Ein schneearmer Winter

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Ein schneearmer Winter
Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos
Medienmitteilung vom 27.04.2007
Der Winter 2006/07
Winterbilanz 2006/07 des Eidg. Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF
Der Winter 2006/07 war gleich durch mehrere Extreme gekennzeichnet: spätes Einschneien,
hohe Temperaturen und geringe Schneemengen. Schnee fiel oft erst oberhalb von 2000 m.
Ausser in den inneralpinen Gebieten war die Stabilität der Schneedecke vor allem in der zweiten Winterhälfte günstig. 15 Personen verloren ihr Leben in Lawinen, was deutlich unter dem
langjährigen Durchschnitt liegt.
Winterverlauf: Extrem warm, ausserordentlich schneearm und kurz
Nach der Rekordwärme im Herbst war in den Bergen der Winter 2006/07 der zweitwärmste Winter seit
Beginn der Messungen im Jahre 1864. Über die ganze Schweiz gesehen geht er als wärmster Winter
seit Messbeginn in die Statistik ein (Quelle MeteoSchweiz, Monate Dezember bis Februar). Und auch
der März sowie der April weisen einen Wärmeüberschuss auf. In der ganzen Periode von Oktober bis
April fielen weniger Niederschläge als normal. Es ist daher nicht erstaunlich, dass vor allem in tiefen
und mittleren Höhenlagen (unterhalb von 2000 m) ein schneearmer Winter resultierte. Das Einschneien erfolgte zum dritten Mal in Folge wesentlich später als normal (Vergleichsperiode seit 1945) und es
lag zum Beispiel in der letzten Novemberwoche auf den Stationen oberhalb von etwa 1800 m mit
durchschnittlich weniger als 10 cm ausserordentlich wenig Schnee. Ähnliche Werte sind zu diesem
Zeitpunkt nur in den Jahren 1948 und 1953 zu finden. Nur im Jahre 1994 waren die Werte noch tiefer.
Die Schneehöhen erreichten nur selten und für kurze Zeit durchschnittliche Werte – meist lagen sie
deutlich unter dem langjährigen Mittelwert. Teilweise wurden sogar neue Minimumrekordwerte gemessen. Eine Spur günstiger war die Schneehöhensituation in den westlichen und nördlichen Teilen
des Unterwallis.
Es gab fünf bedeutende Schneefallperioden mit Neuschneesummen von mehr als 100 cm in drei Tagen:
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Vom 05. bis 10.12.2006 fielen während einer Südstaulage im nördlichen Tessin bis zu 250 cm
Schnee, am nördlichen Alpenkamm vom Lötschental bis in die Glarner Alpen, im Simplongebiet, im Gotthardgebiet, von der Surselva bis ins Rheinwaldgebiet und im mittleren Tessin 120
bis 200 cm, in den übrigen Gebieten mindestens 50 cm. Dies waren die ersten ergiebigen
Schneefälle der Saison und die betroffenen Gebiete waren vorerst gut eingeschneit. Auf dem
wenigen und lockeren Altschnee in Nordhängen gingen grossflächige Lawinen ab. Weil aber
insgesamt noch wenig Schnee lag, stiessen sie nicht bis in die Täler vor.
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Vom 01. bis 04.01.2007 brachte eine stürmische Westwindlage oberhalb von rund 2000 m am
nördlichen Alpenkamm vom Chablais bis ins Aletschgebiet über 80 cm, lokal bis 100 cm
Schnee, in den übrigen Gebieten des nördlichen Alpenkammes, im Unterwallis und im Gotthardgebiet 50 bis 80 cm Schnee. Regen fiel zunächst bis in Höhenlagen von 2000 bis
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2500 m. Zum Niederschlagsende schneite es dann im Jura und den Voralpen entlang erstmals bis unter 1000 m hinunter. Diese Schneedecke war aber nur sehr dünn.
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Wieder mit Westwind schneite es vom 24.02. bis 01.03.2007 im westlichen Unterwallis, in den
Waadtländer und Freiburger Alpen 80 bis 120 cm, sonst am Alpennordhang verbreitet 50 bis
80 cm.
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Direkt anschliessend daran schneite es vom 01. bis 04.03.2007 im westlichen Unterwallis, im
nördlichen Wallis, im Goms, im Gotthardgebiet und gebietsweise am östlichen Alpennordhang oberhalb von rund 2200 m bis gegen 1 Meter Neuschnee. In dieser Periode gab es die
höchste Lawinenaktivität.
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Die letzte bedeutende Schneefallperiode dauerte vom 18. bis 22.03.2007. Ein Kaltlufteinbruch
und Nordstau führten zum ersten veritablen Wintereinbruch in tiefen Lagen. Es schneite im
Brüniggebiet sowie am zentralen und östlichen Alpennordhang 100 bis 150 cm Neuschnee. In
tiefen und mittleren Lagen waren Skitouren und Variantenabfahrten erst jetzt möglich.
In den westlichen und nördlichen Gebieten fiel Schnee oft erst oberhalb von 2000 m. Mit dem Vorbeizug des Orkans Kyrill am 19. Januar regnete es sogar zeit- und gebietsweise bis gegen 2700 m hinauf. Begleitet waren die Niederschläge oft von stürmischen Westwinden, die in hohen Lagen langfristig zu einer Verfestigung der Schneedecke beitrugen.
Wintereinbrüche in tiefen Lagen waren diesen Winter nur von kurzer Dauer und gekoppelt an die Niederschläge von Anfang Januar, vom 25. Februar und um den 20. März. Schneehöhenmaxima werden
in hohen Lagen in der Regel Mitte April erreicht. In diesem Winter wurden sie bereits Mitte März gemessen. Die Schneeschmelze im April erfolgte rasant und insgesamt zwei bis vier Wochen früher als
normal.
Lawinengefahr – Schneedeckenstabilität und Lawinenaktivität
Im Winter 2006/07 konnte die Lawinensituation im 10-jährigen Vergleich häufiger günstig eingeschätzt
werden als in anderen Wintern: Gefahrenstufe „gering“: 24% (16%), Gefahrenstufe „mässig“: 50%
(50%), Gefahrenstufe „erheblich“: 26% (33%), Gefahrenstufe „gross“: 0.5% (2%), Gefahrenstufe „sehr
gross“: 0% (0.2%) (Darstellung in Klammern: Mittelwert der letzten 10 Jahre, jeweils Dez-April). Während die Gefahrenstufe „mässig“ so häufig wie sonst im Durchschnitt ausgegeben wurde, wurde die
Situation häufiger als „gering“ und dafür seltener als „erheblich“ und „gross“ eingeschätzt. Dies steht
zum einen besonders mit der schneearmen Situation im Dezember und im April im Zusammenhang.
Andererseits ergaben die wiederholte Durchfeuchtung der Schneedecke in mittleren Höhenlagen sowie die Verfestigung durch den Wind in grosser Höhe einen verbreitet günstigen Schneedeckenaufbau besonders in den westlichen und nördlichen Gebieten. Bevor sich die Schneedecke dort allerdings stabilisierte, wurde vor allem aufgrund der Niederschläge und der milden Temperaturen sowie
der anfänglich schwachen Altschneedecke an insgesamt sieben Tagen gebietsweise die Gefahrenstufe „gross“ prognostiziert.
Anders verhielt es sich in den inneralpinen Gebieten: Vor dem Westwind geschützt, waren besonders
in Graubünden Wärmeeinbrüche und Windeinfluss geringer als im Westen und Norden. Die Lawinengefahr stieg zwar nie auf die Gefahrenstufe „gross“ an, es entstand jedoch eine schwache Schneede-2-
cke und dadurch zeitweise eine heimtückische Lawinensituation. Wintersportler lösten den ganzen
Winter über Schneebrettlawinen im schwachen Schneedeckenfundament aus. Typisch dabei war,
dass Lawinen auch da ausgelöst werden konnten, wo Hänge bereits zuvor mehrfach befahren waren.
Die Periode intensivster Lawinenaktivität herrschte vom 2. bis 4. März. Intensive Niederschläge,
Sturm, milde Temperaturen und eine ungünstige Verbindung des Neuschnees mit der Altschneedecke
waren die wesentlichsten Gründe dafür. Nasse und feuchte Lawinen brachen meist auf dem Boden
an. Weil in mittleren und tiefen Lagen wenig Schnee lag, drangen Lawinen nur selten bis in tiefe Lagen vor und waren dadurch weniger für Strassenabschnitte, als vielmehr für Schneesportler gefährlich. Personenlawinen standen gegenüber Sachschadenlawinen im Vordergrund.
Beim Wintereinbruch um den 20. März war die Lawinenaktivität vergleichsweise klein. Trotzdem richteten einzelne Lawinen auch Sachschäden an. Typisch für diese Periode waren aber eher Gleitschneerutsche in tiefen Lagen, die dort auftraten, wo der Schnee auf den zuvor schneefreien Boden
fiel.
Während der Schneeschmelze im März und April gingen kaum grosse Nassschneelawinen ab: In den
inneralpinen Regionen brachen Nassschneelawinen zwar im schwachen Schneedeckenfundament
an, die abgeglittenen Schneemengen führten aber nur zu kleinen und mittleren Lawinen. In den übrigen Gebieten war der Schneedeckenaufbau günstiger.
Lawinenunfälle
Bis heute wurden dem SLF für den Winter 2006/2007 111 Lawinen mit insgesamt 197 erfassten Personen gemeldet. 15 Personen haben bei 14 Lawinenunfällen ihr Leben verloren, 35 Personen wurden
in Lawinen verletzt, bei 20 Lawinen entstand Sachschaden. In 11 der tödlichen Unfälle war die Lawinengefahr im Lawinenbulletin als „erheblich“, in 3 Fällen als „mässig“ eingeschätzt. Es waren 7 Variantenskifahrer und 7 Tourenskifahrer betroffen. Beim folgenschwersten Unfall kamen 2 Personen in
einer Lawine ums Leben. Die Gesamtopferzahl von 15 liegt deutlich unter dem langjährigen Mittelwert
von 25 Lawinentoten pro Jahr. Allerdings muss erfahrungsgemäss bis zum Ende des nivologischen
Jahres 2006/07 am 30. September noch mit weiteren Lawinenopfern gerechnet werden.
Die Gründe für diese vergleichsweise geringe Opferzahl sind vielfältig: Die ausserordentlich milde
Witterung mit Regen bis zeitweise über 2000 m hatte eine stabilisierende Wirkung, und die Schneedecke wies in vielen Gebieten kaum ausgeprägte, länger anhaltende Schwachschichten auf. Dadurch
war der Schneedeckenaufbau trotz der Schneearmut verbreitet relativ günstig. In der Regel weisen
sonst gerade schneearme Winter eine schwache Schneedecke auf. In den inneralpinen Gebieten
Graubündens, wo Regen und Wärme weniger wirkten, war auch der Schneedeckenaufbau schwächer. Zudem war bis Ende 2006 die Schneehöhe so gering, dass in vielen Regionen kaum Skitouren
oder Variantenabfahrten möglich waren. Wahrscheinlich bewegten sich infolge der knappen Schneelage allgemein weniger Leute in den winterlichen Bergen als in durchschnittlichen Wintern. Es ist zu
hoffen, dass auch die Lawinenwarnung, die Lawinenausbildung und das Verhalten der Skitourenfahrer, Freerider, Schneeschuhwanderer und Bergsteiger ihren Teil zur tiefen Opferzahl beigetragen haben.
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Lawinenbulletins
Die Herausgabe der täglichen Lawinenbulletins wurde am 09. Dezember 2006 gestartet. Ab dem 24.
Januar stand es neu auch in englischer Sprache zur Verfügung. Bereits am 22. April 2007 erschien für
den Winter 2006/07 das letzte tägliche Lawinenbulletin. Bis auf weiteres erscheint jeweils mindestens
jeden Donnerstag ein weiteres Lawinenbulletin, welches die allgemeine Schnee- und Lawinensituation
erläutert und über www.slf.ch, Fax 0900 59 20 20 oder Telefon 187 abgerufen werden kann. Zudem
kann ein SMS Service abonniert werden, der auf das Erscheinen eines Lawinenbulletins hinweist
(SMS mit dem Inhalt START SLF SOMMER an 9234 senden, Service stoppen: SMS mit dem Inhalt
STOP SLF SOMMER an 9234 senden, CHF 0.20 pro SMS).
Im Weiteren verweisen wir auf den Alpenwetterbericht von MeteoSchweiz (www.meteoschweiz.ch,
Fax 0900 554 338 oder Telefon 0900 552 138). Weitere detailliertere Informationen zum zu Ende gehenden Winter können über wa.slf.ch eingesehen werden.
Kontakt:
Thomas Stucki, Leiter Lawinenwarnung SLF, 081 417 01 22
Julia Wessels, Leiterin Öffentlichkeitsarbeit SLF, 081 417 02 86
Das SLF ist Teil der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL.
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