verlorene liebesmüh - henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin

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verlorene liebesmüh - henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin
William Shakespeare
VERLORENE LIEBESMÜH
(Originaltitel: Love’s Labour’s Lost)
Aus dem Englischen von Maik Hamburger
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© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 1998
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10405 Berlin
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F1
PERSONEN
König Ferdinand von Navarra
Berowne
)
Longaville
)
Dumain
)
Boyet
)
Marcade
)
Lords im Gefolge des Königs
Lords im Gefolge der Prinzessin von Frankreich
Don Adriano de Armado, ein phantastischer Spanier
Sir Nathaniel, ein Dorfpfarrer
Holofernes, ein Schulmeister
Dall, ein Polizist
Costard, ein Clown
Motte, Page des Don Armado
Ein Förster
Die Prinzessin von Frankreich
Maria
)
Katharine
)
Rosaline
)
Hoffräulein der Prinzessin
Jaquenetta, ein Landmädchen
Gefolge des Königs und der Prinzessin
SZENE
Der Park des Königs von Navarra
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1.
(1.1)
FERDINAND, KÖNIG VON NAVARRA, BEROWNE, LONGAVILLE und DUMAIN
König
Der Ruhm, dem jeder nachjagt all sein Leben
Soll leben als Notiz auf unserm Grab
Soll unser Schmuck sein wenn der Tod uns abschmückt;
Denn trotz der rabenhaft raffenden Zeit
Kann das, was jetzt und hier getan wird, kaufen
Den Nachruhm, der ihm seine Sense stumpft
Und uns zu Erben macht aller Ewigkeit.
Deshalb, ihr tapferen Sieger – denn das seid ihr
Krieg führend gegen eure eigenen Triebe
Und das enorme Heer der Weltenlüste –
Unser Beschluß von jüngst soll stehn in Kraft:
Navarra soll der Welt ein Wunder sein
Der Hof hier eine Klein-Akademie
Innig-beschaulich in der Wissenschaft.
Ihr drei, Berowne, Dumain und Longaville
Ihr habt geschworn, drei Jahre hier zu leben
Als meine Mitgelehrten, die Statuten
Zu achten, wie sie hierin abgefaßt sind.
Den Eid spracht ihr; nun zeichnet eure Namen
So daß die eigene Hand abschlägt dessen Ehre
Der hiervon nur den kleinsten Punkt verletzt.
Seid ihr bereit zu tun, was ihr da schwort
So unterschreibt den Eid, und haltet Wort.
Longaville
Ich machs; es heißt ja nur drei Jahre fasten:
Der Geist wird schmausen, wenn der Leib auch darbt.
Bauch dick – Hirn dünn; zu delikat gespeist
Macht reich die Rippen, doch bankrott den Geist.
Dumain
Mein teurer Lord, Dumain tötet sein Fleisch.
Die plumpere Art von Freuden dieser Welt
Läßt er der plumpen Welt und ihren stumpfen Sklaven.
Pomp, Reichtum, Liebe – tot bin ich für die;
Mit diesen leb ich in Philosophie.
Berowne
Ich kann nur ihr Beteuern wiederholn;
So viel, mein Fürst, hab ich bereits geschworn
Als: leben und studiern drei Jahre hier.
Doch gibts noch weitere strenge Observanzen
Als: keine Frau zu sehn in dieser Zeit
Was – wie ich hoffe – nicht auf dem Papier steht.
Und einen Tag die Woche nichts zu essen
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Und eine Mahlzeit nur die andern Tage
Was hoffentlich nicht da auf dem Papier steht.
Und dann, drei Stunden nur zu schlafen nachts
Und nie ein Nickerchen den ganzen Tag
Wo ich doch sonst nicht sündigte die Nacht
Und machte Nacht noch aus dem halben Tag
Was hoffentlich da nicht auf dem Papier steht.
O viel zu schwer, womit wir uns bestrafen!
Kein Weib sehn, fasten, nur studiern, nicht schlafen!
König
Euer Eid besagt, ihr wollt all dem entsagen.
Berowne
Ich bitte, nein, mein Fürst, ich kanns nicht ertragen.
Ich schwur bloß zu studieren mit Euer Ehren
Und hier am Hof drei Jahre lang zu währen.
Longaville
Ihr schwurt auf dies, Berowne, und auch auf das.
Berowne
Bei Ja und Nein! Dann schwur ich nur zum Spaß.
Was wär das Ziel von solchen Studienfristen?
König
Na, das zu wissen, was wir sonst nicht wüßten.
Berowne
Was sich nicht aufschließt dem normalen Sinn?
König
Ja, das ist Studiums göttlicher Gewinn.
Berowne
Dann los! Ich schwöre zu studiern wie toll
Zu wissen das, was ich nicht wissen soll;
Etwa: studiern, wo krieg ich was zu kaun
Da mir das Eßverbot die Zähne nietet
Studiern, wo such ich mir paar hübsche Fraun
Wo unser höherer Sinn sie mir verbietet.
Und wenn ich schwur, was ich nicht halten kann
Studiern, wie brech ichs und bleib ein Ehrenmann?
Sind dies die Früchte meines Studiums Fleiß
Und ich erfahre, was ich noch nicht weiß
Dann schwör ich gern, und bin aufs Studium heiß.
König
Das sind die Schlingen, die das Studium störn
Den Intellekt mit eitler Lust betörn.
Berowne
Ach, jede Lust ist eitel; und vor allen
Mit Qual erkaufte, die nichts bringt als Qualen:
Da ist man qualvoll in ein Buch gekrochen
Wo man der Wahrheit Licht zu finden glaubt;
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Indess hat Wahrheit einem das Aug gestochen:
Licht, das nach Licht sucht, wird des Lichts beraubt.
Bevor du weißt, wo Licht im Dunkeln liegt
Wird d e i n Licht dunkel, und dein Auge trüb.
Studiert mir lieber, was das Auge freut
Indem es auf ein schöneres Auge fällt
In dessen Glanz das Auge sich erneut –
Zugleich geblendet und vom Licht erhellt.
Das Studium gleicht des Himmels glorreicher Sonne
Die läßt nicht zu, daß frecher Blick sie prüf;
Was haben emsige Büffler je gewonnen
Als fremde Weisheit aus Foliantenmief?
Die Patenonkel unserer Himmelslichter
Die jeden Stern mit einem Namen taufen
Genießen ihn nicht mehr, als die mit schlichter
Naivität da unter Sternen laufen.
Wer zuviel weiß, weiß nur vom eigenen Glanz;
Alles benennen ist Sache des Pedants.
König
Wie buchgelehrt er gegen Bücher blafft!
Dumain
Wie wissenschaftlich gegen Wissenschaft!
Longaville
Er jätet Korn, läßt aufschießen die Quecken.
Berowne
Frühling ist nah, wenn grüne Gänse hecken.
Dumain
Wie folgt denn das?
Berowne
Dumain
Berowne
Die rechte Zeit muß sein.
Das macht keinen Sinn.
Dann legt doch einen rein.
König
Berowne ist wie ein Frost mit eisigem Dorn
Der frühgeborene Knospen neidisch tötet.
Berowne
Wenn schon! Was hat ein Sommer hier verlorn
Bevor der Vogelchor Willkommen flötet?
Soll ich mich freuen einer Frühgeburt?
Zu Weihnacht will ich keine Rose sehn
Doch auch nicht Maienwiesen unter Schneen:
Nur was zu seiner Zeit reift, ist mir schön.
Über ein Studium seid Ihr doch hinaus:
Wer klettert denn zur Pforte übers Haus?
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König
Dann geht, Berowne. Nach Hause, macht Euch fort.
Berowne
Ich hab geschworn zu bleiben, guter Lord.
Obwohl ich besser für die Barbarei
Gesprochen hab, als Ihr für Wissenschaft
Werd ich mich halten streng an meinen Eid
Und büßen freiwillig drei Jahre Haft.
Reicht mir das Blatt; ich lese, was hier steht
Und unterschreib das härteste Dekret.
König
Du rettest dich vor Schande – reichlich spät!
Berowne
(Liest.) „Item: Daß keine Frau sich auf eine Meile meinem Hofe
nähern soll. „ – Ist das bekannt gemacht?
Longaville
Vor vier Tagen.
Berowne
Schauen wir einmal, was darauf steht – „bei Strafe, ihre Zunge
zu verliern.“ Wem fiel solche Strafe ein?
Longaville
Der Gedanke war mein.
Berowne
Lord, warum diese Pein?
Longaville
Abzuschrecken mit Angst, durch Mark und Bein.
Berowne
Gefährliches Gesetz gegen Menschlichsein.
“Item: Wenn ein Mann innerhalb dieser drei Jahre mit einer
Frau sprechen gesehen wird, soll er solche öffentliche Beschimpfung erdulden müssen, wie der übrige Hof sie nur
ersinnen kann.“
Den Punkt, mein Lehensherr, müßt Ihr selber brechen;
Ihr wißt doch, Frankreichs König sendet Euch
Seine Tochter, um mit Euch zu sprechen –
Eine Jungfrau, schön und segensreich –
Damit Ihr Aquitanien übermacht
Ihrem Vater, krank und bettlägrig;
Drum ward vergeblich dieser Punkt gemacht
Oder die Prinzessin kommt vergeblich.
König
Was sagt ihr, Lords? Nein, daß mir dies entfiel!
Berowne
So schießt das Studium immer übers Ziel:
Indessen es studiert, so wie es wollte
Vergißt es glatt zu tun das, was es sollte.
Und was es brennt zu wissen, wird gewonnen
Wie eine Stadt durch Brand: gewonnen, zerronnen.
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König
Wir müssen diese Regel wohl storniern.
Uns zwingt die Not: sie m u ß hier residiern.
Berowne
Die Not wird uns zerbrechen jeden Schwur
Dreitausendmal in den drei Jahren lang;
Denn jeder Mensch hat Triebe von Natur
Beherrscht durch hohe Gnade, nicht durch Zwang.
Brech ich den Eid, spricht dieses Wort für mich:
Der Wortbruch war nun einmal notwendig.
So unterschreib ich des Gesetzes Bande
Und wer es im geringsten Grade bricht
Steht unterm Spruch der ewigwährenden Schande:
Versuchung kommt auf andre wie auf mich.
Doch glaub ich, der ich widerborstig schein
Der letzte Eidestreue werd i c h sein.
Doch zur Erholung – nichts organisiert?
König
O ja! Ihr wißt, an unserm Hof flaniert
Ein Reisender aus Spanien, stolz und edel
In allen Moden dieser Welt versiert
Mit einer wahren Wortfabrik im Schädel;
Vom Klang der eigenen Zunge regelrecht
Betrunken, wie von himmlischer Musik;
Ein Mann von Urteil, den sich Recht und Unrecht
Zum Schiedsrichter erkoren in ihrem Krieg.
Dies Kind der Laune, das Armado heißt
Wird in den Studienpausen, groß, mit Stil
Parliern von manchem Ritter kühn und dreist
Aus Spaniens Bräune, der im Kriege fiel.
Nun meine Lords, mag sein, ihr denkt da strenger:
Ich hör ihn gerne lügen ohne Hänger
Und will ihn einsetzen als meinen Sänger.
Berowne
Armado ist ein glorioser Spund
Ritter der Mode, neuester Slang im Mund.
Longaville
Ein Spaß: der und Costard, der Bauernbums!
Kurz werden die drei Jahr des Studiums.
(Auftritt DALL mit einem Brief, und COSTARD.)
Dall
Wo ist des Herzogs eigene Person?
Berowne
Hier, Mann. Was willst du?
Dall
Ich selber präservative seine eigene Person, denn ich bin seiner
Hoheit Schergant; aber ich möchte seine eigene Person in
Fleisch und Blut sehen.
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