EIN APFEL- BÄUMCHEN FÜR DEN LÖWEN
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EIN APFEL- BÄUMCHEN FÜR DEN LÖWEN
134 FORSCHUNG EIN APFELBÄUMCHEN FÜR DEN LÖWEN Abschied auf leisen Pfoten oder vom Aussterben einer Großkatze von Joachim Scholz, Irina Ruf & Mathias Wirkner SENCKENBERG | NATUR t FORSCHUNG t MUSEUM 146 | 5/6 2016 135 FORSCHUNG „Madame, alle Geschichten enden, wenn man sie weit genug verfolgt, mit dem Tod, und der ist kein echter Geschichtenerzähler, der Ihnen das vorenthält.“ (Hemingway 1967) D as gilt nicht nur für unser individuelles und im geologischen Zeitmaßstab bedeutungsloses Leben, sondern auch für biologische Arten. Es sollte Sie daher zunächst nicht beunruhigen, dass unsere dem Löwen, dem Inbegriff von Macht und Stärke, gewidmete Artikelserie vom Aussterben handelt. Die Frage ist nicht, ob der Löwe als biologische Art von der Erde verschwinden wird, sondern nur, wann genau das geschieht – was im Übrigen auch für unsere eigene Spezies gilt. Bestürzend ist es allerdings, dass es beim Löwen dank uner- müdlichen menschlichen Zutuns so rasch vonstatten zu gehen scheint. Offenbar können Menschen und große Beutegreifer nicht mehr zusammenleben. Die letzten Tiger werden in den Worten Seidenstickers (2010) buchstäblich ausgelöscht und sind nicht nur in Indien um 98 Prozent im Bestand reduziert. Vom Asiatischen Löwen (Panthera leo persica) existieren nur noch etwa vierhundert Tiere in freier Wildbahn; sie leben alle im Gir-Forest-Nationalpark im indischen Bundesstaat Gujarat, der mit rund 259 Quadratkilometern (Barat Lal 2000) eine Fläche von der Größe der Stadt Frankfurt SENCKENBERG | NATUR t FORSCHUNG t MUSEUM 146 | 5/6 2016 136 FORSCHUNG 137 FORSCHUNG lationen. Mit Ausnahme des südlichen Afrikas gehen die Populationen überall zurück – zwischen 1993 und 2014 im Schnitt um 38 Prozent (Bauer et al. 2015 a, 2015 b). Abb. 2: Einer der letzten Berberlöwen (Panthera leo leo) aus Marokko, der möglicherweise noch aus freier Wildbahn stammt; Foto aus dem Archiv des Tierparks Hagenbeck, aufgenommen zwischen 1907 und 1914 in Hamburg-Stellingen. Auf der Rückseite des Fotos lesen wir: „This kind of lion is nearly extinct“ (Diese Löwenart ist beinahe ausgestorben). Dagegen hatten Riggio et al. (2013) die Gesamtzahl der Löwen Afrikas noch auf 32 000 bis 35 000 Tiere geschätzt. Über die Zahlen und regionalen Aussterbemuster wird derzeit in der Fachwelt diskutiert (Bauer et al. 2016, Riggio et al. 2016). Die Reise des Löwen in den afrikanischen Sonnenuntergang steht jedoch nicht mehr zur Debatte. Inzwischen wird der Löwe auf der Roten Liste IUCN als „vulnerable“ (gefährdet) geführt (Bauer et al 2015 b). Falls sich die Einschätzungen von Bauer et al. (2015 a) bewahrheiten, dann würden die Löwenpopulationen im zentralen und westlichen Afrika innerhalb der nächsten zwanzig Jahre halbiert oder ausgelöscht (s. Abb. A auf S. 139). Im östlichen Afrika läge die Wahrscheinlichkeit eines derart drastischen Rückgangs bei knapp unter 40 Prozent. Überall außerhalb gut bewachter Nationalparks im südlichen Afrika scheint das Weiterbestehen der Spezies infrage gestellt (Packer 2015). Bereits vor mehr als 110 Jahren galten afrikanische Großsäugetiere als zum Aussterben verurteilt (s. Beitrag von Scholz et al. auf den Seiten 160 ff.). Was damals vielleicht noch als Schwarzmalerei abgetan werden konnte, materialisiert sich heute, denn nicht nur Löwen verschwinden (Abb. 2, 3). Abb. 1: Kapitaler männlicher Löwe in der afrikanischen Savanne. bedeckt – oder Londons, circa sechsmal so groß, wenn man das dazugehörige Schutzgebiet hinzurechnet. Gibson 2011). Wie der Dschungelkönig Asiens verabschiedet sich auch der König der Tiere in Afrika auf leisen Pfoten. Lange hatte es den Anschein, als könne es den afrikanischen Löwen besser ergehen, aber das ist ein Irrtum (s. Abb. A auf S. 139). Von einigen Löwenreservaten im südlichen Afrika abgesehen gilt neuerdings ausgerechnet der winzige indische Nationalpark als Vorbild zur Erhaltung einer stabilen, wenn auch kleinen Löwenpopulation (Breitenmoser et al. 2008, Singh & Die Zeit ist gekommen, in Anlehnung an Hoimar von Ditfurth (1985) und ein Martin Luther zugeschriebenes Zitat („Wenn ich wüsste, dass morgen der jüngste Tag wäre …“), darüber nachzudenken, ein Apfelbäumchen für den Löwen zu pflanzen. SENCKENBERG | NATUR t FORSCHUNG t MUSEUM 146 | 5/6 2016 Auf dem gesamten Kontinent leben wohl nur noch geschätzt 20 000 Tiere in 67 Popu- Auslöschung Die meisten Löwenpopulationen sind bereits derart geschrumpft, dass Inzucht und deren Folgeerscheinungen ihnen den Garaus machen werden. Nehmen wir zum Beispiel den Westafrikanischen oder Senegal-Löwen Panthera leo senegalensis: Nachdem bereits anhand anatomischer Merkmale der Status einer eigenen LöwenUnterart bestätigt wurde (Hemmer 1974), haben Ergebnisse molekulargenetischer Untersuchungen weitere interessante Verwandtschaftsverhältnisse aufgedeckt. Demzufolge ist der Senegal-Löwe nahe mit den nordafrikanischen und Asiatischen Abb. 3: Nawiri, ein afrikanischer Löwe aus dem Tierpark Hagenbeck in Hamburg. Die Löwen des Tierparks Hagenbeck ähneln äußerlich Berberlöwen (Abb. 2), haben jedoch keinen Unterartenstatus und sind beim Verband der Zoologischen Gärten dementsprechend als „Panthera leo“ gelistet. SENCKENBERG | NATUR t FORSCHUNG t MUSEUM 146 | 5/6 2016