Die Farben des frühen Films
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Die Farben des frühen Films
Kurz und in Farbe Die Farben des frühen Films Die ersten Filme, die ab 1896 öffentlich vorgeführt wurden, waren zunächst schwarzweiß. Es sollte mehr als 40 Jahre bis zur Herstellung des ersten echten Farbfilms dauern, aber bis dahin gab es die unterschiedlichsten Methoden, um Farbe auf die Kinoleinwand zu bringen. Handkolorierung Eine der frühesten und aufwändigsten Techniken war die Handkolorierung, die schon vor 1900 eingesetzt wurde. Mit sehr feinen Pinseln wurden Farben auf jedes einzelne Filmbild aufgetragen. Für jede Sekunde Film mussten also zwischen 16 und 24 Bilder (die Vorführgeschwindigkeit war noch nicht standardisiert) koloriert werden. Die freihändige Handkolorierung ergab einen Farbauftrag ohne exakte Ränder, was in der Projektion daran zu erkennen ist, dass sich die Ränder einer Farbfläche leicht bewegen. Bei der Darstellung von Feuer, Explosionswolken und schwingenden Gewändern kann dies einen sehr schönen Effekt erzeugen. Besonders beliebt waren Aufnahmen des SerpentinenTanzes, der auch am Ende des Films DIE JAPANISCHEN SCHMETTERLINGE zu sehen ist. Auf das wirbelnde Kleid der Tänzerin wurden verschiedene Farben aufgetragen. Damit wurde nachgeahmt, was bei den LiveAuftritten durch eine Bestrahlung der Tänzerin mit farbigen Scheinwerfern erfolgte: ein schimmernder Farbrausch. Die Schablonenkolorierung war noch zeitintensiver: Für jede Farbe, die später auf der fertigen Vorführkopie zu sehen sein sollte, wurde eine Positivkopie des Films angefertigt. Aus dieser zweiten, dritten, vierten Kopie wurden dann mit einem Skalpell aus jedem einzelnem Bild die Bildteile ausgeschnitten, die später durch diese Schablone koloriert werden sollten. Die Schablonenkopie wurde auf die Vorführkopie gepresst und die Farbe durch die Ausschnitte aufgetragen. Diese Technik fand z. B. für den Film DER LUXEMBURGER GARTEN Verwendung. Der Film wurde von der französischen Firma Pathé produziert, die sehr bekannt für ihre handkolorierten Filme war. Die im PathéKatalog als „Féerien“ bezeichneten Filme mit märchenhaften Geschichten und Trickeffekten entfalteten ihre Wirkung auch durch den gekonnten Einsatz der Farbe. Die Pathé-Produktion DAS HUHN MIT DEN GOLDENEN EIERN bewirbt dies schon mit ihrem Titel. Die deutlich zu erkennende Handkolorierung Filme PATHÉ TRICKFILM [Eine Fee zaubert kleine tanzende Figuren aus Eiern hervor.] F ca. 1906, Regie: unbekannt PATHÉ TRICKFILM [Ein Musketier zaubert Frauen herbei] F ca. 1906, Regie: unbekannt LES PAPILLONS JAPONAIS (JAPANISCHE SCHMETTERLINGE) F 1908, Regie: unbekannt EINE FAHRT DURCH BERLIN D 1910, Regie: Oskar Messter (?) DER ADERSBACHER FELSEN AU ca. 1910, Regie: unbekannt POLIGNY IM FRANZÖSISCHEN JURA F 1911, Regie: unbekannt DE NAPLES AU VESUVE (DIE BESTEIGUNG DES VESUV) F 1905, Regie: unbekannt THE AIRSHIP DESTROYER (DER LUFTKRIEG DER Zukunft) GB 1909, Regie: Walter Booth KRI KRI E CHECCO AL CONCORSO DI BELLEZZA (CINESINO BEIM SCHÖNHEITSWETTBEWERB) I 1913, Regie: unbekannt ONESIME, EMPLOYÉ DES POSTES (AUGUSTIN ALS POST-BEAMTER) F 1912, Regie: Jean Durand DIE MALERISCHEN PYRENÄEN F 1912, Regie: unbekannt LE PLUS BEAU JARDIN DU LUXEMBOURG (DER LUXEMBURGER GARTEN) F 1912, Regie: unbekannt LA POULE AUX OEUFS D’OR (DAS HUHN MIT DEN GOLDENEN EIERN) F 1905, Regie: Gaston Velle Verleihkopie 35 mm 1 : 1,33, Farbe stumm ca. 90 min. (18 B/s) 100 Euro Filmverleih Holger Theuerkauf 030-300903-31 [email protected] Anke Hahn 030- 300903-32 [email protected] wurde in diesem Film nur für die traumartigen Sequenzen – wie den Tanz der Hühnerfeen – verwendet und unterstreicht sie dadurch. 1906 beschäftigten die Pathé Studios etwa 200 Arbeiter, zumeist Frauen, die Filme handkolorierten. Zwei Jahre später wurden die ersten mechanischen Schablonenkolorierungsmaschinen eingeführt. Die Farbe wurde nicht mehr per Hand aufgetragen, sondern ein rotierendes Samtband „stempelte“ die Farbe durch die Schablone. Viele handkolorierte Filme sind heute mehr als 100 Jahre alt. Die Farben sind oft pastellig und es wird vermutet, dass sie durch den Alterungsprozess des Filmmaterials verblasst sind. Bei der Umkopierung der Originalkopien auf neues Filmmaterial orientieren sich die Filmarchive meistens an den vorhandenen Farben, ohne sie künstlich zu verstärken. Virage Im Gegensatz zu den kolorierten Filmen, bei denen einzelne Bildteile eingefärbt wurden, gab es auch das so genannte Virage-Verfahren. Dafür wurde der Film auf hölzerne Rahmen gewickelt und in ein Farbbad getaucht; das gesamte Filmbild wurde also monochrom eingefärbt. Szenen, die bei Tag spielen, waren häufig gelb viragiert und Nachtszenen blau. Da das damals verwendete Filmmaterial nicht empfindlich genug war, um bei geringer Beleuchtung drehen zu können, konnte durch die blaue Einfärbung von Tageslichtaufnahmen wenigstens der Eindruck von nächtlichen Szenen geschaffen werden. Die unterschiedlich viragierten Filmteile wurden mit Klebestellen aneinander gefügt. Der Film EINE FAHRT DURCH BERLIN wurde auf diese Weise hergestellt. Er führt den Zuschauer durch die Friedrichstrasse, die Leipziger Strasse und die Siegesallee, wobei die Einfärbung der unterschiedlichen Schauplätze wechselt. DER ADERSBACHER FELSEN, ein Film über zerklüftete Felsformationen im Riesengebirge, ist fast durchgängig grün viragiert, womit der Eindruck verstärkt wird, der Zuschauer befände sich im Freien. Auch die Wirkung der Wasseraufnahmen in diesem Film wird durch die grüne Virage gesteigert. Toning Die Einfärbung der weißen/durchsichtigen Teile des Schwarzweißfilms konnte mit der Einfärbung der schwarzen Teile (das sogenannte Toning) kombiniert werden. Durch einen chemischen Prozess ersetzten Farbpartikel die schwarzen Silberpartikel. Das Schwarzweißbild wurde z. B. durch ein rot-weißes Bild ersetzt, wie in dem Film POLIGNY IM FRANZÖSISCHEN JURA, der auf diese Weise eine Abenddämmerung in Szene setzt. Heute wird geschätzt, dass in der ersten Hälfte der 1920er Jahre 80% aller Kinokopien eingefärbt waren. Der Umfang der verwendeten Methoden und Farben pro Film schwankte allerdings von komplett viragierten Filmen bis zu Filmen, in denen nur eine einzige Farbe verwendet wurde. In DIE BESTEIGUNG DES VESUV wird die Farbe Rot wirkungsvoll für den Ausbruch des Vulkans verwendet, der Rest des Films ist in einem Sepiaton gehalten. Andere Techniken Neben Handkolorierung, Virage und Toning gab es noch eine Vielzahl anderer Techniken, um das Filmbild einzufärben. Um nur einige Beispiele zu nennen: Schwarzweißfilme wurden mit farbigen Filtern, die in die Filmprojektoren eingesetzt wurden, vorgeführt. Die amerikanische Firma Kodak produzierte vorgefärbtes Rohfilmmaterial, dessen verschiedene Töne assoziationsreiche Namen wie „Peachblow“, „Nocturne“ oder „Inferno“ trugen. Für das zweifarbige Technicolorverfahren wurden zwei jeweils in Rot und Grün eingefärbte Kopien aufeinandergeklebt, so dass die Vorderseite der neuen Vorführkopie die roten und die Rückseite die grünen Bildinformationen enthielt. Auf- und Abstieg der frühen Färbetechniken Sicherlich war einer der Gründe für die Einführung der Kolorierung von Filmen das Bestreben, die Realität so gut wie möglich nachzuahmen. Andererseits war der Einsatz von Farbe eine Möglichkeit, das neue Medium Film, befreit vom Anspruch der naturgetreuen Abbildung der Wirklichkeit, attraktiver zu machen. Dieser spektakuläre Gebrauch der Einfärbung zeigt sich besonders bei den kolorierten Trickfilmen, in denen Menschen in gelben Rauchwolken verschwinden oder bunte Kobolde ihr Unwesen treiben. Filme, die vor der Einführung von festen Abspielstätten auf Jahrmärkten gezeigt wurden, mussten mit den anderen Vergnügungsangeboten konkurrieren, und die Kombination von bewegten Bildern mit Farbe war ein schlagendes Verkaufsargument. Der amerikanische Filmwissenschaftler Tom Gunning hat den Begriff des Kinos der Attraktionen (cinema of attractions) für die Frühzeit der Filmproduktion geprägt. Laut Gunning bestand die Anziehungskraft der frühen Filme nicht so sehr im voyeuristischen Verfolgen einer erzählten Geschichte, sondern in der neuen Erfahrungsmöglichkeit von Zeit und Raum und einer Ästhetik der Schaueffekte. Die Farben des frühen Films wurden laut dieser Theorie vor allem eingesetzt, um einen sinnlichen Effekt und bestimmte emotionale Zustände beim Zuschauer zu erzeugen. Ab Mitte der 1920er Jahre sank die Zahl der kolorierten Filme, deren Herstellung auch immer eine finanzielle Belastung für die Filmstudios dargestellt hatte. Neues Filmmaterial wurde eingeführt, mit dem Nachtaufnahmen möglich waren, somit wurde die blaue Virage überflüssig. Zudem setzte sich der Tonfilm mehr und mehr durch; für eine störfreie Wiedergabe dürfen keine Klebestellen (wie sie für Virage und Toning benötigt werden, wenn Farben sich abwechseln sollen) den kontinuierlichen Verlauf der Tonspur auf dem Film unterbrechen. Von der Einführung des Tonfilms 1930 bis 1935 waren fast alle Spielfilme schwarzweiß, bis der erste Dreifarben-Technicolor-Spielfilm, BECKY SHARP (1935), in die Kinos kam. Annette Groschke Filmarchivarin der SDK