Hitlers Panorama - Ch. Links Verlag
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Hitlers Panorama - Ch. Links Verlag
Hitlers Panorama Ausblick auf dieses Buch Am 25. April 1945 nehmen 318 britische LancasterBomber Kurs auf Berchtesgaden. Ihr Ziel ist nicht der Ort im Talkessel, sondern ein Berggipfel und ein eingezäuntes Gelände auf einem Hochplateau unterhalb des Kehlsteins, der Obersalzberg.1 Die Piloten haben 1 811 Tonnen Bomben an Bord, die nach ihrem Einsatzbefehl vor allem für nur zwei ge nau bezeichnete Gebäude bestimmt sind: »Eagles Nest« auf dem Gipfel des Kehlsteins und »Wachenfeld at the village of Obersalzberg«. Die gewaltige Menge von beinahe eintausend Tonnen Bomben pro Gebäude läßt ahnen, als wie wichtig die Zerstörung dieser Ziele von Briten und Amerikanern angesehen wird. »Eagles Nest« und »Wachenfeld« sind Häuser Adolf Hitlers, das wissen die britischen Bomberpiloten, und somit hat deren Zerstörung in dieser letzten Phase des Krieges schon allein symbolischen Wert. Der einst allmächtige Führer hat sich seit Mitte März mit seinem Stab im Bunker unter Hitlers Panorama als Postkarten-Motiv, 1935 Überwucherte Ruinen am Obersalzberg der Reichskanzlei im eingeschlossenen Berlin verschanzt; er soll hierher, in den noch unbesetzten Süden Bayerns, nicht mehr ausweichen können. Die 1811 Tonnen Bomben gelten der Zerstörung eines mythischen Bezirks. Dabei werden die britischen Bomberpiloten nicht so sehr an die massentouristisch erschlossene Kultstätte des Führer-Mythos gedacht haben, sondern eher an den militärischen Mythos von der Alpenfestung, wonach das Gelände am Obersalzberg womöglich nur der Einstiegspunkt in eine im Fels verborgene uneinnehmbare Festung sei, in der sich Hitler verbergen könne – so wie einst Kaiser Barbarossa im Kyffhäuser – oder, so will es eine andere Vari ante der Sage, im dem Obersalzberg gegenüberliegenden Untersberg. Das Wort von der Alpenfestung hatte einen ähn lichen Klang wie die Rede von den Wunderwaffen. Fast niemand wußte, was sich dahinter verbarg, doch alle munkelten darüber – eine subtile und durchaus erwünschte Form der Propaganda, die mit irrationalen Hoffnungen zum fanatischen Durchhalten anfeuerte, während jedem nüchtern Denkenden die unabwendbare militärische Niederlage längst vor Augen stand. Was die Gebäude anbelangt: »Eagles Nest«, das Kehlsteinhaus, übersteht den Angriff am 25. April 1945 unbeschädigt. Nicht eine Bombe trifft, obwohl die deutsche Flakabwehr zwischen erster und zweiter Angriffswelle ausgeschaltet wird. »Wachenfeld at the village of Obersalzberg« und die meisten der umstehenden Gebäude werden zerstört. störung des Obersalzbergs«. Wunderbare und bestaunenswerte Bauten habe es gegeben, nun seien sie verschwunden mit Ausnahme des Kehl steinhauses. Bis heute wird dieser Mythos gepflegt, jedoch hinter vorgehaltener Hand. Denn wer in den vergangenen Jahren als Tourist ins Berchtesgadener Land kam, erfuhr davon bis 1999 nichts. Keine Rede davon in den offiziellen Prospekten des Fremdenverkehrsamtes. Daß hier am Obersalzberg seit den zwanziger Jahren Hitlers Privathaus stand, das bald auch ein zweiter Amtssitz wurde, ist lange Zeit weder dem Landkreis und der Marktgemeinde Berchtesgaden noch dem Freistaat Bayern der Erwähnung wert gewesen. Immer aber erzählt irgendwer, da sei etwas Doch wieder überlebt ein Mythos, ja er wird von diesem 25. April 1945 an erst geschaffen. Das Datum des Bombenangriffs gilt fortan als »die Zer- Touristen auf dem Golfplatz in Obersalzberg, früher der »Gutshof« von Martin Bormann kilometerlangen Bunkerstollen, die unter den Häusern in den Berg getrieben wurden. Eine Aura von Macht und Geheimnis geht von den offenbar verdrängten Prunkbauten einer erst jüngst unter gegangenen Ära aus. Wir rekonstruieren im Kopf das geschleifte En semble. Unser Blick schweift heute über wüstes Gelände und unwirtliches Unterholz, imaginiert, was dort stand und nun verschwunden ist. Am 25. April 1945 haben 318 britische Lancaster-Bom ber den Obersalzberg zerstört. Das merken wir uns und fahren ins Tal. gewesen da oben am Berg. Jeder Besucher Berch tesgadens schnappt irgendwann die Nachricht auf, hört, da müsse man hin. Die Aussicht sei schön, das auch. Man fährt hinauf. Man landet an auf einem Parkplatz, steigt aus, späht in das Tal, wenn die Sicht es erlaubt, schaut sich um. Ent deckt schließlich die Andenkenläden und stöbert wißbegierig nach Informationen. Findet Broschü ren zuhauf. Hier erst, so scheint es, wird offen ge sprochen, bunt und schwarzweiß und in Skizzen und Karten. Haben andere etwas zu verbergen? Die Neugierde steigt und macht uns dadurch oft notgedrungen zum Komplizen bonbonfarbener Broschüren. Wir saugen alles auf: Die Skizze mit dem Lageplan. Hier Hitlers »Berghof«, dort Gö rings Villa, da Bormanns Haus, dahinter die Ka serne der SS. Wir werden, so scheint es, infor miert. Detailgenau werden wir über die Architektur und das Interieur der Mächtigen des Nazireiches ins Bild gesetzt. Wir studieren Ansichten von Hit lers »Berghof« – eben jenes Gebäude, das in der Zielinformation der britischen Piloten »Wachen feld« hieß, Görings Villa, Bormanns Landhaus und das Kasernenkarree der SS. Wir erfahren von Es gibt jedoch mehr zu entdecken für den, der sich herantastet an die Baugeschichte des Obersalz- bergs in der Zeit des Nationalsozialismus. Der Bau selbst war Zerstörung. Zerstört wurde das gewach sene Bergdorf Obersalzberg für eine Prominen tensiedlung. Der Bau einiger Häuser für die Elite des Dritten Reiches ist ein kleines Modell für die Errichtung der Herrschaft des Terrors, mit dem dann das ganze Land regiert wurde. Wie unter einer Lupe läßt sich im Planquadrat Ober salzberg beobachten, wie der Nationalsozialis- mus in Deutschland entsteht, sich festigt, funk Hitler als Motiv der zeitgenössischen Souvenirindustrie, Porträtpostkarte mit Landschaftsmalerei auf Baumscheibe, ca. 1940 10 tioniert. Die handelnden Personen sind dabei wie immer einfache Nachbarn und einfache Nazis, aber – im Unterschied zu anderen regionalge schichtlichen Studien – nicht irgendwelche örtlichen Nazi-Bonzen, sondern die führende Garde: Adolf Hitler, Hermann Göring, Martin Bormann und das Gefolge ihrer Adjutanten und Helfers helfer. Staatsregierungen, die Berchtesgadener Landräte, Gemeinderäte und Bürgermeister diesem Treiben reglos zugeschaut. Schon 1949 hatten die Amerikaner das bei Kriegsende beschlagnahmte Obersalzberger Gelände, das sie bei ihrem Einmarsch als NSDAPGelände vorgefunden hatten, dem Freistaat Bay ern zum Eigentum übertragen. Die Amerikaner behielten sich die Nutzung einiger nicht zerstörter Gebäude und Grundstücke vor. Sie richteten auf dem Obersalzberg ein Erholungszentrum für Soldaten und ihre Familien ein. Der Freistaat Bayern kümmerte sich in den vergangenen fünfzig Jahren nur in zwei Angelegenheiten um sein Erbe aus der Nazi-Zeit. Er weigerte sich durch alle Ge richtsinstanzen, den von der NSDAP vertriebenen ehemaligen Privatbesitzern ihre Grundstücke zurückzugeben – und er verkaufte andererseits unter dubiosen Umständen in den sechziger Jahren auf einen Schlag fast das ganze Areal an einen Großhotelier. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe machte schließlich diese Transaktion rückgängig, die als »Steigenberger-Skandal« in die Annalen der Bayerischen Nachkriegsgeschichte einging. Auch er gehört zur Geschichte des Obersalzbergs. Ausgelöst hatte den »Steigenberger-Skandal« ein in Berchtesgaden lanciertes Gerücht, das sich dann als Falschmeldung entpuppte. Die Falschmeldung lautete damals, die Amerikaner räumten den Obersalzberg, die Hotels und das Gelände würden frei. Was damals Falschmeldung war, ist heute Fakt: Im Februar 1995 erklärte das Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland offiziell und verbindlich, man werde den Obersalzberg noch in diesem Jahr endgültig verlassen. Die Verantwortung für alles, was mit dem Obersalzberg zukünftig geschieht, liegt nun wieder in deutscher Hand. Ein Grund mehr, die Geschichte dieses Berges genau zu studieren. Dieses Buch über den Obersalzberg erzählt nicht nur von den Jahren 1933 bis 1945. Wer einschätzen möchte, was Hitlers persön liche und architektonische Verherrlichung am Obersalzberg angerichtet hat, muß weiter ausgreifen – zunächst in die Zeit vor dem National sozialismus, um sich ein Bild machen zu können, welche Menschen dort vorher wohnten, wie ihre Häuser aussahen, wie die Menschen lebten und arbeiteten. Dieser geschichtliche Rückblick beginnt Mitte des 19. Jahrhunderts, als jene Besiede lung entstand, die Hitler am Obersalzberg vorfand. Hitlers langer Schatten ist auch nicht mit dem Bombenangriff am 25. April 1945 vom Ober salzberg gewichen – eine Rückkehr in ihre alte Heimat ist den ehemaligen Bewohnern Obersalzbergs verwehrt worden. Zwar wurden die aus gebombten Ruinen der Nazi-Bauten gesprengt, die alte Bebauung aber durfte nicht wieder erstehen. An ihrer Stelle wucherten auf dem ehe maligen Hitler-Bezirk Gestrüpp und Gerüchte. Den forstlichen Wildwuchs hat der bayerische Staat so gewollt, Kabinettsbeschlüsse aus den fünfziger Jahren belegen das: Man glaubte im Ernst, über die Geschichte des Berges werde im doppelten Sinne Gras wachsen. Für den sich statt dessen einstellenden publizistischen Wildwuchs übers Gute an der Nazi-Zeit im allgemeinen und den jovialen Privatmann Hitler am Obersalzberg insbesondere hat sich niemand zuständig gefühlt.2 Fünfzig Jahre haben sämtliche Bayerischen 11