Diesseits in Afrika - Gabriele Maria Gerlach
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Diesseits in Afrika - Gabriele Maria Gerlach
TEXT GABRIELE MARIA GERLACH FOTO HENRIK JORDAN PORTRÄT Diesseits in AFR IKA Wächst die Wüste? Wissenschaftlerin Hannelore Kußerow kartographiert in der Sahelzone A ls Kind wollte Hannelore Kußerow entweder in die Antarktis, nach Afrika oder ins Weltall. Es wurde Afrika. Dort, wo das Land flach, weit und trocken ist, wo nur wenige Sträucher und Gehölze den kargen Boden durchbrechen. Und dennoch, wer aus Norden kommend die Wüste Sahara durchquert hat, wird das Land nicht als kahle Ödnis betrachten. Seit jeher heißt dieses Gebiet im Arabischen Sahel, was so viel wie Ufer oder Küste bedeutet. Und seit über drei Jahrzehnten misst und kartographiert Hannelore Kußerow in dieser Übergangszone, sie reist immer wieder nach Mali, Niger, Burkina Faso, nach Mauretanien, in den Sudan und in den Tschad. »Es ist Land, in dem die Menschen von Ackerbau und Viehzucht leben, in dem sie auf das, was wächst, angewiesen sind«, sagt sie. Eine Verschiebung der Vegetationsgrenzen hätte gravierende Auswirkungen. Doch die ist im Gange, Hannelore Kußerow belegt es wissenschaftlich. Mit anderen Worten: Die Sahara dehnt sich aus, tritt hier und da über die Ufer, der Sahel wandert nach Süden. »Ground Truth« nennt sich in der Kartographie das, was sie macht. Gut übersetzen lässt sich der Begriff nicht, aber dass sie die Wahrheit am Boden sucht, trifft es ziemlich gut. »Sicher, es gibt SatelliJUNI 2013 | DAS MAGAZIN tenbilder, aber genauen Aufschluss bringt oft erst der Gang ins Gelände«, erklärt die 59-Jährige in ihrem Münchner Arbeitszimmer. Es hat schräge Decken, um sie herum stapeln sich Papier und Kisten, überall liegen Luftbilder, Karten und Bücher. »Ich bin ein Trockensavannenmensch, ich fühle mich in weiten, kargen Regionen zu Hause«, sagt sie. Ist sie vor Ort, registriert sie die Vegetationsarten, vor allem Gehölze, erfasst Schädigungen, welche Arten absterben oder abgeholzt werden und macht Fotos. Sie interviewt mit Hilfe ihrer Begleiter auch die Bauern vor Ort, die oft nur einheimische Sprachen sprechen. Sie fragt, wie die Ernte war und ob sich in den letzten Jahren etwas verändert hat. Hat sie ein bisschen mehr Zeit, fragt sie die ganz Alten, wie es vor einigen Jahrzehnten war. »Die Antworten sind fast immer die gleichen. Die Menschen erzählen, dass sie nicht so weit laufen mussten, um Feuerholz zu suchen. Einige haben mir sogar noch von Löwen berichtet«, erzählt Kußerow. Zweimal ist sie länger in einem Dorf, und als sie und ihr Kollege die Zelte abbrechen, kauft sie eine Ziege und lädt das ganze Dorf ein. Mit scharfen Gewürzen zubereitet, werden Tomaten und Zwiebeln dazu gereicht. Mehr gibt das Land meist nicht her. Momentan ist an Reisen nicht zu denken. »Viel zu gefährlich«, so Kußerow. Ihr aktueller Plan, ein Schulungsvorhaben in Darfur, liegt auf Eis; Schreibtischarbeit gibt es genug. Zeit, all das auszuwerten, was sie zuvor recherchiert hat. Je nach Projekt steckt sie ein Quadrat ab, oft 10 x 10 Meter, und nimmt die Vegetation im Detail auf. Bis auf die Gräser bestimmt sie fast alle Gehölze selbst. Ist sie unsicher, konserviert sie ein Stück Ast mit ein paar Blättern in einem Pflanzenherbar und befragt einen Spezialisten vom Botanischen Garten in Berlin. »Heute sind die Projekte oft zu kurz und die Mittel zu knapp, früher habe ich mehr Pflanzen aus Mali, Niger oder Burkina nach Deutschland ausgeflogen.« Nur im Sudan gab es dafür nie eine Genehmigung. Als sie letztes Jahr im Mai dort ist, nimmt sie eine Gesteinsprobe. Ein Handstück, wie es im Fachjargon heißt, etwa faustgroß und von einem Urlaubsmitbringsel eigentlich nicht zu unterscheiden. Sie ist schon im Bus auf dem Rollfeld des Flughafens, als sie herausgeholt 57 PORTRÄT und kurz verhört wird. Den Stein muss sie wegen der nicht vorhandenen Genehmigung wieder aushändigen. Lachend erinnert sie sich: »Ich wurde nur deshalb so spät ausfindig gemacht, weil sie nach einem Mann suchten.« Sie hat kurze, graue Haare, vielleicht deshalb. * Am liebsten würde sie die Gehölzsituation des gesamten Sahel aufnehmen, würde errechnen, wie lange das Holz noch reichen wird. Im Westen geht es vor allem um Akazien, zum Beispiel Faidherbia albida, den Gaobaum, einen der wichtigsten Nutzbäume; im Osten (Sudan) um den Acacia senegal (Hashab), er produziert das begehrte Gummi arabicum, auch der Baobab steht auf ihrer Liste. Kußerow er zählt von Millionen Menschen, die Holz zu Hütten und Zäunen verbauen, die es aber vor allem zum Kochen benötigen. »Für die Sahelier ist es Tradition und ein Zeichen der Gastfreundschaft, dass sie tagsüber und jeden Abend über viele Stunden hinweg warmes Essen für Familien angehörige und Gäste anbieten«, berichtet sie. Ressourcenschutzprojekte sind nötig, es gibt zu wenige bisher. »Mit der Ausdehnung der Sahara Sie registriert genau, wie die Afrikaforschung zunehmend an Bedeutung verliert. Auch unter Kollegen. Viele wenden sich der Boomregion Asien zu. werden sich Konflikte nach Süden verlagern.« Hannelore Kußerow meint die Wanderungsbewegungen, die Flüchtlinge, die sich zuspitzenden politischen und religiös motivierten Konflikte. Ihre Arbeit und das Thema bedeuten ihr viel, sie redet schnell und begeistert. Seit Ende der 1990er Jahre versucht sie, das Interesse auf die Lage in der Region, besonders in Darfur, zu lenken. Sie kontaktiert Journalisten und Politiker, organisiert Fotoausstellungen und Vorträge in Bonn, Karlsruhe und Berlin. »Die Region sei nicht im Fokus, war die häufigste Antwort, die ich erhielt«, sagt Kußerow. Sie registriert genau, wie die Afrika forschung zunehmend an Bedeutung verliert, wie der Afrika-Schwerpunkt zum Beispiel an der FU FOTOS: ARCHIV HANNELORE KUßOW Region Tahoua, mittlerer Niger: angestautes Wasser für den Anbau von Tomaten und Zwiebeln 58 DAS MAGAZIN | JUNI 2013 Hannelore Kußerow mit Helfern vor Ort. Letztes Jahr erlebte sie Rebellenbeschüsse Berlin zurückgefahren und die Stelle von Professor List, ihrem einstigen Mentor, nach dessen Emeritierung nicht wieder besetzt wird. Noch heute ist sie ihm dankbar, denn durch sein Forschungs projekt reiste sie 1985 erstmals nach Mali. Bis heute diskutieren sie ihre Themen, auch wenn sie nicht immer einer Meinung sind, List hält sie in Bezug auf ihre Arbeit und die damit verbundenen Reisen für mutiger als manchen Kollegen. Kußerow bedauert, dass es immer weniger, vor allem weniger junge Experten gibt, die auf diesem Gebiet forschen. In dem aktuellen Darfur-Projekt ist sie mit 59 die Jüngste im Team, obwohl es international besetzt ist. »Aber die Chance, bald wieder vor Ort zu sein, ist ohnehin nicht groß«, so Kußerow. Viel hat sich verändert dort. »Bis 1989 konnten wir noch in Feldbetten unter freiem Himmel übernachten. Als ich einmal für drei Monate nach Mali kam und ein Auto von Kollegen per Flugzeug von dort nach Paris transportiert werden sollte, hatte ich 15 000 Mark Bargeld bei mir und fühlte mich absolut sicher«, erinnert sie sich. Meist wird sie nur von ihrem Chauffeur begleitet, manchmal gibt es zwei bis drei afrikanische Projektmitarbeiter, selten ist jemand von einer Entwicklungsorganisation dabei. Die Wissenschaftlerin legt die RouJUNI 2013 | DAS MAGAZIN ten fest und weiß genau, wo sie hin will. Aber sie weiß auch, ohne Fahrer, der sich mit den Pisten vor Ort und den lokalen Gegebenheiten auskennt, käme sie keine zehn Kilometer weit. Deshalb ist sie vorsichtig, weitet ihren Aktionsradius nur allmählich aus. Sie übernachten meist in einfachsten Gäste häu sern oder Hotels in Siedlungen. Doch sie spürte in den letzten Jahren, wie sich die Lage verschärft. Als potenzielles Opfer von Entführungen sieht sie sich dennoch lange nicht. »Die passieren entweder per Zufall oder sind lange geplant. Ich tauche auf und bin kurz darauf schon wieder weg«, meint Kußerow. Sie verlässt sich oft auf ihr Bauchgefühl. Einmal, erinnert sie sich, während des Tuareg-Aufstandes 1991, als sie nur wenige Kilometer von der Front entfernt waren, sagte ihr Chauffeur, er habe Angst. Da brach sie die Reise sofort ab. »Manchmal muss der wissenschaftliche Ehrgeiz zurückstecken«, sagt sie. In der folgenden Nacht wurde das Dorf, das sie verlassen hatten, zerstört. I hre Ruhe und Bestimmtheit habe wohl mit der Familiengeschichte zu tun, erklärt Hannelore Kußerow. »Mein Vater überlebte beide Weltkriege, und seine Hinterlassenschaft ist vielleicht die, dass er überlebt hat. Womöglich bin ich 59 Bei Bauern in Äthiopien kaufte sie eine alte Holzplastik. Die steht jetzt als Wächter in ihrem Münchner Zuhause. Nur sie darf die Figur berühren. deswegen so angstfrei in die Sahelregion aufgebrochen.« Als sie 1954 in Berlin geboren wird, ist ihr Vater schon knapp sechzig, die Mutter Ende dreißig. Ihr Vater ist als Instrumentenbauer ein angesehener Mann. Die Tochter ermutigt er, mit ihrem Leben anzufangen, was sie wolle. Anders die Mutter, die gelernte Stenotypistin ist. Sie ist ängstlicher, traut der Tochter wenig zu. Es ist der Vater, an den sie sich hält. Sie ist sehr früh sehr reif, motiviert sich in allem selbst, verlässt sich oft auf ihre Intuition, lernt, sich als Frau allein durchzuboxen. 1974 schreibt sie sich als eine von wenigen Frauen im Fach Geologie an der FU Berlin ein, diplomiert in Geologie und Biologie. Nach dem Studium arbeitet Kußerow zunächst an Projekten für die Deutsche Forschungsgemeinschaft in Mali und Niger. Meistens sucht sie sich die Projekte selbst, nimmt dafür ein Leben zwischen halben Stellen an der Uni und Arbeitslosig keit in Kauf. Ihre einzige befristete Vollzeitstelle hat sie von 1993 bis 1997 an der FU Berlin. »Es war die einzige Zeit in meinem Leben fast ohne Geld sor gen«, erinnert sie sich. 1994 promoviert sie in Biogeografie. Thema ist wieder die Vegetation in Mali. Ende der 1990er Jahre werden die bewilligten Projektzeiten zunehmend kürzer. Dennoch bleibt sie ihrem Forschungsgebiet treu, wechselt nicht, wie etliche andere, in die Boomregion Asien. »Das mag arrogant sein, denn finanziell gesehen zahle ich dafür einen hohen Preis. Aber der ist es mir wert«, sagt Kußerow. Sie beginnt zu publizieren, hält Vorträge und übernimmt mehr Lehraufträge. 2005 habilitiert sie und arbeitet heute regelmäßig als Privatdozentin an der FU Berlin und der Universität Bayreuth. * Kußerow sagt, der Mann an ihrer Seite muss ihr Afrika-Faible aushalten. Sie hat so einen gefunden, 60 seit 1987 ist sie mit ihm zusammen. Er akzeptiert, dass sie oft für Wochen allein in zum Teil gefährlichen Gegenden unterwegs ist. Das ist keineswegs selbstverständlich, sie kennt andere Beispiele. Ob sie ihm von heiklen Situationen erzählt? »Nicht immer gleich«, gibt sie zu. Im Erdgeschoss ihres Münchner Zuhauses steht eine afrikanische Holzfigur. Eine Figur der Konso, Ackerbauern aus dem südlichen Äthiopien. Hannelore Kußerow nennt sie ihren Wächter, die Figur gebe ihr Kraft und Energie. Kein Möbelpacker darf sie anfassen, nur Kußerow zieht mit ihr um. Privat hält die Wüstenforscherin möglichst alle Aufregung von sich fern. Sie hat ein ausgeprägtes Interesse für Kunst, Malerei, Archäologie und Geschichte. Ihr Haus ist vollgepackt mit Kunst- und rituellen Gegenständen, nicht nur aus Afrika. Sie braucht auch hier einen weiten Blick. Sie wohnt am Münchner Stadtrand. W as in Mali passiert ist, hat sie kommen se hen: »Die Region ist geprägt von Selbstversorgungswirtschaft, wenig Indus trie, einer extrem hohen Analphabetenrate, schlechten Ausbildungsbedingungen und höchsten Geburtenraten. Dann gibt es die zum Teil willkürlich gezogenen Grenzen und daraus resultierende Konflikte, Korruption und eine zunehmende Radikalisierung der Gesellschaft. Wir können uns den Themen der hohen Gebur ten raten, die auch eine Strategie der Islamisten sind, dem Ressourcenverbrauch und der zunehmenden Migration nicht verschließen«, sagt Kußerow, verweist aber auch an die Eigenverantwortung der Sahelier, die ihr in manchen Bereichen fehlt. Am Ende wird auch der Zugang zu den natürlichen Ressourcen Wasser und Holz für die Region entscheidend sein, ist sie sich sicher. * Heute benötigt sie unzählige Papiere, bevor sie für ihr aktuelles Projekt nach Darfur reisen kann. Vor Ort meldet sie sich bei der Polizei ständig an und ab, selbst kleinste Strecken werden mit dem Hubschrauber zurückgelegt. »Alles andere ist zu unsicher«, sagt Kußerow. Letztes Jahr erlebte sie Rebellenbeschüsse, einmal Granateneinschläge nur ein paar Kilometer weit weg. Sie hofft sehr, dass sie bald wieder in die Region reisen kann. ! DAS MAGAZIN | JUNI 2013