Das Auf und Ab der Bräunung

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Das Auf und Ab der Bräunung
Ayurveda Journal 40 – Dezember 2013
Ayurvedische Teekultur
Autor und © Copyright: Ralph Steuernagel
„Man trinkt Tee, damit man den Lärm der Welt vergisst“, sagte einst der
chinesische Philosoph Tien Yi Heng.
Tee ist weit mehr als ein heißes Getränk mit Geschmack. In vielen Kulturen ist sein
Konsum in gesellschaftliche Rituale eingebettet – die bekanntesten unter ihnen
sind die Zeremonien aus China und Japan, in denen detaillierte Regeln unter
höchster Achtsamkeit zu befolgen sind. Aber auch in Nordeuropa haben sich
Teekulturen entwickelt – so ist der „Afternoon Tea“ fester Bestandteil der britischen
Etikette und die „Teetied“ Ausdruck ostfriesischer Geselligkeit. In Frankreich werden
Teesorten aus allen Ländern in den berühmten „Salons de thé“ serviert.
Seit der Öffnung des Westens für östliche Kulturen und Medizinsysteme haben v.a.
Grüntee und Kräutertees ganzjährig Hochkonjunktur. In Bioläden und
Reformhäusern werden Teepackungen meterlange Regale gewidmet,
zunehmend auch unter der Bezeichnung „ayurvedischer Kräutertee“.
Kleine Teekunde
Im engeren Sinne wird unter dem Namen „Tee“ ein Heißwasseraufguss der
Teepflanze Camellia sinensis verstanden. Traditionell wurden hierfür frisch
geerntete Teeblätter verwendet. Aufgrund der geringen Haltbarkeit entwickelte
man unterschiedliche Verfahren der Trocknung und Grade der Oxidation.
Heute werden primär 6 Teearten unterschieden, die alle der gleichen
Stammpflanze entspringen:
 Grüner Tee – keine Oxidation (unfermentiert)
 Weißer Tee – keine Oxidation (unfermentiert)
 Gelber Tee – minimale Oxidation (teilfermentiert)
 Oolong Tee – teilweise Oxidation (halbfermentiert)
 Schwarzer Tee – komplette Oxidation (fermentiert)
 Pu-Erh-Tee – spezieller Reifungsprozess mit mikrobieller Fermentation
Tee enthält bis zu 5% des Alkaloides Koffein, das im Kaffee nur zu etwa 1%
vorkommt. Durch die stärkere Verdünnung im Tee ist dessen Wirkung allerdings
abgeschwächt. Dennoch kann der hohe Konsum zu Nebenwirkungen führen, die
wir in der letzten Ausgabe zum Thema Kaffee ausführlich beschrieben haben.
Gesundheitliche Vorteile werden seit Jahren den unfermentierten Blättern
zugeschrieben und wissenschaftlich anerkannt. Sie enthalten eine Reihe
pharmakologisch aktiver Substanzen zum Schutz von Blutgefäßen, zur Abwehr von
Mikroorganismen, zur Normalisierung der Blutfette und des Blutzuckers und zur
Prävention von neurodegenerativen Erkrankungen. Japanische Forscher konnten
in Langzeitstudien beweisen, dass Teetrinker eine um 15-20% niedrigere Sterberate
an Herz-Kreislauferkrankungen und Schlaganfällen aufwiesen als Nicht-Teetrinker –
vorausgesetzt, man trank mindestens 3-5 Tassen täglich und führte auch sonst ein
gesundes Leben.
Aus ayurvedischer Sicht ist unfermentierter Tee geschmacklich herb und bitter und
weist die Eigenschaften trocken, leicht, kühl und beweglich auf. Er wirkt Kapha und
Pitta senkend, erhöht aber Vata. Daher sollten Menschen mit nervlichen
Beschwerden, Schlafstörungen und Trockenheitsproblemen den Konsum stark
einschränken oder besser meiden. Pitta Konstitutionen können v.a. im Sommer
Grün- oder Weißtee mit einem Teelöffel Sharkara Rohrzucker süßen und damit
innere Hitze kühlen. Kapha Konstitutionen vertragen die größten Mengen, sollten
aber auf jegliche Süßung verzichten.
Fermentierte Produkte werden im Ayurveda kritisch betrachtet, da sie zu
Reizzuständen des Blutes und damit der Begünstigung von Entzündungen führen
können (Raktadushti). Deshalb sollte den nicht- oder halbfermentierten Teesorten
der Vorzug gegeben und der Konsum von Schwarz- und Pu-Erh-Tee eingeschränkt
werden.
Die größten Teeproduzenten weltweit sind China und Indien. Auch das
flächenmäßig kleine Sri Lanka ist ein bedeutender Exporteur seines berühmten
„Ceylon Tea“. In Indien werden der kräftige Assam aus dem Osten und der zarte
Darjeeling aus den Südhängen des Himalaya unterschieden.
Wer erstmalig Indien besucht, wird eines nie vergessen: den einzigartigen
Geschmack von Chai, genauer gesagt Masala Chai (Gewürztee), der an jeder
Straßenecke auf Rollwägen professionell zubereitet wird. Seine Rezeptur variiert je
nach Region, die Grundzutaten sind Wasser, Kuhmilch, Rohrzucker, Schwarztee,
frischer Ingwer, Kardamomkapseln, Nelken und häufig eine scharfe MasalaPulvermischung. Viele Inder trinken davon mehr als 10 kleine Tassen täglich, so dass
für zeremonielle Handlungen wie in Fernost keine Zeit bleibt. Man genießt ihn
einfach. Masala Chai ist keine ayurvedische, sondern eine indische Rezeptur!
Ayurvedischer wird sie als reiner Gewürztee durch Weglassen des Schwarztees.
Tee aus Kräutern, Früchten und Gewürzen
Im erweiterten Sinne wird der Begriff Tee in den deutschsprachigen Ländern auch
auf das Überbrühen unterschiedlicher Pflanzenteile von Kräutern, Gewürzen und
Früchten angewandt. In Frankreich und Spanien nennt man diese Infusion.
Die heilkundliche Anwendung von Pflanzen in Indien und China reicht in das 6.
Jahrtausend v.C. zurück – zum Vergleich: die Teepflanze Camellia sinensis ist erst
seit dem 18. Jahrhundert n.C. bekannt.
Der griechische Arzt Galenos von Pergamon (129-201 n.C.) verfasste ein
vielbändiges Werk über damals bekannte Heilpflanzen (Drogen) mit detaillierten
Zubereitungsanweisungen, die als „galenische Zubereitungen“ bis heute ihre
Anwendung finden. Hierbei handelt es sich um 3 wässrige Auszüge von
Einzeldrogen oder Drogengemischen:
 Infusum = Aufguss der Droge(n) mit siedendem Wasser
 Decoctum = Abkochung und damit gezielte Konzentration
 Macerat = Kaltwasserauszug
Im traditionellen Ayurveda zählen diese drei Zubereitungen zu Kashaya, den
wässrigen Extraktionsverfahren.
Die Wahl der Zubereitung hängt vom verwendeten Pflanzenteil und den
erwünschten Inhaltsstoffen ab:
 Blätter, Blüten und Kräuter werden zumeist sanft als Infusum zubereitet.
 Hölzer, Rinden und Wurzeln werden vorwiegend abgekocht, um deren
Wirkstoffe besser lösen zu können.
 Schleimstoffhaltige Drogen werden häufig in Kaltwasser zum Quellen angesetzt.
Für einen Teeaufguss werden grob geschnittene, getrocknete Kräuter und Früchte
verwendet. Die Menge je Tasse variiert von 1 TL bis 1 EL, die mit 150ml siedendem
Wasser übergossen werden. Nach 5-10 Minuten des Ziehens unter geschlossenem
Deckel wird der Tee durch ein Sieb filtriert und schlückchenweise getrunken.
Eine Unterart stellt das Überbrühen pflanzlicher Pulver (Churna) dar, die nicht filtriert
werden müssen und komplett eingenommen werden können.
Ein Dekokt wird im Ayurveda nach einer klassischen Formel zubereitet: 1 Teil Droge
(= 25 Gramm) wird mit 16 Teilen Wasser (= 400ml) auf ¼ (=100ml) eingekocht, die
Dauer beträgt 20-25 Minuten. Das Filtrat wird 2x täglich mit je 50ml getrunken. Von
Genuss kann hier allerdings keine Rede sein, es handelt sich um ein starkes
Konzentrat mit ausgeprägter medizinischer Wirkung. Mildere Formen der Dekokte
werden nur 5-10 Minuten geköchelt und sind dann angenehmer zu trinken.
Für ein Mazerat wird die Droge mit 150ml kaltem Wasser angesetzt und nach 1-2
Stunden, in manchen Fällen auch erst nach einer Nacht, filtriert.
Die Bedeutung von Tee im Ayurveda
Der Mensch ist ein Warmblüter. Sein Körper setzt sich aus den 5 Elementen Erde,
Wasser, Feuer, Luft und Raum zusammen. Das Element Feuer ist für den Erhalt der
Körpertemperatur zuständig und regelt alle wärmeabhängigen Verdauungs- und
Stoffwechselprozesse. Ohne diese Funktion sind wir nicht überlebensfähig.
Die Balance der 5 Elemente muss täglich durch die Aufnahme zuträglicher
Nahrung und Getränke, regelrechte Ausscheidung von Abfallprodukten (z.B. Kot,
Urin, Schweiß) und die harmonische Lebensführung (v.a. Wechsel von Ruhe und
Aktivität) aufrecht erhalten werden.
Aus ayurvedischer Sicht ernähren sich viele Menschen schlichtweg zu kalt.
Der hohe Konsum von eisgekühlten Getränken, Joghurt und Milchprodukten,
Smoothies und Salatplatten führt zur Abnahme des heißen Feuer- und einer
Zunahme des kalten Wasserelementes. In der Folge können sich unter anderem
Verdauungsprobleme, Schleimerkrankungen und Müdigkeit entwickeln.
Bild: Skala
----------------------------------------------------------------------------------------------Kalt
kühl
neutral
warm
tiefwarm
heiß
Die Stärkung des Feuerelementes kann durch den Einsatz wärmender Gewürze
(z.B. Ingwer, Pfeffer, Kümmel) und Zubereitungsarten (kochen, dünsten, dämpfen,
braten, grillen, rösten) sowie heiße Getränke erzielt werden.
Ayurveda empfiehlt Kapha-Konstitutionen den Konsum heißer und tiefwarmer
Getränke. Vata-Konstitutionen sollten sich zwischen warm und tiefwarm bewegen,
um einer zu starken Trocknung vorzubeugen. Für Pitta-Konstitutionen eignen sich
neutrale bis warme Temperaturen. Kühle und kalte Flüssigkeiten kommen nur
therapeutisch in Ausnahmefällen zum Einsatz.
Nebst der Temperatur kommt es im Ayurveda auf die richtige Auswahl der
Inhaltsstoffe an. Der Einsatz von Süßholz oder Ingwer macht einen Tee nicht gleich
zum Ayurveda-Tee. Substanzen werden nach Ihren Eigenschaften als erhitzend
oder kühlend, trocknend oder befeuchtend, leicht machend oder erschwerend
sowie beruhigend oder anregend eingestuft. In Teemischungen sollte eine klare
Strategie erkennbar sein – Kombinationen zu gleichen Teilen aus heißem Ingwer
und kalter Süßholzwurzel oder trockenem Grüntee mit befeuchteder Eibischwurzel
ergeben keinen Sinn und werden als unzuträglich angesehen. Man kann sehr wohl
eine intensive Wirkung durch ihr Gegenteil ausgleichen, dann aber in
unterschiedlichen Mischungsverhältnissen: 4 Teile Ingwer mit 1 Teil Süßholz ist
ayurvedisch intelligent.
Vata-Pitta-Kapha Tee – was bedeutet das?
Störungen entstehen nach ayurvedischer Vorstellung durch ein Ungleichgewicht
von Eigenschaften, die den drei Prinzipien Vata, Pitta und Kapha zugeordnet
werden. In diesem Zusammenhang wird von einer „Erhöhung“ oder „Aggravation“
eines Dosha gesprochen. Um dieses zu korrigieren, gleicht man die jeweils erhöhte
Eigenschaft durch ihr Gegenteil aus. Ist beispielsweise die Trockenheit erhöht, so
liegt eine Vata-Störung vor. Korrigiert wird diese durch Einnahme befeuchtender
Pflanzen wie Süßholwurzel.
Ein „Vata-Tee“ beinhaltet Substanzen, die erhöhtes Vata senken. Er sollte
wärmend, befeuchtend, stabilisierend und beruhigend wirken. Die kühlen,
trockenen, stabilisierenden und beruhigenden Pflanzen in einem „Pitta-Tee“
senken das erhöhte Pitta. Der „Kapha-Tee“ wird mit erhitzenden, trocknenden,
leichten und anregenden Substanzen zusammengestellt und senkt hohes Kapha.
Nun ist es wenig sinnvoll, alle gegensätzlichen Eigenschaften der Dosha in jeweils
einem einzigen Tee zusammen zu bringen. Das würde einer Breitbandtherapie
entsprechen, in der man alle Probleme abdecken möchte, aber keines richtig
anspricht. Daher sollte der Schwerpunkt einer Teemischung auf 1-2 Eigenschaften
liegen, die man behandeln möchte.
Beispiele für traditionelle Rezepturen aus Indien
 Dashamula
- eine Mischung aus 10 Wurzeln zur Stärkung und Stabilisierung von Vata
- Zubereitung: als konzentrierter Dekokt nach klassischer Formel (s.o.) mit der
Einnahme von 2x 50ml täglich, als milder Dekokt mit 1 EL auf 250ml Wasser 5
Minuten bei mittlerer Flamme geköchelt
 Triphala
- eine Mischung aus den 3 Früchten Amalaki, Bibhitaka und Haritaki
- Triphala gilt als eine der balanciertesten Rezepturen im Ayurveda, die alle
drei Dosha harmonisiert, die Verdauung reguliert und alle drei
Körperregionen (Brustraum, mittlerer und unterer Bauchraum) anspricht
- Zubereitung: 1 TL der pulverisierten Mischung (Triphala Churna) mit 150ml
heißem Wasser überrühen und tiefwarm trinken
 Trikatu
- eine scharfe Gewürzmischung aus Ingwer, Schwarzpfeffer und Langpfeffer
- Trikatu wirkt erhitzend, fördert die Verdauung und reduziert Schleim aus den
Atemwegen – somit ist es vorbeugend und akut bei Erkältungsinfekten mit
Schleimbeteiligung geeignet
- Trikatu senkt Kapha und wärmt Vata, ist allerdings bei hohem Pitta und
gereizten Schleimhäuten aufgrund seiner Schärfe ungeeignet
- Zubereitung: ½ TL der pulverisierten Mischung (Trikatu Churna) mit 150ml
heißem Wasser überbrühen, auf ca. 70 Grad abkühlen lassen, dann einen TL
Thymianhonig (zur Kapha-Senkung) oder Sharkara (bei Vata-Problemen)
beimengen und direkt genießen
 Sariva
- die Wurzel von Hemidesmus indicus, in Sri Lanka traditionell Iramusu genannt
- gilt im Ayurveda als kühlend, blutreinigend und entzündungshemmend und
wird bei Hauterkrankungen, Atemwegsbeschwerden,
Menstruationsproblemen und in der Kinderheilkunde verwendet
- Sariva senkt alle drei Dosha und kann auch kurweise getrunken werden
- Zubereitung: 1 TL des Wurzelpulvers (Sariva Churna) mit 1 Liter Wasser 6-8
Minuten bei mittlerer Flamme köcheln, dann 2 Minuten nachziehenlassen
und in eine Thermoskanne ausgießen
Ayurvedische Rezepturen mit einheimischen Pflanzen
Die Verfügbarkeit indischer Heilpflanzen in Europa ist begrenzt.
Ayurvedische Individualrezepturen lassen sich daher viel besser mit einheimischen
Pflanzen erstellen. Nachfolgend finden Sie je zwei Beispiele für einen Vata-, einen
Pitta- und einen Kapha-Tee. Sollten Sie unter gesundheitlichen Beschwerden
leiden, fragen Sie vor Anwendung Ihren Arzt oder kundigen Therapeuten.
 Vata-Tee zur Wärmung und Beruhigung
Melissenblätter 3 Teile
Lavendelblüten 2 Teile
Baldrianwurzel 1 Teil
 Vata-Tee zur Stärkung und Befeuchtung
Eibischwurzel 3 Teile (Althaeae radix)
Lindenblüten 2 Teile (Tiliae flores)
Taigawurzel 2 Teile (Eleutherococci radix)
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

Pitta-Tee zur Kühlung und Beruhigung
Birkenblätter (Betulae folium) 1 Teil
Passionsblume (Passiflorae herba) 1 Teil
Fenchelfrüchte (Foeniculi fructus) 1 Teil
Pitta-Tee zur Entzündungshemmung
Stiefmütterchenkraut (Viola tricoloris herba) 1 Teil
Weidenrinde (Salicis cortex) 1 Teil
Süßholzwurzel (Liquiritiae radix) 1 Teil
Kapha-Tee zur Gewichtsreduktion
Brennesselkraut (Urticae herba) 3 Teile
Artischockenblätter (Cynarae folium) 2 Teile
Galgantwurzel (Galangae rhizoma) 1 Teil
Kapha-Tee zur Schleimreduktion
Thymiankraut (Thymi herba) 4 Teile
Eukalyptusblätter (Eucalypti folium) 2 Teile
Süßholzwurzel (Liquiritiae radix) 1 Teil
Auf den Zweck kommt es an
Tee als Getränkealternative soll schmecken, muss aber nicht unbedingt wirken.
Hierfür kommen v.a. Früchtetees zum Einsatz, oft gepaart mit milden Kräutern.
Diesen dienen dazu, den täglichen Flüssigkeitsbedarf kalorienarm zu decken.
Heiltees sollen wirken, müssen daher aber nicht immer schmecken. Die stärksten
Heilpflanzen sind meist bitter und herb. Wenn es Ihnen zu bitter wird, denken Sie an
ein altes chinesisches Sprichwort: „Bitterer Tee, mit Wohlwollen dargeboten,
schmeckt süßer als Tee, den man mit saurer Miene reicht.“