemens Albrecht
Erziehung – heute.
Nutzen und Grenzen der Wissenschaft für die Erziehung . . . . . . . . . 3
Helmut Heiland
Zum Tod von Michelangelo Antonioni und Ingmar Bergmann . . . 15
Gedanken – Anregungen – Hinweise
Volker Linhard
Wüstenzeitung über Abraham, Sara und die Nomanden . . . . . . . 22
Kalus Dieter Müller
Weihnachtstext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Interview
mit Klaus Eberl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Nachrichten
Tagungsbericht Berliner Bibelwoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Aus der Feder unserer Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
Anschriften der MitarbeiterInnen des Heftes . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
dem Titel unserer Zeitschrift als ‚Heimspiel‘
bezeichnet werden könnte. Wir dokumentieren damit einen Vortrag, den Albrecht
vor Vertreterinnen und Vertretern Evangelischer Schulen gehalten hat. Da der Beitrag
viele Erfahrungen – auch persönliche – beschreibt, haben wir den Vortragsstil so beibehalten, da sonst die Lebendigkeit verloren
gegangen wäre.
Vielleicht finden Sie sich auch in den ‚biografisch-cineologischen‘ Studien von Helmut
Heiland wieder, der an die Todestage von Michelangelo Antonioni und Ingmar Bergmann
erinnert.
Bernd Giese
Ein Praxisbericht aus einer Förderschule in
unserer Rubrik ‚Gedanken – Anregungen
– Hinweise‘ beschreibt ermutigend die Entstehung einer ‚Wüstenzeitung‘, in der es um
Abraham und Sara und ihre Erfahrungen in
der Wüste geht.
Wir freuen uns, dass der neue Leiter der
Bildungs­abteilung der Evangelischen Kirche
im Rheinland uns im Interview an seinen bisherigen Erfahrungen im Landeskirchenamt
teilhaben lässt.
Guten Tag,
es vergeht kaum ein Tag, an dem in Zeitungen
oder anderen Medien nicht über Fragen von
Erziehung und Bildung berichtet wird. Das
Thema erlebt eine konjunkturelle Hochzeit.
Häufig werden Experten, zumeist Erziehungswissenschaftler, Bildungspolitiker oder
Praktiker zu den Fragen, die meist Probleme
sind, gehört.
Mit dem Beitrag von Clemens Albrecht
schauen wir aus der Sicht eines Soziologen
auf das Thema ‚Erziehung Heute‘, das bei
GUTEN TAG
Alles was zum Jahresende zu sagen ist,
finden Sie in einem gemeinsamen Brief des
Vorsitzenden und des Schriftleiters von Erziehen Heute auf der vorletzten Seite.
B. Giese
Erziehung – heute.
Nutzen und
Grenzen der
Wissenschaft für
die Erziehung1
Clemens Albrecht
Als ich in der Vorbereitung überlegte, wie
das Thema „Erziehung – heute“ zu behandeln sei, geriet ich in Verlegenheit. Ist
das nicht eines der Dauerthemen, die seit
Jahrzehnten ZEIT aufwärts, Sabine Christiansen abwärts diskutiert werden, immer
aufregend und immer aufgeregt, politisch
polarisierend und doch alle einbeziehend?
Jede Woche ein neues Buch, eine neue Ini­
tiative, wird eine neue bildungspolitische
Sau durchs Dorf getrieben – und ich soll
die Lage definitiv zusammenfassen? Immer
dann, wenn wir Soziologen nicht weiterwissen, verlegen wir uns auf die einfache
Beobachtung unserer sozialen Umgebung.
Ich habe mich deshalb eine Woche lang
selbst beobachtet, und zwar immer dann,
wenn ich mit Fragen der Erziehung konfrontiert worden bin. Hier das Ergebnis.
Ein erziehungssoziologisches Tagebuch
Ich beginne mein Tagebuch sonntags in
der Kirche. Am Rande der Predigt war
von der neuen Bibelübersetzung, der sogenannten „Bibel in gerechter Sprache“ die
Rede. Ihr Hauptanliegen sei, bestimmten
sozialen Gruppen ihre Bedeutung im biblischen Kontext zurückzugeben, wobei
vor allem an die Frauen gedacht werde.
Der Impuls zu dieser Übersetzung komme
aus den USA, wo die Bibel, ständig aktualisiert, in eine „inclusive language“ übertragen werde.
Ich saß in meiner Kirchenbank und begann zu überlegen. Es beschäftigte mich
nicht nur die Frage, was denn wohl eine
„gerechte“ Sprache sein könne, sondern
mir wurde gleich klar, dass diese neue
Bibelübersetzung in erzieherischer Absicht steht. Meine Gedanken wanderten
zu den amerikanischen Kollegen, die an
ihren Universitäten schon seit langem mit
einem merkwürdigen sprachlichen Forderungskatalog konfrontiert sind, den sie
unter dem Namen „political correctness“
diskutieren. Hintergrund ist die Tatsache,
dass sich die amerikanische Gesellschaft
in den letzten Jahrzehnten zunehmend als
Konglomerat verschiedener sozialer Gruppen versteht (Frauen/Männer; Hispanics/
Schwarze; Schwule/Anhänger der traditionellen Familie), die sich dann nicht mehr
als Individuen, sondern über Sprachregelungen wechselseitig anerkennen. Deshalb
„inclusive language“, eine Sprache, die alle
soziale Gruppen einschließt.
Montag
Die Unterschicht-Debatte tobt. In einem
Online-Magazin lese ich. Das eigentliche
Skandalon sei nicht die Existenz von Unterschichten, sondern dass diese jede Hoffnung auf Besserung ihrer Lebensumstände
verloren hätten, weil ihnen die Schule
die Chance auf sozialen Aufstieg verbaue
(PISA). Man müsse deshalb den benachteiligten Familien die Last der Erziehung
abnehmen und die Kinder möglichst früh
in Institutionen überführen, in denen sie
chancengerecht nach ihren Fähigkeiten
gefördert werden könnten.
Am Nachmittag lese ich über das neue,
von unserer Familienministerin und den
beiden Kirchen maßgeblich getragene
„Bündnis für Erziehung“. „Herkömmlicherweise allein der Familie zugerechnete
Aufgaben der wertebezogenen und der religiösen Erziehung müssen stärker mit den
institutionellen Angeboten verknüpft und
in diese integriert werden, ohne dass daBeitrAG
durch die Elternrechte eingeschränkt werden.“2 Zentrales Mittel, so das Bündnis, sei
eine neue Form von Werteerziehung.
Dienstag
Ich lese in der Zeitung: „Vier Schüler im
Alter von zwölf bis 15 Jahren haben in
Schorndorf in der Pause im Schulhof einen Elfjährigen verprügelt und die Szene
mit dem Handy gefilmt. Das AngreiferQuartett ließ erst von seinem Opfer ab,
als eine Schulsozialarbeiterin und ein
Lehrer eingriffen. Der Junge erlitt leichte
Verletzungen. Umstehende Schüler, die
die Prügelszene beobachtet hatten, schritten nicht ein. Ihre Begründung: ‚Die Pausen sind immer so langweilig.’ Auf einem
Handy wurden weitere Prügel-Szenen entdeckt.“ Auf derselben Zeitungsseite unten
wird für den Kurs einer Sozialpädagogin
über „Gewalt in Computerspielen“ geworben. „Eltern, Erzieherinnen und Lehrer“,
heißt es weiter, „können hier in Computer­
shootergames eintauchen und durch ein
Science-Fiction-Rollenspiel möglicherweise dem näher kommen, was Jugendliche
im Spiel suchen. Danach besteht Gelegenheit zur Diskussion.“
Zuckerbrot und Peitsche; Phasen mit heftigem Druck auf die Kinder werden abgelöst durch nette kleine Schönwetter-Projekte. Eigentlich müssten wir Eltern uns
auch freuen, es wird vermutlich an den
Wochenenden und Abenden vor Klassenarbeiten leichter.
Aber – dürfen wir das? Und vor allem:
Dürfen wir unser Kind das merken lassen? Denn einerseits sollen wir mit den
Lehrern zusammenarbeiten, zum Wohle
unserer Kinder. Andererseits aber erfahren
wir nur zu häufig, dass wir als Familie zusammenstehen und dem Kind den Rücken
stärken müssen, leider auch gegen die
Schule. Unsere Tochter jedenfalls erahnt
die Abgründe der Ambivalenz, die sich in
uns auftun, mit sicherem Instinkt: „Aber
sie ist doch eine schlechte Lehrerin, habt
ihr selbst mal gesagt.“ – Ich weiche aus
und frage zurück: „Und was ist eine gute
Lehrerin?“ – „Eine gute Lehrerin“, kommt
prompt die Antwort, „ist wie Frau Y: Sie
ist nie schlecht gelaunt, hat immer Geduld
und erklärt es auch noch zum fünften
Mal, wenn wir es nicht kapiert haben.“ –
So einfach kann manchmal das Geheimnis
guten Unterrichts sein.
Mittwoch
Unsere Tochter, 6. Klasse, kommt fröhlich
aus der Schule zurück und trällert am Mittagstisch: „Juhuu, unsere Lehrerin Frau X
ist krank geworden, und sie fehlt vermutlich für längere Zeit, es ist was Ernsteres!“
– Betretenes Schweigen der Eltern, dann
ermahnende Worte: „Also Kind, die
Krankheit eines Mitmenschen sollte wahrlich nicht Anlass zum Jubeln sein.“ Aber
irgendwie klingen diese Worte halbherzig, denn genau diese Lehrerin hatte uns
schon lange geplagt: unstrukturierter Unterricht, einschüchternde Ironie auf Nachfragen, Chaos in den Aufschrieben und
Anweisungen, immer eine Mischung aus
Donnerstag
Ich finde auf meinem Computer eine
Nachricht der Vorsitzenden des Elternbeirats unserer Grundschule. Sie lädt zu
einer gesonderten Besprechung mit dem
Kollegium ein, in der es um die anstehende Evaluation geht. Zahlreiche Bundesländer haben ja beschlossen, die Schulen des
Landes in regelmäßigen Abständen evaluieren zu lassen. Die Verfahren und Ziele
unterscheiden sich, aber insgesamt scheint
doch ein Konsens zu bestehen, dass Erziehungsinstitutionen heute eines Verfahrens
bedürfen, für das man die Qualitätskontrolle produzierender Betriebe zum Vorbild nimmt.
BeitrAG
Diese Nachricht weckte auf der einen Seite sofort mein professionelles Interesse,
auf der anderen Seite stieg in mir die Befürchtung auf, dass all die Arbeitsstunden,
die die Lehrer unserer Grundschule in
den nächsten Monaten in die Evaluation
stecken, von der Unterrichtsvorbereitung
abgezogen werden. Kurz: Der Unterricht
wird schlechter, damit man besser messen
kann, wie er besser werden könnte. Ich
selbst muss im nächsten Monat mindestens
zwei Arbeitstage in eine Gesamtevaluation
aller soziologischen Forschungseinheiten
in Deutschland investieren, die der Wissenschaftsrat in einer Pilotstudie erprobt.
Dabei beschäftigt mich hauptsächlich die
Frage, wie sich unsere Wissenschaft verändert, wenn sich die Forscher nicht mehr
an ihren Forschungsinteressen, sondern an
den Evaluationskriterien ausrichten. Ich
betreibe also Forschung über die Veränderung von Forschung durch Forschungsmessung. Ein merkwürdige Selbstreferenz,
ich komme darauf zurück.
Freitag
Unser Sohn, 4. Klasse Grundschule, beklagt sich darüber, im Gegensatz zu seinen
Freunden kein Taschengeld zu bekommen.
Ich vermute ein konkretes Anliegen und
frage nach, wozu er denn das Taschengeld
benötige. Nach einigem Lavieren kommt
heraus, dass er von einem Klassenkameraden ein Yu-Gi-Oh!-Deck kaufen möchte. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen, es
handelt sich um ein Kartenspiel, das die
japanische Firma Konami vertreibt. Das
Kartenspiel ist verknüpft mit einer Fernsehsendung, in der die Helden des Spiels
in animierten Mangas ihre Duelle ausfechten.
Nun finde ich Yu-Gi-Oh!, genau wie Pokémon und verwandte Dinge, schlicht und
einfach grauenhaft und ziemlich idiotisch.
Die Kinder entwickeln sich mit wachsen-
der Leidenschaft zu wahren Experten ihrer
virtuellen Helden, können genau erklären,
wann sie das Kuriboh-Monster mit wieviel
Angriffspunkten und wann die SakuretsuRüstung einsetzen, kurz: sie stopfen sich
ihre Hirne mit allerlei Zeugs voll, das keinen Realitätsbezug hat, im Gegensatz zum
guten alten Autoquartett etwa. Nach einer
kurzen, aber intensiven Mode verschwinden die Kärtchen wieder in den Schubladen der Kinderzimmer und binden dort
immense Summen toten TaschengeldKapitals.
Nun, abgesehen von der Tatsache, dass
auch das Erlernen von sinnlosem Zeug
hirnphysiologisch sinnvoll sein kann (ich
verzichte hier bewußt auf curriculare
Beispiele) ist Yu-Gi-Oh! nicht Ausdruck
einer authentischen, zeitgemäßen Kindheit, der ich mich als Vater mit meinen
antiquierten Vorstellungen nicht entgegenstellen sollte? Kann und darf ich also
erzieherisch gegen etwas vorgehen, wenn
ich wenig mehr als meine ästhetischen
Urteile und meine eigenen Erfahrungen
dagegenstellen kann?
Phänomene der Erziehung
Das ist eine knappe Woche erziehungssoziologisches Tagebuch. Sie alle können
so etwas führen, sie alle haben in der vergangenen Woche diese, ähnliche oder auch
ganz andere Erfahrungen über Fragen der
Erziehung und ihre sozialen Bedingungen
gemacht: Am Sonntag ging es um Sprachpolitik, am Montag um Chancengleichheit,
soziale Differenz und Werteerziehung, am
Dienstag um medial verstärkte Jugendgewalt, am Mittwoch um die Frage, ob Familie und Schule verschiedenen Regeln
folgen, am Donnerstag um Evaluation, am
Freitag um die Begründbarkeit der erzieherischen Intervention.
Wie lässt sich das zusammenbinden? Wo
ist der Schlüssel, der uns diese PhänoBeitrAG
mene in ihrer Bedeutung für Erziehung
heute aufschließt? Was können wir aus
der Durchforstung sozialer Realität für die
Forderung nach erzieherischem Handeln
lernen, das immer dringender an Schulen
gerichtet wird? Ich möchte nun versuchen,
diese phänomenologische Zufallsauswahl
Stück für Stück zu systematisieren und
einige Grundgedanken herauszupräparieren, die uns der Beantwortung dieser Fragen näher bringen.
Sonntag: Sprachpolitik
Das Phänomen der political correctness ist
typisch für alle Gesellschaften, die entweder traditionell oder über Einwanderung
in verschiedene soziale Gruppen aufgeteilt
sind. Immer dann, wenn in einer Gesellschaft der Satz an gemeinsamen Normen,
Bräuchen, Sitten und Wertvorstellungen
ein gewisses Maß unterschreitet, gleichwohl aber ein gewisser Zwang zur Interaktion besteht, werden Regeln gesucht, nach
denen die Gruppen, die sonst wenig miteinander zu tun haben, doch verlässlich
miteinander umgehen können. Moderne
Staaten verlegen sich auf eine Anerkennungspolitik, die durch Regelungen jeder
Gruppe ein bestimmtes Maß an Recht und
Macht zusprechen.
Moderne Einwanderungsdemokratien aber
stehen vor einer zusätzlichen Schwierigkeit. Zum einen wandeln sich die sozialen und ethnischen Zusammensetzungen
binnen weniger Jahrzehnte, zum anderen sind die politischen Rechte in Verfassungen festgezurrt, die sich an den Einzelnen richten, nicht an die Gruppe, der er
sich zugehörig fühlt. Deshalb individualisieren Demokratien ihre interne Anerkennungspolitik pädagogisch: Wenn sich nur
alle gegenseitig tolerieren und respektieren, sind die Probleme gelöst, aber eben
diese wechselseitige Akzeptanz muss mit
erzieherischen Mitteln erst hergestellt und
BeitrAG
dann symbolisch eingelöst werden: Vorurteile aufklären, Kenntnis und Verständnis
füreinander entwickeln, kurz: das ganze
Programm der interkulturellen Pädagogik.
Spannend zu beobachten ist dabei ein Paradigmenwechsel in der Form der Integration, in der Ethnogenese. Während ältere
Assimilationskonzepte in den USA wie in
Deutschland davon ausgingen, dass Integration in der allmählichen Angleichung
der Migranten an die aufnehmende Gesellschaft bestehe (A+B R A), meint man
heute, dass sich die aufnehmende Gesellschaft ebenfalls ändern müsse, erst, nach
dem Konzept des ‚melting pot’, indem
eine neue gemeinsame Gesellschaft entstehe (A+B+C R D), dann jedoch nach
dem Konzept ‚salad bowl’, indem die sozialen Gruppen bestehen bleiben können
(A+B+C R A‘/B‘/C‘), denn man will ihnen
ja nicht ihre Identität rauben. Nur müssen
alle lernen, sich gemeinsamen Regeln und
Werten zu unterwerfen (Euro-Islam).
Die älteren Assimilationstheorien waren
deshalb in beiden Gruppen, der Aufnahmegesellschaft wie bei den Migranten, anerkannt, weil sie von einem Fortschrittskonzept ausgingen: die eine Gesellschaft
(A) ist die modernere, deshalb sollen sich
die Migranten (B) möglichst schnell ihr
anpassen. Dieser Fortschrittsglaube ist
heute als Eurozentrismus entlarvt, nur
die wenigsten Deutschen glauben an die
Überlegenheit ihrer eigenen Kultur, wenn
sie sie auch nicht missen möchten. Kurz:
Erziehung ist neben Arbeitswelt und Armee das entscheidende Mittel, durch das
eine in heterogene Gruppen und Milieus
zerfallende Gesellschaft sich wieder reintegriert.
Montag und Dienstag: Chancengleichheit und Jugendgewalt
Die Frage, ob und inwiefern unsere Gesellschaft in unterschiedliche Schichten
aufgeteilt ist, die qua Herkunft auch unterschiedliche Chancen an der ökonomischen, kulturellen und politischen
Partizipation haben, begleitet die pädagogische und bildungspolitische Debatte seit
Lasalle und den Arbeiterbildungsvereinen.
Das Skandalon der wachsenden Schere
zwischen Arm und Reich ist die Tatsache,
dass die Kinder der Leute „von unten“
auch mit großer Wahrscheinlichkeit unten bleiben, während die Kinder der Leute „von oben“ gute Chancen haben, ihren
Status zu halten.
Auch das brauchte uns nicht weiter aufzuregen, wenn wir nicht von der Idee ausgingen, dass in jeder Generation die Begabungen wiederum quer zu allen Schichten gleich verteilt sind, dass es also eine
ungefähr gleich große Gruppe begabter
Kinder aus den unteren wie aus den oberen Schichten gibt, wodurch die Chancen
zum Auf- oder Abstieg in jeder Generation
neu verteilt werden müssen. Das ist die
Gerechtigkeitsvorstellung, die wir an unsere Bildungsinstitutionen richten. Gerade
weil diese Vorstellung seit je hart mit der
Realität kollidiert, entdecken wir immer
neue unterprivilegierte Gruppen: in den
60er Jahren das katholische Arbeitermädchen vom Lande, heute den türkischen
Großstadtjungen.
Verschärft wird die Entdeckung der Unterschichten allerdings noch durch ein zusätzliches Phänomen: Unterschichtskinder
haben signifikant größere Probleme mit
sozialen Normen. Hier kommt nicht nur
das Thema Jugendgewalt und Delinquenz, sondern auch die Frage nach der
Strukturierung des Alltags auf. Wenn ein
Kind nach Hause kommt und dort vom
betrunkenen Vater und der depressiven
Mutter erwartet wird, die beide selbst
nicht in einen Arbeitskontext eingebunden und durch ihn strukturiert sind, sinkt
die Wahrscheinlichkeit, dass es einem
strukturierten Nachmittag entgegensieht:
Erst Hausaufgaben, dann Spiel mit den
Freunden, Übung am Musikinstrument
und schließlich in den Sportverein. Leistung läßt sich eben erst im gebündelten,
konzentrierten Arbeitseinsatz erzielen,
und sei die Begabung noch so hoch. Als
Zeitvernichtungsmaschinen treten dann
die Medien auf. Jungs verblöden hauptsächlich durch Computerspiele, Mädchen
durch Fernsehen und Chatten. Deshalb ist
das große kommende Thema der sozial
engagierten Pädagogik: Disziplin.3 Denn
sozialer Aufstieg im letzten Jahrhundert
kam aus festgefügten Milieus, die die Fähigkeit zur Selbstdisziplinierung familiär
oder im Verein vermittelten, im Gegensatz
zur amorphen Schicht der Exkludierten
heute.4
Das neue Bündnis für Erziehung wendet
sich deshalb nicht primär an die Kinder
oder das professionelle Erziehungspersonal, sondern an die Eltern. Bei ihnen
werden die Hauptdefizite im frühkindlichen Erziehungsprozeß gesehen, und so
gehört die Forderung nach Förderung der
elterlichen Erziehungskompetenz und Erziehungsverantwortung zu den zentralen
Elementen gegenwärtiger Bildungspolitik.
„Viele Eltern“, heißt es etwa, „sind überfordert und ratlos, da es in der schulischen
Sozialisation, aber auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu wenig Möglichkeiten gibt, eigene Erziehungskompetenzen zu reflektieren und auszubauen.“5
Ein Zauberwort steht über dieser ganzen
Debatte, in dem sich die Hoffnungen auf
soziale Integration bündeln: Werteerziehung.
Mittwoch und Donnerstag: Familie vs. Schule, Evaluation
Was hat der Jubel über die Krankheit einer
Lehrerin mit Evaluation zu tun? Ich möchte diesen Zusammenhang an Leserbriefen
BeitrAG
skizzieren, die zur PISA-Studie erschienen
sind. Ich habe sie verglichen mit den Reaktionen auf die erste Bildungskatastrophe
unserer Republik, die aus Georg Pichts
Weckruf von 19646 entstanden ist. Dabei
zeigen sich charakteristische Muster, die
deutlich machen, dass Familie und Schule offenbar zwei unterschiedliche Subsys­
teme des Erziehungssystems sind, mit je
eigenen Kommunikationsformen, eigenen
Strategien, die Ursachen für die Bildungskatastrophe dem je anderen System zuzuweisen.
Ein paar Beispiele: Während Politiker bei
der Diskussion von Schulproblemen auf
ihre alten Forderungen verweisen („Schon
vor zwei Jahren wollten wir dies und jenes
erreichen, aber die Regierung hat das mit
ihrer Mehrheit verhindert“), sehen Lehrer
die Verantwortung für die Bildungs­misere
gerne in den Defiziten familiärer Erziehung (ob zurecht, möchte ich hier gar
nicht entscheiden, es geht mir nur um die
Analyse von Kommunikationsmustern):
„Ich selbst unterrichte Latein an einem
Braunschweiger Gymnasium …“. Von
den Lehrern „… wird regelmäßig erwartet, dass sie die Erziehungsarbeit leisten,
die das Elternhaus verpaßt hat – eine von
vornherein erfolglose Mission. Ein relativ
großer Teil der Unterrichtszeit muß also
für nichtfachliche Inhalte geopfert werden – wen wundern da die Ergebnisse der
PISA-Studie?“7
Der Schwarze Peter wird munter weitergeschoben, von der Familie und der Politik
in die Schule, von der Schule in die Wissenschaft, von der Wissenschaft zurück in
die Schule oder in die Politik. Der Bundeselternrat etwa schlug vor, eine generelle
Anwesenheitspflicht für Lehrer an den
Schulen einzuführen. Es sei nicht einzusehen, so die Vorsitzende, dass die Lehrer
sich als größte Heimarbeitergruppe in der
Bundesrepublik verstehen. In manchen
BeitrAG
Leserbriefen wird die Politik der knappen Kassen für die Misere verantwortlich
gemacht, oder, wie Enja Riegel, Leiterin
der Helene-Lange-Gesamtschule in Wiesbaden dem Stern anvertraute, die Universität: „Dort geht es nicht um die beste
Lehrerausbildung, sondern um Fachwissenschaft. Egoismen und Statusinteressen
der Professoren kommen hinzu. Sie mögen auf ihrem Spezialgebiet hervorragend
sein, aber sie wissen nichts von den heutigen Problemen der Schule und verstehen nichts vom Unterricht für Kinder und
Jugendliche.“8 Umgekehrt aber beklagt
Jürgen Baumert, seine PISA-Studie habe
belegt, dass Lehrer zu wenig Fach­literatur
lesen.9
Wenn man die Aufregung nach solchen
Bildungskatastrophen mit distanziertem,
kühlem Blick betrachtet, fallen bestimmte
Muster ins Auge, die den Diskurs über
Erziehung strukturieren und damit auch
den Blick auf gesellschaftliche Tatsachen
freimachen.10 Schule und Familie scheinen
zwei Bereiche des Erziehungssystems zu
sein, die nach je eigenen Gesetzen funktionieren, ihre eigenen Regeln, Interessen
und Kommunikationsstrategien gegen­
über ihrer Umwelt haben.
Familie zum Beispiel – ich erinnere an das
Tischgespräch mit meiner Tochter – hat
ein primäres Interesse am eigenen Kind.
Für mich tritt, wenn auch mit schlechtem
Gewissen, die Krankheit der Lehrerin gegenüber dem Wohlergehen der eigenen
Tochter zurück, sobald ich als Vater denke.
Ich kann natürlich auch aus anderen Positionen denken: als Arzt, als Wissenschaftler, als verantwortlicher Schulleiter – aber
als Vater habe ich den Vorteil der eigenen
Kinder im Blick. Familie arbeitet also mit
der Leitunterscheidung ‚eigene Kinder/
fremde Kinder’, während die Schule mit
der Unterscheidung ‚gute Kinder / schlechte Kinder’ (Noten, Verhalten) operiert.
Familie hat eine Reproduktionsfunktion
und tendiert zur egoistischen Vorteilsgewährung, Schule hat die Funktion, die
Kinder unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten nach Leistungsunterschieden in soziale Positionen einzuweisen.
Gerade weil die Schule sich als weitgehend autonom gegenüber den politischen
Reformbemühungen erwiesen hat, borgt
sich die Politik heute Formen der ökonomischen Qualitätskontrolle und verselbständigt diese in gewaltigen Bürokratien,
die stets die eigentlichen Profiteure von
Bildungsreformen waren (1964: Sekretariat der KMK, Max-Planck-Institut für
Bildungsforschung, 2001 Akkreditierungs- und Evaluationsagenturen, Vergleichstests etc.). Lehrer aber können
sich diesen Anmaßungen verweigern.
In einem Gespräch mit Redakteuren der
ZEIT ist das exemplarisch festgehalten,
wenn die ehemalige nordrhein-westfälische Kultusministerin Gabriele Behler
resignierend feststellt: „Schulen sind resistent gegenüber verordneten Veränderungen. Das mußte auch die Politik erst
lernen. Wir können Schule und Unterricht mit Richtlinien und Anweisungen
nicht von oben verändern. Da kann ich
noch so viel Erlasse verkünden, den Alltag in der Schule berührt das nur marginal.“ Prompt kam die Replik aus der
Schule, formuliert von Peter Heesen,
damals Vorsitzender des Philologenverbandes: „Was auch seine guten Seiten
hat. Die permanenten Veränderungen in
jedem Bundesland haben viel Unruhe in
die Schulen getragen. Wenn die Ausbildungsordnung jedes Jahr verändert wird,
haben Lehrer, Eltern und Schüler das
Gefühl, so ganz genau weiß die Politik
nicht, was sie will. Das hat einen Lehrertypus hervorgebracht, der sagt: ‘Fünf Reformen erlebt, keine mitgemacht, und für
die Schüler war es das Beste’.“11
Familie, Schule, Politik driften als Funktionssysteme einerseits auseinander, andererseits verstärken sie gleichzeitig die
gegenseitigen Kontrollen.
Was wir gegenwärtig beobachten können
ist die Übergabe von immer mehr Erziehungsverantwortung an Institutionen:
Ganztagsschule, Ausbau der Kinderbetreuung, Bildungsauftrag der Kindergärten, zunehmender Verpflichtungscharakter bei gleichzeitiger Kostenübernahme
– alles deutet auf ein expandierendes Bildungwesen. Die Familie gibt diese Verantwortung mehr oder weniger freiwillig ab,
bedrängt von Politik und Wirtschaft, wenn
sie die Erziehung nicht ohnehin schon
aufgegeben hat. Ziel ist die Entmachtung
der in der familiären Erziehung liegenden
Ungleichheitstendenzen, sozusagen die
Bestätigung, Durchsetzung und Vereinheitlichung des dominierenden Normensystems, der Neuverteilung sozialer Chancen. Ob und inwieweit das funktioniert, ist
offen, denn gelingende Erziehung basierte
bislang immer auf einer Versorgungsgemeinschaft, die dem Kind Anerkennung
gerade unabhängig von seiner Leistung
ermöglichte. Ob sich hier die (gelungene)
Familie durch eine (gelungene) Institution
ersetzen läßt, ist zumindest fraglich.12
BeitrAG
Differenzierung und Integration
Soweit eine erste Bündelung gesellschaftlicher Wandlungstendenzen, die heute
den Rahmen für Erziehung festlegen. Ich
möchte diese Bündelung allerdings noch
einen Schritt weitertreiben und schauen, ob nicht hinter allen drei Phänomengruppen, die ich aus meinem Tagebuch
abgeleitet habe, ein allgemeiner Prozeß
steht. Denn schaut man genau hin, dann
erweisen sich alle drei Phänomengruppen
als Differenzierungsprozesse, allerdings
auf unterschiedlichen Ebenen: 1. beim
Phänomen der Gruppendemokratie, der
Migrationsfolgen und der Ethnizität eine
horizontale Differenzierung, die gleichsam
die Anzahl der nebeneinander bestehenden Gruppen erhöht, 2. beim Phänomen
der Chancengleichheit und der Jugendgewalt eine vertikale Differenzierung, die
den hierarchischen Abstand zwischen den
Schichten erhöht, 3. beim Phänomen der
unterschiedlichen Argumentations- und
Interessenstrukturen eine funktionale
Differenzierung, die die Autonomie und
Selbstreferenz der einzelnen Funktionssysteme erhöht. Jede dieser drei Differenzierungsarten begegnet den wachsenden
Differenzen, dem Sich-Auseinanderleben
der Gesellschaft mit unterschiedlichen Inklusionsstrategien: 1. der Integration über
Anerkennung, 2. der Integration über
Werteerziehung und Verhaltenssteuerung,
3. der Integration über Kontrolle.
Je stärker die zentrifugalen Kräfte der Differenzierung sind, desto stärker muß mit
zentripedalen Kräften der Integration dagegengehalten werden, je größer der Grad
der sozialen Differenzierung, desto größer
die Anomie, die Regellosigkeit, die sich
in allen Teilbereichen breitmacht und mit
einer dann wiederum neuen Hypermoral
bekämpft werden muß. Ich sage der Religion, in welcher Gestalt auch immer, eine
große Zukunft in der modernen Gesellschaft voraus.
Differenzierung und Integration sind die
elementaren sozialen Kräfte, die heute das
Bedingungsgefüge für Erziehung bilden.
Erziehung wird durch wachsende Differenzierung immer wichtiger und zugleich
durch wachsende Anomie immer schwieriger.
Zur Begründung erzieherischer
Entscheidungen
Nun fehlt aber noch der Freitag, die Begründung erzieherischer Entscheidungen.
Denn dass der Schule in Zukunft immer
mehr Erziehungsverantwortung aufgebürdet werden wird, dass die Schule aber
gleichzeitig unter immer stärkeren Druck
von großen Evaluierungs- und Qualitätssicherungsbürokratien gerät, die zunehmend ihr Eigenleben entwickeln werden,
dass Sie sich mit der Erziehungsverantwortung gleichzeitig auch ein größeres
Mitspracherecht von Eltern einkaufen,
Tagebuch
Phänomen
Differenzierung Integration
Sonntag
Sprachpolitik
Ethnogenese
horizontal
Anerkennung
Montag
Dienstag
Chancen-
gleichheit
Jugengewalt
Leistungs-
gerechtigkeit
Disziplin
vertikal
Werteerziehung
Verhaltens-
steuerung
Mittwoch
Donnerstag
Familie/Schule
Evaluation
Leitunter-
scheidung
Autonomie
funktional
Kontrolle
10
BeitrAG
dass Bildungspolitiker gar nicht daran interessiert sind, ob eine Reformidee auch
funktioniert, solange sie den Aktivitätsnachweis in Machtsicherung umsetzen
können – all das können Sie jetzt vielleicht
besser verstehen.
Aber: Hilft Ihnen das bei der Erziehung?
Hilft Ihnen eine bessere Durchleuchtung
sozialer Realität bei der Frage, wie Sie
denn jetzt die Kinder erziehen sollen? Die
Antwort kann mit Radio Eriwan nur lauten: im Prinzip nein. Und damit bin ich
beim Freitag. Sie erinnern sich: Mein Sohn
will Yu-Gi-Yoh! Dieser Kampf ist für mich
nicht neu, ich habe es schon im Kindergarten mit Pokémons durchgefochten als
mein damals vierjähriger Sohn ein paar
Kärtchen mit nach Hause brachte. Er hatte
sie von seinem damals besten Freund Max
geschenkt bekommen. Mein Sohn war
durch diese erste Gabe seines Freundes
voll auf die Welle aufgesprungen und belegte mich über Tage mit dem Wunsch,
ebenfalls Pokémon-Kärtchen kaufen zu
dürfen.
Zunächst versuchte ich, das Problem auszusitzen. Als mein Sohn diese HinhalteTaktik realisierte, begann er klüger zu argumentieren. Nun führte er nicht nur seine Wünsche ins Feld, sondern packte uns
Eltern bei einer weitaus empfindlicheren
Stelle: Er könne inzwischen im Kindergarten bei den Pokémon-Fachgesprächen seiner Freunde gar nicht mehr mitreden, ja
drohe, ausgeschlossen zu werden, wenn er
nicht mit dem einen oder anderen Tauschobjekt erscheine.
Nun – in meiner soziologischen Vorlesung
lehre ich immer mit Marcel Mauss, dass
Gabe und Gegengabe Gesellschaft konstituieren. Mir wurde sofort klar, dass ich
hier nicht nur mit einer psychischen Präferenz, die ich als Soziologie ja gut ignorieren kann, sondern mit einem sozialen
Problem konfrontiert bin. Theorien der
Massenkultur können mir gut erklären,
warum dieses Unheil plötzlich in die bildungsbürgerliche Welt meiner Familie
eingebrochen ist. Denn ich finde Pokémon wie Yuh-Gi-Oh! narrativ simpel gestrickt, ästhetisch grauenhaft und kognitiv
gesehen schlichtweg idiotisch.
Das ist natürlich nur ein ganz persönliches
Werturteil, das ich wissenschaftlich nicht
im geringsten begründen kann. Viele meiner Kollegen argumentieren ganz anders:
All diese massenkulturellen Spielwelten,
so meinen sie, sind für Kinder deshalb
wichtig, weil sie in ihnen ihre Identität
konstruieren. Konkret formuliert: Stelle deine Bedenken als Vater doch einfach
zurück, Kindheit im massenmedialen
Zeitalter ist nun einmal anders, als du sie
dir vorstellen magst, kauf dem Jungen die
Pokémons, verhilf ihm dadurch zur Konstitution seiner Identität und integriere
ihn sozial. Du kannst dir als Vater keinen
Standort außerhalb der Massenkultur zurechnen, von dem aus du sie dann ablehnen könntest, du bist selbst ein Teil der
Moderne.13
Nun bin ich sicher nicht gegen die moderne Kultur, als deren integraler Bestandteil
Pokémon erwiesen ist. Kann, sollte ich
mich also dagegen stellen? Eine soziologische Theorie half mir in dieser Frage
weiter, die Rollentheorie. Denn was ich als
Wissenschaftler einsehe, muß ich als Erzieher nicht unbedingt befürworten. Dies
war nun der zentrale Gedanke, der mir
damals zur Entscheidung im Angesicht
meines Pokémon-begeisterten Sohnes verhalf: Ich beschloß, den Machtkampf mit
Nintendo um das Herz und Hirn meines
Sohnes aufzunehmen.
Zuerst erklärte ich meinem Sohn, dass Pokémons nicht nur häßlich, blöde und frei
erfunden sind, sondern, dass eigentlich
nur geistig zurückgebliebene Kinder (in
seiner Sprache: Babys) darauf ansprängen.
BeitrAG
11
Mir war aber völlig klar, dass all diese Argumente nur greifen, wenn ich mit einem
funktionalen Äquivalent aufwarten kann.
Ein kurzer Blick in meinen eigenen Kinderbücherschrank half weiter. Ich zog mit
meinem Sohn los und wir kauften – Ritter.
Ritter in allen Varianten: als Figuren, als
Sachbücher, als Lesebücher, wir besuchten
Mittelaltermärkte und beobachteten Turniere. Die Pokémon-Kärtchen waren dadurch schnell erledigt, mein Sohn hielt sie
für häßlich, blöde, frei erfunden, kurz: für
Babykram. Das kommunizierte er kräftig
unter seinen Freunden und brachte seine
Ritterfiguren in den Kindergarten mit. Er
beschäftigte sich nun nicht mit dem Monster Haspinasu, sondern mit Burgenbau,
Belagerungsmaschinen und den Vor- und
Nachteilen von Morgenstern oder Schwert
im Zweikampf. Er identifizierte sich auch
nicht mit Entei, sondern mit Lancelot.
Wenige Wochen später traf ich im Kindergarten Maxs Mutter. Sie stöhnte, weil ihr
Sohn sie seit neuestem damit nerve, irgendwelche Rittersachen zu kaufen. Pokémon
dagegen sei abgeschrieben. Babykram.
Ich klärte sie darüber auf, dass ich hier
ein klein wenig erzieherischen Einfluß genommen hätte. Nach anfänglichem Erstaunen hielt sie das für eine großartige Idee,
denn eigentlich finde sie Pokémon häßlich
und ziemlich idiotisch. Aber, so dachte sie
immer: Wenn die Kinder das so wollen,
wird es schon seine Berechtigung haben.
Jedenfalls war sie froh darüber, weil die
beiden Freunde seit neuestem nicht mehr
Max’ kleine Schwester durch PokémonUrschreie ängstigten, sondern sie als Burgfräulein verkleidet auf einen Sessel setzten,
damit sie ihre Kämpfe beobachten konnte.
Ein kleiner Unterschied, so meine ich, aber
vielleicht doch einer ums Ganze. Überlegen
Sie doch bitte einmal, ob Sie solche erzieherischen Entscheidungen bei Ihren Schulkindern künftig treffen und durchsetzen
12
BeitrAG
wollen – und ob Sie bei 30 Kindern dazu
in der Lage sind. Ich jedenfalls wäre mit 30
Söhnen und Töchtern und ihren je eigenen
geistigen und charakterlichen Physiognomien, Entwicklungen und Bedürfnissen
hoffnungslos überfordert.
Kann ich meine erzieherische Entscheidung gegen Pokémon und Yu-Gi-Oh! wissenschaftlich begründen? Nein, natürlich
nicht. Erst neulich geriet ich mit einem
sehr geschätzten Kollegen aus der Pädagogik darüber fast in Streit, denn er war der
Überzeugung, dass man aus der sozialen
Lebenswelt der Kinder Dinge aufgreifen
und positiv wenden müsse, dass man sich
aber nicht dagegen stellen dürfe. Das dokumentiert aber ein weiteres Phänomen,
mit dem Sie rechnen müssen: In ihren erzieherischen Entscheidungen dürfen Sie
keine Hilfe von den Erziehungswissenschaften erwarten, von der Pädagogik nach
ihrer soziologischen Wende also. Denn
diese nun restlos empirische Wissenschaft
nimmt den Maßstab ihres Handelns nur
aus der sozialen Realität. Erziehungswissenschaft kann damit Effizienzkriterien
liefern, sie kann sozusagen die technische
Rationalität im Erziehungsprozeß vergrößern, sie kann nach ihrem Abschied aus
den normativen Wissenschaften Jura und
Theologie aber keine Maßstäbe für eine
erzieherische Entscheidung gegen die soziale Realität mehr begründen. Empirische
Erziehungswissenschaft ist Verdoppelung
der sozialen Realität. In ihrem Versprechen,
durch Wissenschaft Erziehung verbessern
zu können, verunsichert sie, ohne gültigen
Ersatz an die Stelle der alten Sicherheiten
setzen zu können. Es ist eben kein Zufall,
dass erst in der modernen Gesellschaft
Erziehung zum Problem, zur schwierigen
Aufgabe, zu einer Dauerreflexion geworden ist, der sich viele Menschen trotz oder
besser: gerade wegen ausufernder Ratgeberliteratur nicht mehr gewachsen fühlen
– sofern sie sich nicht auf ihr Gefühl, und
das heißt: auf ihre eigene Erfahrung, also
auf Traditionen verlassen.
Der Rezensent eines Erziehungsratgebers
hat diese Einsicht einmal ziemlich ungeschminkt formuliert: „Erziehung ist, wie
Chesterton einmal angemerkt hat, kein
Gegenstand wie Geologie oder Oxydation.
Ihre Erkenntnis macht nicht ständig Fortschritte, über die man sich auf dem laufenden halten müßte. Erziehungswissenschaftler sehen das zwar anders, aber so sehen ihre Fortschritte auch aus. Erziehung
kennt auch, anders als der Maschinenbau
oder die Kosmetik, keine Techniken, die
ständig verbessert würden. Didaktiker sehen das zwar anders, aber die meisten von
ihnen bedürften eines scharfen Haftungsrechtes für ihre Versprechungen.”14
Folgerungen
Ich möchte mit ein paar einfachen praktischen Ratschlägen enden. Konfessionelle
Schulen haben den Vorteil, der wachsende
Erziehungsverantwortung und damit dem
wachsenden Begründungsbedarf nicht
durch die weltanschauliche Neutralitätspflicht ausweichen zu müssen, sie können
aus ihrem institutionellen und vor allem
ideellen Hintergrund – man könnte auch
sagen: aus ihrem Glauben – Grundsätze
einer eigenen Pädagogik formulieren, die
den Menschen befähigen, in und oft eben
auch gegen eine unheile Welt nach Vermögen heil zu bleiben; denn genau das ist das
Ziel gelungener Erziehung. Sie verhilft dem
Menschen über bloße Sozialisation, d.h.
möglichst konfliktfreie Bewältigung seiner sozialen Beziehungen und über seine
Möglichkeit zur Steigerung des Bruttosozialprodukts hinaus zu einer geistigen und
geistlichen Lebensform. Dies geschieht
aber nicht durch kognitive Vermittlung
von Werten, durch bloße Werteerziehung,
sondern durch deren glaubwürdige Um-
setzung in die verarbeitete Lebensform
des erzieherischen Vorbildes, das sich auf
sein Gegenüber einläßt. Soziale Ordnung,
Disziplin sind hier nur die Vorstufen, die
Mittel, weil sie im Übergang zur Selbstdisziplin den Menschen durch Internalisierung von Ordnung befähigen, sich von
seinen eigenen Leidenschaften und aktuellen Bedürfnislagen zu distanzieren und
sich dadurch erst auf eine Sache oder eine
andere Person einlassen zu können.15 „Wer
mit dem Leben spielt, kommt nie zurecht;
wer sich nicht selbst befiehlt, bleibt immer
ein Knecht.“
Wenn verarbeitete Lebensform durch Reflexion zur Klarheit über sich selbst kommen kann, so speist sie sich nicht aus der
Reflexion, sondern aus Erfahrung und
Überzeugung. Erzieherisches Handeln ist
zu einem überwiegenden Teil traditionales
Handeln. Erwarten Sie nichts von Bildungspolitik und Strukturreformen, die
bestimmen nur den Rahmen gelingender
Erziehung, nicht den Prozeß und schon
gar nicht den Erfolg; denn Erziehung
vollzieht sich in der Beziehung zwischen
Menschen, nicht in sozialen Strukturen.
Hier müssen sie „reformbereit“ bleiben,
also immer wach und offen für die Lage
und die Entwicklung des Anderen. Trauen Sie Ihren Erfahrungen, verlassen Sie
sich auf Bewährtes, das pädagogische Rad
muß nicht jedes Jahr neu erfunden werden. Auch hier gilt: Kenntnis der Literatur
schützt vor Entdeckungen. Lassen Sie sich
von irgendwelchen Innovationsversprechungen nicht so leicht ins Boxhorn jagen,
die müssen sich erst erweisen, nicht Ihre
Praxis. Und ertragen Sie den Qualitätsmanagements- und Evaluationswahn wie
eine Regenfront. Das geht vorüber. Aber:
Schirm nicht vergessen. „Wer mit der Zeit
mitläuft, wird von ihr überrannt. Aber wer
stillsteht, auf den kommen die Dinge zu.“
(Gottfried Benn)
BeitrAG
13
1V
ortrag auf der Jahrestagung 2006 des Evangelischen Schulbundes in Südwestdeutschland
am 26. Oktober 2006 in Weierhof / Pfalz
2 Biesinger, Albert / Schweitzer, Friedrich (Hg.),
Bündnis für Erziehung. Unsere Verantwortung für gemeinsame Werte, Freiburg 2006,
S. 20.
3 Bueb, Bernhard, Lob des Disziplin. Eine
Streitschrift, Berlin 2006.
4 Bude, Heinz / Willisch, Andreas (Hg.), Das
Problem der Exklusion. Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige, Hamburg 2006
5 Biesinger, Albert / Schweitzer, Friedrich (Hg.),
Bündnis für Erziehung. Unsere Verantwortung für gemeinsame Werte, Freiburg 2006,
S. 22f
6 Picht, Georg, Die deutsche Bildungskatastrophe. Analyse und Dokumentation, Olten/
Freiburg 1964
7 Leserbrief von Almut Vaelske, Braunschweig,
in: FAZ vom 19.12.2001, Nr. 295, S. 11
8 Warum sind unsere Schüler so doof?, in: Stern
51/2001, S. 252
9 Schilder, Peter, Die Lehrer mißtrauen der
Kultusbürokratie. Vorbehalte gegen das Modellvorhaben “Selbstständige Schule” in Nord­
rhein-Westfalen, in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung Nr. 285 vom 7.12.2001, S. 5
10 Ausführlich dazu: Albrecht, Clemens, Bildungskatastrophen als Krisen staatlicher
Steuerung. Systemtheoretische Beobachtungen zur Rezeption der PISA-Studie, in: J. Allmendinger (Hg.), Entstaatlichung und Soziale
Sicherheit. Verhandlungen des 31. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
in Leipzig 2002, Opladen 2003, S. 928-937
11 Organisierte Verantwortungslosigkeit. Was
folgt nach dem Pisa-Schock?, in: Die Zeit v.
12.12.2001
12 Dazu ausführlich: Albrecht, Clemens, Vermarktlichung der Familie? Formen der Auslagerung von Erziehung, in: Ökonomie und
Gesellschaft, Jahrbuch 18: “Alles käuflich”,
2002, S. 239-256
13 Denby, David, Lebendig begraben. Unsere
Kinder und die Kulturschlammlawine, in:
Neue Sammlung, 39, 1999, S. 63-79; den
Hinweis auf diesen schönen Artikel verdanke
ich Hartmut von Hentig.
14 Kaube, Jürgen, Erziehung, wie geht das? Hier
werden Sie geholfen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 76 vom 31.3.2003, S. 41
14
BeitrAG
15 Tenbruck, Friedrich H., Mut zur Erziehung,
in: Beiträge zu einem Forum am 9./10. Januar 1978 im Wissenschaftszentrum Bonn-Bad
Godesberg, Stuttgart 1979, S. 58-79
Prof. Dr. Clemens
Albrecht ist Kulturwissenschaftler und
Soziologe an der
Universität Koblenz/
Landau.
Zum Tod von
Michelangelo
Antonioni und
Ingmar Bergman
(30. Juli 2007)
Helmut Heiland
Erste Filmerlebnisse
Während meiner Schulzeit im Gymnasium der schwäbischen Kleinstadt Backnang in den 50er Jahren bin ich nur wenig
ins Kino gekommen. Ich erinnere mich an
zwei Filme, deren Besuch die Schule empfohlen hatte: „Hoffmanns Erzählungen“
von Powell/Pressburger (1951/GB) und
„Julius Cäsar“ von Mankiewicz (1953/
USA) – eine Opernverfilmung also und
eine filmische Adaption des Stücks von
Shakespeare. Mit der Empfehlung dieser
Streifen tat die Schule durchaus einen
guten Griff. Denn das waren anerkannte
Repräsentanten der klassischen Tradition,
der moralischen Schaubühne, des bürgerlichen Geschmacks. „Hoffmanns Erzählungen“ führte ein in die musikalische
Eleganz der französischen Oper und in
die romantische Literatur. Grundlage des
Films war ja bekanntlich Jacques Offenbachs Opernbearbeitung von Novellen
E. T. A. Hoffmanns. „Julius Cäsar“ war eine
prachtvolle Produktion Hollywoods mit
glänzenden Schauspielern wie etwa dem
jungen Marlon Brando als Marc Antonius
und bot einen perfekten Einblick in die
Bühnenwelt Shakespeares, eine Einführung in Theater und Drama also. Beiden
Filmen lagen Bühnenstücke zugrunde und
sie blieben im Grunde verfilmtes SprechTheater bzw. Musiktheater. Aber in der Erinnerung wirkten beide durch die Hollywood-Tradition geprägten Filme auf mich
wie Ausschnitte aus einer anderen Welt
zwar, aber voll realem Leben, die mich
aufsaugten und mitrissen in den Strudel
um die Ermordung des Imperators Cäsar
und dem dreifachen Liebesleiden des von
bösen Mächten gesteuerten Hoffmann. Ich
glaubte, im antiken Rom oder in Venedig
zu sein und habe in diesen Stunden in der
Dunkelheit des „Lichtspieltheaters“ alle
schulischen Probleme eines 15jährigen
ganz und gar vergessen.
Während meiner Studienzeit (1960-1965)
stieß ich in München auf Filme Antonionis
und in Tübingen auf Bergmans „Schweigen“. Ich erinnere mich an das Programmkino hinter der Münchner Universität,
in dem ich „La notte“ (Die Nacht) und
„L’eclisse“ (Liebe 62) während meiner drei
Münchner Semester 1961/63 erlebte. Und
nach meiner Rückkehr nach Tübingen im
Sommer 1963 sah ich dort „Das Schweigen“, wohl Ingmar Bergmans meistdiskutierten Film. Dieser vermittelte mir wie die
beiden Filme Antonionis eine radikale Erfahrung. Es war eine Begegnung mit dem
modernen europäischen Film, repräsentiert
durch zwei führende Regisseure dieses
„neuen“ Films. (Die Nouvelle vague der
Franzosen, vertreten durch Truffaut, Godard und Resnais, lernte ich erst anfangs
der 70er Jahre kennen, wie dann auch Fellinis frühe neorealistische Filme). Diese Begegnung war, etwas überspitzt formuliert,
zugleich Schock und Befreiung. Schockiert
war ich vom Umfang, der Wucht des Neuen, das da auf mich zukam. Überwältigt
war ich vom Lebensgefühl, das sich hier
ausdrückte, mich vereinnahmte, mit dem
ich mich identifizieren konnte, ja, ganz
und gar identifizieren wollte. In diesen
Filmen war nichts Vergangenes, Historisches oder Künstliches mehr. Es gab keine Bühne, keine gepflegte Sprache, keinen
kunstvollen Dialog mehr. Dafür war da ein
BeitrAG
15
weiter Horizont der Grautöne – alle drei
genannten Filme waren keine Farbfilme
– und in dieser weiten Welt entfaltete sich
ein Leben junger Menschen als trial and
error, als rätselhafte Suchbewegungen, als
häufiges Scheitern, als eruptive Triebentladungen, als Selbstinszenierungen voll Langeweile, aber auch als stilisierte Schönheit.
Und da war dann auch Sexualität, Liebe.
Aber: Es gab keine Konventionen mehr.
Nichts mehr war sicher und eindeutig. Alles war möglich.
Ganz unvorbereitet auf diese neue Realitätsdarstellung durch das Medium Film
war ich allerdings nicht. Voraus ging das
noch immer nachhallende Grunderlebnis der Lektüre des „Ulysses“ (1922) von
James Joyce Ende der 50er Jahre und
weitere Eindrücke neuer literarischer Erfahrungen durch die Produkte des französischen „Nouveau roman“ wie etwa
Robbe-Grillets „Augenzeuge“ (1955) und
Butors „Paris-Rom oder Die Modifikation“
(1957), die ich 1962 in München las. Der
traditionelle Roman des 19. Jahrhunderts
(Dickens, Balzac, Zola, Dostojewski, Fontane) beschreibt linear-chronologisch eine
Handlung, eine Entwicklungsgeschichte handelnder Personen in wechselnden
Milieus. Der moderne Roman seit Joyce
ist zweidimensional. Er setzt parallel zur
Handlungsstruktur eine Dimension des
„inneren Monologs“, des Binnenraums
(Bewusstseins) der handelnden Figuren
und arbeitet mit Schnitten und „Rückblenden“. Erschwert wird zwar das Einfühlen in den narrativen Haupterzählstrang.
Aber die Handlung wird breiter durch das
Netzwerk ihrer Bezüge. So schildert der
„Augenzeuge“ einen Mord ohne eindeutige Handlungsstruktur, aber mit einer
Überfülle an Details, die präzise beschrieben werden und die dingliche Wirklichkeit um die Hauptpersonen eindeutig
16
BeitrAG
kennzeichnen, aber deren Handlungen
undeutlich, vage lassen – und dies alles in
einer chronikartigen, nüchternen Sprache.
– Aber auch die formalisierenden Hörspiele der 50er Jahre in der noch weithin
fernsehlosen Zeit meiner Jugend – wie etwa Günter Eichs „Die Andere und ich“ bereiteten diese literarische Modernität vor,
weil sie elementar-existenziell waren und
es nicht auf eine bestimmte Bildung und
Kultiviertheit ankam, es also nicht um geschichtliche Personen in einer bestimmten
Zeit ging, sondern um das menschliche
Leben in seinen Grundbezügen, das im
Hörspiel in den „Stimmen aus dem off“
ein unwiederholbar gültiges akustisches
Medium fand, das später durch das TV
weitgehend ins Vergessen gedrängt wurde.
– Schließlich ist der Existenzialismus zu
nennen, die philosophische Lebensform
eines Großteils der westeuropäischen Elite
der 50er bis Mitte der 60er Jahre: ausgedrückt in den Bühnenstücken, Romanen
und Abhandlungen Sartres: Der Mensch,
der einzelne Mensch ist frei. Diese Freiheit
wird sichtbar durch und in seiner selbst
entworfenen geschichtlichen Gestalt, in
seiner Entwicklung. – Sartres Romane,
Stücke und philosophische Texte habe ich
in den 60er Jahren gelesen, seine Autobiographie „Die Wörter“ 1965. Aber die existenzialistische Grunderfahrung der Filme
Antonionis war als Erlebnis früher da als
die Lektüre der Werke von Sartre.
Europäischer versus amerikanischer Film
Antonioni und Bergman sind am gleichen
Tag, am 30. Juni 2007 gestorben. Das ist
ein Zufall, unterstreicht aber ihre Gemeinsamkeit als Vertreter des europäischen
Films. Natürlich gibt es auch innerhalb
des reichen Spektrums des US-amerikanischen Kinos Regisseure, die sich der europäischen Filmtradition verpflichtet fühlen wie etwa John Cassavetes oder Woody
Allen. Trotzdem war und ist der Hauptteil der amerikanischen Film-Produktion
durch bestimmte Muster und strukturelle
Vorgaben bestimmt. Zu denken wäre etwa
an Flemings „Gone with the wind“ (1939)
oder einen Großteil der Western mit John
Wayne als ihrem Hauptstar (Hawks „Red
River“ 1948 und „Rio Bravo“ 1959) oder
Gary Cooper in Zinnemanns „High noon“
von 1952, die bildkräftig und linear eine
bestimmte Entwicklungsgeschichte in Aktionsketten erzählen, wobei das Gute über
das Böse siegt. – Im Gegensatz dazu ist
der Italiener Antonioni (geb. 1912 in Ferrara) wie der Schwede Bergman (1918 in
Uppsala geboren) Vertreter einer „von des
Gedankens Blässe angekränkelten“ Filmkunst. Es gibt unbestreitbare gelegentliche
Anleihen beim amerikanischen Film, so
Antonionis „Zapriskie Point“ (1969) und
„Professione: reporter“ (Beruf: Reporter)
(1973) wie auch Bergmans „Schlangenei“
von 1976. Aber insgesamt zeigen beide
doch im thematischen Spektrum ihrer
Produktion wie auch in der tendenziell-strukturellen Fundierung ihrer Filme
überraschende Übereinstimmungen: Beide
haben eine klare Tendenz zur Gegenwartsbezogenheit des Films. Beide betonen ein
breites Spektrum der Vielfalt menschlicher Kräfte, Strebungen und Interessen,
des Humanen.
Eine klare Tendenz, aktuelle Realität im
Film darzustellen, bedeutet sowohl die
Ausklammerung von Science Fiction wie
auch die Vernachlässigung des Geschichtlichen. Es gibt weder von Antonioni noch
von Bergman einen Science Fiction-Film
oder einen Film mit utopischen Tendenzen. Und es gibt auch von beiden Regisseuren keinen überzeugenden, rein his­
torischen Film wie etwa vergleichsweise
„Gone with the Wind“. Das gilt vor allem
für Antonioni. Bergmans Filme enthalten
zwar teilweise Rückgriffe auf historisch
frühere Mentalitäten und Lebenslagen
– so etwa „Fanny und Alexander“. Aber
diese Dimension dominiert nicht, weil
Bergman nicht zurückgehen will in eine
frühere Zeit, sondern grundsätzliche Probleme der menschlichen Existenz darzustellen beabsichtigt. Daher wirken auch
Filme wie „Das siebente Siegel“ (1956)
oder „Jungfrauenquelle“ (1959) bei allem
mittelalterlichen Design bzw. Ausstattung
keineswegs antiquiert, sondern aktuell
gültig durch ihre Frage nach der menschlichen Existenz. Und daher wird auch sein
Film „The Serpent’s Egg“ (Das Schlangenei) von 1976 zum Problemfall. Dieser
Film über die Nazizeit, in Deutschland
gedreht, ist Bergman missglückt, weil hier
sein Schwanken zwischen Gegenwart und
Historizität sichtbar wird, damit aber das
Geschichtliche abgewertet wird, das als
Zeitgeschichte bei dieser Thematik aber
dominieren muss.
Die ganze Breite menschlichen Lebens zeigt
Bergman sicherlich deutlicher als Antonioni. Und doch gibt auch das Werkverzeichnis Antonionis hierzu einen aufschlussreichen Einblick. Vielgestaltig ist
das filmische Schaffen Bergmans. Bergman
beginnt mit sozialkritischen Filmen („Einen Sommer lang“, „Die Zeit mit Monika“), greift rasch das Problem der Sexualität, der Liebe (z.B. „Lektion in Liebe“, „Das
Lächeln einer Sommernacht“) der Ehe, des
Ehebruchs („Abend der Gaukler“, „The
touch“, „Szenen einer Ehe“) auf, bezieht
das Alter voll mit ein ( „Wilde Erdbeeren“)
und geht in die Bereiche von Glaube und
Tod („Das siebente Siegel“, „Licht im Winter“) sowie der Krankheit („Das Schweigen“, „Schreie und Flüstern“), berührt
auch das Problem der Psychoanalyse und
Therapie („Persona“) und fasst in wunderbarer Weise alle diese Themen, nun
BeitrAG
17
aus der Optik des Kindes, zusammen in
der Familiengeschichte „Fanny und Alexander“ mit gewissen Fortsetzungen im
Spätwerk („Nach der Probe“, „Dabei: Ein
Clown“ und „Sarabande“).
Filmografie (Auswahl)
Einen Überblick zur Schaffensgeschichte beider Regisseure bietet das jeweilige
Werksverzeichnis:
Antonioni: I vinti/Les vaincus [Die Besiegten Kinder unserer Zeit] (1952) (I sw);
La signora senza camelie [Die Dame ohne
Kamelien] (1953) (I sw); Le amiche [Die
Freundinnen] (1955) (I sw); Il grido [Der
Schrei ] (1957) (I sw); L’avventura [Die mit
der Liebe spielen] (1959) (I sw); La notte
[Die Nacht] (I sw); L‘eclisse [Liebe 1962]
(1961) (I sw); Blow-up (1966) (GB F); Zabriskie Point (1969) (USA F); Professione:
reporter [Beruf: Reporter] (1973) (I F); Il
misterio di Oberwald [Das Geheimnis von
Oberwald] (1980) (I F); Identificazione
di una donna [Identifikation einer Frau]
(1982) (I F); Antonioni / Wenders: Par dela le nuages [Hinter den Wolken / Jenseits
der Wolken] (1994) (I/F F).
Bergman: Hamnstad [Hafenstadt] (1948)
(S sw); Sommarlek [Einen Sommer lang]
(1950) (S sw); Sommaren med Monika [Die Zeit mit Monika] (1952) (S sw);
Kvinnors väntan [Sehnsucht der Frauen]
(1952) (S sw); Gycklarnas afton [Abend
der Gaukler] (1953) (S sw); En lektion i kärlek [Lektion in Liebe] (1954) (S
sw); Kvinnodröm [Frauenträume] (1955)
(S sw); Sommarnattens leende [Das Lächeln einer Sommernacht] (1955) (S sw);
Det sjunde inseglet [Das siebente Siegel]
(1956) (S sw); Smultronstället [Wilde Erdbeeren] (1957) (S sw); Ansiktet [Das Gesicht] (1958) (S sw), Jungfrukällan [Die
Jungfrauenquelle] (1959) (S sw); Djävulens öga [Das Teufelsauge] (1960) (S sw);
Sasom i en spegel [Wie in einem Spiegel]
18
BeitrAG
(1960) (S sw); Nattvardsgästerna [Licht
im Winter] (1961) (S sw); Tystnaden [Das
Schweigen] (1962) (S sw); För att inte tala
om alla dessa kvinnor [Ach, diese Frauen]
(1963) (S sw); Persona (1965) (S sw);
Vargtimmen [Stunde des Wolfes] (1966)
(S sw); Skammen [Schande] 102 M (S sw);
Riten [Der Ritus] (1968) (S sw); En Passion [Passion] (1969) (S sw); The touch
[Berührungen] (1970) (S F); Viskningar
och rop [Schreie und Flüstern] (1972) (S
F); Scener ur ett aektenskap [Szenen einer
Ehe] (1973) (S F); Trollflötjen [Die Zauberflöte] (1974) (S F); Ansikte mot ansikte
[Von Angesicht zu Angesicht] (1975) (S
F); The Serpent‘s Egg [Das Schlangenei] (1976) (D/S F); Herbstsonate (1978)
(D F); Fanny och Alexander [Fanny und
Alexander] (1982) (S F); Nach der Probe
(1983) (S F); Larmar och gör sig till [Dabei: Ein Clown] (1997) (S F); Saraband
[Sarabande] (2003) (S F); Bergman/Ullmann: Trolösa [Die Treulosen] (1999) (S
F); Bergman, Daniel: Söndagsbarn [Sonntagskinder] (1992) (S F); [Drehbuch: Ingmar Bergman].
„Die Nacht“ / „Liebe 62“
Nun komme ich nochmals zu meinen ersten Eindrücken der Filme Antonionis und
Bergmans zurück. „La notte“ (Die Nacht)
und „L’eclisse“ (Liebe 62) könnte man als
„Liebesfilme“ bezeichnen und die weiblichen Stars dieser Filme, Monica Vitti und
Jeanne Moreau, faszinierten sehr durch ihre Ausstrahlung, vor allem die mädchenhaft-grazile Vitti in ihrer geheimnisvollen
Rolle in „Die Nacht“. (Sie wirkte auf mich
wie die Verkörperung der „Peregrina“ Mörikes: „Da bin ich wieder hergekommen
aus weiter Welt“). Der männliche Partner
der Vitti war in „La notte“ Mastroianni, im
anderen Film Alain Delon. Beide Filme in
Schwarz-Weiß spielen in der Großstadt
Mailand. In „Liebe 62“ trennt sich die
weibliche Hauptperson von ihrem Freund
und lernt dann einen jungen Börsenspekulanten kennen, den sie nicht liebt und
dessen Werbung sie sich zunächst aus
Furcht neuer Enttäuschung entzieht, ihm
aber dann doch nachgibt. Die Hektik im
Börsensaal, wo sie ihren Geliebten aufsucht, kontrastiert mit ihrer Einsamkeit,
die auch durch die Liebesbegegnung nicht
gemindert wird. Eindrucksvoll sind die
Szenen, wo sich die Liebenden wortlos
gegenübersitzen und sich anschweigen.
Sie trennen sich mit dem Versprechen des
baldigen Wiedersehens. Aber sie weiß um
die Endgültigkeit dieses Abschieds und
er stürzt sich wieder in die besinnungslos machende Hektik des Börsenalltags.
Der Film endet mit der Sonnenfinsternis
– deshalb der Titel. Mich beeindruckte die Ausstrahlung der Vitti, ihr Streben
nach der eindeutigen Liebe, die Bilder der
Großstadt, der Kontrast von Börse und
häuslichem Ambiente, das Milieu junger
erwachsener Menschen, das Wissen um
das Geworfensein in eine Beziehung (Man
muss lieben) und in die Brüchigkeit jeder
Beziehung. Dies ist die existenzielle Konstante dieses Films.
In „La notte“ steht Giovanni Fontano, ein
junger, erfolgreicher Schriftsteller (Mastroianni) zwischen zwei Frauen, seiner
Ehefrau Lidia (Moreau) und der 18jährigen Valentina (Vitti), die Giovanni auf
einer Party kennen lernt und zu lieben beginnt. Der Film beginnt mit einem Krankenbesuch des Ehepaars: Ihr Freund Tommaso, ebenfalls Autor, aber erfolglos, liegt
unheilbar in der Klinik und stirbt noch in
dieser Nacht. Lidia erfährt auf einer Party
in der Nacht vom Tod des Freundes. Zwischen Klinikbesuch und Party schiebt sich
ein Empfang beim Verlag Giovannis: Sein
neues Buch ist soeben erschienen. Die Gespräche kreisen um Belanglosigkeiten und
zeigen viel Langeweile. Lidia geht durch
die hektischen Straßen der Großstadt. Der
Klinikbesuch wirkt nach. Bilder eines ruinösen Hauses, eines weinenden Kindes,
von Hochhäusern, von balgenden jungen Burschen. Dann besuchen beide am
Abend ein Nachtlokal, dessen Programm
langweilt, um anschließend die Party eines
reichen Industriellen aufzusuchen. Dieser
macht Giovanni ein Angebot, für ihn zu
arbeiten. Auch die Partygäste zeigen trotz
vielfachen Amüsements Langeweile, ja
Müdigkeit. Giovanni sieht Valentina, die
Brochs „Schlafwandler“ liest, kommt mit
ihr ins Gespräch, spielt mit ihr ein Spiel,
küsst sie. Valentina: „Ich bin nicht talentiert, nur wach.“ „Es passiert nie etwas“.
Und zu Giovanni: „Du brauchst ein Mädchen zum Neuanfang“. Giovanni: „Du
bist das Mädchen“. Lidia lässt sich bei
einsetzendem Regen von einem fremden
Partygast zu einer Autofahrt mitnehmen.
Im Morgengrauen treffen sich Lidia und
Giovanni im Haus der Party wieder. Abschied von Valentina, die sagt: „Ihr habt
mich schön zugerichtet, ihr beiden“. Das
Paar geht durch den Park nach Hause.
Lidia teilt ihm mit, dass Tommaso gestorben sei, dass er sich uneigennützig um sie
bemüht habe, sie ihn zwar nicht geliebt
habe, sondern Giovanni, aber dies nun bedauere: “Ich bin verzweifelt, weil ich nicht
mehr lieben kann“. Sie empfinde nur noch
Mitleid für Giovanni. Giovanni: „Ich habe
Dir nichts zu sagen gehabt. Aber ich liebe
Dich“. Lidia liest einen früheren Liebesbrief Giovannis an sie vor, den sie als wahr
empfindet, an den aber Giovanni sich
nicht mehr erinnert. Giovannis darauf erfolgende Liebesbeteuerung, der sie küssen
und umarmen, ja körperlich lieben will,
lehnt sie ab. Die Kamera schweift über
die weite Parklandschaft. Wenig Musik,
keine aggressiv-brutalen Szenen zwischen
den Liebenden. – Auch hier faszinierte das
BeitrAG
19
Milieu: Großstadt, Hochhäuser, moderne
Einrichtung, kultivierte, schöne, meist
junge Menschen in Verbindung mit der
weiten Landschaft des Parks, der Kontrast
von Beziehungslosigkeit und Bemühen
um gegenseitiges Verstehen. Das menschliche Geworfensein in die Einsamkeit des
Subjekts und das Sich-Verlieren an den
Anderen, in der Liebe, und dessen Möglichkeit des Scheiterns, – dieses existenzielle Grundelement des Menschen veranschaulicht dieser Film und macht ihn zu
einem stets aktuellen Dokument moderner gesellschaftlicher Realität.
„Das Schweigen“
Bergmans Film „Das Schweigen“, ebenfalls
ein Film in Schwarz-Weiß, kontrastiert
zunächst deutlich zum Großstadtmilieu
der beiden Antonioni-Filme. Er erzählt
die Geschichte zweier Schwestern, der
lungenkranken Übersetzerin Ester und
der jüngeren Anna mit ihrem neunjährigen Sohn Johan auf der Reise, zunächst im
Zug, dann in einer fremden kleinen Stadt
im Hotel. Es dominiert die Pseudohäuslichkeit des Hotelzimmers, die aber stets
bedrohlich bleibt durch die grundsätzliche Verständnislosigkeit des Milieus: Es
fahren Panzer des Nachts durch die Straßen. Die Menschen sprechen eine fremde, unverständliche Sprache. Es fehlt die
Grunderfahrung elementarer sprachlicher
Verständigung. Diese äußere Kommunikationslosigkeit spiegelt der Film in den Erfahrungen Annas, die auf die Straße geht,
in einer Kirche mit einem fremden Mann
kopuliert und dies im Hotel wiederholt.
Ähnliche Erfahrungen einer schwierigen
Verständigung erlebt der kleine Johan im
Hotel mit dem alten Kellner und mit den
einzigen Hotelgästen, einer Gruppe von
Liliputaner-Zirkusartisten. Aber es gibt
vor allem auch die internen Verständnisschwierigkeiten, der Streit zwischen den
20
BeitrAG
Schwestern: Ester erwartet von Anna mehr
als nur schwesterliche Zuwendung und
demonstriert diese Sehnsucht in der sexuellen Selbstbefriedigung. Anna in der Blüte
ihrer vitalen Weiblichkeit will körperliche
Liebeserfüllung, die der Film mehrmals
visuell demonstriert, die ihr aber von ihrer
körperlich geschwächten und traumatisch
belasteten Schwester nicht zugestanden
bzw. geneidet wird. Ester wird ernstlich
krank und wird mühsam, aber durchaus
liebevoll von einem alten Kellner betreut,
der sich auch Johan zuwendet. Am Schluss
des Films bricht Ester zusammen. Anna
reist mit Johan ab und überlässt Ester ihrem Schicksal. Anna beim Koitus mit dem
fremden Mann: „Wie schön ist es, dass
wir nicht miteinander reden können. Ich
wünschte mir, Ester wäre tot.“ Beim Abschied schreibt Ester Johan auf einen Zettel ein paar Wörter in der fremden Sprache und meint: „Du wirst verstehen“. –
Wenig Musik, etwas Bach, bei den Phasen
der Krankheitsanfälle Esters ein dumpfer
Dauerton, teilweise dröhnend. – Man hat
den Film als eine Welt ohne Gott interpretiert (Diese Interpretation hat Bergman in
Interviews abgelehnt). Der Zettel könnte
Zeichen der Hoffnung sein.
Beim ersten Sehen faszinierte mich „Das
Schweigen“ durch seine Geschlossenheit
des Düsteren, Fremden. Wie bei Kafka
baut hier ein berichtender Erzählstil detailgenau eine fremde, unverständliche
Wirklichkeit auf. (Kürzlich hat Cormac
McCarthy in „The Road“ 2006 ein ähnlich
geschlossenes Bild einer fremden Welt im
Berichtstil vorgelegt.) Beim wiederholten
Erleben des Films wird mir die Figur des
Johan immer wichtiger. Die Schwestern
sind durch ihre Lebensgeschichte, ihren
Habitus, in ihre wechselseitige Ablehnung
verstrickt. Johan aber ist neugierig, offen.
Er erkundet die Welt des Hotels, er macht
Erfahrungen. Er ist Projektion Bergmans,
also autobiographisch gemeint. Johan, der
Beobachter, der aus Erfahrungen schöpferisches, kreatives Potenzial gewinnt, – das
ist der Entwurf für die Figur des Knaben
Alexander zwanzig Jahre später, in „Fanny und Alexander“, dem Beobachter, dem
Lebenslustigen und Selbstbestimmten,
der sich dem Stiefvater, dem Bischof, widersetzt und mit dem toten Vater redet.
– Johan, der Beobachter und Alexander,
der Rebell, das sind kindliche Rollen und
frühe Erfahrungen Bergmans, die er dann
später als Regisseur in Lebensqualität seiner Filme umsetzt. Denn bei aller Sehnsucht, Leiden und Enttäuschung siegen
in Bergmans Filmen doch Liebe und Lebensfreude. Man beachte den Schluß-Teil
von „Fanny und Alexander“ (1982) und
„Wilde Erdbeeren“ (1957). So führt „Das
Schweigen“ zwar etwas einseitig aber doch
außerordentlich eindrucksvoll in die Filmwelt Bergmans ein.
Prof. Dr. Helmut
Heiland war bis zu
seiner Emeritierung
Professor für all­
gemeine Didaktik
und Schulpädagogik
an der Universität
Duisburg
Literatur
Jansen, Peter W./Schütte, Wolfram (Hrsg.):
Michelangelo Antonioni. München 1984
McCarthy, Cormac: Die Straße. Reinbek 2007
(engl. New York 2006)
Weise, Eckhard: Ingmar Bergman. Reinbek 1987
(Rowohlts Monographien 366)
Die GEE hat eine
neue Homepage!
Unter der Adresse
www.gee-online.de
finden Sie Informationen
• über die GEE,
• über Bildungs- und
Fortbildungsveranstaltungen der PÄDAGOGISCHEN AKADEMIE
• und haben die Möglichkeit, sich direkt anzumelden.
•H
ier können Sie
auch die Zeitschrift
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BeitrAG
21
Wüstenzeitung
über Abraham,
Sara und die
Nomaden
Projektorientiertes Arbeiten im
Religionsunterricht des Förderzentrums – ein Erfahrungsbericht
Volker Linhard
Im Lehrplan zur individuellen Lernföderung heißt es unter dem Stichwort Ganzheitlichkeit: „Charakteristisch für den
Unterricht dieser Schulen ist die Erschließung der Lerngegenstände über die Wahrnehmung, die Bewegung, die Handlung
und die Reflexion.1
Neben individuell angemessenen Lernangeboten wird großer Wert auf gemeinsames Lernen gelegt. „Gemeinsames Lernen soll den einzelnen Schülern ermöglichen, soziale Erfahrungen zu sammeln,
sich in der Gemeinschaft zu entfalten,
Selbstwertgefühl aufzubauen und Identität zu gewinnen.2
Dies gilt insbesondere auch für den Religionsunterricht. Im projektorientierten
Arbeiten werden diese Aspekte und Ziele
in besonderer Weise aufgegriffen und umgesetzt.
Dieses Arbeiten ist jedoch an bestimmte
Voraussetzungen geknüpft. Im Religionsunterricht an Förderschulen, wie
an allen anderen Schulen auch, haben
wir als kirchliche Lehrkräfte in der Regel erschwerte Bedingungen: Nur zwei
Stunden pro Woche, kein eigener Raum,
zusammengewürfelte Klassen, große
Schülerzahlen. Hier lässt sich solches
Arbeiten nur in Ansätzen verwirklichen.
Aber hin und wieder sind die äußeren
Möglichkeiten günstig, da nützt dann al22
les Jammern nichts, sondern ich kann die
Gelegenheit ergreifen und einmal anders
arbeiten.
In einer Religionsgruppe im sonderpädagogischen Förderzentrum Hersbruck, wo
ich mit einem Teil meiner Stunden unterrichte, ergab sich solch eine Möglichkeit.
Die Gruppe war überschaubar, ein eigener
Raum vorhanden, ein günstiger Stundenplan, dazu ein Praktikant der Fachhochschule.
Woher nun die Idee für ein Projekt, die
nötige Motivation hernehmen? Für mich
sind es oft Wettbewerbe für Schulklassen
oder Gemeindegruppen, die zu einem bestimmten Thema ausgeschrieben werden.
So zum Beispiel zum „Bibeljahr“ 2003
oder der jährliche „Junior-Oscar“ der Unicef seit 2004. 2006 war es „Expedition
Planet B.“ von Stifung Lesen und Deutscher Bibelgesellschaft.
Irgendwie und irgendwann (jedoch rechtzeitig!) bekam ich ein Faltblatt dazu in die
Hand und besorgte mir weitere Informationen.
Unter den Stichworten „Meer“, „Stadt“,
„Wüste“ und „Berg“ sollten Schülerinnen
und Schüler der 3. bis 6. Klassen ihre
Lieblingsbibelgeschichte
präsentieren.
„Die Kinder und Jugendlichen können
sich kreativ und spielerisch mit der Bibel
auseinandersetzen und lernen die Bibel als
wichtiges Kulturgut kennen.“, hieß es in
der Ausschreibung.3
In meiner kombinierten 3./4. Klasse im
Förderzentrum hatte ich gerade mit den
Abraham- und Saraerzählungen begonnen. Mich beschäftigte das Stichwort
„Wüste“. Abraham und Sara, die sich auf
den Weg durch die große Wüste machten.
Die das sichere Haran auf Gottes Wort hin
verließen und in ein fremdes Land zogen.
Ich nahm mir vor, diese Einheit einmal
stärker unter dem Aspekt „Wüste“ zu unterrichten.
Gedanken – Anregungen – Hinweise
Die Hirten sind aufgeregt.
Die Hirten haben die Arbeit aufgehört
und haben Mittagspause.
Der Anführer weiß wo die Brunnen sind.
Die Wüste ist gefährlich, der Sandsturm,
die Räuber, die Tiere sind gefährlich.
Wenn ihr kein Wasser findet, werdet ihr
verdursten.Abraham hat ein Lagerfeuer
gemacht und redet mit den Hirten. Sie
fragen: „Warum gehst du?“
Abraham sagt: „Gott hat mich gerufen.“
Sabrina
Joschi, Nomadenjunge und Stoffpuppe über meiner Hand, erzählte die Geschichten von Abraham und Sara. Sehr
anschaulich berichtete er von Abraham,
dem Anführer der Sippe, der die Wasserstellen kennt, der alles gerecht verteilt,
der Handel in der Stadt treibt und Streit
schlichtet, wo es nötig ist. Abraham, der
einfach unersetzlich für die Sippe ist. Und
Joschi beschreibt, wie Abraham die Hirten
zusammenruft und ihnen verkündet, dass
sie durch die Wüste in ein fremdes Land
ziehen werden. Wir sitzen alle am imaginären Lagerfeuer und meine Schülerinnen
und Schüler sind mittendrin in der Geschichte. Sie spielen die Hirten und regen
sich auf, wie Abraham so etwas Unvernünftiges tun kann. Sie suchen und finden
viele Argumente, die ihn zum Hierbleiben bewegen sollen. Hier entstehen die
ersten Schülertexte, mühsam bringen sie
ihre Gedanken auf das Papier, manchmal
muss ich einen Schüler gleich vorlesen
lassen und den Text nochmals aufschreiben, damit er ihn auch später noch weiß.
Manchmal lasse ich mir die Texte gleich
diktieren. Längere, eigene Gedankengänge aufzuschreiben, fällt den Schüler zur
individuellen Lernförderung noch sehr
schwer. Wie stolz sind sie aber, als ich am
nächsten Tag die abgetippten Texte mitbringe und wir sie lesen.
Doch zurück ans Lagerfeuer. Ich antworte
als Abraham auf alle ihre Einwände, will
sie nicht unbedingt entkräften, sie aber
doch beruhigen. Immer wieder kommt die
Frage: Warum? Und am Ende erzähle ich
von einem Erlebnis des Abraham, das ich
nur tastend, zögernd beschreibe. Als er die
Stimme Gottes hört, von der Verheißung
der Nachkommen und dem Wagnis, in ein
neues Land zu ziehen.
Verlasse deine Heimat,
deine Sippe und deine Verwandten
und ziehe in ein Land,
das ich dir zeigen werde.
Du sollst Kinder bekommen,
diese werden wieder Kinder haben,
bis sie ein großes Volk sind.
Ich will dich segnen und du sollst ein
Segen sein.
Dein Name soll in der ganzen Welt
bekannt werden.
Durch dich sollen die Menschen erfahren,
dass ich es gut mit ihnen meine.4
In der nächsten Stunde erzählt Joschi ausführlich von der Wüstenwanderung und all
den Gefahren, die da lauerten: Angst vor dem
Verdursten, vor gefährlichen Räubern, Sandstürme und Treibsand, wilde Tiere und die
Ungeduld der Hirten. Bilder und Dias von
der Wüste unterstützen diese Eindrücke.
Gedanken – Anregungen – Hinweise
23
Am Ende kommt die Sippe wohlbehalten in Kanaan an, alle sind dankbar und
glücklich. Abraham baut einen Steinaltar,
dort betet er zu Gott.5
Wieder entstehen einfache Texte: Meine
Schülerinnen und Schüler formulieren
Dankgebete und denken noch einmal an
die vielen überstandenen Gefahren auf
dem Weg durch die Wüste.
Lieber Gott,
danke, dass du mir versprochen hast,
dass uns nichts passieren wird.
Wir haben viel mitgemacht und ich hatte
gedacht, dass du mich betrügst.
Und was ist rausgekommen?
Du hast mich nicht betrogen.
Danke, dass du mir dieses gute Land
geschenkt hast.
Danke für das Wasser und alles.
Amen.
Markus
Gott,
danke für die Wasserstelle.
Danke, dass die Räuber uns nicht
gesehen haben.
Gott, danke für die Deckung im
Sandsturm.
Gott, danke, dass die wilden Tiere keine
Menschen gefressen haben.
Gott, danke für die Karawane, die mit
uns Wasser getauscht hat.
Gott, danke.
Amen.
Antonia
Diesmal steht kein „Lagerfeuer“ in der
Mitte, sondern wir bauen aus Steinen einen Altar, feiern ein Fest, singen, beten,
tanzen, essen und trinken. Auf diese Weise haben wir ein klein wenig Anteil an der
Freude von Abraham, Sara und den Hirten. Aus den verschiedenen Schülertexten werden Hefteinträge, hinzu kommen
24
Sachinformationen über das Nomadenleben, Bilder von Oasen, zentrale biblische
Texte der Abraham- und Saraerzählungen.
Aber lediglich Hefteinträge, das erscheint
uns noch zu unoriginell. Wir wollen unsere Erlebnisse und Erfahrungen in eine
andere Form bringen, um sie den anderen
Kindern aus der Schule mitzuteilen.
So entsteht die Idee einer eigenen Zeitung.
Aber wir wollen so einfach wie möglich
arbeiten. Kein Computer, kein Drucker,
kein Kopierer. Da kommt uns ein alter
Spiritus-Umdrucker ganz recht. Die Schülerinnen und Schüler schreiben ihre Texte
auf Matrizen.
Immer wieder habe ich in der letzten Zeit
mit dieser „steinzeitlichen“ Technologie
gearbeitet und bemerkt, mit welch einer
Begeisterung die Kinder bei der Sache
sind. Ich erkläre mir das vor allem mit der
Durchschaubarkeit und Nachvollziehbarkeit dieser alten Technik. Ich sehe, wie
die Matrize beschriftet wird, wie sie auf
Gedanken – Anregungen – Hinweise
die Walze gezogen
und durch das Kurbeln Blatt für Blatt
gedruckt wird. Ich
rieche den Spiritus.
Hier sind praktisch
alle Sinne angesprochen. Dies lässt
sich in keiner Weise
damit vergleichen,
dass ich vor einem
Kopierer stehe, lediglich zuschaue, wie
etwas vervielfältigt wird und es letztlich
nicht „begreifen“ kann.
Der Vorteil der Matrizen ist außerdem,
dass die gute alte Handschrift wieder zum
Zuge kommt. Die Schülerinnen und Schüler müssen sich anstrengen, sie müssen
sich bemühen, möglichst keinen Fehler
zu machen, denn die Matrizen können
nur schwer korrigiert werden. Aber der
Gedanke, dass mein „Werk“ fünfzig mal
gedruckt wird, erhöht die Motivation und
das Bemühen ungemein. Natürlich war in
unserer Zeitung nicht alles perfekt, darum
ging es ja auch gar nicht. Wichtig war uns,
dass alles lesbar ist. Es kamen auch Bilder hinzu, selbst gemalte oder von einer
Vorlage abgemalte. Durch bunte Matrizen
konnten wir sogar farbige Bilder drucken.
So entstand die „Wüstenzeitung“ in einer Auflage von 50 Exemplaren. Am
Ende fügten wir ein Rätsel an, wo wir
interessante Preise in Aussicht stellten.
Wir wollten ja, dass unsere Zeitung
auch gelesen wird.
So haben wir mit den Texten und Bildern die Kinder unserer Schule auf den
Weg Abrahams und Saras durch die
Wüste mitgenommen. Im Verlauf dieser Unterrichtsstunden sind uns diese
Geschichten sehr an Herz gewachsen und
wir haben von diesem Vertrauen auch ein
wenig für unser Leben gelernt.
Schließlich haben wir die Zeitungen
in den Pausen verkauft. Den Erlös von
23.50 E haben wir für ein Projekt in Afrika gespendet, damit Straßenkinder die
Möglichkeit bekommen, eine Schule zu
besuchen.
Der Zeitbedarf für diese Unterrichtseinheit
lässt sich folgendermaßen grob gliedern:
• Kennenlernen des Nomadenlebens:
2-3 Stunden
• Abraham und Sara verlassen die Sippe,
eigene Schülertexte: 2-3 Stunden
• Abraham und Sara durchqueren die
Wüste, Gott-sei-Dank-Fest, eigene
Schülertexte: 2-3 Stunden
• Schreiben der Matrizen, Drucken,
Sortieren, Heften und Verkaufen:
3-4 Stunden.
Rückblickend muss ich sagen, dass dies
wohl kein Projekt im klassischen Sinne
war, wo ich mit der Klasse ein Ziel festlege
und wir dann die einzelnen Schritte dahin
überlegen und verwirklichen. Es war eher
so, dass wir uns auf den Weg gemacht haben, ohne schon genau zu wissen, wohin
er führt. Wir sind die ersten Schritte gegangen, haben die Geschichten von Abraham und Sara kennengelernt und dann
überlegt, wie wir weitermachen. Vieles
Nachrichten aus der gee
25
war dann auch ein logischer Schritt, der
auf den vorhergegangenen folgte. (z.B. eine Zeitung wird dann natürlich auch verkauft.)
Es wäre für die Schülerinnen und Schüler
dieser Jahrgangsstufe und Schulart wohl
auch eine Überforderung gewesen, hätten sie den ganzen Projektweg bereits von
Anfang an überblicken sollen. So sind wir
diesen Weg in einfachen, elementaren und
überschaubaren Abschnitten von der Idee
bis zur Realisation der einzelnen Schritte
gegangen.
Und dabei mussten wir wieder an Abraham und Sara denken, die sich auch aufmachten und dabei noch lange nicht den
ganzen Weg überblicken konnten.
Leider haben wir bei dem Wettbewerb,
an dem 10 000 Schülerinnen und Schüler
aus ganz Deutschland beteiligt waren, nur
einen Trostpreis bekommen. Dennoch hat
uns diese Aktion sehr motiviert und wird
den Kinder sicherlich in guter Erinnerung
bleiben.
Volker Linhard, Dipl. Religions­pädagoge am
Förderzentrum Hersbruck
Anmerkungen:
1 So heißt es auf S. 12 im Lehrplan zur individuellen Lernförderung an Bayern Förderschulen.
2 Ebd. S. 13
3 aus: www.expedition-planet-b.de.
4 Eigene Übertragung nach Gen 12, 1-3
5 Siehe Gen 12,7
Noch mehr Bilder zu dem Projekt finden
sich unter www.grabkammer-des-pharao.de
unter dem Link Schule/Aktuelle Projekte.
26
I I
I
Der Liebe Gottes roter Faden
I
Gott kam auf ihn zu.
Ganz unvermutet es begann,
als Gott einst sprach zu Abraham:
Ich will dich segnen insgemein,
und du sollst selbst ein Segen sein.
Gott ging immer mit.
In alle menschlichen Verirrungen
und die daraus entstandnen Wirrungen
legt Gott den roten Faden der Liebe,
damit der Menschheit die Zukunft bliebe.
Gott kommt auf uns zu.
Deshalb uns geboren ward Jesus Christ,
der so unser Heiland geworden ist:
Durch Worte und Taten lädt er uns ein,
am roten Faden der Liebe zu sein.
Gott geht weiter mit.
Selbst in schwersten Lebenskrisen
hat sich Gott als der erwiesen,
der fest zum Liebesfaden steht
und der in Jesus mit uns geht.
I
I
Gedanken – Anregungen – Hinweise
Klaus Dieter Müller
I
I
Interview Mit
OKR Klaus Eberl
Herr Eberl, Sie wurden von der Landessynode im Januar diesen Jahres als
Leiter der Bildungsabteilung im Landes­
kirchenamt der Rheinischen Kirche
und Mitglied der Kirchenleitung gewählt. Nun sind Sie schon einige Monate im Amt. Welche Handlungsfelder
haben sich in diesen Monaten für Sie
als besonders dringlich erwiesen?
Im Vordergrund stand zunächst die Ausein­
andersetzung um das NRW-Kinderbildungsgesetz (KiBiz). Die Elementarbildung ist ein
zentrales Arbeitsfeld unserer Kirche, in das
die Gemeinden erhebliche Finanzmittel investieren, zumal hier die Weichen für den
Gemeindeaufbau gestellt werden. Darüber
hinaus mussten die konzeptionellen Entscheidungen des künftigen Schulwerkes voran gebracht werden. In diesem Zusammenhang
mussten wir leider feststellen, dass die Schulstiftung noch nicht so reibungslos funktioniert,
wie wir uns das wünschen. Diese Situation
wird sich bald verbessern.
In vielen Veröffentlichungen der Evangelischen Kirche zum Thema Bildung
wird von der Evangelischen Bildungsverantwortung gesprochen. Wie würden Sie diesen Begriff inhaltlich füllen,
damit er kein leeres Schlagwort wird?
Bildung ist das(!) Thema der Zukunft. Das
deutsche Wort hat seinen Ursprung in der
alttestamentlichen Rede vom Menschen als
Gottes Ebenbild (Gen 1,26f). Paulus verwendet die Bild-Metapher christologisch, wenn
er davon spricht, dass sich die Freiheit eines
Christenmenschen entfaltet, indem wir in das
Bild Christi verwandelt werden (2. Kor 3,18).
Es geht also zentral um die Frage: Was ist der
Mensch in evangelischer Perspektive? Die Artikel 81-85 der Kirchenordnung beschreiben,
dass die Kirche dafür verantwortlich ist, dass
Kinder das Wort Gottes hören, im Verständnis
des christlichen Glaubens wachsen und lernen,
in Verantwortung vor Gott zu leben. Dies geschieht in Elternhaus, Gemeinde und Schule.
Hinzu kommen Angebote lebenslangen Lernens. Daraus ergibt sich die Verantwortung,
nach innen das Evangelium zu leben und erlebbar zu machen und nach außen deutlich
zu machen, dass Bildung eine Sprachschule
der Freiheit ist. Nicht ohne Grund spricht die
EKD-Kundgebung zu Armut und Reichtum
in Deutschland davon, dass Bildungsgerechtigkeit ein Schlüssel ist, um der Spaltung der
Gesellschaft entgegenzutreten.
Die GEE ist ja ein Verein der sich als
Teil der Kirche versteht und an vielen
Stellen mit ihr zusammen arbeitet. Die
rheinische Landessynode hat der GEE
den Auftrag zur Allgemeinen Lehrerfortbildung erteilt. Wie ist Ihre Einstellung zu kirchlichen Werken und
Vereinen?
Ausgangspunkt der GEE sind Beratungen
der Bekennenden Kirche zur Schulfrage, die
auf der ersten Rheinischen Landessynode in
den Auftrag mündeten, Gemeindeglieder in
pädagogischen Berufen zu sammeln und zu
unterstützen sowie ihre fachliche Kompetenz
zu verbessern. Bei den meisten Aufbrüchen
in der Kirche steht am Anfang das ehrenamtliche Engagement. Viele kirchliche Werke und
Vereine sind so entstanden, auch die GEE. Die
Kirche lebt von der Kreativität und dem Einsatz ihrer Glieder, von der Bereitschaft zum
Experiment, von der Phantasie der Pädago-
Gedanken – Anregungen – Hinweise
27
ginnen und Pädagogen. Wichtig ist, dass die
engen Verbindungen zwischen Werken und
Vereinen auf der einen Seite und der Kirche
auf der anderen erhalten bleiben. Dann können alle voneinander in einem tragfähigen
Netzwerk profitieren.
Aufgabe der Landeskirche ist es auch,
sich in die bildungspolitische Diskussion einzubringen und die kirchlichen
Anliegen gegenüber der Bildungspolitik zu vertreten. Wie gestaltet sich aus
Ihrer Sicht die Zusammenarbeit mit
den politischen Parteien und der Landesregierung?
Kirchengemeinden, die Einrichtungen betreiben, tatsächlich finanziell entlastet werden,
ist noch ungewiss. Es verwundert auch, dass
Fragen der Bildungsqualität politisch eine untergeordnete Rolle spielen.
Wir danken Ihnen sehr für die Beantwortung der Fragen, wünschen Ihnen für Ihre
Arbeit Kraft, Gelassenheit und Gottes Segen und bieten als GEE unsere kooperative Zusammenarbeit an.
Bei allen politischen Begegnungen der letzten
Monate stand die Bildungspolitik oben auf der
Agenda: Kindertagestätten, Familienbildung,
Kleinkindbetreuung, Qualitätsentwicklung
der Schulen, Gemeinschaftsschule, OGS, Familienzentren etc. Leider wird in der Diskussion mit der Politik oft der Eindruck erweckt,
die Öffentliche Hand subventioniere die kirchlichen Träger von Bildungseinrichtungen mit
ihren Zuschüssen. Dadurch wird das Subsidiaritätsprinzip auf den Kopf gestellt. Unsere
Rechtsordnung sieht den Vorrang freier Träger
gegenüber dem Staat vor. Vielfalt und hohe
Qualität werden damit sichergestellt. Finanziell bleibt aber der Staat in der Pflicht, indem
er angemessene Kostenerstattung bereitstellen
muss. Mit ihren Eigenmitteln für Kitas, Jugendarbeit, Erwachsenenbildung u.s.w. „subventioniert“ die Kirche faktisch aus Kirchensteuermitteln öffentliche Aufgaben.
Familien stärken - das war ein lobenswertes
Ziel der Landesregierung Rüttgers. In der
Praxis ist diese Absicht nur eingeschränkt
umgesetzt worden. Mit dem neuen Kinderbildungsgesetz stehen die Träger vor erheblichen
Planungsrisiken. Im Gesetzgebungsverfahren
ist unnötig Vertrauen verspielt worden. Ob
28
Gedanken – Anregungen – Hinweise
Klaus Eberl
Ohne Grenzen wäre alles endlos
Unsicherheit: Wo ist der Ostteil? Aber
hier muss doch Westen sein!
Die Gruppe macht einen Gang durch
Berlin. Nicht irgendein Weg. Es geht
da entlang, wo vor 1989 die Mauer
stand und die Stadt trennte.
– von anderen gezogen
„Fremdbestimmte Grenzen
eiten, zum Verletzen.
chr
– reizen immer zum Übers
gen der Idealfall -, wenn
Am besten ist es – sozusa
stbewusst und verantder erwachsene Mensch selb
eigenen Grenzen setzen
wortungsvoll sich seine
it seines kurzen Lebens
kann, bevor die Endlichke
lns wieder entreißt.“
ihm das Gesetz des Hande
wegs ist, orientiert sich auf dem Weg
zur Gedenkstätte Berliner Mauer an
der Bernauer Straße an einem Teil des
Mauerweges. Eine zum Tagungsthema passende Übung.
Die Frage von Gästen in Berlin, wo
denn nun früher Osten und wo Wes­
ten war, ist in Berlin Mitte nicht immer leicht zu beantworten. Die alte
Grenze ist nur noch zu entdecken,
wenn man genau hinsieht. „Schaut
auf die Ampeln“, sagt jemand, „wenn
ihr auf den Fußgängerampeln die Ampelmännchen seht, seid ihr im alten
Ostteil!“ Widerspruch: „Das gilt heute
nicht mehr. Ampelmännchen gibt es
auch im Westen!“
Die Gruppe, die hier im wahren
Wortsinn als Grenzgänger unter-
Die Berliner Bibelwoche für Lehrerinnen und Lehrer ging nicht nur den
Mauerweg entlang sondern auch der
Frage nach, was es mit den Grenzen
oder der Grenzenlosigkeit in unserem
Leben und in unserer Gesellschaft auf
sich hat.
Ohne Grenzen wäre alles endlos –
Endlosigkeit, Grenzenlosigkeit – ein
Gedanke, der gleichzeitig faszinieren
und ängstigen kann. Je nach Einstellung und persönlicher Disposition
verbinden sich damit Phantasien,
wie schön es sein würde ohne gesellschaftliche Konventionen leben zu
können oder Albträume, alles machen
zu können, ohne dass äußere Regeln
uns Grenzen setzen. Oder vielleicht
noch schlimmer: der Grenzenlosigkeit der Anderen ausgesetzt zu sein.
s für eine Bereicherung
„Was für eine Wohltat, wa
vorher mir unbekannt,
ist
me
ist es, mit Menschen,
Dankeslieder singen
aus vollem Herzen Lob- und
h der Besuch der Gezu können. Oder da ist auc
aße. Zutiefst war ich
Str
denkstätte an der Bernauer
Menschen, was vers
wa
t,
wieder einmal erschütter
utun imstande sind.“
irrte Gedanken anderen anz
Nachrichten aus der gee
29
liner Bibelwoche mit dem
„Heute Abend geht die Ber
alles endlos – NotwendigThema „Ohne Grenzen wäre
nzziehungen“ zu Ende. Ich
keit und Gefahren von Gre
in Bezug auf dieses Thema.
war zuerst etwas skeptisch
ein wichtiges und umfangEs zeigte sich aber, dass es
für die Schule ist. Mich inreiches Thema, auch gerade
giösen Impulse und gerade
teressierten besonders die reli
nd und bedenkenswert.“
ege
die waren für mich sehr anr
Die theologischen Impulse orientierten sich an drei Personen: Luther
und seiner reformatorischen Botschaft
„Allein aus Glauben“, Jesus, von dem
Pilatus sagte „Seht, welch ein Mensch“
und Paulus, der im 1. Korintherbrief
der Gemeinde schreibt „Alles ist erlaubt“. Bei Paulus folgt, wie in den
Gesprächen der Bibelwoche auch, ein
Aber, mit dem er auch auf die Gefahren der Grenzenlosigkeit hinweist.
Für Pädagoginnen und Pädagogen
ganz klar: „Kinder Brauchen Grenzen“
und „Es kann nicht alles richtig sein“,
auch wenn „Menschen, die in kein
Raster passen“ oft die interessanteren
Menschen sind. So die Schwerpunkte
der pädagogischen Impulse.
Wird der thematische Bogen weiter gezogen und werden die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit
bedacht, denen der Rahmen häufig
fehlt, ergibt sich eine fast grenzenlose
Themenvielfalt, an der die Fragen
entfaltet werden können.
30
Nachrichten aus der gee
So war es hilfreich, sich darüber Gedanken zu machen, welche Grenzen
auch der Rechtsstaat setzen muss,
damit sich nicht eine „Liberalität bis
zur Unkenntlichkeit“ ergibt. Am Beispiel des Kopftuchverbotes für muslimische Lehrerinnen wurde diese
Frage lebendig und durchaus auch
kontrovers diskutiert.
iedenen Veranstaltungen und
„Mir ist als Ergebnis der versch
wie wichtig es ist, die BerechtiÜbungen deutlich geworden,
n
echtigung von Grenzsetzunge
gung und den Grad der Ber
ht
leic
viel
und
hr
me
t
l nich
zu erkennen. Es geht heute woh
t gegangen - Grenzen als
nich
ten
Zei
en
her
frü
in
h
ist es auc
bedingtheitsanspruch anzuabsolute Einteilungen mit Un
tsituationen, die innere Situasehen. Vielmehr sind die Zei
sichtigen, denen die Grenzen
tion der Menschen zu berück
erlegen wollten.“
Strukturen ihres Verhaltens auf
Eine
besondere Form der Grenzenlosigkeit
ermöglichen uns die neuen Medien:
Mit dem Internet einer nicht mehr zu
überschaubaren Informationsflut ausgesetzt sein oder durch das Handy zu
jeder Zeit erreichbar sein und andere
Menschen erreichen können. Die Entfaltung dieser Frage durch den Germanisten, Psychologen und Religionswissenschaftler Johannes Dirschauer
begeisterte in seiner inhaltlich dichten
und sprachlich virtuosen Art die ganze Gruppe. In „Abschiedsgedanken“
an Freunde haben die Teilnehmenden
ihr Resümee der Tagung formuliert.
Aus der Feder unserer Mitglieder
Baldermann, Ingo, Die Bibel – Buch meiner Sehnsucht, Wegbegleitung in dunklen
und hellen Tagen, München 2007
Besser-Scholz, Birgit, Burnout – Gefahr im
Lehrerberuf?, Göttingen 2007
Goebel, Klaus, Nur einmal war er sprachlos. Erinnerungen an Johannes Rau.
Neukirchen-Vluyn (Neukirchener Verlagshaus) 2007, 97 S. mit 22 Abb.
Goebel, Klaus, Der junge Wilhelm Dörpfeld. In: Romerike Berge. Zeitschrift für
das Bergische Land, 57. Jg. 2007, Heft 3,
S. 2 – 12
Rüdiger Gollnick, Der Gender-Aspekt im
Mobbingprozess. Zwei schulische Mobbing-Fälle vor dem Hintergrund Schule im
Gender Mainstream. Schriften des Essener
Kollegs für Geschlechterforschung hrsg.
von D. Janshen. Universität DuisburgEssen 2006.
Als kostenloses Download:
www.uni-duisburg-essen.de/ekfg/
forschung/ekfg_06314.shtml
Rüdiger Gollnick, Die schulische Mobbing-Fall Eva vor dem Hintergrund des
Falles Sophie Amor.
In: Pädagogik UNTERRICHT. (27. Jg.)
1/2007. S. 30-37.
Rüdiger Gollnick, Fallbeispiel: türkischmuslimische Männer.
In: Pädagogik UNTERRICHT. (27. Jg.)
1/2007. S. 49-53.
Rüdiger Gollnick, Geschlechter-Aspekte in
konkreter schulpädagogischer Bedeutung.
In: PÄD Forum: unterrichten und erziehen. (35./26. Jg.) 3, 2007. S. 172-179.
Steinwede, Dietrich (Hg), Advent und
Weihnachten, Die schönsten Geschichten
für Kinder, Düsseldorf 2007
Steinwede, Dietrich, Engel der Bibel, Bilder und Betrachtungen, Düsseldorf 2007
Rüdiger Gollnick, Schulische MobbingFälle. Analysen und Strategien. Unter Mitarbeit von Tina Böcker, Karl-Heinz Dehn,
Sabrina Schroeder. 2. überarbeitete und
ergänzte Auflage Berlin 2006. [Schulpädagogische Interventionen Bd. 2]
Rüdiger Gollnick, Berufsnotstand: Lehrer
- Lehrerin. Analyse von alltäglichen Fall­
beispielen psycho-physischer Verletzungen
und System-Belastungen. Unter Mitarbeit von Tina Böcker, Karl-Heinz Dehn,
Sabrina Schroeder und Katja Schwarz.
Berlin 2007. [Schulpädagogische Interventionen Bd. 3]
Nachrichten aus der gee
31
Anschriften der Mitarbeiter/innen
Prof. Dr. Clemens Albrecht
Fr.-Danneman-Straße 35, 72070 Tübingen
[email protected]
Ltd. Dozentin
Pfrin Dr. Ulrike Baumann
Mandelbaumweg 2, 53177 Bonn
[email protected]
OKR Klaus Eberl
Ev. Kirche im Rheinland
Hans-Böckler-Straße 7, 40476 Düsseldorf
Akademiedirektor Bernd Giese
Schillerstraße 20, 47506 Neukirchen-Vluyn
[email protected]
Konrektor i.R. Gunnar Gödecke
Königstraße 78, 47198 Duisburg
Prof. Dr. Helmut Heiland
Insterburger Straße 4, 41516 Grevenbroich
[email protected]
Akademiedirektor i.R.
Horst L. Herget
Am Tannenbusch 14, 46562 Voerde
[email protected]
Volker Linhard
Am Kindergarten 4, 91238 Offenhausen
[email protected]
Akad.Dir.i.R.
Klaus Dieter Müller
Heinrich-Heine Straße 51, 30173 Hannover
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Nachrichten aus der gee
Vorankündigung 2008
12. bis 16. Februar 2008, Berlin
(Berliner Bibelwoche)
„Was hülfe es dem Menschen ...“
Zur theologischen Rede von der Seele
Mit Horst L. Herget, Voerde,
Wolfgang Haugk, Dresden
25. bis 28. März 2008, Berlin
(Katechetische Studientagung)
Schule und Kirche –
Begegnung zweier Welten
Gelingt die Zusammenarbeit
mit der Ganztagsschule?
Mit Klaus Kehlbreier, Soest, Gotthilf
Danicke, Hohen-Neuendorf
25. bis 29. März 2008, Bonn
Kooperative Gesprächsführung
im Schulalltag
Mit Heike Wegener, Pastorin, Bremen,
Dr. Ulrike Baumann, Ltd. Dozentin,
Pfarrerin, Bonn
Berlin-Tagung
Jüdisches Leben in Berlin
Begegnungen und Besichtigungen
30. Juli bis 3. August 2008
Mit: Dr. Hermann Simon, Direktor
des Centrum Judaicum, Berlin, Vertreter/innen der jüdischen Gemeinden
und Einrichtungen, Berlin, Bernd
Giese, Akademiedirektor GEE,
Duisburg, Gerda E.H. Koch, General­
sekretärin Nes Ammim, Düsseldorf
Liebe Mitglieder der GEE, liebe Freunde und Förderer,
sehr geehrte Damen und Herren,
es ist gute Tradition, zum Ende eines Jahres das Vergangene zu resümieren, denen,
die einen auf dem Weg begleitet haben zu danken und einen Blick darauf zu werfen, was für die Zukunft geplant wird.
Die GEE hat in den letzten Jahren turbulente Zeiten erlebt. Nicht immer hat sich
das allen Mitgliedern gezeigt, auch wenn wir in ERZIEHEN HEUTE über den Veränderungsprozess immer wieder berichtet haben. Den Vorstand und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Geschäftsstelle haben die vielfältigen durch Veränderung der Rahmenbedingungen hervorgerufenen Herausforderungen doch sehr
beschäftigt.
Nach ausführlichen, sehr grundsätzlich geführten Überlegungen auch mit der Landeskirche im Rheinland, haben wir mit einem veränderten Konzept Anfang diesen Jahres auf die Heraus­forderungen reagiert. Seit dem hat sich das Angebot zur
Lehrerfortbildung in der Pädagogischen Akademie der GEE verändert. Neben angebotenen Fortbildungen in Tagungsstätten zu denen sich einzelne Lehrerinnen und
Lehrer anmelden, bieten wir zunehmend solche Fortbildungen an, die in der Schule
stattfinden und sich an das Kollegium wenden.
Auch unsere Veröffentlichungen und Programme haben ein anderes Gesicht bekommen. Ins­gesamt waren die Rückmeldungen darauf positiv, einzelne kritische
Anmerkungen werden wir bedenken. Die Zeitschrift ERZIEHEN HEUTE wird ab
der nächsten Ausgabe auch dem neuen Bild angepasst werden.
Einige haben bedauert, dass die Möglichkeiten für Mitglieder der GEE, die nicht
mehr im Dienst sind, an Tagungen teilzunehmen reduziert wurde. Das ist so, hat
aber überhaupt nichts mit mangelnder Wertschätzung oder Undankbarkeit gegenüber langjährigen Mitgliedern zu tun. Vielmehr erhalten wir die Mittel vom Land
NRW und der Kirche, um Lehrerfortbildungen anzubieten, die für den Beruf weiter
qualifizieren. Darüber hinaus enthält unser Angebot eine Reihe von Veranstaltungen,
die offen für alle sind. Viele Mitglieder schreiben uns, dass ihnen die Fortbildungen
in ihrer aktiven beruflichen Phase persönlich und fachlich wichtige Impulse gegeben haben. Für viele ist das Grund genug, die GEE auch in ihrem Ruhestand weiter
zu unterstützen. Dafür danken wir besonders.
So danken wir allen, die der GEE die Treue halten, uns solidarisch und kritisch
unterstützen.
Den Mitgliedern der GEE und den Leserinnen und Lesern von ERZIEHEN HEUTE
wünschen wir gesegnete Weihnachtstage und ein behütetes neues Jahr.
Friedhelm Polaschegg
Bernd Giese
Vorsitzender
Geschäftsführer
Nachrichten aus der gee