5. Dezember Der Kauz – eine Geschichte von Hans Hentschel
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5. Dezember Der Kauz – eine Geschichte von Hans Hentschel
5. Dezember Der Kauz – eine Geschichte von Hans Hentschel Theda und Harm Engel wohnen wo sie wohnen. Da wohnen sie schon lange. Vor siebenundsechzig Jahren ist Theda in dem Haus geboren und vor dreiundvierzig Jahren ist Harm eingezogen. Ein Mal in der Woche gehen die beiden in die Kirche, ein Mal in der Woche besuchen sie ihren Sohn drei Dörfer weiter, ein Mal in der Woche fahren sie zur Tochter, die zwei kleine Kinder hat und ein Mal in der Woche schlendern sie gemeinsam durch die Fußgängerzone, trinken einen Tee in der gemütlichen Teestube, sitzen auf der Bank vorm großen Kaufhaus, gucken sich Leute an. Da fällt ihnen in der Fußgängerzone bereits im Sommer der kräftige, ältliche Mann auf. Insgesamt sieht er etwas ungepflegt aus. Seine blanken Füße stecken in abgenutzten Birkenstock – Sandalen, die dreiviertel kurze Hose ist einfach abgeschnitten, franst zehn Zentimeter über den Waden aus, dem langärmeligen Hemd sind die Ärmel hochgekrempelt, ein wuschiger grauer Bart umgibt das runde, gar nicht mal unsympatische Gesicht und die für einen Mann seines Alters viel zu langen Haare werden von einer Baseball-Cap auf den Kopf gepresst. Der Mann – ein freundliches Lächeln im Gesicht als würde er dafür bezahlt – nicht viel größer als Harm aber bestimmt fünfundzwanzig Kilo mehr – trägt einen Plastikeimer mit einem Deckel drauf – war mal Senf drin – im Deckel ein deutlich herausgeschnittener Schlitz – und hält ein Schild hoch. Besenstiel mit Pappe. Steht drauf in Riesen-Edding-Lettern: ‚Eine kleine Freude für jemanden, der darauf wartet’ Bisschen weiter unten am Besenstiel ein kleines Pappstück, geschnitten wie ein Pfeil, der auf den Eimer weist. Eng darauf geschrieben: ‚Danke! Merci! Gott vergelt’s! Djekuje! Thank You!’ Jeden Tag steht der Mann in der Fußgängerzone. Bei Regen unter einem Sonnenschirm mit Coca Cola Reklame. Ein Pappschild sagt: ‚Dieser Regenschutz ist ein Geschenk der Firma Feinkost Janssen.’ Theda hat seit dem Sommer dem Mann immer wieder mal was in den Senfeimer geworfen. Mal fünfzig Cent, mal ein Euro, mal zwei Euro und als sie für Harm diese beiden neuen Hemden für den Preis von einem bekommen hatte, da hat sie sogar fünf Euro rein geworfen. Der Dank war ein Sonnenscheinlächeln des ältlichen Mannes, als ob er nur dafür bezahlt worden wäre, ein Nicken und der merkwürdige Dank ‚Gut gemacht. Sie sind eine gute Frau’. Das hatten Theda und Harm bei ihrem Beobachtungssitzen auf der Bank vor dem Kaufhaus schon hundert Mal gesehen und gehört. Immer wenn jemand ein Geldstück in den Senfeimer warf, war das Sonnenscheinlächeln da und dieser denkwürdige Satz ‚Gut gemacht. Sie sind ein guter Mann!’ ‚Gut gemacht. Sie sind eine gute Frau!’ Und jedes Mal wenn Theda etwas durch den Schlitz warf, dann schlich sich das Sonnenscheinlächeln und das Lob durch Thedas Augen und Ohren direkt in ihr Herz und tat ihr gut. ‚Manche geben dem Kauz,’ – so nennt Harm den Fußgängerzonen-Mann - ... ‚Manche geben dem Kauz nur Geld fürs Lächeln und fürs Loben. Wahrscheinlich sammelt der für sich selbst,’ nimmt Harm an. ‚Eine kleine Freude für jemanden, der darauf wartet. Wahrscheinlich bereitet der sich die Freude.’ Theda zuckt mit den Schultern. ‚Ist doch egal, oder ...!?’ Am 6. Dezember – es nieselt aber Theda und Harm sitzen auf ihrer Fußgängerzonenbeobachtungsbank – ist der Kauz nicht da. Harm wundert sich ein wenig, dass ihn das eigentlich stört. Unter dem Sonnenschirm von Coca Cola – Geschenk der Firma Feinkost Janssen – steht ein anderer. Schwarze Stiefel, hochglanzpoliert, rote Hose, rote Jacke, mit weißem Fell umnäht, rote Zipfelmütze, grauer Bart, lange graue Haare, rundes freundliches Gesicht, ein Lächeln als müsste man dafür bezahlen. Und unter dem Sonnenschirm ein gewaltiger Haufen fröhlich bunter, kleiner Päckchen. An jedem Päckchen ein kleiner Anhänger, am vertrauten Besenstiel ein Schild – RiesenLetter-Edding beschrieben - ‚Eine Portion Freude für jemanden, der darauf wartet.’ Bisschen weiter unten am Besenstiel ein kleines Pappstück, geschnitten wie ein Pfeil ‚Bedien dich, guter Mensch.’ Theda und Harm wissen nicht so recht, was sie davon halten sollen. Die Leute gehen vorbei. Manche gucken und lesen und der Kauz nickt ihnen auffordernd zu, aber niemand nimmt sich eines der kleinen bunten Päckchen. ‚So was macht man ja auch nicht,’ nickt Theda Harm zu und der sagt: ‚Wetten, dass in den nächsten fünf Minuten jemand doch eins nimmt.’ ‚Wette gilt,’ schlägt Theda ein. Manchmal wetten die beiden. Ohne Einsatz, einfach so. Harm schaut auf die Uhr. Ein kleines Mädchen hat sich vom Kinderwagen losgerissen, in dem die Mutter ein Geschwister-chen spazieren fährt. ‚Kann ich so eins haben?’ fragt es den Kauz unter dem Coca Cola Schirm. Der lächelt sein Sonnen-scheinlächeln, gibt dem Kind eines der Päckchen und sagt: ‚Gut gemacht. Gutes Kind!’ Das Mädchen läuft weiter. Die Mutter zuckt entschuldigend mit den Schultern. Harm sagt: ‚Sie dürfen sich auch eins nehmen!’ Die Mutter murmelt unverständliche Worte, geht weiter. Das kleine Mädchen sagt: ‚Was da wohl drin ist?’ Theda antwortet flüsternd: ‚Eine Portion Freude für jemanden, der darauf wartet.’ Dann geht sie hin und holt sich auch ein Päckchen. Sonnenscheinlächeln. ‚Gut gemacht. Sie sind eine gute Frau.’ Harm fragt: ‚Und was sind Sie?’ Der Kauz zupft sich am Bart, streicht sein rotes Oberteil zurecht, lächelt herzerwärmend Sonnenschein, greift sich eines der Päckchen, hält es Harm hin und sagt: ‚Sagen wir ... der Nikolaus.!