Konzept - Stadtkloster Zürich
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Konzept - Stadtkloster Zürich
Stadtkloster Zürich Konzept April 2013 130418 Stadtkloster Konzept Inhalt Zusammenfassung ................................................................................................................................... 1 1 Einleitung ........................................................................................................................................ 2 Vision .................................................................................................................................................. 2 2 Ausgangslage .................................................................................................................................. 2 2.1 Spurgruppe ‚Stadtkloster Zürich’.................................................................................................. 2 2.2 Kommunitäten – ein wiederentdecktes Potential .......................................................................... 3 2.3 Bezug zu Legislaturzielen und Milieustudie ................................................................................. 4 2.4 Situation der Evang.-ref. Kirche in der Stadt Zürich .................................................................... 4 3 Evangelisch benediktinisch leben in der Stadt ................................................................................ 6 3.1 Grundlagen und Leitmotive .......................................................................................................... 6 3.2 Sozialgestalten von Kirche............................................................................................................ 7 3.3 In monastischer Tradition ............................................................................................................. 8 3.4 „Evangelisch benediktinisch sein“ ................................................................................................ 8 4 Umsetzung ..................................................................................................................................... 10 4.1 Gebet (oratio) .............................................................................................................................. 10 4.2 Gemeinschaft (vita communis) ................................................................................................... 11 4.3 Arbeit / Auftrag / Dienstleistungen (labor) ................................................................................. 11 4.4 Gebäude ...................................................................................................................................... 12 5 Synergien und Kooperationen ....................................................................................................... 12 5.1 Stadtakademie ............................................................................................................................. 12 5.2 Reformprojekt ............................................................................................................................. 13 5.3 Aufsuchende Seelsorge ............................................................................................................... 13 5.4 Netzwerk ..................................................................................................................................... 13 6 Chancen und Risiken ..................................................................................................................... 14 6.1 Chancen....................................................................................................................................... 14 6.2 Risiken ........................................................................................................................................ 14 Anhang: Unterzeichnende ..................................................................................................................... 15 130418 Stadtkloster Konzept 1 Zusammenfassung Das vorliegende Konzept „Stadtkloster Zürich“ beschreibt ein urbanes Kloster und seine Aufgaben als Teil der Kirche. Die Sehnsucht nach der Schönheit Gottes wird durch das Stadtkloster genährt. Warum braucht Zürich ein Stadtkloster? Die Vision eines Stadtklosters weckt bei vielen Menschen die Sehnsucht nach einem Ort der Geborgenheit, des Gebets und der gelebten Spiritualität – als Kontrast zur städtischen Vereinzelung und Unverbindlichkeit. Auf die Not spirituell Suchender reagiert die Kirche mit einem evangelischen Kloster, das die Schätze der altkirchlichen Tradition pflegt und durch Gebet, Gemeinschaft und Gastfreundschaft einen sichtbaren „Anders-Ort“ schafft – eine Insel der Stille inmitten der pulsierenden Stadt. Die Kirche kennt verschiedene Sozialgestalten. Die Ortsgemeinde ist die bekannteste. Kommunitäten und Klostergemeinschaften bilden eine weitere, lange vernachlässigte Sozialgestalt von Kirche. Ein Stadtkloster reagiert auf religiöse Bedürfnisse, die von Ortsgemeinden eher nicht abgedeckt werden können. Wie stellt man sich das Leben im Stadtkloster konkret vor? Das Stadtkloster bietet einer Lebensgemeinschaft (Kerngruppe) Raum, die in der Nachfolge Jesu Christi einen alternativen Lebensentwurf im urbanen Umfeld entwickelt und dabei die Gottes- und Selbsterkenntnis anstrebt. Durch einen Trägerkreis und einen Freundeskreis sind verschiedene Formen der Verbindlichkeit und Zugehörigkeit zum Stadtkloster möglich. Gebet und Auftrag (ora et labora) sind zentral für die Gemeinschaft. Die Gastfreundschaft wird in der Tischgemeinschaft und in der Möglichkeit des „Klosters auf Zeit“ gepflegt. Welche Aufgaben hat das Stadtkloster? Das Stadtkloster ist ein Ort des immerwährenden Gotteslobes und der sichtbaren Nachfolge Christi. Tagzeitengebete stehen allen offen. Tischgemeinschaft mit Gästen wird gepflegt. Gästezimmer sind vorhanden, Kloster auf Zeit ist möglich. Seelsorge, geistliche Begleitung, Exerzitien, Kurse in Meditation und Kontemplation werden angeboten. Netzwerke zu andern Kommunitäten und Stadtklöstern werden gepflegt. Nach Bedarf und Möglichkeiten wird Unterstützung für Ortsgemeinden angeboten. Könnte das Stadtkloster mit der Stadtakademie zusammen arbeiten? Ja, das ist wünschenswert. Stadtakademie und Stadtkloster haben eine gemeinsame Zielgruppe: Wie die Stadtakademie will das Stadtkloster sogenannte Leitmilieus ansprechen. Es erweitert die Angebote der Stadtakademie um den liturgisch-spirituellen Aspekt. In welchem Gebäude soll das Stadtkloster sein? Das steht noch nicht fest. Ideal ist die Nähe zur Stadtakademie. Ein kirchliches Gebäude mit Tradition und Ausstrahlung mitten in der Stadt wird angestrebt. Wie verhält sich das Stadtkloster zur Ökumene? Das Stadtkloster ist als Teil der evangelisch-reformierten Landeskirche und gleichzeitig geschwisterlich verbunden mit allen Konfessionen. 130418 Stadtkloster Konzept 1 1 Einleitung Die „Stadt“ ist wieder attraktiv. Nachdem bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts die Flucht aus einer von Verkehrs- und Sozialproblemen überforderten Stadt vorherrschte und zu einer Segregation der bildungs- und einkommensstarken Schichten in die „Speckgürtel“ um die Städte führte, hat sich der Trend umgekehrt. Zürich wächst seit einigen Jahren dank eines positiven Wanderungssaldos und eines Geburtenüberschusses um jährlich rund 3000 Einwohner. Stadtentwicklung und Verwaltung rechnen nicht mit einer baldigen Änderung dieses Trends. Zürich ist gesellschaftliches und kulturelles Labor in einem weiten schweizerisch-süddeutschen Raum und Zentrum eines Metropolitanraumes mit rund 2 Mio. Menschen.1 Das Christentum ist eine städtische Lebensform gewesen, bevor sie Europas Landschaften geprägt hat und selber von ihnen geprägt worden ist.2 In den Städten und Agglomerationen Europas steckt der christliche Glaube heute aber in einer Krise. Monopolstellung, Definitionsmacht und institutionelle Plausibilität der Kirchen sind gebrochen. In der Grossstadt geht es für den Einzelnen auch ohne sie. Christlicher Glaube als Lebensangebot von Kirchen ist eine Option. In dieser Situation muss die Kirche ihre Option als Lebensstil darstellen und plausibel machen können. Dabei verfügt sie mit ihrer frohen Botschaft und dem daraus entspringenden Menschenbild über grosse alternative Stärken in einer von Vereinzelung, Selbstüberschätzung, fast zwanghafter Flexibilität und Unverbindlichkeit geplagten Gesellschaft. Gemeinschaft, Leben im Rhythmus, Selbsterkenntnis und urbanes Lebensgefühl könnten wiederum einen Ort finden, an dem sie sich verdichten, sichtbar zusammenfinden und verbindlich gelebt werden: im christlichen Stadtkloster. Vision In der verbindlichen Gemeinschaft eines Stadtklosters wird das möglich, was wir in unseren traditionellen Kirchgemeinden oftmals als unvereinbar empfänden: die experimentelle Verbindung von neuem, urbanem Lebensgefühl mit evangelischem Glauben, der sich in Formen ausdrückt, welche in über 1800 Jahren Entwicklung wurzeln. Als Ort des immerwährenden Gotteslobes, des Lobgesangs, der Selbstfindung und Nachfolge Christi sowie der Gastfreundschaft hat das Kloster eine Ausstrahlung in die ganze Stadt und darüber hinaus. Glaubwürdige sichtbare Nachfolge steckt an. 2 Ausgangslage 2.1 Spurgruppe‚StadtklosterZürich’ In Zürich treffen sich seit April 2011 etwa 20 Personen regelmässig, um ihrer gemeinsamen Sehnsucht nach einem verbindlichen christlichen Leben im Rahmen eines Stadtklosters Form zu geben. Diese Spurgruppe wird von mittlerweile rund 60 Sympathisant/innen begleitet. Es gehören ihr Leute von der Basis, Behördenmitglieder, kirchliche Angestellte und Pfarrpersonen an, darunter Mitglieder aus 1 Vgl. http://www.stadt-zuerich.ch/content/prd/de/index/stadtentwicklung.html (5.2.2013). Vgl. Niklaus Peter (Hg.): Urbanes Christentum: Festschrift zum Jubiläum 100 Jahre Verband der stadtzürcherischen evangelisch-reformierten Kirchgemeinden, Zürich, 2009. 2 130418 Stadtkloster Konzept 2 verschiedenen Gemeinschaften, Bewegungen und Kommunitäten (z.B. Diakonissen-Schwesternschaft Neumünster, Evangelische Schwesternschaft Saronsbund, Schweizerischer Diakonieverein, Verein Freundeskreis Kloster Kappel, Freundeskreis der Iona-Community, Michaelsbruderschaft, Evang. Frauen-Fokolar u.a.). Zu einem ersten, erfreulichen Etappenziel konnte die Gruppe wesentlich beitragen, nämlich zur Eröffnung des Quartierklosters Philadelphia im Zürcher Kreis 4 im August 2012. Das Hauptziel bleibt aber die Gründung eines Stadtklosters und der schöpferische Rückgriff auf die monastische (=klösterliche) Tradition. Das zweite Etappenziel stellt das vorliegende Konzept dar. Es will Grundlagen und Rahmenbedingen für ein zeitgemässes Stadtkloster aufzeigen, mehr kann ein Konzept nicht leisten. Die tatsächliche Gestaltung sowohl des Zusammenlebens als auch der Liturgie und des Wirkens wird stark von den Menschen abhängen, die als Kerngruppe im Kloster leben werden. 2.2 Kommunitäten–einwiederentdecktesPotential3 „Wo wären wir wohl heute, wäre es der Reformation gelungen, Klöster zu reformieren statt zu vernichten?“4 Die Reformation hat die mittelalterlichen Klostergemeinschaften radikal uminterpretiert und zu Lernorten der heiligen Schrift gemacht, zu Schulen und Pfarrhäusern. Diese Entwicklung fand in Zürich ihren späten Ausdruck und Höhepunkt in der Säkularisierung des Grossmünsterstifts und der gleichzeitigen Gründung der Universität 1831. Zugleich wurden die modernen Kirch- und Schulgemeinden und die politischen Gemeinden flächendeckend errichtet. Die Reformierten leben seither hauptsächlich in Ortsgemeinden. Klöster gibt es für sie seit dem 16. Jh. kaum mehr, und (Ordens-)Gemeinschaften mit verbindlichen Regeln führten zu lange ein Schattendasein. Gerade von Christen, die in verbindlicher Gemeinschaft leben, können aber wesentliche Impulse für die Erneuerung der Kirche ausgehen. Dies gilt in besonderer Weise für solche Gemeinschaften/Klöster, die inmitten eines Arbeits- und Alltagsortes wie der Stadt Zürich lokalisiert sind. Wo in einem weitgehend getriebenen und hektischen Kontext einige Menschen zusammenleben, die bewusst die innere und äussere Ruhe suchen und die ihre Zeit vom Gebet strukturieren lassen, hat dies irgendwann eine Ausstrahlung. Es kann zu einem Ort werden, der fasziniert, der in seiner Fremdheit anzieht. Suchende können Halt ausprobieren und mitgestalten, wo ihnen eine Gemeinschaft offen steht, die kommunitäres Leben im christlichen Geist übt. Kommunitäten und Bewegungen sind als sichtbare Orte des Gebets unverzichtbare Formen auch des evangelischen Kircheseins. Sie können durch Aktivitäten etwa in Sozialarbeit und Bildungsangeboten nicht ersetzt werden. Beispiele aus der Schweiz und aus Schweizer Initiative: Die ‚Communauté Don Camillo’ in Montmirail (Neuchâtel) hat im Jahre 2008 den Schritt nach Berlin gewagt, mit dem Aufbau des ‚Stadtklosters Segen’ und vor wenigen Monaten haben weitere Mitglieder aus Montmirail den Schritt ins Diakonissenhaus Bern vollzogen. Seit Jahren blüht im Stillen das Stadtkloster ‚El-Roi’ in Basel. Die reformierte Kirche St. Gallens befasst sich ebenfalls mit der Idee eines Stadtklosters und hat einen jungen Pfarrer mit der konzeptionellen Arbeit und praktischen Schritten zur Gründung beauftragt. 3 Vgl. Br. Thomas Dürr, Sr. Doris Kellerhals, Pierre Vonaesch (Hg.): Evangelische Ordensgemeinschaften in der Schweiz, 2003; Alfred Aeppli, Hans Corrodi, Peter Schmid (Hg.): Kirche im Miteinander von Ortsgemeinde, Kommunitäten und Bewegungen, 2011. 4 Ruedi Heinzer: „Einzige Alternative“ in: T. Dürr et al.: Evangelische Ordensgemeinschaften in der Schweiz, S. 114. 130418 Stadtkloster Konzept 3 Im Raume der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD haben zuerst auf lutherischem, aber auch auf reformiertem Boden und in altkirchlicher Tradition kommunitäre Lebensweisen wieder Auftrieb erhalten. Die EKD hat 1979 einen Beauftragten bezeichnet, der sich um die Wiederansiedlung und Neugründung von Kommunitäten innerhalb der evangelischen Landeskirchen kümmern soll. 2.3 BezugzuLegislaturzielenundMilieustudie Ein Stadtkloster nimmt ein zentrales Thema auf, das sich der Kirchenrat in seinen Legislaturzielen gegeben hat: „Hoffnung erfahren“. Zum „Selber Denken“ gesellt sich das „Anders Leben“, und christliche Erziehung und Bildung werden als „Beziehungsgeschehen“ verstanden.5 Verkündigung der christlichen Botschaft geschieht also nicht nur über Information, sondern in Erfahrungsangeboten. Sowohl in den Gebeten als auch in der Tisch- und temporären Lebens-Gemeinschaft offeriert das Stadtkloster einen Ort für neue spirituelle Erfahrung. Erfahrungen machen wollen heute viele. Aber nur noch wenige wollen das zuerst in einer christlichen Kirche. Ein Stadtkloster hat und nutzt den Vorteil, weniger Institution als vielmehr ein konkreter, eigenständiger, bespielter Raum der Frömmigkeit in der Stadt zu sein. Als gestaltbarer spiritueller Raum hat er grosses Potential, Menschen anzuziehen, die ihre eigene spirituelle Lebensgestaltung in den Raum einbringen und dort verankern. Eine Klostergruppe kann gegebenenfalls einen Geschichte tragenden Kirchenraum neu mit Leben füllen, was besonders für Menschen, die Stimmigkeit, Schönheit und Grösse als Zugänge für ihre Form der Gottesnähe verstehen, neu einladend wirkt (Ästhetik der „Arrivierten“). Ist ein solcher Raum nicht zur Verfügung, wird sich die Klostergruppe seiner ästhetischen Ausgestaltung besonders widmen, damit Menschen, die darin vor allem die Möglichkeit des Auftankens suchen („Moderne Performer“) und solche, die vermutlich eher Erfahrungen der Selbstfindung machen wollen („Postmaterielle“) gleichermassen Raum darin haben. Der Raum braucht am Ende die Qualität überzeugender Schlichtheit bei gleichzeitig hoher Flexibilität in der Nutzung. Eine milieusensible Gestaltung der stadtklösterlichen Aktivitäten hat auch Auswirkung auf die Formate. So wird für die genannten Milieus beispielsweise Liturgie als ästhetisches Ereignis eine grosse Bedeutung haben („Arrivierte“), die Möglichkeit „Kloster auf Zeit“ zu erleben für „Postmaterielle“ als eines von vielen Projekten im Leben ansprechend wirken und die Stille des Klosters für „Moderne Performer“ ein möglicher Ort des Auftankens im Rahmen der Work-LifeBalance darstellen. Damit das Stadtkloster kein Kloster „für“ andere sondern „von Suchenden“ werden kann, ist es in seiner Realisierungsphase sinnvollerweise so angelegt, dass Menschen der genannten Milieus von Beginn an für das Projekt geworben werden und sich aktiv an seiner Ausgestaltung beteiligen. 2.4 SituationderEvang.‐ref.KircheinderStadtZürich Der Verband der stadtzürcherischen evangelisch-reformierten Kirchgemeinden mit seinen 33 reformierten Kirchgemeinden der Stadt Zürich und einer Agglomerationsgemeinde und insgesamt rund 100‘000 Mitgliedern steht in einem grossangelegten Reformprozess. Damit will die Kirche auf 5 Reformierte Kirche Kanton Zürich: Legislaturziele 2012-2016: Freiheit ergreifen – Hoffnung erfahren, S. 4, 15. 130418 Stadtkloster Konzept 4 die massiven Herausforderungen antworten, die sich ihr in der Stadt Zürich in besonderem Masse stellen. Verwaltung und Infrastruktur wurden für eine Kirche mit 270‘000 Mitgliedern (damals mehr als zwei Drittel der Einwohner Zürichs) und mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung errichtet und seither weiter unterhalten. Die Mitgliederzahlen der stadtzürcherischen evangelisch-reformierten Kirchgemeinden sind jedoch seit ca. 1970 rückläufig.6 Beinahe die Hälfte der finanziellen Ressourcen werden für den Erhalt und Betrieb der kirchlichen Liegenschaften aufgewendet, nur ein Drittel der Steuermittel fliessen in das Programm (einschliesslich Personal) der Kirchgemeinden. Das neue Kirchengesetz mit seiner Entflechtung zwischen Landeskirche und Staat und höherer Autonomie der kirchlichen Institutionen, die Mitgliederentwicklung sowie die Anforderungen an eine zeitgemässe Verbandsstruktur veranlassten die Zentralkirchenpflege, eine Ist-Analyse extern in Auftrag zu geben. Die Analyse ergab dringenden Reformbedarf auf struktureller Ebene von Stadt und kirchlichen Orten. In einer breiten Auslege-Ordnung erarbeitete die damit betraute Teilkommission7, bestehend aus Experten in Behörden und Berufsgruppen sowie Stadtentwicklung und universitärer Praktischer Theologie, 5 Modelle für eine künftige Struktur auf der Ebene der Kirchgemeinden bzw. der kirchlichen Orte. Leitende Absicht war es, mit Elementen der Neuorientierung auch einen programmatischen Aufbruch in einer Organisation zu beflügeln, die vor allem auf Rückbau und Konsolidierung ausgerichtet war. Mittels der Milieu-Studie8 sollte hier ein wesentliches Element des Aufbruchs eingebracht werden, indem einerseits ein Zugang zu bisher kirchlich nicht partizipierenden Menschen gesucht und andererseits die Blickrichtung von der Strukturerhaltung auf den eigenen Auftrag ermöglicht würde. Neben der Profilierung aufgrund der Erkenntnisse der Sinus-Studie stehen die Förderung anderer „Fresh expressions of church“ 9, insbesondere auch die Berufung und Pflege kommunitären Lebens innerhalb der Landeskirche und ihren Kirchgemeinden an. Denn ‚Fresh expressions of church’ umfassen neben neuen Sozialgestalten von Kirche auch Formen des New Monasticism.10 Zusammen bilden sie die Kernpunkte für eine ‚Mission Shaped church‘, die innerhalb der anglikanischen Kirche in England eine vielversprechende Gemeindeentwicklung ermöglicht. Im Reformprozess ist neben Profilierung von Gemeinden mittels Aufsuchen neuer Lebenswelten der mitarbeiterorientierte Gemeindeaufbau über die Integration von Kommunitäten zu lancieren. In der Stadt Zürich sollen deshalb Formen von kommunitärem Leben gefördert und mit dem Gemeindeleben verbunden werden. 6 Von 2000-2007 sank deren Mitgliederbestand um jährlich knapp 2% auf 97'000 (2007). Bis zum Jahr 2030 ist mit einem weiteren Verlust von knapp 20'000 Mitgliedern zu rechnen; dann werden noch 21% der auf 400‘000 Einwohner steigenden Stadtbevölkerung einer reformierten Kirchgemeinde angehören. 7 Vgl. Schlussbericht der Phase I, Teilprojekt 5 «Gebietsreform» der Reform 2009 –2016, Sept. 2011 (http://reform-stadtverband-zh.ch/fileadmin/public/oeffentliche_downloads/Medienberichte/Schlussbericht_TK5_102011_WEB.pdf, 3.2.2013). 8 Für Sinusstudie und Orientierungshilfe siehe Matthias Krieg, Roland Diethelm, Thomas Schlag (Hg.): Lebenswelten: Modelle kirchlicher Zukunft, Näher, vielfältiger, profilierter, 2 Bde., 2012. 9 Vgl. Steven Croft, Ian Mobsy, Stephanie Spellers (Hg.): Ancient Faith, Future Mission: Fresh Expressions in the Sacramental Traditions, 2010. 10 Vgl. Graham Cray, Ian Mobsby, Aaron Kennedy (Hg.): New Monasticism as Fresh Expressions of Church, 2010. 130418 Stadtkloster Konzept 5 Nach einer Phase der Meinungsbildung und Entscheidung sollen die nötigen Strukturreformen bis 2019 umgesetzt werden. 3 EvangelischbenediktinischlebeninderStadt Das Stadtkloster in Zürich bietet einer Lebensgemeinschaft Raum, die in der Nachfolge Jesu Christi einen alternativen Lebensentwurf im urbanen Umfeld entwickelt und dabei die Gottes- und Selbsterkenntnis anstrebt: in gemeinsamem Gebet, Gehorsam gegenüber ihrem Gott und Verbindlichkeit gegenüber ihrer Gemeinschaft und ihrer Arbeit. Die Lebensgemeinschaft bietet Gastfreundschaft im vollen Sinne, indem sie Tischgemeinschaft pflegt (formal mit Tischsitten, Stille, Lesung und einem Küchenbetrieb) Tagzeitengebet als permanente lectio divina und laus perennis hält (in Anlehnung an die benediktinischen Antiphonalia) und den Psalter als Seelenspiegel des Menschen vor Gott wie einen Führer durch unser Herz regelmässig durchbetet (ist in vielen Gemeinschaften auch für die abwesenden Brüder und Schwestern verbindlich). 3.1 GrundlagenundLeitmotive Suchen und gefunden werden: Das Stadtkloster ist einer doppelten Suchbewegung verpflichtet und bietet dadurch auch andern Suchenden Raum: „Suchet der Stadt Bestes!“ (Jer 29,7) und „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit“ (Mt 6,33). Traditionsbezug: Die Stadtklostergemeinschaft knüpft an traditionelle klösterliche Lebensformen an (vgl. 3.3) und erarbeitet, durchaus auch experimentell, ihre Neuinterpretation monastischer Regeln. Der benediktinischen Tradition folgt sie 1. im Tagzeitengebet, 2. in der Bereitschaft, Alltagsleben miteinander zu teilen (vita communis) und 3. in der Verbindung von Gebet mit Arbeit (ora et labora). Ökumenische Offenheit: Die Mitglieder der Stadtklostergemeinschaft sind der eigenen HerkunftsKonfession treu und gleichzeitig geschwisterlich verbunden mit allen Konfessionen. Urbane Menschen kümmern sich immer weniger um Konfessionsgrenzen und sind meist auch interkulturell offen. Die Zusammenarbeit mit andern Kommunitäten der Stadt wird ausdrücklich gewünscht und gepflegt. Sehnsuchtsort („Heterotopos“): Das Stadtkloster versteht sich als Anders-Ort inmitten eines Wirtschaftszentrums. Alternative Elemente zum urbanen Lebensentwurf werden gesucht in einem auf dem Gehorsam gegenüber dem Evangelium basierenden Lebensentwurf. Sie werden hier ausprobiert und eingeübt (vgl. Legislaturziele S. 15: „Selber denken und anders leben“). Grundsätzlich anerkennt die Klostergemeinschaft allerdings ihr Verwobensein mit urbanen Lebensentwürfen, sie sucht bewusst keine Totalverweigerung in der Abgeschiedenheit. Die bewusste Auseinandersetzung mit der entstehenden Spannung ist eine Grundaufgaben des Christseins in der Welt. Dies vorausgeschickt, versteht sich das Stadtkloster als Insel der Stille inmitten des lauten und schnellen Pulses des städtischen Betriebs. Als ein Ort der Einübung einer kontemplativen Grundhaltung. Ein Ort der Prägung durch biblische Überlieferungen. Ein Ort des Lernens von gemeinsamer geistlicher Entscheidungsfindung sowie ein Ort wacher Zeitgenossenschaft. – So will es letztlich ein Ort der Inkarnation werden. 130418 Stadtkloster Konzept 6 Hier kann geschehen, was in reformierter Tradition nicht immer leicht gefunden wird: dass persönlicher Glaube eine konkrete, sichtbare Gestalt annimmt. In der Klostergemeinschaft erhält er eine Gestalt, die sich ein Neugieriger einmal anschauen kann („So leben die also das, was ihnen aus den biblischen Überlieferungen wichtig ist!“), an die er sich probeweise für kürzere oder längere Zeit anschliessen kann, die er allenfalls mittragen und -formen will. 3.2 SozialgestaltenvonKirche11 Obschon seit den Gründungen der Diakonissenhäuser im 19. Jh. auch in der Schweiz kommunitäre Lebensformen im evangelischen Umfeld wieder gepflegt wurden, begegnet uns vereinzelt die kritische Anfrage, ob denn ein Stadtkloster „etwas Evangelisch-Reformiertes“ sein könne. Darum sei hier unser Ja kurz begründet. „Die eine Kirche lebt auch in der Kommunität – nicht eine andere Kirche, nicht eine abgesonderte Kirche, sondern dieselbe Kirche, jene, die gleichzeitig auch in den Ortsgemeinden lebt.“12 Die eine Kirche erscheint in verschiedenen Sozialgestalten, die sich alle in den ersten Jahrhunderten des Christentums herausgebildet hatten. Die Kirche in ihren unzähligen Erscheinungsformen kann unterschieden werden in die weltweite universale Kirche, die Ortsgemeinde (Parochialgemeinde), die partikulare Kirche (z.B. Landeskirche) und die Orden/Klöster. Ortsgemeinde und universale Kirche sind dabei gleich ursprünglich, beide werden im Neuen Testament mit dem Begriff Ekklesia bezeichnet. Ekklesia meint einerseits die Gesamtkirche (1 Kor 15,9), andererseits die Einzelgemeinde (1 Kor 1,2). Diese beiden Gestalten haben auch aufgrund ihres Alters zu Recht bis heute in der evangelischen Kirchen eine hervorgehobene Bedeutung. Daneben entwickelte sich bald die Partikularkirche, Ansätze dazu sind auch bereits im Neuen Testament zu finden (vgl. z.B. 1 Kor 16,1, wo Paulus von „den Gemeinden in Galatien“ spricht). An der Wende vom dritten zum vierten Jahrhundert entstand schliesslich eine weitere Sozialgestalt von Kirche, die später unter der Bezeichnung Orden bzw. Kloster begrifflich zusammengefasst wurde. Neutestamentliche Analogien zum späteren christlichen Ordenswesen lassen sich durchaus im Zusammenleben der Jünger und Jüngerinnen des irdischen Jesus finden (Lk 8,1-3). Orden bzw. Klöster verstehen wir also, wie etwa auch die Evangelische Kirche in Deutschland seit 1997 explizit betont, als legitime Sozialgestalt auch der evangelischen Kirche.13 In Folge der Reformation hat sich die Wertung einzelner Sozialgestalten von Kirche verschoben. Diese Verschiebung ist aber nicht als absolut zu verstehen. Die im Mittelalter im Vordergrund stehenden Gestalten, nämlich die gut sichtbare Universalkirche (repräsentiert in Rom) und das Kloster, wurden in ihren Fehlentwicklungen kritisiert. Die Reformatoren entdeckten das allgemeine Priestertum und befreiten die Spiritualität aus der Usurpation durch religiöse Eliten. Dadurch erhielt die Ortsgemeinde eine neue Würde und Bedeutung. Mit dem Wegfall des Papsttums im Protestantismus erhielten dann auch die Partikularkirchen (z.B. Landeskirchen) grössere Bedeutung. Seit einigen Jahrzehnten wächst evangelischerseits das Bewusstsein für die in den Hintergrund getretenen Sozialgestalten der weltweiten Universalkirche einerseits und der Orden/Klöster 11 Vgl. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland: Verbindlich leben: Kommunitäten und geistliche Gemeinschaften in der Evangelischen Kirche in Deutschland, EKD-Texte 88, 2007. 12 Vgl. Tagung des Landeskirchenforums und des Forums Evangelischer Ordensgemeinschaften der Schweiz vom 5. 2.2011 „Kirche gestalten in Kirchgemeinde und Kommunität“ http://www.landeskirchenforum.ch/tagungsinhalte; Zit. Grusswort Gottfried Locher. 13 Siehe Ulrich Wilckens: Die evangelischen Kommunitäten: Bericht des Beauftragten des Rates der EKD für den Kontakt zu den evang. Kommunitäten, EKD-Texte 62, 1997; darin als Anhang enthalten ist eine ekklesiologische Standortbestimmung der evang. Kommunitäten in Bayern: Zum Selbstverständnis der Evang. Kommunitäten, 1991. 130418 Stadtkloster Konzept 7 andererseits. Dies kann als Vervollständigung eines einseitigen Kirchenverständnisses verstanden werden. Dass die reformatorischen Anliegen, die vom 16. Jh. an zur Aufhebung von Klöstern geführt hatten, heute in evangelischen Gemeinschaften hoch gehalten werden, ist selbstverständlich. Noch wichtiger als diese historische Herleitung ist aber die in der ecclesia reformata semper reformanda hoch gehaltene Einsicht, dass unabhängig von weiteren Kriterien dort, wo zwei oder drei in Christi Namen versammelt sind, er mitten unter ihnen ist (Mt 18,20); und dass dort, wo das Evangelium rein gepredigt und die Sakramente evangeliumsgemäss gereicht werden, bereits Kirche ist. Das kann in jahrhundertealten Sozialgestalten geschehen, also etwa in Klöstern, das kann aber auch, wie die Bewegung der fresh expressions of church betont, in neuen Sozialgestalten geschehen, die bisher noch gar nicht gedacht worden sind – so auch in unterschiedlichen Formen von Gemeinschaften. 3.3 InmonastischerTradition14 Die Stadtklostergemeinschaft knüpft an traditionelle klösterliche Lebensformen an. Das Ziel des monastischen Lebens ist ein Leben gemäß der heiligen Schrift in der Nachfolge Jesu Christi. Jesus Christus wirkt als Arzt für Leib und Seele. Den Anschluss an die Tradition geschieht über eine Neuinterpretation der Grundbegriffe des monastischen Lebens: Gottsuche, gemeinsames Leben, geistliche Übung. Besondere Quellen für die Neuschöpfung der Tradition sind die Bergpredigt und die lectio divina (regelmässige Beschäftigung mit der hl. Schrift). Das monastische Leben hat sich in der Spätantike entwickelt. Es ist ein Versuch, die Freiheit der Kinder Gottes zu bewahren, in der Zeit auf die Wiederkunft Christi zu warten und sich mit Mitteln der Wachsamkeit zu üben. Als Bestärkung für diese Wachsamkeit entwickelte sich das gemeinsame Leben und der Rückzug (Anachorese) in die Wüste. Am Anfang war das Mönchtum eine Bewegung mit großer formaler Vielfalt. Es war Lebensideal von männlichen und weiblichen Ehelosen im Elternhaus, im eigenen Haushalt oder in einer Gemeinschaft innerhalb der Gemeinde; es gab Hausklöster (Familienaskese), Anachoretentum, Wandermönche, Zönobiten in kleinen und großen Klöstern, Klerikergemeinschaften, Basilikaklöster. Immer ist der Rückbezug auf die Heilige Schrift und ihre Aktualität im eigenen Leben zentral für "Mönchtum". In der Spätantike war die gelebte Regel einer Vita eines hervorragenden Kirchenmannes viel wichtiger als ein geschriebenes Papier. Grosse Wirkung entfalteten die Augustinerregel für Kanoniker in der Welt und die Benediktsregel für Lebens- und Arbeitsgemeinschaften. 3.4 „Evangelischbenediktinischsein“15 "Die Benediktiner […] sind ein kontemplativ ausgerichteter Orden innerhalb der römischkatholischen, aber auch in der anglikanischen Kirche und vereinzelt in der evangelisch-lutherischen Kirche. Der Benediktinerorden gilt gemeinhin als ältester Orden des westlichen Ordenslebens. Bezeichnend sind die Grundsätze des Ordens, die neben der Ordensregel (Regula Benedicti) alles enthalten, was den Benediktinerorden auszeichnet: ‚Ora et labora et lege‘ (lateinisch: ‚Bete und arbeite und lies‘). Drei Gelübde legt der Benediktinermönch im Laufe seines Ordenslebens ab: „Stabilitas“ (Beständigkeit in der Gemeinschaft), „Klösterlichen Lebenswandel“ und „Gehorsam“. Als ein Motto 14 Vgl. dazu Regula Benedicti. Die Benediktusregel lateinisch/deutsch. Hrsg. i.A. d. Salzburger Äbtekonferenz, Beuron 1992. Vgl. auch Sr. Doris Kellerhals: Heilende Gemeinschaft in der Postmoderne unter besonderer Berücksichtigung der Benediktusregel: Ein Beitrag zum Bau von kirchlicher Gemeinschaft, 2005. 15 130418 Stadtkloster Konzept 8 der Benediktiner kann gelten: ‚Ut in omnibus glorificetur Deus – Auf dass Gott in allem verherrlicht werde‘.“16 Benediktinische Klöster waren und sind bis heute hervorragende Bildungsorte des Christentums und des Abendlandes. Bibliotheken und Schulen gehörten zum Kloster ebenso wie sie dem christlichen Europa die antike Bildung weitergeben haben. Wenn ein Stadtkloster sich auf benediktinische Tradition gründet, nimmt es dieses Erbe auf und versteht sich selbst als herausragenden Bildungsort der Kirche. Die Regula Benedicti gründet auf der Bereitschaft von Menschen, aus der geltenden Gesellschaft und ihren Konventionen auszuwandern ("Anachorese") und sein Leben der Kontemplation zu widmen. Arbeit und Gebet werden dabei in einem Gleichgewicht gehalten ("immerwährendes Gebet", regelmäßige Arbeitszeiten, arbeitsteilige Struktur, grundsätzlich Selbstversorgung der Gemeinschaft). Die Regula Benedicti geht dabei von der klassischen spätantiken monastischen Askese aus, welche sich an den drei "evangelischen Räten" orientiert (Keuschheit, Armut und Gehorsam, wie Christus sie in seiner Bergpredigt seinen Nachfolgenden als Leitsterne vorstellte). Die Regula Benedicti stellt diese Lebensform aber dezidiert in den Dienst der Gemeinschaft. Zu dieser Gemeinschaft gehören ein gemeinsamer Lebens-, Arbeits- und Gebetsrhythmus, ein gemeinsamer Tisch und ursprünglich ein gemeinsames Dormitorium (später Einzelzellen innerhalb der Klausur). Wenn ein Stadtkloster sich in benediktinischer Tradition gründet, dann baut es auf einer Gemeinschaft auf, die sich selbst vor Gott verstehen will und um einen Tisch versammelt. Sie nimmt damit ein in langer Tradition bewährtes Lebensmodell in Anspruch, das sie in evangelischer Freiheit und Demut neu interpretieren will und für ihre eigenen Möglichkeiten adaptiert. Die Gemeinschaft pflegt die antike heilige Tugend der Gastfreundschaft. Im Gast begegnet ihr Christus selbst. Eine Gemeinschaft, ein Haus in benediktinischer Tradition, ist deshalb vom Wesen her gastfreundlich. Die Liturgie dient ihr als heilender Rahmen und ist Ausdruck von Gemeinschaft. In erster Linie nimmt die Liturgie die kontemplative Lesung der heiligen Schrift auf, insbesondere der Psalmen. Sie sind gleichsam ein Seelenspiegel. (Calvin 1551: "Das Buch der Psalmen ist ein Spiegel, der uns zeigt, was uns zum Gebet sowie zum Dank und Lobpreis Gottes führen soll, wenn er unser Gebet erhört.") Dieser Kontemplation der heiligen Schrift dienen sodann die ursprünglich sieben Tagzeitengebete mit ihrer rhythmisierten und portionierten Lesung im gemeinsamen Tagesablauf. Als solcher Rhythmus der heiligen Schrift kann die Liturgie heilende Kräfte entfalten bzw. selbstheilende Kräfte stärken. Benediktinische Tradition heißt deshalb, mit Hilfe eines liturgischen Rhythmus eine Balance von Arbeit und Kontemplation in Gemeinschaft und Selbstreflexion zu praktizieren. Im Zentrum steht die Kontemplation der Schrift, die Bergpredigt als Leitstern der Gemeinschaft: Mit diesen Charakteristika ist benediktinische Tradition von sich her evangelisch. Die Wertschätzung der Psalmen führt beispielsweise direkt in das Zentrum calvinischer Theologie. Die Beziehung von Gott und Mensch erkennt Calvin als das große Thema der Psalmen. Der Calvinforscher Herman Selderhuis nennt darum die Psalmen zu Recht das „Herz“ der calvinischen Theologie. Zwar hat sich in der Reformationszeit auch der Benediktinerorden teilweise als Hort reformatorischer Gesinnung hervorgetan, insgesamt ist er aber in der römischen Kirche verblieben. Verbreitet sind die 16 Wikipedia, Art. „Benediktiner“ http://de.wikipedia.org/wiki/Benediktiner (11.3.2013). 130418 Stadtkloster Konzept 9 Benediktiner aber auch als Orden der anglikanischen Kirche. Darüber hinaus gibt es auch dezidiert evangelische Gemeinschaften, die sich in benediktinischer Tradition stehen sehen, insbesondere den Casteller Ring in der lutherischen Kirche.17 Ein evangelischer und insbesondere ein evangelisch-reformierter Zugang zur benediktinischen Tradition im Rahmen einer städtischen Kommunität bietet die Chance, die Kernanliegen der Regula Benedicti neu zu interpretieren. Gütergemeinschaft, verbindliche Gemeinschaft und Freiheit, Balance von Arbeit und Kontemplation, Selbstreflexion und Gastfreundschaft sind Grundbegriffe einer erneuerten evangelischen Regel. Aus ihnen sollen auch die Rollen der Geschlechter, gesellschaftliche Rollenerwartungen und das Zusammenleben neu beleuchtet werden. Orte benediktinischen Lebens stehen in der Regel außerhalb parochialer Strukturen (Kirchgemeinden), oft und strukturell insgesamt sogar außerhalb der Diözese (Ortskirche). Sie dienen diesen Formen kirchlichen Lebens aber über Seelsorge, Bildung und Ausstrahlung der Liturgie. Das Stadtkloster will als Teil der Landeskirche wahrgenommen werden. Diese Einbindung fördert die Verankerung der Gemeinschaft im größeren Ganzen, wehrt einer über-charismatischen Entwicklung und garantiert am besten eine offene ökumenische und theologische Haltung. Umgekehrt erfahren die Landeskirche und die evangelisch-reformierte Kirche der Stadt Zürich durch den Ort eine Belebung. Sichtbar verbindliche christliche Gemeinschaft kann hier eine exemplarische Funktion übernehmen. 4 Umsetzung 4.1 Gebet(oratio) Konstitutiv für die Klostergemeinschaft ist der gemeinsame Wille und die gegenseitige Verpflichtung, Gott zu dienen und das Gotteslob zu halten. Klarster und vornehmster Ausdruck dieses Gemeinschaftswillens sind die Gastfreundschaft und das Tagzeitengebet. Es ist „Gemeinschaftspflicht“ (officium). Wer im Kloster wohnt und wer im Kloster arbeitet, nimmt an den Gebeten teil. So wird das immerwährende Gebet (laus perennis) aufrechterhalten. Ebenso stehen die Gebete allen Interessierten und Suchenden offen. In der Stadt Zürich werden in verschiedenen Kirchen bereits einzelne Morgen-, Mittags- oder Abendgebete an Arbeitstagen angeboten. Das Stadtkloster versteht sich als Gemeinschaft, welche das immerwährende Gebet aufrechterhält, auch unabhängig von externen Besuchern. Es geht nicht darum, ein zusätzliches Angebot auf dem religiösen „Markt“ zu lancieren, sondern in erster Linie um eine zuverlässige Präsenz. So soll, auch wenn im Folgenden Aktivitäten und Dienstleistungen des Klosters beschrieben werden, betont sein: Auch gegenüber dem vielen „Machen“ will das Stadtkloster mit seiner Präsenz, seinem sichtbaren, stillen Da-Sein ein Gegen-Ort darstellen. Denn letztlich orientieren sich christliche Gemeinschaften nicht an der Nützlichkeit.18 17 http://www.orden-online.de/linkverzeichnis/index.php?rubrik_id=15 (11.3.2013). Vgl. Ruedi Reich: „Nicht an der ‚Nützlichkeit‘ orientieren sich Ordensgemeinschaften, weder an der ‚sozialen Nützlichkeit‘ im Einsatz für andere Menschen, noch am ‚Nutzen‘, den die Angehörigen der Gemeinschaften im Getragenwerden durch die Kommunität und in der sinnvollen gemeinschaftlichen Selbstentfaltung erfahren. Es geht um Christus, um die Existenz des gekreuzigten und auferstandenen Christus in der Welt, um den Leib Christi, der in der Gemeinschaft und im Dienst erfahrbar wird“ (T. Dürr et al.: Evangelische Ordensgemeinschaften in der Schweiz, S. 113). 18 130418 Stadtkloster Konzept 10 Die genaue Form des Gebets sowie die Häufigkeit (morgens und/oder mittags und/oder abends) ist durch die Klostergemeinschaft zu bestimmen. 4.2 Gemeinschaft(vitacommunis) Das Stadtkloster in Zürich bietet einer Lebensgemeinschaft Raum, die in der Nachfolge Jesu Christi einen alternativen Lebensentwurf im urbanen Umfeld entwickelt und dabei Gottes- und Selbsterkenntnis anstrebt: in gemeinsamem Gebet, Gehorsam gegenüber ihrem Gott und Verbindlichkeit gegenüber ihrer Gemeinschaft und Arbeit. Da das Kloster einen breiteren Interessentenkreis ansprechen soll, sind die Formen der Verbindlichkeit heutigen Bedürfnissen und Möglichkeiten angepasst: Es ist ein Kloster auf Zeit mit selbst gewählter, darin aber verbindlicher Selbstverpflichtung zu Form, Nähe und Präsenz. Folgende drei Kreise ergänzen sich gegenseitig: Kerngruppe (1. Kreis): Eine im Klostergebäude wohnende Kerngruppe, die (nebst extern möglicher Erwerbstätigkeit) tagsüber auch im Kloster arbeitet. Denkbar ist eine monastisch geübte Kerngruppe, und/oder eine experimentelle unter Begleitung. Je nach örtlichen Verhältnissen sind Aufteilungen nach Geschlecht möglich. Die Kerngruppe wird sich überlegen müssen, ob auch Familien dazugehören können. Die Kerngruppe lebt nach einer zu definierenden Klosterregel verbindlich. Trägerkreis / „Regulare“ (2. Kreis): Ein Kreis von sich verbindlich für gewisse Zeiten einstellenden Personen, die bestimmte Aufgaben übernehmen, aber i.d.R. ausserhalb des Klosters wohnen und berufstätig sind. Sie übernehmen z.B. einmal wöchentlich die Verantwortung für ein Tagzeitengebet oder andere Aufgaben und wohnen in gewisser Regelmässigkeit im Kloster (z.B. einen Monat jährlich), entsprechend den übernommenen Aufgaben. Gleichzeitig verpflichtet sich dieser 2. Kreis ebenfalls auf eine zu definierende spirituelle Verbindlichkeit und Übung im Alltag. Hier sind auch individuelle, evtl. begleitete Zielsetzungen möglich. Freundeskreis / Sympathisanten (3. Kreis): Wer weder im Kloster wohnt noch dort regelmässige Aufgaben übernimmt, kann dem Freundeskreis angehören. Dieser Kreis ist dem Kloster wohlgesonnen, unterstützt es und nimmt je auf seine Art am Leben und den Angeboten des Stadtklosters teil. 4.3 Arbeit/Auftrag/Dienstleistungen(labor) Das Stadtkloster steht im Zeichen einer evangelischen Gastfreundschaft, die Begegnung im vollen christlichen Sinne des Wortes ermöglicht: Begegnung mit dem Anderen, Begegnung mit sich selbst, Begegnung mit Gott. Die drei Aspekte Tischgemeinschaft, geistliche Übung und Tagzeitengebet stehen auch im Dienste dieser Gastfreundschaft. Daran richtet sich die Arbeit im Stadtkloster aus. Eine Zusammenarbeit mit der geplanten Stadtakademie ist denkbar, insbesondere wenn das Kloster im gleichen Gebäude untergebracht ist. Dabei verhalten sich Stadtakademie und Stadtkloster komplementär hinsichtlich der Zeitstruktur: In der Stadtakademie werden Menschen mit kurzen und intensiven thematischen Formaten vor allem nach Arbeitsschluss angesprochen. Im Stadtkloster hingegen finden diese Menschen Raum für eine Vertiefung dieser Themen und ihrer eigenen Spiritualität sowie für persönliche Begegnungen mit Vertreterinnen und Vertretern der Kirche. Im Kloster leben auch Personen, die einer externen Berufstätigkeit nachgehen. Nachfolgend werden nur die im Kloster geleisteten Dienste erwähnt. 130418 Stadtkloster Konzept 11 1. Tagzeitengebet und Gotteslob: eine Schola mit Kantorat und theologischer Begleitung leitet das Gebet der Gemeinschaft. Dieses ist offen für Gäste. 2. Geistliche Angebote (neben den Tagzeitengebeten): Seelsorge, geistliche Begleitung, in Verbindung mit der Stadtakademie Kurse in Meditation, Kontemplation, Exerzitien. 3. Tischgemeinschaft (gastronomische Angebote): „Klosterbar“ zur Feierabendzeit. Verbunden mit diskretem, niederschwelligem Seelsorgeangebot. Klösterliche Tischgemeinschaft entweder in Form eines öffentlichen Restaurationbetriebs über Mittag (im Genre der Erlebnisgastronomie eine Form der „schweigenden Mahlzeit“) oder in Form einer erweiterten klösterlichen Tischgemeinschaft. Ein eigentlicher Hotelbetrieb wird nicht geführt, aber Übernachtungen in Gästezimmern und Kloster auf Zeit sind möglich. 4.4 Gebäude Geeignete Räumlichkeiten für ein Stadtkloster müssen minimal folgende Kriterien erfüllen: Geeignete Lage (zentral, gute Erreichbarkeit, dennoch höchstens mässiger Strassenlärm) Wohnraum für eine Klostergemeinschaft und Gäste auf Zeit Kirche oder Andachtsraum Gemeinschaftsräume, privat und öffentlich Grosse Küche und Speisesaal Büro-Räume Ansprechender Aussen-Bereich (Platz, Innenhof oder Grünfläche) Derzeit wird nach einer Liegenschaft gesucht, die gleichzeitig Stadtakademie und Stadtkloster aufnehmen kann. Ein Abtausch von kirchlichen Liegenschaften gegen eine geeignete städtische Liegenschaft könnte auch geprüft werden. 5 SynergienundKooperationen 5.1 Stadtakademie Stadtakademie und Stadtkloster haben eine gemeinsame Zielgruppe: Wie die Stadtakademie will das Stadtkloster die gesellschaftlichen Leitmilieus ansprechen. Es erweitert die Angebote der Stadtakademie um den liturgisch-spirituellen Aspekt. Die Stadtakademie sehen wir als „Kopf“ – das Stadtkloster als „Herzschlag“, insbesondere durch die Tagzeitengebete. Im Bildungsbereich beschränkt sich das Stadtkloster auf die Einübung in geistliche Übungswege (Meditation, Kontemplation, etc.) und benutzt dafür zeitweise auch Räumlichkeiten der Stadtakademie. Umgekehrt sind Lehrende und Lernende der Stadtakademie eingeladen, an Gebet und Tischgemeinschaft des Stadtklosters teilzunehmen. Einige weitere Möglichkeiten: Das Stadtkloster könnte mit eigenen Freiwilligen und in Zusammenarbeit mit der Stadtakademie Erwachsenenbildung für die Kirchgemeinden anbieten, allenfalls auch andere Unterstützung geben. 130418 Stadtkloster Konzept 12 Die Einsatzgebiete des Stadtklosters sind hier nicht abschliessend aufgeführt. Vieles wird vom Ort und den personellen Möglichkeiten abhängen. 5.2 Reformprojekt Das Thema „new monasticism“ als eine der Formen einer „fresh expression“ von Kirche soll mit dem Reformprojekt der Stadtkirche („Stadtverband“) Zürich koordiniert werden.19 5.3 AufsuchendeSeelsorge Menschen haben nicht nur Sehnsucht, Spiritualität zu leben. Sie suchen auch geschützte Räume, wo sie ihre spirituelle Not thematisieren können und im achtsamen Gespräch über Sehnsüchte, Zweifel, Gottesfragen aber auch über ihren ganz persönlichen Lebens- und Glaubensweg zu ihrer persönlichen Spiritualität finden oder sie vertiefen können. Im gemeinsamen Gespräch lernen Menschen, Glaubensfragen wieder eine Sprache zu verleihen. Das Stadtkloster soll zu einem Ort werden, an dem Menschen ein offenes Ohr finden, aber auch ein Ort, von dem Seelsorgende (Laien und professionelle) ausgesandt werden, um Menschen in ihren Lebenswelten aufzusuchen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. 5.4 Netzwerk Das Stadtkloster Zürich pflegt engen Kontakt mit andern (entstehenden) Stadtklöstern, mit lokalen Kirchgemeinden und mit Kommunitäten in Zürich, Über das 2004 gegründete „Forum evangelischer Ordensgemeinschaften der Schweiz“, welches leitende Schwestern und Brüder von Diakonissenhäuser und Kommunitäten vereint, werden gesamtschweizerisch Kontakte aufgenommen, ebenso soll der Kontakt mit dem ökumenischen Netzwerk von Bewegungen und Gemeinschaften „Gemeinschaften im Miteinander“20 gesucht werden. Das Stadtkloster könnte u.a. mit pensionierten Pfarrpersonen und diakonischen Mitarbeiter/innen zusammenarbeiten. Auch sollen etwa pensionierte Professoren/innen, Mittelschullehrer/innen und Kaderleute gewonnen werden als hochqualifizierte freiwillige Mitarbeiter, die Verbindungen ermöglichen zu ihren jeweiligen Netzwerken. Es gibt schon jetzt verschiedene Orte kommunitären Lebens in der Stadt Zürich. Das Stadtkloster könnte die verschiedenen Kommunitäten, ihre Träger- und Freundeskreise untereinander und mit Ortsgemeinden stärker verbinden. Eine Internetseite könnte eine solche Profilgemeinde und Interessierte informieren und vernetzen. Es gäbe auch gesamtstädtische Anlässe/Feiern/Gottesdienste. Das Stadtkloster begegnet der Tendenz der Privatisierung des Glaubens mit einem Kirchenverständnis in weltweiter Verantwortung und Verbundenheit. 19 Mehr Informationen siehe auf http://www.freshexpressions.ch und http://www.reform-stadtverband-zh.ch/ (5.2.2013). Siehe Peter Dettwiler: „Gemeinschaften im Miteinander“ in A. Aeppli, H. Corrodi, P. Schmid (Hg.): Kirche im Miteinander von Ortsgemeinde, Kommunitäten und Bewegungen, 2011, S. 44-62. 20 130418 Stadtkloster Konzept 13 6 ChancenundRisiken 6.1 Chancen Ein Stadtkloster weckt bei den Menschen Sehnsucht oder zumindest Neugierde. Der Begriff ist grundsätzlich positiv besetzt. Urbane Leitmilieus sind oftmals an Experimenten interessiert und offen für spirituelle Erfahrungen. Sie finden im Stadtkloster eine Manifestation christlichen Glaubens, ein „Anders-Ort“, dem sie sich in unterschiedlicher Intensität nähern können. Klosterleben kann als positiver „Challenge“ empfunden werden. Der „Anders-Ort“ unterscheidet sich stark von einer Kirchgemeinde und stellt eine neue, reformierte „Expression of church“ dar. Hochqualifizierte Freiwillige finden im Stadtkloster ein Einsatzgebiet und ein ihnen entsprechendes Netzwerk. Das gemeinsame Gotteslob in den Tagzeitengebeten verbindet alle: vor Ort, zu Hause, regelmässig oder sporadisch. Das Stadtkloster ist eine überschaubare Einheit, die Mitbestimmung und Mitbeteiligung in einer Art und Weise zulässt, die im reformierten kirchlichen Umfeld neu ist. Es besteht die Möglichkeit, weitere kommunitäre Zellen zu gründen und darin Unterstützung durch das Stadtkloster zu erfahren. 6.2 Risiken Die im Stadtkloster lebende Gemeinschaft muss die Freiheit haben, die Regeln ihres Zusammenlebens und die genauen Formen ihrer Gebete selber zu entwickeln. Ein Konzept kann hier nur Möglichkeiten aufzeigen und Annahmen treffen. Das Stadtkloster baut auf einer tragenden kommunitären Gemeinschaft auf. Diese Gemeinschaft wird das Stadtkloster, seine Netzwerke und Zielgruppen entscheidend mitprägen. Das Gelingen kommunitären Lebens ist nicht gewährleistet. Dieses ist im wahrsten Sinn Experiment und Aufbruch, was auch den Reiz ausmacht. Die fachliche Begleitung und Fluktuation in der Gemeinschaft dürfte ein Thema sein. Temporäre und beschränkte klösterliche Verbindlichkeit kann sich nur bedingt an traditionellen monastischen Formen orientieren und muss erst funktionierende Formen entwickeln. Die Organisationsstruktur muss erarbeitet werden und sich bewähren. Abschliessend gilt: Der experimentelle Charakter des Projektes ist gleichzeitig Chance und Risiko. *** Kontakt: Roland Diethelm: [email protected], Tel. 078 707 24 88 Doris Kradolfer: [email protected], Tel. 044 482 83 41 Cornelia Schnabel: [email protected], Tel. 076 441 29 26 Beat Schwab: [email protected], Tel. 076 396 85 07 130418 Stadtkloster Konzept 14 Anhang:Unterzeichnende Nachstehend aufgeführte Unterzeichnende unterstützen namentlich die Vision eines Stadtklosters in Zürich und das vorliegende Konzept als Schritt auf dem Weg zu seiner Gründung. Dieses Konzept verstehen wir als Arbeitsdokument, welches in der Weiterentwicklung und Zusammenarbeit mit unterstützenden Kreisen Anpassungen erfahren wird. […] 130418 Stadtkloster Konzept 15