DDR-Fußball nicht sozialistisch“

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DDR-Fußball nicht sozialistisch“
LEIBNIZ | SPEKTRUM
„Der
DDR-Fußball
war
nicht sozialistisch“
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Bürger hatte das Recht, einen
Verein zu gründen. Im Osten
hießen die Clubs im Volksmund
zwar ebenfalls „Verein“, waren
aber immer staatlich kontrollierte Körperschaften.
Wie drückte sich diese Kontrolle im Ligabetrieb aus?
Die Partei hatte den Ehrgeiz,
den Fußball über das gesamte
Staatsgebiet der DDR zu verteilen. Da wurde eine Mannschaft wie Empor Lauter aus
Warum ist es so viele Jahre
dem Erzgebirge auf Parteibenach der Wiedervereinigung
fehl nach Rostock ans Meer
noch wichtig, den DDR˜‡”’ϐŽƒœ–ǡ ™‡‹Ž ‡• ‹ ò†‡
Fußball zu erforschen?
schon genug Clubs gab. Auch
Es geht darum, eine Lücke die Spieler konnten in der DDR
zu schließen: Die Fußballge- nicht einfach wechseln, wohin
schichte des Dritten Reichs hat sie wollten. Sie sollten bei der
der DFB bereits aufgearbeitet, Mannschaft bleiben, bei der
nun nimmt man sich der DDR sie ausgebildet wurden. Der
an. Der Ostfußball ist Teil der Spielermarkt war wie in der
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‡•…Š‹…Š–‡Ǣ˜‘”†‡”‡†‡ Planwirtschaft organisiert.
hat er Millionen Ostdeutsche
bewegt. Das hat DFB-Präsi- ”‘–œ†‡™‡…Š•‡Ž–‡”‘ϔ‹•
dent Wolfgang Niersbach er- zu anderen Teams. Thomas
kannt, nachdem er 2012 Theo Doll beispielsweise, der 1986
Zwanziger ablöste.
von Hansa Rostock zum BFC
Jutta Braun
Dynamo Berlin ging.
ist assoziierte Wo liegt der Fokus der
So sozialistisch wie der DDRWissenschaftlerin am Studie?
Fußball sein sollte, war er in
Zentrum für Natürlich geht es um die Auf- Wirklichkeit nicht. Es gab viele
Zeithistorische arbeitung der Repressionen kapitalistische Elemente. EiniForschung Potsdam und Eingriffe durch die Stasi. ge SED-Funktionäre waren so
und Vorsitzende des Aber es geht auch darum, Fuß- etwas wie regionale BezirksBerliner Zentrums ball als Alltags- und Sozialge- fürsten und schmückten sich
deutsche Sportge- schichte zu untersuchen. Wir mit Fußballteams. Der FC Carl•…Š‹…Š–‡Ǥ‹‡„‡ˆƒ••– wollen ergründen, wie er unter Zeiss Jena war auch deshalb so
sich unter anderem den besonderen sozialistischen erfolgreich, weil der Direktor
mit der Gesell- Bedingungen aussah.
des Optik-Betriebs alle möglischaftsgeschichte des
…Š‡ ϐ ‹ƒœ‹‡ŽŽ‡ —† ƒ–‡”‹Fußballs, Sport im Und wie sah er aus?
ellen Mittel besorgen konnte.
Kalten Krieg und der Der Fußball unterlag den An- • ϐŽ‘••‡ ‹ŽŽ‡‰ƒŽ‡ ƒ†‰‡Ž†‡”
’‘Ž‹–‹•…Š‡—•–‹œ‹ weisungen des Zentralkomi- und Prämien an Spieler, die mit
†‡”Ǥ tees der SED. Im Westen gab es dem stillen Einverständnis der
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Funktionäre von einer Mannschaft zur anderen delegiert
wurden. Auf diese Weise zog der
›ƒ‘ǡ–ƒ•‹ǦŽ—„—†‡‘”†‡‹•–‡” †‡” ǡ •›•–‡ƒtisch die talentiertesten Spieler
an Land.
Überwachte die Stasi die Fußballer?
Erfolgreiche Fußballer genossen
Privilegien wie die bevorzugte
Bereitstellung von Wohnungen
oder Autos. Zugleich wurden sie
streng überwacht, um sicher zu
stellen, dass sie nicht „RepublikϐŽ—…Š–Dz„‡‰‡Š‡Ǥ’‹‡Ž‡”™‹‡ƒŽ‘
ږœǡ†‡”‹†‡‡•–‡ϐŽò…Štete und später unter anderem
Hertha BSC trainierte, fanden
nach der Wende detaillierte Pläne und Fotos ihrer neuen Woh-
Fotos: IMAGO (2), privat
25 Jahre nach Mauerfall lässt
der Deutsche Fußball-Bund
(DFB) die Geschichte des DDRFußballs erstmals systematisch aufarbeiten. Jutta Braun
vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam ist
eine der beteiligten Wissenschaftler. Die Historikerin untersucht, wie sozialistisch es
in der DDR-Oberliga wirklich
zuging. Und warum die Nationalmannschaft kaum Erfolge
feierte.
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Deutsch-deutsches Duell: Durch
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die DDR die DFB-Auswahl in der Vor”—†‡†‡”‡Ž–‡‹•–‡”•…Šƒˆ–ͷͿͽͺǤ
nungen in der Bundesrepublik
‹ †‡ –ƒ•‹Ǧ–‡Ǥ ‹‡ ‡ϐŽò…Šteten waren auch hier auf Schritt
und Tritt beobachtet worden.
‹‡Ž‡’‹‡Ž‡™—”†‡ƒŽ•Ƿ˜‡”’ϐ‹ˆfen“ empfunden. Ein Beispiel ist
der „Schand-Elfmeter von Leipzig“: 1986 gab Schiedsrichter
Bernd Stumpf kurz vor Schluss
Gab es Absprachen, die den
einen unberechtigten Strafstoß
Verlauf von Spielen oder Meis- gegen Lokomotive Leipzig und
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Aktenkundig sind sie nicht. so den Ausgleich. Der Volkszorn
”‘–œ†‡ ’ϐ‹ˆˆ‡ †‹‡ …Š‹‡†•- war so groß, dass man Stumpf
richter, von denen einige In- sperren ließ. Auch weil sich SED‘ˆϐ‹œ‹‡ŽŽ‡ ‹–ƒ”„‡‹–‡” †‡” –ƒ•‹ Funktionäre aus Leipzig eingewaren, immer wieder zuguns- schaltet hatten.
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vorauseilender Gehorsam ge- Konnte unter solchen
genüber Erich Mielke, dem Stasi- Bedingungen überhaupt eine
Chef – und Ehren-Vorsitzenden Fankultur entstehen?
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Es gab in der DDR-Oberliga eine
Fankultur, ähnlich der im WesWaren die Fans nicht empört?
ten. Und ähnliche Probleme in
Der Ärger der Anhänger anderer den Stadien: Hooligans und auch
Mannschaften war sogar groß. rechtsradikale Sprüche. Das hätte
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ja eigentlich nicht sein dürfen in
der DDR, die sich als antifaschistischer Staat verstand. Die Fankultur entzog sich zumindest
teilweise der Kontrolle der Stasi.
Besonders der heutige Zweitligist Union Berlin stand unter
Beobachtung.
Man sagte damals: „Nicht jeder
Union-Fan ist Staatsfeind, aber
jeder Staatsfeind ist UnionFan“. Union Berlin galt als Club
der Oppositionellen. Das führte
dazu, dass zahlreiche Fan-Clubs
˜‘†‡”–ƒ•‹‹ϐ‹Ž–”‹‡”–™—”†‡Ǥ
Was befürchtete der Geheimdienst?
Dass sich die Anhänger Unions
mit der oppositionellen Szene
mischen, was teilweise auch
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2014·09 www.udo-bernstein.de
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geschah. Die Unioner wurden
aber vor allem so streng beobachtet, weil sie eine geheime
Fanfreundschaft zu Hertha BSC
‹ ‡•–‡ ‡”Ž‹• ’ϐŽ‡‰–‡Ǥ ‹nige Herthaner kamen zu Union-Spielen über die Grenze. Ein
schönes Kapitel deutsch-deutscher Sportgeschichte. Doch
die Stasi nahm die heimlichen
Treffen der Fan-Lager immer
wieder hoch.
Der DFB war international
früh erfolgreich, der DDRFußball eher bedeutungslos.
Warum?
Die Führung der DDR war stark
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vor allem Sportarten, in denen
eine Person mehrere Medaillen
gewinnen konnte, Schwimmen
oder Leichtathletik beispielsweise. Sportlich besonders talentierte Schüler wurden für solche Disziplinen ausgewählt, die
Und wie standen die Ost-Fans Fußball-Auswahl war auch deszur Bundesliga?
halb nicht so erfolgreich. Bei den
Viele hatten nicht nur ihren ‘Ž›’‹•…Š‡’‹‡Ž‡‰‡™ƒ†‹‡
„‡”Ž‹‰‹•–‡ǡ•‘†‡”ϐ‹‡„‡”–‡ DDR dafür weit mehr Medaillen
auch mit Westclubs mit. Der als die Bundesrepublik.
DDR-Fußball war international
ja nicht so erfolgreich. Deswe- Viele Aktive von damals leben
gen schwärmte man beispiels- noch. Fürchten Sie, sie könnten
weise für Beckenbauer und den Ihre Arbeit behindern?
ƒ›‡”ò…Š‡ǡ†—”ˆ–‡†ƒ• Wir erleben das Gegenteil: Es
melden sich viele ehemalige
aber nicht offen ausleben.
Spieler und Sportjournalisten.
Ich hätte nie gedacht, dass unManche DDR Bürger reisten
sere Arbeit auf so positive Resogar zu Länderspielen des
sonanz stößt. Vielleicht wollen
DFB-Teams, wenn diese im
einige Zeitzeugen aus persönliOstblock stattfanden...
...und die Stasi reiste ihnen hin- chen oder politischen Gründen
terher. Das Regime versuchte trotzdem nicht mit uns sprechen.
Œƒ„‡”‡‹–••‡‹–‹––‡†‡”ͳͻͷͲ‡” Wir werden jedenfalls versuchen,
Jahre mit aller Macht eine ge- so viele Interviews wie möglich
samtdeutsche Identität zu zu führen: mit Stars wie Michakappen. Die Agenten notierten el Ballack, Matthias Sammer
beispielsweise akribisch, wer und Jürgen Sparwasser, der bei
das Spiel der Bundesrepublik der Weltmeisterschaft 1974 das
gegen Polen in Warschau be- Siegtor der DDR gegen die DFBsuchte und wer dort die Fahne Auswahl schoss – aber auch mit
der BRD schwang. Wen sie er- bislang eher unbekannten Spiewischten, der wurde verhaftet, lern und Funktionären, deren
verhört und bestraft. Jungen Geschichten noch nicht erzählt
Fans wurde in einigen Fällen wurden. Wir hoffen, sie sprechen
sogar untersagt, ein Studium mit uns.
INTERV IEW : SIM ON HU FEISE N
aufzunehmen.
DAS GRÖSSTE
KULTURHISTORISCHE
MUSEUM DES
DEUTSCHEN SPRACHRAUMS
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Mielke gratuliert dem späteren DFB-Nationalspieler Thomas Doll zur
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