Queen Victoria and her Age
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Queen Victoria and her Age
Der Ladykiller – Heinrich VIII. Autor: Rainer Nothaft Redaktion: Hildegard Hartmann SPRECHER: Er spielte die Laute und das Virginal, konnte mit schöner Stimme vom Blatt singen und heute würde man den jungen Mann aus dem Hause Tudor wohl einen Singer-songwriter nennen. Seine Lieder komponierte, textete und sang er selbst. Nicht feierlich, ihr Ton war heiter und unbeschwert, die Titel sagen schon alles. SPRECHERIN: Pastime With Good Company – Freie Zeit mit guten Freunden ZITATOR: The Time of Youth, O my Heart – Die Zeit der Jugend, O mein Herz SPRECHERIN: Hunt, Sing, Dance – Jagen, Singen, Tanzen ZITATOR: It´s To Me a Right Great Joy – So recht eine große Freude ist ´s mir SPRECHERIN: Doch trotz einer so entspannten Einstellung zum Leben, die sich hier andeutet – das Schicksal des jungen Mannes ist anders verlaufen. Als liebenswürdiger Troubadour oder als Prince Charming ist Heinrich VIII. jedenfalls nicht in die englische Geschichte und Folklore eingegangen. Sehr ernsthafte Gelehrte nennen ihn schlicht ZITATOR: Das alte Monster SPRECHERIN: Und bemerken, dass selbst Shakespeare in seinem Drama „König Heinrich VIII.“ ZITATOR: Es nicht vermochte, etwas anderes als das Bild eines rohen und tückischen Despoten zu geben. SPRECHER: Und englische Schulkinder lernen bis heute den Vers SPRECHERIN: Divorced – beheaded – died – divorced – beheaded – survives / Geschieden – enthauptet – gestorben - geschieden – enthauptet – überlebt 2 SPRECHER: Um damit Überblick zu behalten über das Schicksal der sechs Frauen, die das Unglück hatten, mit diesem König die Ehe zu schließen. Die beiden Geschiedenen dabei Ehefrau 1, Katharina von Aragon, und Ehefrau 4, Anna von Kleve; das Paar der Geköpften Ehefrau 2 und 5, Anne Boleyn und Catherine Howard; gestorben ist Ehefrau 3, Jane Seymour, und überlebt und den alten König gepflegt hat Ehefrau 6, Catherine Parr. SPRECHERIN: Niemand, außer englischen Schulkindern, der sich das auf Dauer merken kann, zumal dazwischen auch noch Bessie Blount auftaucht ZITATOR: Überaus ansehnlich in blauem Samt und goldener Haube, feine Tänzerin mit hübscher Singstimme und bei den Zerstreuungen des Hofes von niemand übertroffen SPRECHERIN: Und Heinrich VIII. einen Sohn schenkt, sofort mit einem nicht unbeträchtlichen Teil der Adelsprädikate überhäuft, die die Krone zu vergeben hat, ZITATOR: Duke of Richmond zum Beispiel, Lord High Admiral oder Lieutenant-General North of Trent. SPRECHERIN: Nur, so titelgeschmückt Bessie Blounts Sohn auch sein mag, als Thronfolger und Stammhalter der Tudor-Dynastie kommt das Kind eines Hoffräuleins natürlich nicht in Betracht. SPRECHER: Womit wir im Zentrum einer paradoxen Geschichte um Macht und Ehe, Liebe und Tod sind, in der sich Staatsaffäre und Seifenoper manchmal nur schwer trennen lassen: Sie beginnt im November 1501 mit einer Heirat. Auf der einen Seite Katharina, Tochter der mächtigen Königin Isabella von Kastilien und König Ferdinand von Aragon. Auf der anderen Seite Arthur, Sohn Heinrich des VII. und Elisabeths von York, der beiden Begründer des neuen Hauses Tudor, das noch auf sehr wackeligen Füßen steht und sich aus der Verbindung einen Prestigegewinn erhofft. Arthur, Prince of Wales, ist 15 Jahre alt, wirkt aber kindlich und schwach. Ein Eindruck der nicht täuscht: ein viertel Jahr später und Arthur ist tot. Für das Haus Tudor ein ZITATOR: Dynastisches und diplomatisches Desaster SPRECHERIN: Dynastisch, insofern die Thronfolge und damit die Existenz des Hauses Tudor nun nur noch auf den Schultern des 10jährigen Henry ruhte, eine tief beunruhigende Vorstellung angesichts der grausamen Gemetzel, die die englische Geschichte bei unklaren dynastischen Verhältnissen durchziehen. SPRECHER: Diplomatisch, insofern sich die Frage stellte: Wohin mit Katharina von Aragon? Sie nach Spanien heimschicken? Unmöglich. Die Hälfte ihrer Mitgift, 100 000 Pfund, sehr viel Geld damals, waren schon bezahlt. Darüber vergingen einige Jahre. Doch Heinrich VII., in ganz Europa als Geizkragen bekannt, dachte nicht daran, Katharinas Mitgift zurückzuzahlen. © Bayerischer Rundfunk 3 SPRECHERIN: Blieb nur ihre Vermählung mit dem inzwischen fast 18 jährigen Henry. Sie wurde einige Monate nach dem Tod Heinrich VII., am 11. Juni 1509 gefeiert – mit einem päpstlichen Dispens, denn die Frau des Bruders zu heiraten, das war eine theologisch heikle Angelegenheit. Wie heikel, das würde sich für alle Beteiligten, besonders für die katholische Kirche, erst noch herausstellen. SPRECHER: Katharina & Henry müssen ein schönes Paar gewesen sein. Katharina mit ihrem rosigen Teint, dem dicken, rotgold schimmernden Haar und den ebenmäßigen Zügen. Kardinal Thomas More kann nur hingerissen sagen ZITATOR: Ihr fehlt aber auch nichts, was ein schönes Mädchen besitzen sollte. SPRECHER: Und was Katharinas kleine Statur anging, so wurden die fehlenden Inches ausgeglichen durch ZITATOR: Die Grazie ihrer Haltung und ihre tief und volltönend klingende Stimme. SPRECHERIN: Und bei Henry haben sich die Botschafter der europäischen Höfe schier überschlagen, um seine athletische Gestalt und seine fast feminine Schönheit zu beschreiben: ZITATOR: Die Natur hätte ihn nicht reicher segnen können. In hohem Maß schön mit einem Bart wie aus Gold. Ihn Tennis spielen zu sehen ist das Schönste auf der Welt wenn seine helle Haut durchs feine Trikot schimmert. SPRECHERIN: So der venezianische Botschafter Guistinian. Was nicht alles nur Schmeichelei war. Im Tower von London ist Henrys Rüstung erhalten. Sie bestätigt: er war hoch gewachsen und von mächtiger Statur. Mit einem Wort: jeder Zoll ein König. SPRECHER: Denn Körpergröße zählte; und Aussehen war keine Kleinigkeit, sondern Zeichen für Wohlstand, Glück und Fruchtbarkeit. In guter, ja raffinierter Öffentlichkeitsarbeit sandte der König und sein Umkreis viele solcher Signale aus. Das Leben am Hof wird, wie Katharina nach Spanien schreibt ZITATORIN: Ein nicht abreißendes Festefeiern. SPRECHER: Kardinal Thomas More ZITATOR: Dies ist das Ende unserer Sklaverei, der Brunnen unserer Freiheit, das Ende von Traurigkeit und der Anfang der Freude. SPRECHER: Und, aus dem engsten Umkreis von Lordkanzler Thomas Wolsey © Bayerischer Rundfunk 4 ZITATOR: Unser junger und mutiger Prinz und souveräne Herr hat, in die Blüte seiner Jugend eintretend, das Zepter übernommen dieses fruchtbaren und reich gesegneten Königreichs England, nun goldene Welt genannt, wo Gnade waltet. SPRECHER: Jugend und Schönheit erklären nicht alles. Woher also diese Vorfreude auf einen morgenfrischen Neuanfang? Ein Schreckgespenst aus gar nicht so alten Tagen ging um unter den Zeitgenossen. Es hörte auf den Namen War of the Roses, Rosenkriege, und gemeint war damit das vorausgehende 15. Jahrhundert als ein einziges Gemetzel zwischen den Häusern York und Lancaster, beide den englischen Thron beanspruchend, beide mit der Rose im Wappen. In ihrem Zeichen ist das Land arm, die Krone schwach, der Adel bedeutungslos und die Rache zum Gesetz geworden. Erst seit Heinrich VII. herrschte wieder Friede. SPRECHERIN: Dass der Sohn ihn erhalten würde, war die eine Hoffnung; dass er dem aber noch etwas hinzufügen würde, die andere: Heinrich VII. war vor allem der kühle Rechner gewesen, unerschöpflich in seinen Tricks, über immer neue Steuern, Bußgelder und Abgaben Geld für die Krone einzutreiben. Sein Sohn hatte volle Kassen geerbt. Von nun an sollten Engherzigkeit und Geldschneiderei ein Ende haben, die Musen wieder sprechen und largesse, adeliger Großmut und Lebenssinn walten. SPRECHER: So sprach die Hoffnung. Aber in der Wirklichkeit? Sprachen die Musen wieder? Waltete erneut die Großmut? Ach, Henrys erste Amtshandlung zeigt einen anderen Mann. Dazu trocken der britische Historiker Simon Schama: ZITATOR: Heinrich VIII. hielt es für eine herausragende Idee, das erste Jahr seiner Regentschaft dadurch zu feiern, dass er einen Schauprozess gegen die treuen aber unpopulären Minister seines Vaters, Richard Empson und Edmund Dudley, inszenierte und sie hinrichten ließ. SPRECHERIN: Jahre später musste auch Katharina einen ganz unerwarteten Zug an ihrem Mann entdecken: Nachdem sie zwanzig Jahre lang mit ihm in einer meist harmonischen Ehe gelebt und ihm eine Tochter, Mary, geboren hatte, wird der König unvermittelt zu einem zart besaiteten Grübler. Was war geschehen? Immer schon ein frommer, theologisch hoch gebildeter Katholik, war des Königs Blick in der Bibel auf Leviticus 20, 21 gefallen. Dort steht zu lesen ZITATOR: Nimmt jemand das Weib seines Bruders, so ist das etwas Abscheuliches; er hat seines Bruders Blöße enthüllt; sie sollen kinderlos bleiben. SPRECHER: Hier, genau hier, war die Quelle aller Zweifel. Denn war dieses Verbot nicht eindeutig? So eindeutig, dass selbst ein Papst sich nicht mit einem Dispens darüber hinwegsetzen konnte? Und war deshalb die Ehe mit Katharina nicht ungültig von Anfang an? Und war er, Henry, so nicht frei von allen ehelichen Bindungen, berechtigt, eine neue, nun gültige Ehe zu schließen, gesegnet mit das Haus Tudor sichernden Kindern, männlichen natürlich? © Bayerischer Rundfunk 5 SPRECHERIN: So des Königs Gewissensqualen, an denen er die theologische und politische Öffentlichkeit gebührend teilnehmen ließ, dort allerdings meist auf völliges Unverständnis treffend. Denn natürlich wurde nach den Gründen gefragt, warum der König so plötzlich jene Bibelstelle entdeckt habe, die einem theologisch Gebildeten wie ihm so ganz unbekannt nicht gewesen sein dürfte; und warum diese Stelle nach 20 Ehejahren nun auf einmal sein Gewissen so belaste, zumal die Ehe ja keineswegs, wie bei Leviticus angedroht, kinderlos geblieben war. Fragen, auf die es jedoch Antworten gab, Antworten aus dem Bereich der Staatsräson und Antworten aus dem, nun ja, aus dem Bereich königliche Seifenoper. Beginnen wir mit dem Bereich der dynastischen Staatsräson. SPRECHER: Die Herrschaft der Tudors war von Heinrich VII. auf dem Schlachtfeld begründet worden; ihr genealogischer Anspruch auf die englische Königskrone ansonsten aber war so schwach, dass König Ferdinand von Aragon herablassend sagen konnte ZITATOR: Diese Familie kann jeden Tag aus England wieder vertrieben werden. SPRECHER: Zwar hatten Heinrich VII. und später Heinrich VIII. alles getan, um Konkurrenten aus rivalisierenden Adelshäusern hinzurichten oder im Tower verschwinden zu lassen – die Angst vor einem hochadeligen Gemetzel wie in den Rosenkriegen aber saß tief. So tief, dass für Heinrich den VIII. die Sicherung der Tudor-Dynastie über einen in gültiger Ehe geborenen Sohn zu einer Obsession, richtiger: zu der Obsession seines Lebens wurde. Bisher war aus der langen Ehe mit Katharina aber nur ein dynastisch unbrauchbares Mädchen, nämlich Mary hervorgegangen. Und weitere Kinder waren kaum noch zu erwarten. SPRECHERIN: An dieser Stelle seiner Gedanken dürfte dem König die Bibelstelle nicht unwillkommen gewesen sein; und unwillkommen auch nicht das Gebot seines Gewissens, das immer drängender die Scheidung von Katharina forderte. Außerdem, die Gesandten schreiben´s, Katharina war ZITATOR: Dick und alt geworden SPRECHERIN: sehr viel dicker und älter jedenfalls als – und die königliche Seifenoper darf nun beginnen – als jenes junge und hochadelige Hoffräulein, das so bezaubernd singen, so beschwingt tanzen und die Gesandten zu einer reichen Prosa beflügeln konnte, wenn sie nach Hause berichteten von ihren ZITATOR: Dunklen, seidigen und wohlgeformten Brauen und, als ein Geschenk der Venus, den schwarzen, schönen Augen, die sie so wirkungsvoll zu nutzen versteht, ob still ruhend oder die schweigende Botschaft des Herzens aussendend. SPRECHER: Mit diesen schönen schwarzen Augen hatte das junge Hoffräulein – ihr Name ist Anne Boleyn – schon manchen in den oberen Rängen von Westminster den Kopf verdreht. Allerdings: nicht eine Affäre! Nun verfällt ihr der König selbst. ZITATOR: Verliebt bis zur Narrheit © Bayerischer Rundfunk 6 SPRECHER: Wie es hieß. Aber Anne Boleyn, so kompromisslos können Hoffräulein sein, gab ihm zu verstehen: eine Affäre, nein! Eine rechtmäßige Ehe, ja! – Oder nichts! SPRECHERIN: Was die Staatsraison verlangte SPRECHER: Einen Sohn SPRECHERIN: Was das Gewissen des Königs forderte SPRECHER: Auflösung der Ehe mit Katharina von Aragon SPRECHERIN: Und was die neue Liebe ersehnte SPRECHER: Eine Ehe mit Anne Boleyn SPRECHERIN: Das alles passte nun auf einmal wunderbar zusammen. SPRECHER: Und schien so schwer auch nicht zu sein. Die Ehe mit Katharina war durch einen päpstlichen Dispens für gültig erklärt worden. Der Heilige Stuhl, zu dem man beste Beziehungen pflegte, brauchte ihn lediglich als irrtümlich erteilt zu widerrufen! Unglücklicherweise stand dieser einfachen Lösung jedoch ein Ereignis entgegen, das weit weg von England stattgefunden hatte. Dem Habsburger Kaiser Karl V. war 1527 die Eroberung Roms gelungen und Papst Clemens VII. war in seiner Gewalt. Als Neffe Katharinas dachte der Kaiser nicht daran, die Verstoßung seiner Tante wegen eines schönen Hoffräuleins zuzulassen. Clemens VII. waren die Hände gebunden, Heinrich VIII. war zum Warten verdammt. Seine „Große Sache“, Scheidung, Heirat, Hoffnung auf, nein: Gewissheit über einen männlichen Nachfolger – alles war auf unabsehbare Zeit in Rom vertagt. SPRECHERIN: In dieser Situation, irgendwann im Jahr 1530, muss in Anne Boleyn der Entschluss gereift sein, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sie spielt dem König ein Buch zu: William Tyndale: ZITATOR: Über den Gehorsam eines Christen und wie ein christlicher Herrscher regieren sollte SPRECHERIN: Das Buch war ein Pulverfass. Denn wie sollte ein christlicher Herrscher regieren? SPRECHER: Tyndales Antwort: nach einem einzigen Gesetz als Prinz über Staat und Kirche und ohne Rücksicht auf die, so durfte nun gesprochen werden © Bayerischer Rundfunk 7 ZITATOR: Unrechtmäßig usurpierte Macht des Bischofs von Rom SPRECHER: Plötzlich bot sich die Lösung aller Probleme an: Trennung der englischen Kirche von Rom; an Stelle des Papstes der englische König als ihr neues Oberhaupt; und die ersehnte Scheidung durch englische, dem König unterstehende Bischöfe. SPRECHER: Folgten den Gedanken Reden, so folgten den Reden nun die Taten. Schritt für Schritt wird unter Heinrichs und Lordkanzler Cromwells Regie die römisch-katholische Kirche entmachtet; Schikane auf Schikane, Geldstrafe auf Geldstrafe, Prozess um Prozess ihr Widerstand gebrochen; und Parlamentsgesetz für Parlamentsgesetz gehen die kirchlichen Privilegien, Gebietshoheiten, Rechte, Einkünfte und später auch das gewaltige Vermögen an Grundbesitz auf die Krone über. Um 1532 war, wie es hieß ZITATOR: Kaum noch zu bestreiten, dass die Kirche von England nur noch ein Oberhaupt hatte, und es residierte mit Gewissheit nicht länger in Rom. SPRECHERIN: Es residierte in Westminster. Die englische Kirche: von der Oberhoheit des Papstes gelöst; der König: das Haupt einer neuen Staatskirche; die Bischöfe: an seine Weisung gebunden – nach diesem gewaltigen Bruch mit der Tradition des Landes, endlich ist beides nun möglich und steht unmittelbar bevor: Scheidung auf englisch, Neuvermählung auf englisch. Nicht anders ist jene Szene zu verstehen, in der Anne Boleyn, natürlich längst Lady Marquess of Pembroke, aus ihren Gemächern tritt und, so der spanische Meisterspion Eustace Chapuys ZITATOR: Einer großen Gesellschaft verkündet, vor drei Tagen habe sie eine Lust Äpfel zu essen ergriffen wie noch nie in ihrem Leben zuvor. Der König habe dazu bemerkt, dies sei ein Zeichen einer Schwangerschaft, sie aber habe geantwortet, nichts dergleichen sei der Fall. Daraufhin ist Lady Pembroke in Lachen ausgebrochen und zurück in ihre Gemächer. Der Hof aber wusste den Auftritt zu deuten, die meisten überrascht und schockiert. SPRECHERIN: Mit Anne Boleyns Schwangerschaft beginnen sich die Ereignisse im Königreich zu überstürzen: SPRECHER: 25. Januar 1533: geheime Trauung Heinrich VIII. mit Anne Boleyn. SPRECHERIN: 3. Februar 1533: Gesetzgebung, die es dem Papst untersagt, kirchliche Rechtsfragen in England zu entscheiden. SPRECHER: 23. Mai 1533: Scheidung der Ehe mit Katharina von Aragon. Mary wird vom Parlament zum Bastard erklärt, die ehemalige Königin auf londonferne Schlösser verbannt. SPRECHERIN 1. Juni 1533 Krönung Anne Boleyns in Westminster Abbey. © Bayerischer Rundfunk 8 SPRECHER: 11. Juli 1533: Papst Clemens erklärt die Scheidung von Katharina von Aragon für ungültig, alle Kinder aus künftigen Verbindungen für unehelich. SPRECHERIN: 7. September 1533: zum Schrecken des Königs und zur Blamage der Hofastrologen bringt Königin Anne ein Mädchen zur Welt, Elisabeth. Der König hat nun zwei Töchter, eine vom englischen Parlament, die andere vom Papst zum Bastard erklärt. Sieht so eine glückliche Lösung der Thronfolge im Hause Tudor aus? SPRECHER: Das Verhalten des Königs lässt andere Schlüsse zu. Sein Ton war rüde, sein Auge blutunterlaufen und sein Verhalten gegenüber Anne brutal geworden. SPRECHERIN: Der König, einmal so närrisch verliebt in sie, sah in ihr nur noch die Hexe, die ihn verzaubert hatte. Die Hoffnung auf einen Sohn von ihr hatte er aufgegeben. Außerdem war sein Blick auf ein schönes Mädchen gefallen, Jane Seymour. Für ihre Familie schließlich war Anne nutzlos geworden: von ihr würden keine Privilegien mehr kommen. Als Lordkanzler Cromwell auf Geheiß des Königs eine Untersuchung gegen die Königin einzuleiten begann, galt als einziges Ziel: ihre Vernichtung. SPRECHER: Die Anklage gegen die Königin war, pornographisch, gehässig, ein reines Phantasiegespinst: in einer diabolischen Orgie hatte es Anne Boleyn mit allen getrieben, mit Knechten, Tennispartnern des Königs, mit ihrem Bruder und ZITATOR: In ihrer Fleischeslust außerdem täglich mit einem großen Teil der Bediensten des Königs. SPRECHERIN: Bei so tödlichen Anschuldigen: Die sogenannten „Beweise“ ein Lächeln hier, ein Nicken dort, ein verlorenes Taschentuch, ein Tanz oder ein Blick aus jenen dunklen Augen waren mehr als dürftig. Es war weniger als nichts. Doch in diesem Prozess am 15. Mai 1536 in der Great Hall des Towers von London ging es nicht um Beweise. SPRECHER: Und so verurteilten die hochadeligen Gentlemen der Jury, die von allen verratene Anne Boleyn zum Tod wegen Ehebruchs. Am 19. Mai 1536 wurde sie in Anwesenheit von Lordkanzler Cromwell, des Sheriffs von London und den Raben, die immer zum Tower gehörten und immer gehören werden, von einem Henker aus Calais hingerichtet. Es war die erste Exekution einer englischen Königin. Der König war weit weg, auf Jagd. SPRECHERIN: Heinrich VIII. hatte nun aus erster Ehe eine vom Parlament zum Bastard erklärte Tochter, Mary, und aus zweiter Ehe eine vom englischen Parlament und dem Papst als unehelich erklärte weitere Tochter, Elisabeth. Dynastisch gesehen war das keine rosige Situation. Sie besserte sich auch nur scheinbar, als Anne Boleyns Nachfolgerin, Jane Seymour, einen Knaben zur Welt brachte, Eduard. Sie selbst starb im Kindbett und auch Eduard, ein kränkliches Kind, war nicht lange von dieser Welt. SPRECHER: Der Rest ist schnell erzählt. Denn die unglückliche Verbindung aus Ehe und Macht, Liebe und Verrat, Staatsaffäre und Seifenoper beginnt sich aufzulösen. Heinrichs Ehen 4, 5, und 6, mit Anna von Kleve, Catherine Howard und Catherine Parr sind politisch dynastisch ohne viel Folgen. König und Parlament regeln die Thronfolge wie folgt: 1. © Bayerischer Rundfunk 9 Eduard, 2. Mary und 3. Elisabeth, beide geheimnisvoll wieder zu legitimen Prinzessinnen geworden. Entsprechend regiert nach Heinrichs Tod 1547 der neunjährige Eduard sechs Jahre unter Vormundschaft; es folgt Queen Mary´s kurzes Intermezzo SPRECHERIN: Und dann, als 1553 die Macht an Elisabeth für eine fast 50 jährige Regentschaft übergeht, ereignet sich die eigentliche Pointe in der Politik Heinrich VIII. Denn nichts!gar nichts von dem geschieht, was Heinrich so angsterfüllt befürchtet hatte! Keine Aufstände, kein Bürgerkrieg, kein Blutbad und keine Richtstätten und Verließe im Tower. Stattdessen geschieht alles!, aber auch alles, was sich der König so obsessiv gewünscht hatte! Ein ruhiger, gesicherter Übergang der Regierungsgewalt innerhalb des Hauses Tudor. SPRECHER: Mit Königin Elisabeth I., Tochter der schönen, eleganten und munteren Anne Boleyn, beginnt die Epoche, die, nach wackligem Beginn unter Heinrich VII. und den ehelichen und machtpolitischen Wirren unter Heinrich VIII. ZITATOR: Höhepunkt und triumphaler Abschluss der Tudor-Dynastie SPRECHERIN: Werden sollte, bis heute Englands Mythos vom goldenen Zeitalter und Inbegriff von Merry Old England. © Bayerischer Rundfunk