Röbke: Für Elise
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Röbke: Für Elise
24 Thema „Für Elise“ ist das vielleicht beliebteste Stück der leichteren Klavierliteratur. Da hier wohl kein elementares Bewegungsbedürfnis – wie etwa im „Flohwalzer“ – befriedigt wird und auch außermusikalische Für Elise Assoziationen kaum eine Rolle spielen – wer hätte sich je Gedanken Potenzial des Stücks selbst ist, das die immer wieder erneuerte Anmerkungen zu einem der populärsten Stücke Beethovens Zuneigung auslöst. Peter Röbke über die Person „Elise“ und Beethovens vermeintliches Verhältnis zu ihr gemacht 1 –, liegt die Vermutung nahe, dass es das musikalische Das Lieblingsstück Für Elise wird wohl schlicht auch ein „gutes“ Stück sein. Aber das, was in der Faktur liegt – einer Faktur, die gut durchgearbeitet ist, in der das Detail sich zwanglos ins Ganze fügt und in der Einheit in der Mannigfaltigkeit herrscht –, diese strukturell bewältigte Dichte und Komplexität berührt sich zugleich mit komplexen affektiven Bedürfnissen von Spielenden und Hörenden: Musikalische Logik konvergiert mit PsychoLogik. Wenn – nach Schönbergs Wort – Analyse bedeutet, die Geschichte eines Themas zu erzählen, so sollen im Folgenden drei Geschichten erzählt werden: in einem Duktus, der die musikalische Struktur (also die Form) immer auch auf die affektive Situation (Schiller hätte gesagt: den „Stoff“) bezieht. Ich berichte also vom – letztlich scheiternden – Versuch, sich von einer fixen Idee zu lösen (hier kommen vor allem melodische und harmonische Aspekte ins Spiel), ich beschreibe Beethovens Umgang mit Verunsicherung und Geborgenheit (hier wird von der Metrik die Rede sein), ich erzähle vom Gegensatz zwischen freiem Schwingen und insistierendem Bohren, aber auch von Klarheit und Unklarheit der Bewegungen (hier geht es um satztechnische Fragen). Und schon jetzt deutet sich an, dass Für Elise wohl deshalb ein gutes Stück ist, weil es diese Polaritäten zugleich ausleuchtet und zusammenhält. I. DIE FIXE IDEE Wenn das Klavierstück mit jenen seltsam leeren und tiefen A-Oktaven endet, kommt es einem manchmal so vor, als klänge noch ein e nach, jener Ton, um dem sich in Für Elise so vieles dreht, dass man ihn für den eigentlichen Zentralton des Stücks halten könnte: Die Folge e-dis-e-dis-e ist nicht nur der Ausgangspunkt, sondern das geheime melodische Zentrum; und Beethoven kommt so konsequent immer wieder auf den Quintton in a-Moll zurück, dass dieser wie eine fixe Idee wirkt.2 Der A-Teil des Stücks geht auf das e in zwei verschiedenen Anläufen zu, gleichzeitig erscheint es in zweierlei Arten harmonischer Beleuchtung: als schon erwähnter Quintton und als Terz der parallelen Durtonart. Einerseits wird das e über die untere chromatische Nebennote auf eine im Wortsinn penetrante, das heißt „bedrängende“ und „eindringende“ Art angesteuert, andererseits steuert Beethoven den Zielton in einem entspannten Quartzug an. Man streife durch das Stück, um festzustellen, in wie vielen Gestalten der Ton erreicht, umspielt, bekräftigt oder fixiert wird! [ Schon jetzt deutet sich an, dass „Für Elise“ wohl deshalb ein gutes Stück ist, weil es Polaritäten zugleich ausleuchtet und zusammenhält. ] Betrachten wir die Ausgestaltung der „Idée fixe“ in verschiedenen Phasen des Stücks: Im B-Teil in F-Dur, dem Gegenklang der Tonika, zielt der etwas hymnische Aufschwung auf den Vorhalt e-d in Takt 24, das e ist durchaus hervorgehoben, gibt jedoch den harmonischen Notwendigkeiten nach. Aber nur drei Takte später ist es mit dem melodischen Ausschwingen schon wieder vorbei und der monomanische Zug über dis zum e dringt wieder durch (Takt 27): Schon hier könnte das Stück zur Moll-Tonika zurückkehren, erreicht jedoch durchaus überraschend die Parallele C-Dur. Und wieder ist in der virtuosen Seitwärtsbewegung der rechten Hand das nunmehr als Durterz beleuchtete e das Ziel, bis schließlich jenes „nervtötende“ chromatische Bedrängen des Zentraltons einsetzt, das wir vom Anfang her kennen. Der C-Teil steht wieder in a-Moll mit dessen Grundton als Orgelpunkt. Ein akkordgestützter melodischer Zug führt natürlich auf den Quintton hin, aber in der Wiederholung tritt in Takt 70 das meiner Empfindung nach größte Ereignis des kleinen Stücks ein: In der neapolitanischen Wendung nach B-Dur ist f nun nicht mehr die obere Wechselnote des e, die Macht des Zentraltons ist für einen wunderschönen, aber leider nur sehr kurzen Moment gebrochen; und das es in Takt 71 zeigt gewis- üben&musizieren 5 11 sermaßen die enharmonische Befreiung vom penetranten dis an! Aber, wie gesagt: Der Leitton gis in Takt 73 beendet diesen Augenblick des Durchbruchs und der Befreiung und führt in die alte Fesselungslogik zurück (und es schließen sich die seltsam spannungslosen Triolen an). II. VERUNSICHERUNG UND GEBORGENHEIT In der melodischen Idee ist das In-der-Luft-Hängen angelegt, eine Verunsicherung sowohl in Bezug auf die Grundtonart des Stücks (es könnte ja auch in e-Moll stehen) als auch in Bezug auf die Metrik: Kann die Figur für sich stehen oder ist sie durchweg nur als Auftakt zu verstehen? Dass Beethoven die linke Hand erst im zweiten Takt einsetzen lässt, tut ein Übriges, um die Gewichtsverhältnisse zu verunklaren, denn vom erwartbaren Schema her wäre natürlich der erste von vier 3/8-Takten als schwer zu nehmen, der zweite als leicht, der dritte als weniger schwer und der vierte als ganz leicht. Diese Norm ließe nach einem Auftakt von zwei Sechzehnteln einen gewichtigen ersten Takt erwarten, der Verzicht auf den Bass im ersten Takt und das Einsetzen der tonikalen Begleitung im zweiten verschiebt jedoch im konkreten Fall die Betonung (die erwartbare und die reale musikalische Situation überlagern sich in unserer Wahrnehmung) – mit dem Ergebnis, dass bei der Wiederholung des ersten Achttakters dann ein „regelwidriger“ Siebentakter entsteht! Nach dem Doppelstrich rückt Beethoven die Verhältnisse gerade: Die harmonische Stufenfolge III-VII-I-V stellt das Viertaktschema klar und lässt uns ins Schema hineinfallen. Um so eingreifender ist aber dann die Operation, mit der uns der Komponist die soeben gewonnene Empfindungssicherheit entzieht: kein gefügter Tonsatz mehr, sondern melodische Mikrozellen, hochschießende Oktaven, das dis-e-Pendeln … Der Verlust an Orientierung führt nicht nur im Schülervorspiel dazu, dass gern ein dis-e zu viel gespielt wird, auch fortgeschrittene Pia- nistInnen sind oft für einen Moment im Zweifel, wann die Reprise denn nun wirklich einsetzt. Dieses Spiel mit metrischer Verunsicherung und Bestätigung, ein Spiel, das auch davon genährt wird, dass sich die ständigen Dreitonfolgen in Melodie und Begleitung am 3/8-Takt reiben und eine hemiolische Spannung erzeugen, dieses Spiel wiederholt sich nicht nur in beiden tongetreuen Wiederholungen des A-Teils, es prägt auch jeweils die Übergänge in diese Wiederholungen: In die erste Wiederholung hinein (Takt 34 f.) wiederholt sich das Spiel mit den melodischen Mikrozellen und der Auflösung des Satzes, in die zweite hinein (Takt 76 f.) führt ein unserer Periodik-Erwartung entgegenstehender Sechstakter (und weiterhin wären auch noch Verschachtelungen von Perioden zu erwähnen, also nicht nur ein Nacheinander, sondern auch ein Übereinander von Abschnitten). III. FLUSS UND STÖRUNG Jetzt muss jeder Leser, jede Leserin dieser Zeilen die eigene Spielerfahrung mobilisieren, damit das Folgende nicht nur verstehbar, sondern auch fühlbar wird … Am Klavier sitzend stellen sich für mich jedenfalls die Bewegungsformen, die der Tonsatz herbeiruft, folgendermaßen dar: Im zweiten Takt stoße ich mich ab und eine sanfte Wellenbewegung treibt mich nach rechts hinaus (weniger fließend wäre diese Welle, wenn Beethoven – wie in einer 1822 begonnenen Überarbeitung von Für Elise, die aber nie zu einer neuen Fassung führte, angedacht – die linke Hand erst auf „und“ hätte beginnen lassen). Ab Takt 9 antwortet gewissermaßen die Bewegung der rechten auf die der linken Hand mit der Gegenrichtung; an die Stelle des einen rechtsgerichteten Schwungs tritt ein Hin-und-her-Pendeln. Den B-Teil empfinde ich in Bezug auf die Bewegungsimpulse als fokussierter; ich bleibe sozusagen an Ort und Stelle, will mich allenfalls beim Gang zur Subdominante vorlehnen und in dominantischen Takten von hin- Thema 25 26 Thema ten her Anlauf nehmen, also: nicht rechts und links, sondern vor und zurück. Wenn auch der C-Teil auf den jeweils vierten Takt hin drängt (und beim zweiten Mal auf den „Durchbruch“): Die Repetitionen der linken Hand halten mich fest, an die Stelle von Fließen und Pendeln tritt hier Hämmern, Bohren, Insistieren, der Zug nach unten. Aber das alles ist nur die halbe Wahrheit: Legt mir einerseits das Stück eindeutige und der melodischen Idee und den metrischen Experimenten durchaus korrespondierende Bewegungsrichtungen nahe – rechts und links, nach vorn und nach hinten, nach unten und nach oben –, so gibt es doch immer wieder gezielt herbeigeführte Phasen der motorischen Verunsicherung, Momente des Taumelns und Stolperns, Abschnitte der körperlichen Irritation, die das anschließende „groovige“3 Hineinfallen in die Bewegungsmuster um so lustvoller machen. IV. … UND A-MOLL? Gleich ob „Albumblatt“, „Klavierstück“ oder „Bagatelle“ – Bezeichnungen, die von verschiedenen Herausgebern dem Stück angeheftet wurden: Dieses Stück steht wahrhaftig in a-Moll und zwar deshalb, weil in allen Ausweichungen zum Gegenklang, zur Parallele oder zum Neapolitaner immer der Drang zur Rückkehr nach der Ausgangstonart spürbar ist. Und wenn nun auch Beethoven dieses Stück in einer Zeit komponierte, in der aufgrund der gleichtönigen Stimmung akustisch kein materieller Unterschied mehr zwischen den Tonarten auszumachen war: Die alte, zuvor auf realen klanglichen Unterschieden gegründete Tonartencharakteristik wirkt nach. Und sicher wird man sowohl Schubarts Tonartencharakteristik aus dem Jahr 1806 zitieren dürfen als auch eine entsprechende Passage aus E. T. A. Hoffmanns Kreisleriana von 1815. sik eine Tonart, die selten gebraucht wird (vielleicht, weil sich damit Ungewöhnliches sagen lässt?). Man denke nur an den sparsamen Gebrauch von a-Moll bei Mozart (keine Sinfonie, kein Quartett), aber die eine hämmernde Klaviersonate KV 310 und das enigmatische, chromatisch umherschweifende Rondo KV 511; man denke an den zurückhaltenden Gebrauch bei Beethoven: auch hier keine der 32 Klaviersonaten in dieser Tonart (nur eine Bagatelle in op. 119), keine Sinfonie, nur das späte Quartett op. 132 und die Violinsonate op. 23. 1 Das Nachdenken über die Widmungsträgerin kann man getrost der historischen Musikwissenschaft überlassen. Ludwig Nohl entdeckte das Stück, das er im Jahr 1867 veröffentlichte, zwei Jahre zuvor bei Babette Bredl in München, deren Sohn die Musikalien von Therese von Malfatti geerbt hatte, jener Frau, die Beethoven um 1810, also in jenem Jahr, in dem auch das Klavierstück entstand, heiraten wollte. Nohl transkribierte aus dem Autograf Für Elise, Max Unger aber vermutete 1923, dass die Transkription fehlerhaft sein könne und das Stück in Wahrheit Für Therese heiße. 2010 dann legte der BeethovenForscher Klaus Martin Kopitz eine Studie vor, in der er den Nachweis versuchte, dass das Stück Elisabeth Röckel, der späteren Frau Johann Nepomuk Hummels, zugeeignet sei (Beethoven, Elisabeth Röckel und das Albumblatt „Für Elise“, Köln 2010). Kopitz’ Ansatz wurde aber wenig später vom Wiener Musikwissenschaftler Michael Lorenz energisch bestritten („Die enttarnte Elise“: Elisabeth Röckels kurze Karriere als Beethovens „Elise“; vgl. den spannenden Forschungsbericht http://homepage.univie.ac.at/michael.lorenz/beethovens_elise). 2 Meinem Wiener Kollegen Alfred Litschauer verdanke ich den Hinweis auf die Sonate D-Dur K 436, L 109 von Domenico Scarlatti, in der sich – vor dem Erreichen des dominantischen Teils – ein ähnlich auffälliges und das Metrum außer Kraft setzendes Spiel mit den Tönen dis und e findet. 3 „Groove“ bedeutet wörtlich „Furche“ oder „Rinne“. 4 Christian Friedrich Daniel Schubart: Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst (Wien 1806), Leipzig 1977, S. 284. [ A-Moll ist bei den Großen der Wiener Klassik eine Tonart, die selten gebraucht wird – vielleicht, weil sich damit Ungewöhnliches sagen lässt? ] Nach Schubart eignet sich a-Moll für den Ausdruck „frommer Weiblichkeit und Weichheit des Charakters“;4 Hoffmann fantasiert über ein Stück in der nämlichen Tonart mit den Worten: „Warum fliehst du, holdes Mädchen? Vermagst du es denn, da dich überall unsichtbare Bande festhalten? Du weißt es nicht zu sagen, nicht zu klagen, was sich so in deine Brust gelegt hat wie ein nagender Schmerz und dich doch mit süßer Lust durchbebt? Aber alles wirst du wissen, wenn ich mit dir rede, mit dir kose in der Geistersprache, die ich zu sprechen vermag und die du so wohl verstehst!“ Das berührt sich auf schöne Weise mit der Widmung des Stücks und der Elise/Therese-Frage. Aber wichtiger scheint mir: a-Moll ist bei den Großen der Wiener Klas- Dr. Peter Röbke ist Professor für Instrumental- und Gesangspädagogik an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien.