Silicium: Der Stoff, der eine neue Welt erschuf

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Silicium: Der Stoff, der eine neue Welt erschuf
Münchner Wissenschaftstage
"Silicium: Der Stoff, der eine neue Welt erschuf"
von Joachim W. Binder, Infineon Technologies AG
Es gab schon Zeiten, da prägte das vorherrschende Material einer Epoche ihren Namen;
man denke an Steinzeit oder Bronzezeit. Gemäß dieser Konvention müßte die Zeit ab der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eigentlich Siliciumzeit heißen. Denn kein anderes
Material hat unser modernes Leben mehr beeinflußt und verändert als dieses chemische
Element mit den bemerkenswerten, halbleitenden Eigenschaften.
Aber fangen wir ganz am Anfang an, bei seiner Entdeckung. Das war im Jahre 1824, als kein
geringerer als der schwedische Starchemiker Jöns Jakob Berzelius einen Versuch
durchführte, bei dem er Siliciumtetrafluorid mit Kalium erhitzte. Die Reaktionsprodukte wusch
er ausgiebig mit Wasser und erhielt eine Substanz, bei der es sich um amorphes
Siliciumpulver handelte (lat. silicis = Kiesel; lat. silex = Kieselstein).
Daß Silicium verhältnismäßig spät entdeckt wurde verwundert umso mehr als es nach
Sauerstoff das zweithäufigste Element der Erdkruste ist. Silicium ist am Aufbau der
Erdkruste zu 27,8 Gewichtsprozenten beteiligt. Es kommt
natürlicherweise nicht elementar vor. Seine wichtigsten natürlichen
Erscheinungsformen sind Siliciumdioxid und Silikate. Die
Erscheinungsformen der Silicium-Mineralien sind äußerst vielfältig.
Siliciumdioxid bespielsweise tritt je nach Reinheit und Kristallhabitus in
Form von Sand, Quarz, Bergkristall, Kiesel und Feuerstein sowie als
Halbedelstein bzw. Edelstein Achat, Jaspis und Opal auf. Siliciumdioxid
ist darüber hinaus Bestandteil von Gesteinsarten wie Granit oder Gneis.
Jöns Jakob Berzelius
 20. Aug 1779 in Väversunda Sörgard (bei Linköping), Schweden
g 7. Aug 1848 in Stockholm, Schweden
Daß Quarzsand zur Herstellung von Glas benötigt wird, war zu Beginn des 19 Jahrhunderts
längst bekannt. Nur wußte niemand, daß dieser Sand aus Silicium und Sauerstoff besteht.
Und so überrascht es vielleicht auch heute noch zu erfahren, daß wir beim Blick durch eine
Fensterscheibe zwischen Siliciumatomen hindurchschauen.
Bevor wir zur Entdeckung der sonderbaren Eigenschaften von Silicium kommen, wollen wir
noch ein weiteres Element erwähnen, das mit Silicium chemisch verwandt ist: Germanium.
Am 06. Februar 1886 isolierte Clemens Alexander Winkler, ein deutsche Chemiker und
Mineraloge, bei der Analyse des Minerals Argyrodit das chemische Element Germanium.
Dieses Mineral wurde in der Bergbaugrube Himmelsfürst in Langenau (Sachsen) gefunden.
Zu Ehren des Fundortes gab Winkler dem Element den Namen Germanium. Germanium ist
das 52.-häufigste Element der Erdkruste (0,0002%).
Die Entdeckung von Germanium war deshalb von überwältigender
Bedeutung, füllte es doch eine Lücke in dem von Julius Lothar Meyer und
Dimitrij Ivanowitsch Mendelejev 1860 aufgestellten Periodensystem der
Elemente. Mendelejev sagte für dieses noch zu entdeckende Element die
chemischen und physikalischen Eigenschaften voraus. Germanium
bestätigte diese Voraussagen und verhalf damit dem Periodensystem mit
seiner systematischen Anordnung der chemischen Elemente endgültig
zum Durchbruch.
Clemens Alexander Winkler
 26. Dezember 1823 in Freiberg (Sachsen)
g 08. Oktober 1904 in Dresden
Julius Lothar Meyer
 19. August 1830 in Varel (Oldenburg)
g 11. April 1895 in Tübingen
 08. Februar 1834 in Tobolsk (Sibirien)
g 02. Februar 1907 in St. Petersburg
Es bedurfte genauester Beobachtung der Forscher und vieler − teilweise zufälliger −
Entdeckungen bis klar wurde, daß es bei Silicium und Germanium auf die exakte Anordnung
der Atome im Kristallgitter und auf höchste Reinheit
ankommt, wollte man die besonderen elektrischen
Eigenschaften nutzen. Silicium und Germanium liegen
in der vierten Hauptgruppe des Periodensystems, und
damit zwischen den Leitern und Nichtleitern. Diese
wenigen, als Halbleiter bezeichneten Elemente,
zeichnen sich dadurch aus, daß ihre elektrische
Leitfähigkeit durch den Grad der Verunreinigung durch
Fremdatome gezielt gesteuert werden kann. Man
werde sich dieses Sachverhalts bewußt: Durch nichts
lassen sich Kupfer, Aluminium oder Gold in ihrer
Eigenschaft als exzellente Leiter beeinflussen. Sie
leiten immer hervorragend. Umgekehrt lassen sich
Keramik oder Glas unter keinen Umständen in einen
Leiter verwandeln. Darum werden sie ja so gerne als
Isolatoren eingesetzt. Und nun erscheinen Silicium und
Germanium auf den Labortischen, die durch gezielte
Verunreinigung − man nennt das Dotierung − in ihrer
Leitfähigkeit manipuliert werden können. Die Dotierstoffe liegen links und rechts unserer
Halbleiter im Periodensystem: es sind überlicherweise Bor und Phosphor.
John Bardeen
 23. Mai 1908 in Madison, USA
g 30. Januar 1991 in Boston, USA
Der entscheidende Durchbruch bei der Suche nach neuen,
halbleiterbasierten elektronischen Bauelementen gelang drei Amerikanern
kurz vor Weihnachten 1947. Die Physiker John Bardeen, Walter Houser
und William Shockley entdeckten in ihrem Versuchsaufbau einen
physikalischen Effekt, den sie "gesteuerten oder übertragenen Widerstand",
oder englisch "transfer resistor" (= transistor), nannten. Vom Labormuster
zur Serienreife vergingen nochmals zehn Jahre; ab 1957 lief der Transistor
als elektronisches Bauteil massenhaft vom Band. Die drei Physiker
erhielten 1956 gemeinsam den Nobelpreis.
Walter Houser Brattain
 10. Februar 1902 in Amoy, China
g 13. Oktober 1987 in Seattle, USA
Der sensationelle Erfolg dieses Bauteils, das zu Beginn vor allem die große
und stromfressende Vakuumröhre ersetzte, zeigte sich unter anderem darin,
daß es namensgebend für das gesamte Gerät wurde, in das es eingebaut
wurde: das Transistorradio war der letzte Schrei der 1960er Jahre. Heute
käme niemand mehr auf die Idee, von einem Transistor-DVD-Player oder
einem Transistor-Handy zu sprechen. Viel zu viele Milliarden von Chips mit
jeweils zig Millionen von Transistoren sind inzwischen produziert worden
um damit noch verkaufsfördernd werden zu können.
William Bradford Shockley
 13. Februar 1910 in London
g 12. August 1989 Palo Alto, CA, USA
In den Anfängen der Halbleiterei war Germanium vor Silicium das vorherrschende
Halbleitermaterial. Es war damals einfacher, Germanium in hoher Reinheit zu gewinnen als
Silicium. Erst die weiteren Fortschritte in der Kristallzüchtung führten dazu, daß das weiter
verbreitete Silicium in höherer Reinheit und damit kostengünstiger herzustellen war als
Germanium. Bis Ende der 1950er Jahre war der Weltmarktanteil an Germanium-Transistoren
größer als jener bei Silicium. Wäre die dann eingetretene Wende nicht gekommen, hieße die
Gegend zwischen San Francisco und San Jose heute Germanium Valley. So aber wurde
das Silicon Valley zum Inbegriff des technologischen Brutkastens Amerikas.
Der nächste bahnbrechende Schritt war die Erfindung des integrierten Schaltkreises (engl.
integrated circuit; abgekürtzt IC). Ein IC ist nichts anderes als die
Zusammenfassung verschiedener elementarer elektronischer
Komponenten auf einem Chip. Zu diesen Komponenten zählen die
besprochenen Transistoren, aber auch die traditionellen Bauteile wie
Widerstand und Kondensator. Und natürlich die Verbindungen zwischen
denselbigen. Diese Idee, nämlich die Implementierung von Widerständen,
Kondensatoren und Tranistoren sowie deren Verdrahtung untereinander
auf ein und demselben Stück Halbleitermaterial, hatten unabhängig
voneinander 1957 Robert Noyce und Jack Kilby.
Jack St. Clair Kilby
 1923 in Great Bend, Kansas, USA
Ein fast zehn Jahre dauernder Patentstreit würdigte 1967 beide Forscher
zu gleichen Teilen als die Erfinder des Integrierten Schaltkreises. Im
Jahre 2000 erhielt Jack Kilby dafür den Physik-Nobelpreis. Zu spät kam
diese Ehrung für Robert Noyce; er starb am 03. Juni 1990 in seinem
Swimmingpool in Austin, Texas, an Herzversagen.
Robert C. Noyce
 12. Dezember 1927 in Denmark, Iowa, USA
g 3. Juni 1990 in Austin, Texas, USA
Die Erfindung des ICs öffnete die Tür zu einer beispiellosen Entwicklung in der Industrie- und
Wirtschaftsgeschichte. Seit Beginn der 1960er Jahre, also seit über 40 Jahren, wächst die
Anzahl der auf einem Chip integrierten Komponenten exponentiell. Mit immer ausgefeilteren
Entwicklungsmethoden und Fertigungsverfahren wurde die Anzahl der Transistoren
inzwischen auf über 100 Millionen Stück pro Chip hochgeschraubt. Als wahre Wunderwerke
der Ingenieurkunst sind diese Bauteile zu betrachten.
Woher kommt diese Steigerung? Sie hat im Wesentlichen drei Quellen: a.) die Strukturen auf
dem Chip werden immer kleiner; b.) die Chips werden immer größer; und c.) die Anordnung
der Komponenten und deren Verdrahtung wird immer effizienter.
Zu a.): Begann man in den 1960er Jahren mit Strukturbreiten von rund 10µm (Mikrometer),
so gelten heute Strukturbreiten von unter 100nm (Nanometer) als Stand der Technik. Das
heißt, daß die Verbindungsleitungen aus Aluminium oder Kupfer nicht breiter als 100nm sind.
Das heißt auch, daß die Regionen, die mit Bor oder Phosphor dotiert werden sollen,
Ausdehnungen von unter 100nm haben.
Zu b.): Mikrochips werden nicht
einzeln gefertigt, sondern zu
hunderten oder gar tausenden
simultan auf einem runden Träger,
dem so genannten Wafer. Die
Fertigung ist umso ökonomischer je
größer die Zahl der auf einem Wafer
platzierten identischen Chips ist.
Daher spielt die Wafergröße eine
entscheidende Rolle. Die Wafer der
60er Jahre maßen noch 1 Zoll =
25,4mm im Durchmesser. Heute
werden 300mm-Wafer prozessiert.
Komplexe Chips sind heute so groß
wie ein ganzer Wafer vor 40 Jahren.
Zu c.): Platzierungs- und
Layoutprogramme laufen rund um
die Uhr auf Hochleistungsrechner,
um die am Platz sparendste
Anordnung der Bauteile und die
kürzesten Verbindungen zwischen
ihnen zu finden. Ohne massiven
Rechnereinsatz und ohne CAD-Software mit den ausgeklügeltsten Algorithmen läßt sich
heute kein Chipdesign mehr durchziehen.
Die seit nunmehr 40 Jahre anhaltende exponentielle Zunahme der Integrationsdichte
gehorcht einer Entwicklung, die allgemein als das "Moore'sche Gesetz" bekannt ist. Es ist
kein Gesetz, aber es wird aufgrund seiner Prognosetauglichkeit als solches bezeichnet.
Namensgeber ist Gordon E. Moore, der 1965 in einer amerikanischen Fachzeitschrift
versuchte, in der Zunahme der Integrationsdichte der ersten ICs, eine gewisse
Regelmäßigkeit zu finden. Eine Verdopplung der Anzahl der Komponenten pro Chip alle 12
Monate konnte er erkennen, und er erwartete dies auch für die nahe
Zukunft. 1975 meldete er sich wieder zu Wort, sah seine vor 10 Jahren
aufgestellte Aussage bestätigt, und glaubte an ein weiteres
exponentielles Wachstum, wenngleich mit einer etwas verminderten
Wachstumsrate. Nämlich nur noch alle 18 Monate erwartete er eine
Verdopplung der Anzahl der Komponenten pro Chip.
Bis in die heutige Zeit dürfte sich die Wachstumsrate weiterhin ein wenig
abgeschwächt haben auf nun rund 20 - 24 Monate.
Gordon E. Moore
 3. Januar 1929 in San Francisco
Die beeindruckende Leistungssteigerung der letzten 40 Jahre zeigt folgender Vergleich: Die
Rechenleistung eines Mobiltelefons übertrifft die Rechenleistung des gesamten
Rechenzentrums der NASA in Houston 1969 während des Apollo 11-Fluges zum Mond.
Platz- und stromfressende Großrechenanlagen früherer Tage tragen wir heute in der
Westentasche spazieren; die einzelnen Chips zum Stückpreis von rund 10 Euro.
Anhand zweier hochkomplexer Chips soll der Stand
der Technik veranschaulicht werden: a.) ein
Mikroprozessor von Intel und b.) ein Speicherchip von
Infineon. Beide sind Standardkomponenten eines
heutigen handelsüblichen PCs.
Zu a.): Der "Pentium 4" ist ein 32-Bit-Prozessor. In der
Version von 2002 (damalige Intel-interne Bezeichnung:
"Northwood") hatte er 42 Millionen Transistoren auf
einer Fläche von 11,3mm x 11,3mm = 127mm2. Seine
Strukturbreite betrug 0,130µm = 130nm. Er war
getaktet mit 2,2GHz, d.h. zwischen zwei steigenden
Flanken des Taktsignals vergehen weniger als 500ps (Pikosekunden). Für die Verdrahtung
waren sechs Ebenen erforderlich: sechs übereinander gestapelte Verdrahtungslagen, die die
Signale von links nach rechts und von oben nach unten auf dem Chip übertragen.
Zu b.): Ein heute gängiger Speicherchip erlaubt die
Speicherung von 512M Bits. Dabei steht "M" für Mega,
was in der Informatik nicht 106, sonder 220 bedeutet. Es
können also exakt 512 x 1'048'576 = 536'870'912 Bits
auf einem solchen Chip gespeichert werden. Damit
lassen sich rund 33 Tausend DIN A4 Seiten speichern
oder etwa 100 Taschenbücher. Rund 1,5m Regalmeter
Text passen auf 80mm2 Siliciumfläche mit einer
Strukturbreite von 110nm.
Weltweit werden im Jahr 2004 Mikrochips auf
Siliciumbasis im Wert von über 200 Milliarden US-Dollar verkauft. Die größten
Abnehmermärkte sind die Unterhaltungselektronik, die Kommunikationstechnik und die
Datenverarbeitung. Militärelektronik und Satellitentechnik haben seit den 1970er Jahren
stark an Bedeutung verloren und spielen praktisch keine Rolle mehr.
Wir leben umgeben von elektronischen Geräten, die ohne Chips nicht funktionieren würden.
Wir leben in der Siliciumzeit.
Literaturhinweise:
•
Hans-Joachim Queisser: ”Kristallene Krisen”
Piper, München Zürich, 1985
•
T. R. Reid: „The Chip“
Random House, New York, 2001
•
Michael Riordan, Lillian Hoddeson: "Crystal Fire - The Invention of the Transistor and the
Birth of the Information Age"
W. W. Norton & Company, 1998
http://nobelprize.org/
Die offizielle Seite der Nobelpreisverleihung.
http://nobelprize.org/physics/educational/semiconductors/index.html
Tutorial über Halbleiter auf der Webseite der Nobelpreisverleihung. Leider nur auf Englisch.