Leseprobe

Transcription

Leseprobe
Meisterinnen des Lichts
Diane Broeckhoven Noëlle Châtelet
Annette Pehnt Alissa Walser
Meisterinnen
des Lichts
Herausgegeben von Ingrid Pfeiffer
Vier Geschichten zu den Impressionistinnen
Berthe Morisot
Mary Cassatt
Eva Gonzalès
Marie Bracquemond
Inhalt
Ingrid Pfeiffer
7
Vier Künstlerinnen, vier Stile, vier Lebensgeschichten von Erfolg und Misserfolg
Alissa Walser
15
Ist ihr Leben, nicht ihr Bild
Berthe Morisot
Diane Broeckhoven
35
Hell-dunkel
Mary Cassatt
Noëlle Châtelet
55
Das Brautkleid
Eva Gonzalès
Annette Pehnt
Wo Weiß ins Violett springt
Marie Bracquemond
73
Ingrid Pfeiffer
Vier Künstlerinnen, vier Stile,
vier Lebensgeschichten
von Erfolg und Misserfolg
Kaum eine andere Epoche der Neuzeit kann als so wichtig für das Selbstverständnis von Frauen angesehen werden wie die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts: Erstmals
in der Geschichte ergriffen bürgerliche Frauen aus eigenem Impuls Berufe außerhalb der Familie, die ihnen
nicht nur ein eigenes Einkommen sichern, sondern vor
allem ihren persönlichen Interessen und Begabungen
entsprechen sollten.
Auch wenn diese vier Erzählungen fiktiv sind, so fußen
die Geschichten doch auf realen Biografien, die exemplarisch für das Schicksal von Künstlerinnen am Beginn
der Moderne stehen. Beschäftigt man sich mit der Kunst
von Frauen aus der Zeit des Impressionismus, so geht es
nicht mehr nur um die gängige Kunstgeschichte, die
Kunst nach den bekannten Stilen, nach Modernität oder
Innovation sowie nach Gruppenbildung und Künstlermanifesten einordnet – viel mehr ist die Geschichte der
Künstlerinnen auch eine Sozialgeschichte, untrennbar
7
verknüpft mit den besonderen Lebensbedingungen von
Frauen vor Gleichberechtigung und Frauenwahlrecht.
Die vier Malerinnen, um die es hier gehen soll – drei
Französinnen und eine Amerikanerin – lebten und arbeiteten hauptsächlich in Paris, der damaligen Kunsthauptstadt Europas. Paris im Zweiten Kaiserreich unter
Napoleon III. war ein Ort, an dem sich die kreativsten
Köpfe der Nation versammelten, von Schriftstellern wie
Charles Baudelaire, Stéphane Mallarmé und Emile Zola
bis zu Vorreitern der Kunst der Moderne wie Eugène Delacroix oder Gustave Courbet. Auf allen Gebieten wurde
diese Stadt zum Symbol des Neuen – vom Bau großer
repräsentativer Boulevards bis zur rasanten Entwicklung von Industrie, Wirtschaft und neuen Handelswegen. Große Weltausstellungen sowie moderne Straßenbeleuchtung machten Paris weltweit berühmt und zum
Inbegriff von Kultur und Modernität. Viele amerikanische Künstler, darunter ein Drittel Frauen, kamen in
der Epoche des Impressionismus zum Studium nach
Paris.
Für Frauen galten jedoch die neuen Angebote des modernen Lebens in Paris nur bedingt: Anders als für ihre berühmteren männlichen Kollegen wie Monet, Manet, Degas, Renoir oder Pissarro blieben für Morisot, Cassatt,
Gonzalès und Bracquemond viele Orte des Alltags verschlossen, denn unverheiratete bürgerliche Frauen durfte das Haus nur in Begleitung verlassen und öffentliche
8 Ingrid Pfeiffer
Cafés, Restaurants und Theater nicht alleine betreten,
wenn sie nicht ihren guten Ruf verlieren wollte. Ihr
Reich war das Haus, der Garten und das familiäre Umfeld, das sich erstmals auch in der Kunst des Impressionismus spiegelt, und zwar sowohl in den Arbeiten der
männlichen wie der weiblichen Künstler. Sehr wichtig
für die Künstlerinnen war außerdem der Louvre, in dem
die Maler und Bildhauer einander beim Kopieren der
Meisterwerke professionell begegnen konnten und wo
ein Austausch mit Gleichgesinnten möglich war.
Bereits bei der Ausbildung galten für begabte Malerinnen oder Bildhauerinnen andere Regeln als für Männer,
denn die Akademie, die staatliche Ecole de Beaux-Arts,
war für Frauen bis 1897 gesperrt. Allerdings gab es schon
früh Malerschulen speziell für Frauen, und einige bekannte Maler nahmen besonders gerne weibliche Schüler in ihre Malklassen auf – allerdings oft gegen die doppelte Gebühr wie für männliche Kollegen. Der Salon, die
große jährliche Ausstellung mit rund 3000 Künstlern,
ließ zwar Frauen grundsätzlich zu – sofern die Jury ihre
Werke als ausstellenswert befand –, doch Medaillen,
Preise und Auszeichnungen, die auch wirtschaftlichen
Erfolg für die Künstler bedeuteten, wurden fast immer
an Männer verliehen.
Da viele Frauen des gehobenen Bürgertums bis zu ihrer
Heirat malten, aquarellierten oder musizierten, blieb
lange Zeit die Grenze zwischen begabten Dilettantinnen
Vier Künstlerinnen 9
und Berufskünstlerinnen fließend. Es gehörte sowohl
ein starkes Durchsetzungsvermögen, als auch eine gewisse Bereitschaft zu persönlichen Opfern dazu, um sich
innerhalb dieser engen Grenzen als Künstlerin zu behaupten. So ist es symptomatisch, dass mit den hier ausgewählten vier Künstlerinnen nicht nur vier Stile und
individuelle künstlerische Handschriften, sondern auch
vier Schicksale vorgestellt werden, allesamt typisch für
Frauen im 19. Jahrhundert: Mary Cassatt, die der Kunst
zuliebe unverheiratet blieb, Eva Gonzalès, die mit nur 34
Jahren kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes starb,
Marie Bracquemond, die von ihrem dominanten Künstler-Ehemann als Konkurrentin betrachtet und so lange
unter Druck gesetzt wurde, bis sie ihre Malerei »für den
Familienfrieden« aufgab. Nur Berthe Morisot hatte das
für jene Epoche seltene Glück, einen Mann zu finden,
der sie auch nach Heirat und Kind in jeder Weise als
Künstlerin ermutigte und bei ihrer Arbeit und ihren
Ausstellungen unterstützte.
Zola hatte von den Künstlern seiner Epoche gefordert,
das »wahre Leben« zu zeigen – so malten Morisot, Cassatt, Gonzalès und Bracquemond in ähnlicher Weise wie
ihre männlichen Kollegen vor allem Alltagsszenen, Porträts, Stillleben und Landschaften. Häufig porträtierten
sie ihre Schwestern oder malten mit ihnen gemeinsam,
manchmal auch den Ehemann oder das Kind im Garten
wie Morisot. Jede von ihnen entwickelte eine eigene
10 Ingrid Pfeiffer
Handschrift, genauso modern und unverwechselbar wie
die ihrer heute viel berühmteren Kollegen.
Während sehr viele andere Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts kaum noch namentlich bekannt sind, ihre
Werke in den Depots der Museen oder in Privatsammlungen auf eine Wiederentdeckung warten, liegt es unter anderem an dem großen Erfolg des Impressionismus,
dass Morisot, Cassatt und Bracquemond – die regelmäßig
bei den berühmten Impressionisten-Ausstellungen beteiligt waren – sowie Gonzalès, die sich wie ihr Lehrer
Manet im engsten Umfeld der Gruppe bewegte, schon zu
ihren Lebzeiten zu Akzeptanz und Erfolg gelangten. Sie
wurden auch von den Zeitgenossen und Kritikern in ihrer Epoche wahrgenommen und beachtet. So schrieb
man über Morisot, sie sei die »impressionistischste unter den Impressionisten«, bei Cassatt lobten viele ihren
kräftig-«männlichen« Stil und ihre unsentimentale Darstellung von Müttern und Kindern. Gonzalès wurde als
Manets hochbegabte Schülerin und exzellente Pastellmalerin gefeiert, während Bracquemond zu den Grandes
Dames des Impressionismus gerechnet wurde.
Dass der Ruhm der männlichen Impressionisten die
weiblichen Kolleginnen viele Jahre lang überstrahlt
hat, liegt unter anderem auch daran, dass die Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert weitgehend von männlichen Kunsthistorikern geschrieben und »erfunden«
wurde: Die Rezeption kennt keine Objektivität, und die
Vier Künstlerinnen 11
Wahrheit liegt auch hier wie so oft im Blick des Betrachters. Erst seitdem neue Forschung in den 1980er-Jahren
die besonderen Bedingungen weiblicher Kunstproduktion beleuchtet hat, sind die Künstlerinnen wieder ins
Blickfeld gerückt. Heute findet man sie in den meisten
Überblickswerken zum Impressionismus, sie werden immer häufiger ausgestellt und bei Auktionen und auf dem
Kunstmarkt hoch gehandelt.
Vier Autorinnen haben sich intuitiv und einfühlsam
den Lebensgeschichten der vier Künstlerinnen angenähert. In der Fiktion kann hier mehr Wahrheit liegen als
in dem einfachen Nacherzählen der Lebensgeschichten,
denn interessanter als pure Fakten ist die Psychologie
dieser Frauen aus einer Epoche, die unsere heutigen Lebensbedingungen geprägt hat und die uns viel näher
liegt, als wir glauben.
12 Ingrid Pfeiffer