So lonely [PDF-Datei - 4.5 MB]

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So lonely [PDF-Datei - 4.5 MB]
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SO
LONELY
THEATERSTÜCK FÜR MENSCHEN AB 14
NACH DEM BUCH VON PER NILSSON
DRAMATISIERUNG: MICHAEL MÜLLER
REGIE: FRANZISKA STEIOF
Materialien zum Stück
Liebe Leserin, lieber Leser!
Schmetterlinge im Bauch, der erste Frühling, rosarote Brille, Wolke sieben, Blues, Herzschmerz – wer
kennt es nicht....
Das Stück SO LONELY basiert auf dem gleichnamigen Roman von Per Nilsson und beschäftigt sich mit
diesen, allen Menschen bekannten, Gefühlswirrungen.
Angestoßen durch das Stück sind bei allen Beteiligten lang vergessene Erinnerungen wach geworden,
und so kam es zu Gesprächen die von der ersten großen Liebe und auch dem damit verbundenen
Herzschmerz handelten.
Innerhalb unserer Recherchen wurden wir neugierig auf die Einstellungen und Erfahrungen, die Jugendliche bezüglich der Liebe und den damit verbundenen Gefühlen und Problemen haben. Am Alexanderplatz ließen wir junge Menschen zu Wort kommen und merkten, dass vieles unseren eigenen Erfahrungen ähnelte, manches aber, wie beispielsweise die Wege wie man miteinander in Kontakt tritt, sich
aber auch verändert haben.
Per Nilsson sagt über die Geschichten die er schreibt:“ Ich sehe meine Bücher als Briefe. Ich möchte
einen Dialog führen über das Leben und den Tod, über Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft, über die
Rollen, die wir spielen, über die Welt, in der wir leben und über Liebe.“
Wir möchten Ihnen mit dem vorliegenden Heft Texte und Anregungen bieten, um mit Jugendlichen in
diesen Dialog zu treten.
Gefühle und der Umgang mit Liebesangelegenheiten sind aber etwas sehr Privates. Es bedarf Feingefühl, sich damit auseinanderzusetzen. Das Stück gibt Gelegenheit, in einen Austausch über Gefühle
und Interaktion zu kommen, da die Figuren als Projektionsflächen dienen können.
Wir haben den Schwerpunkt des Heftes auf Anregungen gelegt, indem wir Diskussionsgrundlagen
liefern, Spiele beschreiben und Berliner Angebote zur Sexualpädagogik vorstellen. Zusätzlich finden
sie Hintergrundinformationen z. B.: zu Beziehungsstrukturen Jugendlicher, verschiedener Kommunikationsformen und der Selektiven Wahrnehmung. Erste Liebe unter gleichgeschlechtlichen Jugendlichen
wurde nicht extra aufgegriffen. Dies bedeutet kein Übergehen. Aber alle Themen sind ganz unabhängig
von der sexuellen Orientierung relevant.
Wir wünschen Ihnen viele aufschlussreiche, interessante und spaßige Momente beim Lesen, Ausprobieren und Schwelgen in Erinnerungen. Viel Erfolg!
Ihr GRIPS Theaterpädagogikteam
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Besetzung
Inhalt des Stückes 3
6
7
Der erste Frühling
8
Pubertät, Freundschaft, Liebe und das erste Mal
Vom Scheitern und Schmachten Miteinander gehen – Paarbeziehungen Jugendlicher
Wie gestalten Jugendliche ihre Partnerschaft?
Dauer und Stabilität Gemeinsame Zeit Gemeinsamkeit und Autonomie
Intimität
Negative Partnerschaftserfahrungen
9
12
13
15
16
16
17
18
Liebesgeflüster
20
Willst du mit mir gehen? ja, nein, vielleicht...
Kommunikationskanäle von Jugendlichen
Verbale, nonverbale, paraverbale Kommunikation 21
22
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Die rosarote Brille
24
Unterschiedliche Formen der Interaktion
Die unterschiedlichen Formen der Wahrnehmung
Das schielende Huhn
Selektive Wahrnehmung
25
25
Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle? 26
Welche Funktion erfüllt die selektive Wahrnehmung? 28
Welche Konsequenzen könnte die Einsicht, dass Wahrnehmung immer selektiv sein muss, haben
28
Der Sturz von Wolke sieben
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37
38
39
Aspekte rund um den Liebeskummer
Liebeskummer Liebeskummer setzt Körper enorm unter Stress
Jungs, mit wem redet ihr über Liebeskummer? Selbstmord bei Jugendlichen
Phasen des Liebeskummers
Aufbrechen der Gefühle: Wut und Hass
Rachegelüste
Lass uns Freunde bleiben!
Liebe, Leidenschaft und Lehranstalt
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Kinder lassen ihren Körper und ihr Geschlecht nicht vor der Schultür
Schulische Sexualerziehung im Dilemma zwischen Auftrag und Intimität
Sexualerziehung ist Sozialerziehung
Vorbehalte und Ängste der LehrerInnen
Drei Beispiele für sexualpädagogische Angebote in Berlin für
SchülerInnen: Familienplanungszentrum – BALANCE
pro familia Berlin 42
42
43
43
Anregungen für den Unterricht
47
Die Themen Freundschaft, erste Liebe und Sex im Unterricht
44
44
45
Bildungsinitiative Querformat46
Gestalterische Anregungen
Gesprächsanregungen
Szenische Anregungen Anregungen, um eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre zu schaffen
Anregungen für den Deutschunterricht
Literaturhinweise / Links
Dank und Impressum
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52
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57
60
63
65
Probenfoto: Robert Neumann, Jennifer Breitrück
SO LONELY
Theaterstück für Menschen ab 14
nach dem schwedischen Jugendbuch von Per Nilsson (Deutschen Jugendliteraturpreis 1997)
Dramatisierung von Michael Müller
Uraufführung im GRIPS MITTE am 12. Mai 2011 um 18 Uhr
REGIE BÜHNE & KOSTÜM DRAMATURGIE Franziska Steiof
Jan A. Schroeder
Regine Bruckmann
ES SPIELEN
Jennifer Breitrück
Robert Neumann
REGIE-ASSISTENZ THEATERPÄDAGOGIK DRAMATURGIE-HOSPITANZ Gabriel Frericks
Laura Klatt, Susanne Rieber
Maiko Miske
LICHT, TON, BÜHNE
BÜHNENBAU REQUISITE SCHNEIDEREI MASKE BÜHNENMALEREI Jerry Geiger, Martin Gerth, Klaus Reinke
Günther Pöchtrager, Mark Eichelbaum
Tobias Schmidt, Oliver Rose
Anne Rennekamp, Sabine Winge
Sedija Husak
Christiane Molan
Aufführungsrechte Verlag für Kindertheater Uwe Weitendorf GmbH
Max-Brauer Allee 34
22765 Hamburg
Inhalt des Stückes
Zwei Spieler betreten die leere Bühne und beginnen sich vorzubereiten, die Bühne wird durch Klebestreifen in Bühnenräume eingeteilt. Der Junge nimmt ein Mikrophon und beginnt seine Geschichte zu
erzählen.
In Erinnerungen, Momenten der Gegenwart und Zukunftsvisionen spielt der Junge seinen eigenen Film
ab:
Es ist Samstagabend und ein 16-jähriger Junge sitzt allein in seinem Zimmer. Nacheinander reiht er
verschiedene Dinge vor sich auf, unter anderem: eine Busfahrkarte, eine Grammatik, eine Zitronenmelisse, eine Packung Kondome, ein Bettlaken, eine amerikanische Fahne, ein Paket, eine Rasierklinge und eine Dose Tabletten. Neben ihm steht ein Telefon, das schweigt.
All diese Dinge haben eine besondere Bedeutung für den Jungen. Es sind ‚Herztrost-Reliquien’, profane Dinge, die ihn an seinen Herztrost erinnern, das Mädchen Ann-Kathrin, das nach Zitronenmelisse
riecht. Gegenstand für Gegenstand lässt er die Geschichte über die Beziehung zu ihr Revue passieren.
Schon als er das rothaarige Mädchen mit der moosgrünen Jacke das erste Mal trifft, hat er das Gefühl,
als würde sie den ganzen Bus erleuchten. Innerhalb von wenigen Monaten tastet er sich Schritt für
Schritt in Ann-Kathrins Nähe, die meist denselben Bus nimmt wie er. Er beginnt sie zu beobachten,
traut sich aber nicht sie anzusprechen. Als er sich eines Tages im Bus mit seinem Freund Christian
über Comics unterhält und sich Ann-Kathrin, als das Wort „Foxi“ fällt, angesprochen fühlt, ist der erste
Kontakt hergestellt. Die Busfahrt wird für den Jungen zum puren Glück. Von nun an fahren sie fast
jeden Morgen gemeinsam.
Als Ann-Kathrin im Bus ihr Grammatikbuch vergisst, nutzt der Junge die Gelegenheit und packt das
Buch ein. Am selben Tag versucht er sie anzurufen, da sich der Name und die Telefonnummer im
Einband des Buches befinden. Sie verabreden sich. Der Junge nimmt allen Mut zusammen und fährt
zu ihr. Bei ihr angekommen, ist er das erste Mal mit dem Mädchen allein. Er vergisst ihr das Grammatikbuch zurückzugeben, sodass es zu einem Dauergag und Schlüssel für weitere Treffen wird. Sie
verbringen Zeit miteinander, lernen sich kennen und tauschen Erfahrungen aus: erste Berührungen,
der erste Kuss und schließlich das erste Mal Sex.
Im Rahmen eines Schüleraustausches geht der Junge für einen Monat in die USA. Er vermisst sein
‚Herztrost-Mädchen’ und schreibt ihr jeden Tag einen Brief. Als Antwort bekommt er eine einzige Mail.
Blind vor Liebe ahnt er bis dahin nichts. Als er aber drei Tage früher als geplant zurückkommt und AnnKathrin ein Geschenk übergeben möchte, erwartet ihn eine böse Überraschung: Sie hat Besuch vom
schweizerdeutschen Hans-Peter, auch ‚Nazi-Hans’ genannt, der ihr offensichtlich mehr als nur einen
freundschaftlichen Besuch abstattet. „Herztrost hatte sich innerhalb von ein paar Sekunden in eine
fremde Person verwandelt.“ (Szene 13) Für den Jungen bricht eine Welt zusammen.
Aus diesem Grund müssen alle ‚Herztrost-Reliquien’ verschwinden. Die Busfahrkarte, die ihn an die
morgendlichen Fahrten erinnert, die Grammatik, die zum Losungswort für Zweisamkeiten geworden ist,
und all die anderen Dinge. Am Ende bliebt nur noch er übrig, der ebenfalls verschwinden muss. Doch
wie, weiß er nicht genau. Mit einer Rasierklinge oder den blauen Apozepam-Tabletten, die er bei seiner
Mutter fand?
Fest steht, nur der verabredete Anruf von Ann-Kathrin könnte ihn retten. Das Telefon klingelt. Der Junge
geht nicht ran.
Der erste Frühling
Pubertät, Freundschaft, Liebe
und das erste Mal
JUNGE: Ich war immer ein vernünftiges Kind, das glaubte, für alles gäbe es vernünftige
Erklärungen. Und außerdem glaubte ich, dass es gewisse Menschen gibt, die
verstehen, wie alles zusammenhängt, die klar sehen, die etwas abseits stehen und alles durchschauen… Dass es Menschen gibt, die sich nichts vormachen lassen, die
... die sich beherrschen. Ich glaubte, ich sei so ein Mensch. Aber das war vor
Herztrost. Vor Herztrost war ich ein Kind.
JUNGE: Wir waren Freunde, wir redeten viel und lachten und wenn ich später an sie dachte, wurde mir heiß und kalt. Ich konnte in ihren Augen ertrinken. Keine Küsse und ich
hatte nie ... an ihren Körper gedacht. Ehrenwort. Ich schlief mit den Händen auf der
Bettdecke. Das ist wahr. Damals war ich noch so.
Vom Scheitern und Schmachten
Probenfoto: Robert Neumann, Jennifer Breitrück
Jugend forscht: Liebe, Sex, Verhütung, Treue – all das wird ausgerechnet dann ausprobiert,
wenn Körper und Seele dem heftigsten Umbruch ausgesetzt sind
Von Manfred Dworschak
Die penible und langwierige Körperpflege ist in fast allen Familien das Zeichen, dass nun vieles anders
wird. Die Kindheit der Nachkommen ist vorbei. Aus verspielten Geschöpfen, die selbstvergessen in den
Tag hineinlebten, werden Selbstdarsteller, die unablässig um ihre Wirkung auf andere besorgt sind.
Die Kinder bemerken, dass die Pubertät ihnen einen neuen Zauber verleiht. Mädchen sehen, wie Jungs
nach ihren sich rundenden Hüften schielen; und Jungs fläzen sich so, dass ihre neuerdings deutlich
breitere Brust vorteilhaft zur Geltung kommt. Es beginnt ein Spiel um die fremden Blicke. Die Jugendlichen fangen an, ihre erotische Macht zu erproben - teils genüsslich und teils klamm vor Angst, denn
von nun an droht auf Schritt und Tritt auch das Scheitern, die Blamage, das Versagen.
In keinem Lebensabschnitt sind Menschen drastischer mit ihrer Unerfahrenheit konfrontiert. Das war
früher nicht anders, doch ist die Jugend heute vielleicht besonders bemüht, nur ja nichts verkehrt zu
machen. (...)
MÄDCHEN: JUNGE: Du hast schöne Augen.
Was soll man darauf antworten? Innerhalb von drei Sekunden hatte ich mir zwanzig
verschiedene Antworten ausgedacht, doch dann kam aus mir heraus: Du bist auch nicht gerade potthässlich.
Den Jugendlichen ist bewusst, dass, sie nun eine Bühne betreten, wo jeder gemustert, abgeschätzt
und leider auch mit den Idealbildern aus der Medienwelt verglichen wird. Unter diesen harten Bedingungen steht ihnen ein Drama bevor, in dem sie unerschrocken die Hauptrolle improvisieren müssen;
einen Text gibt es nicht. Nur die Einteilung der Akte steht fest: der erste Kuss, die erste Liebe, der erste
Sex.
Frühere Generationen stolperten mehr oder weniger hinein ins Geschlechtsleben, halbwegs aufgeklärt
oder auch nicht. Der erste Kuss kam noch einer magischen Erweckung gleich, der man bang entgegenschmachtete. Das Dornröschen von heute dagegen ist längst wach und auch kusstechnisch ziemlich
gut instruiert. Wer nicht bei Freunden schon alles Nötige ermittelt hat, kann im Internet bei bravo.de
nachlesen wie das geht. [...]
Aber das nimmt dem Wagnis wenig von seinen schrecklichen Ungewissheiten. Wie fange ich es an?
Will sie, will er überhaupt? Und was, wenn es ihr oder ihm nicht gefällt?
Die Kunst des Küssens wird in der Regel während der ersten Liebesbeziehung erlernt - selten, dass Jugendliche mit wechselnden Partnern, herumspaßen”, wie sie das nennen. Die meisten wünschen sich
eine feste Beziehung, auch wenn das zunächst oft nur eine Sache weniger Wochen oder Monate ist.
In ihren Gefühlsverwirrungen unterscheiden sie aber schon sorgsam zwischen ersten Schwärmereien
und den höheren Eskalationsstufen der Liebe. “Am Anfang geht es auch ums Prestige”, sagt Moses,
14. “Da ist es cool, mal ein halbes Jahr eine tolle Freundin zu haben.” Liebe dagegen ist etwas anderes. “In unserem Alter ist das noch nicht so das Thema”, meint Moses, räumt aber ein, zurzeit immerhin “verknallt” zu sein. Verknallt, das ist die Vorform, das Gefühl auf Probe. “Mal gucken”, sagt er, “ich
glaube schon, dass da was geht.”
Auch die Mädchen sind eher vorsichtig mit großen Worten. “Liebe heißt ja, das Leben zu teilen. Das ist
in unserem Alter unrealistisch”, sagt Sophie, 15. Mitschülerin Hanna sieht das ebenso: “Ich bin glücklich, solange es gut geht. Aber ich will ja auch Erfahrungen sammeln.
Die feste Beziehung ist trotzdem ein hohes Gut. Und solange sie währt, wird auch Treue erwartet.
Überhaupt haben Jugendliche erstaunlich wertkonservative Wünsche an ihre Liebespartner: einander
vertrauen, über alles reden, füreinander da sein. Was noch? “Ehrlichkeit”, sagt Emma. “Und guten Sex”,
fügt Flora hinzu.
“Sex gehört für die meisten jungen Paare einfach dazu”, sagt Silja Matthesen, Soziologin am Hamburger Institut für Sexualforschung. Und es geht relativ zügig damit los: nach ein, zwei, spätestens drei
Monaten. Auch Emma findet, dass allzu langes Warten wenig Sinn hat: “Eine Weile geht es schon auch
ohne, aber dann will man mehr haben, auch um Vertrauen aufzubauen.”
Gemeinsam ist allen Debütanten, dass sie in Grundzügen wissen, was auf sie zukommt. Die Schule
hat das Ihre dazugetan. Die meisten Kinder erfahren schon in der vierten Klasse, wie die Geschlechtsorgane zusammenpassen [...]. Aus dem Fernsehen sie, wie sich erotisches Getändel abspielt. Wer
auch nur die TV-Serie “Gute Zeiten, schlechte Zeiten” verfolgt, hat oft genug gesehen, wie die Großen
einander aus den Klamotten schälen, ehe sie aufs Sofa sinken. Wenn konkretere Fragen auftreten
empfiehlt sich zum Nachschlagen noch immer die ,,Bravo”, seit über 40 Jahren Auskunftzentrale der
Jugend. Mit der Zeit sind die Hilfsdienste offenherziger geworden. Es gibt nicht nur guten Rat für die
üblichen Gefühlswallungen, sondern auch reich bebilderte Technikratgeber, wo etwa die Hündchenstellung in allen Details zu studieren ist.
Der Umgang mit sexuellen Themen ist in den letzten Jahrzehnten gründlich zivilisiert worden. Heute
wissen die meisten Jugendlichen “eine Menge über Sex”, schreibt die Publizistin Barbara Sichtermann.
„Trotzdem wissen sie gar nichts. Sie wissen sogar das.”
MÄDCHEN: JUNGE: 10
Du scheinst ja schon in einer Masse von Mädchenzimmern gewesen zu sein.
Klaro. Tausende.[...] Na, ja, tausende Mädchenzimmer war leicht übertrieben. Das von
Cousine Emma natürlich. Und Sara aus meiner Klasse, bei der Klassenparty. Und ...
Ja, mehr waren es eigentlich nicht.
Die Naivität früherer Generationen hatte ihre Vorteile: Sie konnten sich einfach mal vorantasten. Und
die anderen wussten auch nicht viel mehr. Ihren Nachfahren dagegen ist bewusst, was alles - theoretisch - zu einer erfüllten Sexualität gehört, auch wenn sie mit ihren praktischen Erfahrungen noch weit
dahinter zurückbleiben. So sind sie ständig geneigt, sich zu vergleichen. “Die Jugendlichen geraten
dann leicht in Stress, wenn es doch ganz anders läuft”, sagt “Dr.-Sommer”-Beraterin Marthe Kniep.
Es gibt aber auch Pädagogen, die argwöhnen, dass die Jugend einfach zu viele Pornos guckt - und
sich damit die Maßstäbe verdirbt. In der Tat haben fast alle schon mal was gesehen; im Internet sind
ja abertausende Filmchen frei zugänglich. Und ein gutes Drittel der Jungen gibt an, “hin und wieder”
davon Gebrauch zu machen.
Ob davon gleich die Sitten verlottern? Es gibt wenig Anzeichen dafür. Kaum einem Pornokonsumenten
durfte verborgen bleiben, dass er nur die stupide Mechanik des Verkehrs geboten bekommt. In ihrem
Alltag jedenfalls spielen Pornos kaum eine Rolle. Junge Paare probieren vielleicht mal eine Stellung
aus, die sie irgendwo gesehen haben, aber in ihren Gewohnheiten und Vorlieben sind die meisten
konservativ. „Wenn sie es mal bis zum normalen heterosexuellen Geschlechtsverkehr geschafft haben,
sind sie offenbar so erleichtert, dass es erst einmal auf Jahre hinaus nichts anderes mehr für sie gibt”,
sagt Silja Mathiesen. Gemacht wird überdies nur, was beide wollen. Dabei geht der Nachwuchs umsichtig zu Werk: 95 Prozent der Paare sorgen mit Pille oder Kondom für Verhütung.
Hilfreich ist da sicher auch, dass sich die Jugendlichen kaum mehr in rümpeligen Partykellern herumdrücken müssen. Schon das erste Mal spielt sich meistens im Zimmer des Jungen oder des Mädchens
ab, also unter zumindest stillschweigender Duldung der Eltern.
Probenfoto: Robert Neumann, Jennifer Breitrück
Aus: Der Spiegel WISSEN Die Pubertät (Nr.2 / 2010), S. 63
11
Miteinander gehen – Paarbeziehungen Jugendlicher
»Wie soll ich ihr sagen, dass ich sie liebe?«, »Ich brauche einfach mehr Freiheit!«, »Ich weiß nicht, ob
ich mit ihm schlafen soll.« (...)
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit Besonderheiten von Liebesbeziehungen im Jugendalter: mit ihrer
Entwicklung, ihrem Problempotenzial und den Unterschieden zu Partnerschaften Erwachsener.
Wie entwickeln sich Liebesbeziehungen im Jugendalter? Stufen und Phasenmodelle
Furmans Rahmenkonzept zur Erklärung der Entwicklung von Liebesbeziehungen [...] geht davon aus,
dass erste Liebesbeziehungen in der frühen Adoleszenz primär dazu dienen, die Interaktion mit dem
anderen Geschlecht zu erlernen und einzuüben sowie erste sexuelle Erfahrungen zu machen. Dabei
stehen die Beschäftigung mit dem eigenen Selbst und dem Peerstatus, der mit einem Liebespartner verbunden ist, im Vordergrund. Die Befriedigung der Bedürfnisse nach Anschluss und Sexualität rückt in einer späteren Phase in den Mittelpunkt der Partnerschaft, wobei das Anschlussbedürfnis
auch in Freundschaftsbeziehungen erfüllt wird und Auslöser für die Aufnahme von intimen Beziehungen zu Gleichaltrigen ist. Erst ab der späten Adoleszenz übernimmt der Partner, die Partnerin
auch die Funktion als Bindungs- und Fürsorgeperson, die bis dahin den Eltern vorbehalten bleibt.
Ähnlich geht Brown (1999) davon aus, dass in der »initiation«-Phase zunächst die Rolle als Partner in
einer romantischen Beziehung in das Selbstkonzept integriert werden muss und grundlegende Fähigkeiten im Umgang mit dem anderen Geschlecht erworben werden. Die Beziehungen in dieser Phase
sind eher oberflächlich und kurz. In der »status«-Phase verschiebt sich der Fokus vom Selbst auf
die Peergruppe, in deren Rahmen sich Paarbeziehungen typischerweise abspielen und in der Mithilfe
des Liebespartners Beliebtheit und Status errungen werden. Für die »affection«-Phase geht Brown
bereits von einem gefestigteren Selbstkonzept bei Jugendlichen aus, das es ihnen erlaubt, intensivere
und ernsthaftere Beziehungen riskieren zu können. Die Liebesbeziehungen werden in dieser Phase
als emotional und sexuell befriedigender beschrieben. In der »bonding«-Phase müssen die Heranwachsenden die Leidenschaft aus der »affection«-Phase mit pragmatischen und persönlichen Belangen anreichern, um eine wirklich reife Partnerschaft zu entwickeln, die durch Langfristigkeit und stärkere
Verbindlichkeit gekennzeichnet ist. Diese Phase dürfte nicht vor dem jungen Erwachsenenalter erreicht
werden.
Freundschaftsbeziehungen stellen dabei ein »Übungsfeld« für die Gestaltung von engen Beziehungen
dar und dienen [...]. Neben engen Freundschaftsbeziehungen spielt auch das Peernetzwerk eine große
Rolle: So erhöht eine größere Anzahl an gegengeschlechtliche Peers in der Gleichaltrigengruppe die
Wahrscheinlichkeit, eine Liebesbeziehung zu haben [...].
Aus: http://forum.sexualaufklaerung.de/index.php?docid=1244
12
Aus:www.students.uni-mainz.de/.../SEM%20Beziehungsentwicklung/05-Erste%20romantische%20Beziehungen%20im%20
Jugendal...
Wie gestalten Jugendliche ihre Partnerschaft?
Partnerschaftsstatus
Je älter die Jugendlichen werden, desto wahrscheinlicher ist
es, dass sie eine Partnerschaft haben: So befinden sich einer
deutschen Längsschnittstudie zufolge im Alter von 13 Jahren 40%
der Befragten in einer Partnerschaft, mit 21 Jahren dann 67% [...].
Mit 18 Jahren hatten jedoch auch immerhin 16,3% der Befragten einer repräsentativen Studie in den USA keine Partnerin beziehungsweise keinen Partner innerhalb der letzten 18 Monate[...].
Die erste Verabredung, das erste Verlieben und der erste Zungenkuss erfolgen im Alter von 13 bis 14 Jahren, das erste Petting und der erste Geschlechtsverkehr mit 15
bis 16 Jahren [...]. Gymnasiastinnen und Gymnasiasten haben signifikant seltener eine Partnerschaft
als Jugendliche auf niedrigeren Bildungswegen [...].
Insgesamt ist davon auszugehen, dass neben dem chronologischen Alter die biologische Reifung einen
nicht unwesentlichen Einfluss auf die Aufnahme einer Partnerschaft hat: Je länger die Jugendlichen die
Geschlechtsreife erreicht haben, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie bereits Geschlechtsverkehr
[...] und damit häufig auch erste Partnerschaften hatten.
Aus: http://forum.sexualaufklaerung.de/index.php?docid=1244
Abbildung aus: Der Spiegel WISSEN Die Pubertät (Nr.2 / 2010), S.15
13
Aus: www.bauermedia.de/dr_sommer_studie.html
Beide Abbildungen aus: Der Spiegel WISSEN Die Pubertät (Nr.2 / 2010), S.16
14
Probenfoto: Jennifer Breitrück, Robert Neumann
Dauer und Stabilität
Im Laufe des Jugendalters nimmt die Dauer der geführten Partnerschaften zu: So belegt eine Längsschnittstudie eine Steigerung der Partnerschaftsdauer von durchschnittlich 3,9 Monaten im Alter von
13 Jahren hin zu 21,3 Monaten mit 21 Jahren [...].
Mit höherem Alter steigt auch die Stabilität der Partnerschaften im Jugendalter: Während bei den unter
14-Jährigen nach etwa einem Jahr nur noch 21,2% der Partnerschaften fortbestehen, sind es bei den
über 15-Jährigen 57,6% [...]Jugendliche haben dabei im Vergleich zu jungen Erwachsenen ganz erwartungsgemäß ein höheres Trennungsrisiko[...] das diesen Daten zufolge jedoch beträchtlich sinkt, wenn
sie über 1,5 Jahre eine Beziehung führen.
Aus: http://forum.sexualaufklaerung.de/index.php?docid=1244
Aus: www.bauermedia.de/dr_sommer_studie.html
15
Gemeinsame Zeit
Jüngere Jugendliche treffen ihre Partner häufig in der »Clique« und verbringen noch nicht so viel Zeit
als Paar allein [...] Während unter den 14-Jährigen nur 37,6% der Paare schon einmal allein ausgegangen sind, sind es bei den über 15-Jährigen 76,4% [...]. Im Vergleich zu Jugendlichen aus den USA
verbringen deutsche Jugendliche jedoch mehr Zeit mit ihren romantischen Partnerinnen oder Partnern
als mit Freunden [...] was auch mit den in den USA stärker formalisierten Dating-Abläufen zusammenhängen könnte.
Sogenannte »sozial-romantische Freizeitaktivitäten« wie tanzen gehen oder telefonieren, bieten den
Jugendlichen eine Möglichkeit zur Kontaktaufnahme zum anderen Geschlecht und begünstigen eine
frühere Aufnahme von Liebesbeziehungen [...]. Aber auch in einer Liebesbeziehung sind im Jugendalter vor allem soziale Aktivitäten mit dem Partner, der Partnerin, wie Shoppen, Tanzen oder Essen
gehen beliebt, während erst im jungen Erwachsenenalter die aktive gemeinsame Freizeitgestaltung,
beispielsweise durch gemeinsamen Sport, zunimmt [...].
Aus: http://forum.sexualaufklaerung.de/index.php?docid=1244
Was muss der perfekte Partner haben?
Das man zusammen lachen kann und sich kennt. Was zusammen unternehmen kann und nicht nur
Zuhause ist. (Mädchen,14 Jahre)
Aus einem Interview mit Jugendlichen auf dem Alexanderplatz, Berlin
Gemeinsamkeit und Autonomie
Jüngeren Jugendlichen ist besonders das »Offen-miteinander-reden-Können« wichtig [...]. Sie betonen
die Wichtigkeit von Gemeinsamkeit in der Beziehung (»gemeinsame Aktivitäten«, »wenig Streit«) [...]
lehnen jedoch eine dauerhafte gegenseitige Verpflichtung ab [...]. Ältere Jugendliche und junge Erwachsene wünschen sich hingegen Dauerhaftigkeit, Geborgenheit, sexuelle Erfüllung und Treue [...],
betonen aber auch die Bedeutung von Freiräumen in der Partnerschaft [...]. Dies weist auf den Wunsch
der älteren Jugendlichen nach einer gleichberechtigten Beziehung hin.
Aus: http://forum.sexualaufklaerung.de/index.php?docid=1244
Glaubst du an die große Liebe?
- Wenn ja: was ist sie? Was macht sie aus?
Ja. Es muss physisch und psychisch stimmen. Es muss funken (Junge, 18Jahre)
Ja. Das man sich immer treu ist (Mädchen, 12Jahre)
Ja, er muss so sein, dass er mich akzeptiert (Mädchen, 14 Jahre)
Schwieriges Thema, aber ich würde sagen Ja. Irgendwann findet man jemanden mit dem man bis zum
Tod zusammen sein will (Junge, 16 Jahre)
Aus einem Interview mit Jugendlichen auf dem Alexanderplatz, Berlin
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Intimität
Wenn Jugendliche mit steigendem Alter eine längere feste Partnerschaft etablieren können, wachsen emotionale Intimität und gegenseitige Unterstützung [...]. Ebenso steigen mit höherem Alter die
Fähigkeiten im Umgang mit romantischem Stress wie Eifersucht, Verlustängsten [...]und Konflikten [...].
Mädchen berichten über stärkere emotionale Intensität, Bindung, Selbstenthüllung und Unterstützung
in ihren Partnerschaften, aber auch über mehr Eifersucht im Vergleich zu Jungen [...]. Eine Auswertung
der Intimität in vertraulichen Gesprächen von jungen Liebespaaren zeigt jedoch, dass sich Mädchen
und Jungen in ihrer Selbstöffnung nicht unterscheiden [...].
Jugendliche weisen im Vergleich zu Erwachsenen merklich stärkere emotionale Unsicherheiten auf,[...]
als Angst vor Liebesverlust und Ambivalenzen gegenüber dem Partner oder der Partnerin konzeptualisiert [...].Jungen im Jugendalter fühlen sich nachweisbar unsicherer in romantischen Belangen als
Mädchen, wobei ihnen insbesondere die Kommunikation romantischer Inhalte, wie etwa ein Date abzulehnen oder der Partnerin gegenüber Wünsche zu äußern, Schwierigkeiten bereitet [...].
Aus: http://forum.sexualaufklaerung.de/index.php?docid=1244
JUNGE:
Das ganze Wochenende wartete ich auf den Montag.
Ich wollte sie jeden Tag sehen.
Aus: www.bauermedia.de/dr_sommer_studie.html
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Aus: www.bauermedia.de/dr_sommer_studie.html
Männer sind nicht so auf Vertrauen aus. Sie vernachlässigen auch, ohne dass sie es merken. (Junge,
16 Jahre)
Frauen machen sich über alles schnell Sorgen und drehen alles so um das alles ein Problem ist.
Dadurch kann ne Beziehung schnell kaputt gehen (Mädchen, 14 Jahre)
Aus einem Interview mit Jugendlichen auf dem Alexanderplatz, Berlin
Negative Partnerschaftserfahrungen
Zwar bieten Liebesbeziehungen im Jugendalter die Chance, positive Erfahrungen mit dem anderen
Geschlecht zu sammeln und damit wichtige Beziehungskompetenzen sowie ein positives Selbstbild
von sich als liebenswerten und kompetenten Liebespartner zu entwickeln [...]. Allerdings gibt es nicht
nur positive Erfahrungen mit Liebe, Sexualität und Partnerschaft im Jugendalter.
Jugendliche müssen in ihrem Liebesleben auch mit emotional schwierigen Situationen umgehen können wie etwa mit unerwiderten Gefühlen, der Entscheidung, wie weit man sich emotional und sexuell
auf den Partner oder die Partnerin einlassen will, Untreue oder der Trennung. Diese Faktoren werden,
abhängig von personalen Faktoren wie Selbstwert, Alter, Bewältigungsstilen oder dem Bindungsstil, mit
der Entwicklung depressiver Symptome im Jugendalter in Verbindung gebracht [...].
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Probenfoto: Robert Neumann, Jennifer Breitrück
JUNGE: Ich wollte sie für mich allein haben.
Auf unserer Insel war nur Platz für zwei.
Ganz allgemein konnte ein Zusammenhang zwischen Überinvolviertheit in romantische Beziehungen,
hier als Anzahl der bisherigen Partnerinnen und Partner konzeptualisiert, und einem schlechteren
psychosozialen Wohlbefinden im Alter von 16 Jahren gefunden werden [...]. Viele Partnerschaften im
Jugendalter hingen mit mehr internalisierenden und externalisierenden Problemen sowie geringeren
Schulleistungen und negativeren Selbsteinschätzungen zusammen. Allerdings zeigen deutsche Befunde auch, dass die Aufnahme und Intensivierung einer Liebesbeziehung dem Selbstwertgefühl von
Jugendlichen zugutekommen kann [...] und in Liebesdingen erfahrene Jugendliche sich als sozial kompetent, gut aussehend und sozial gut eingebettet einschätzen[...].
Aus: http://forum.sexualaufklaerung.de/index.php?docid=1244
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Liebesgeflüster
Unterschiedliche Formen der Interaktion
JUNGE:
MÄDCHEN: JUNGE: JUNGE: MÄDCHEN: (zum Mädchen betont witzig, locker) Gnädiges Fräulein gestatten, dass ich
Platz nehme?
Durchaus denkbar, mein Herr, wenn er seine Finger im Zaume hält, kein Betatschen bitte und keine unsittlichen Anträge, die mich erröten lassen.
(zum Publikum) Schon als ich diese Einstellung das erste Mal sah, hätte ich die
Nahaufnahme begreifen müssen, ihr lächelnder Mund und wie sie es gesagt hatte.
Aber damals, im Bus, schien es nur ein Scherz.
(ungewöhnlich frech) Mein Fräulein, ich würde es nie wagen...
Aber heißt es nicht auch: Wer wagt, gewinnt mein Herr. (sie lacht)
Willst du mit mir gehen? Ja, nein, vielleicht...
War das schön damals in der fünften Klasse! Und viel einfacher!
von grosseweitewelt
War das schön damals in der fünften Klasse! Die letzte Seite aus dem Deutschheft, auf der in etwas
krakeliger Schreibschrift geschrieben stand:
„Willst du mit mir gehen?
Ja
Nein
Vielleicht
Bitte kreuze an!“
Einfache Frage, drei Antwortmöglichkeiten. Dem Adressaten war klar: „Hey, die würde gerne
mit mir im Fahrradkeller knutschen.“ Nun musste er sich nur noch entscheiden, ob er das auch
wollte. Und eine der drei Antwortmöglichkeiten ankreuzen, bevor er seinen Namen auf der zusammengefalteten Deutschheftseite durchstrich und durch den der Absenderin ersetzte. Es folgten
grausame zwei Minuten für die Absenderin, während sie die Deutschheftseite möglichst unauffällig auf ihrem Weg durch die zwei Reihen nach vorne beobachtete. Doch dann kam die Erlösung.
Ein Nein bedeutete, dass man sich kurz darüber mit der Banknachbarin ausließ, wie unreif der
Adressat doch sei, um am nächsten Tag die letzte Seite aus dem Lateinheft zu reißen und sein Glück
bei einem anderen potentiellen Fahrradkellerkandidaten zu versuchen.
Ein Ja hieß, dass man in der nächsten Pause strahlend wie ein Honigkuchenpferd händchenhaltend
über den Pausenhof stolzierte und möglichst nicht die Richtung zum Fahrradkeller einschlug. Alles zu
seiner Zeit! Ein Vielleicht war damals eher die Ausnahme und kam es doch mal vor, gestand man sich
meist recht schnell ein, dass man mit einem, der sich nicht entscheiden kann, eigentlich sowieso nicht
in den Fahrradkellerwill. Man musste also nur zwei Minuten der Ungewissheit überstehen und schon
wusste man, woran man ist. Der einzige Nachteil dieser Methode zur Partnerfindung war, dass sich
grundsätzlich auch die erste Seite aus dem Heft löste, wenn man die letzte herausgerissen hatte.
Probenfoto: Robert Neumann, Jennifer Breitrück
Aus: http://www.neon.de/kat/fuehlen/liebe/76986.html
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Kommunikationskanäle von Jugendlichen
Jugendliche kommunizieren über eine Vielzahl verschiedener Kommunikationskanäle mit ihren Freunden. Die meist genutzten Formen sind Festnetztelefonieren (65%), SMS-Versand (57%) und InternetChat (51%). Briefe schreiben nur noch 5%.
Das Kommunikationsverhalten der Jugendlichen hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Für die
Kommuni­kation mit den eigenen Freunden sind SMS und Internet-Chats bereits genauso wichtig wie
das Telefonieren.
Mit zunehmendem Alter verändert sich die Wichtigkeit der einzelnen Kommunikationskanäle sehr deutlich: Bei den 10- bis 12-Jährigen überwiegt noch klar das Festnetztelefon als Kommunikationsmedium.
Nur für jeden Dritten sind SMS ein (sehr) wichtiger Weg, um mit Freunden zu kommunizieren; Handy
und Chats sind nur für jeden Vierten (sehr) wichtig. Bereits bei den 13- bis 15-Jährigen sind Festnetz,
SMS und Chats hingegen gleich wichtig (jeweils für ca. zwei Drittel mindestens „wichtig“). Beim Anteil
„sehr wichtig“ liegen in dieser Altersgruppe die Internet-Chats sogar vor SMS und Festnetz. Außerdem
steigen die Bedeutung von Handytelefonie, Instant Mes­saging und E-Mails an.
Praktisch alle Kommunikationskanäle sind für Mädchen wichtiger als für Jungen. Lediglich Instant Messaging und Internet-Telefonie finden Jungen im Durchschnitt etwas wichtiger für die Kommunikation mit
den Freunden als Mädchen.
Aus: www.bitkom.org/files/documents/BITKOM_Studie_Jugend_2.0.pdf
JUNGE:
Ich schrieb zwölf Briefe an Herztrost. Zwölf lange Briefe schrieb ich. Als
Antwort bekam ich eine einzige Mail.
Anregung für den Unterricht
Schreiben Sie die unterschiedlichen Kommunikationswege jeweils auf ein Plakat. Nun haben die Jugendlichen die Möglichkeit innerhalb von 5 – 10 Minuten. Zeit auf jedes Plakat ihre Assoziation über die
jeweilige Kommunikationsform zu schreiben. Sammeln Sie zudem die Kommunikationswege, die den
Jugendlichen in der Aufzählung fehlen, und schreiben Sie diese auch auf Plakate. Anschließend kann
in der Gruppe diskutiert werden, welche Vor- und Nachteile die unterschiedlichen Wege haben und
warum manche mehr und manche weniger genutzt werden.
Probenfoto: Jennifer Breitrück, Robert Neumann
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Verbale, nonverbale, paraverbale Kommunikation
Die Menschen kommunizieren jederzeit und seit dem ersten Augenblick ihres beginnenden Lebens. Es
ist ein existenzielles Bedürfnis, verstanden zu werden. Die Sprache ist das differenzierteste Instrument
für die zwischenmenschliche Verständigung, jedoch nicht das einzige. Viele Verhaltensweisen eines
Individuums dienen ebenfalls der Bedeutungs-vermittlung: Gestik, Mimik, Schweigen, Tonfall etc. Sie
werden unter dem Begriff „Nicht-verbale Kommunikation“ oder „Körpersprache“ zusammengefasst.
Verbale Kommunikation
Verbale Kommunikation meint das gesprochene Wort, den Inhalt, die Sprache. [...] Verschiedene
kulturabhängige Kommunikationsstile - indirekte vs. direkte Kommunikation, hoher vs. niedriger
Kontextbezug etc. - sind für das gegenseitige Verstehen oder für Missverständnisse verantwortlich.
Nonverbale Kommunikation
Hier handelt es sich um den nichtsprachlichen Bereich der zwischenmenschlichen Kommunikation. Darunter wird die Körpersprache mit Mimik, Gestik, Augenkontakt verstanden, aber
auch Zeichen, Symbole, Kleider, Frisur oder vegitative Symptome wie z.B. Erröten, Schwitzen. Den grössten Teil unserer nonverbalen Signale senden wir unbewusst und sie können von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich sein (z.B. Körperkontakt bei Begrüßung). [...]
Paraverbale Kommunikation
Bei den paralinguistischen Merkmalen geht es um die Art und Weise des Sprechens (Stimmeigenschaften und Sprechverhalten), das in hohem Maße kulturspezifisch geprägt ist. Wahrgenommen werden v.a. Stimmlage, Tonfall, Resonanzraum und das Sprechverhalten wie Artikulation, Lautstärke, Sprechtempo und Sprachmelodie einschließlich Sprechpausen und Schweigen.
Aus:http://www.transkulturelles-portal.com/index.php/8/verbale-nonverbale-paraverbale-kommunikation
JUNGE:
Diesmal waren es nicht zwei Freunde gewesen, die sich voneinander verabschiedet
hatten, diesmal waren es ihr Bauch an meinem Bauch gewesen, ihre Schenkel an
meinen, ihre Brust an meiner, ihre Haare an meiner Wange. Und meine Lippen fast
an ihrem Hals. Fast.
Dass sie versucht hatte, mir etwas zu sagen, etwas Wichtiges, ich hatte es nicht
einmal bemerkt. Ich merkte es erst, als ich den Film zum dritten Mal anschaute, und
da war es natürlich zu spät.
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Die rosarote Brille
Die unterschiedlichen Formen
der Wahrnehmung
JUNGE: MÄDCHEN: JUNGE: MÄDCHEN: Und was machst du in den Ferien?
Faulenzen. Ausschlafen. Lange aufbleiben. Party. Und dann krieg ich
Besuch. Von jemand ... jemand, den ich im Winter kennen gelernt hab. Und dann werd
ich zwei Wochen lang mit meinem Vater segeln. Die Norrlandsküste entlang.
STOPP! HALT!
Der Film hätte vor meinen Augen reißen müssen, aber er lief normal weiter. Sie hatte
es gesagt! Und ich hatte es überhört. Sie hatte gesagt: »Ich krieg im Sommer
Besuch.« Und ich hatte nicht weiter daran gedacht. Ich hatte nicht gefragt: »Von
wem?«
Ich hatte nicht gefragt: »Von einem Jungen oder einem Mädchen? «
Das alles entdeckte ich erst, als ich den Film zum dritten oder vierten Mal anschaute.
Ich hatte es einfach überhört oder überhören wollen, weil sie so fortfuhr:
Und dann hoffe ich, dass noch Zeit bleibt, um dich zu treffen ...
Das schielende Huhn
Es war einmal ein stark schielendes Huhn. Und weil es schielte, sah es die ganze Welt ein bisserl
schief. Deshalb glaubt es auch, die Welt sei tatsächlich schief. Alles erschien ihm schief, sogar der
Hahn und die anderen Hühner. Das schielende Huhn lief stets etwas schräg und so plumpste es häufig gegen Wände und Bäume. An
einem windigen Tag spazierten die Hühner am schiefen Turm von Pisa vorbei. „Schaut her“, gackerten
die Hühner, „der Wind hat den Turm schiefgeblasen.“ Das schielende Huhn war verwundert, denn es
konnte nichts Schiefes am Turm erkennen – im Gegenteil, er schien völlig gerade zu stehen. Es sagte
aber nichts und dachte sich nur, dass die anderen Hühner sicher schielen müssen. [...]
Aus:http://www.zeitblueten.com/news/1452/wahrnehmung-schielende-huhn/
JUNGE: MÄDCHEN: JUNGE:
Zuerst musst du mich küssen.
Das hier ist ein Irrtum. Guck mich an.
Doch, es ist ein Irrtum.
Von mir aus, dann ist es eben ein Irrtum. Küss mich jetzt. Komisch, dachte ich
hinterher, dass mir das gar nicht komisch vorgekommen war. An jenem Abend war
mir überhaupt nichts komisch vorgekommen.
Selektive Wahrnehmung
Warum gibt es Missverständnisse, warum nehmen wir Ereignisse, Probleme, Situationen unterschiedlich, ja oft widersprüchlich wahr? Weil wir selektiv wahrnehmen. Die Welt wird nicht voraussetzungslos gesehen, die eigene Sicht der Dinge ist nicht „die“ Wirklichkeit, sondern notwendigerweise
eine ausschnitthafte Wahrnehmung. Wir reduzieren Komplexität ständig, indem wir die Informationsüberfülle durch eigene Perspektiven zerschneiden und unangenehme Dinge wegschieben oder Erwünschtes vergrössern. Durch dieses Vorgehen bleibt es uns erspart, alles zu sehen. Jeder schafft sich
so sein Weltbild immer wieder neu.
Wahrnehmung setzt sich aus den beiden Worten „wahr“ und „nehmen“ zusammen. Sie deuten auf die
Differenz zwischen wahr–unwahr und nehmen–lassen, selektieren, hin. Aus der Komplexität werden
selektive Inhalte entnommen und als Wahrheit beschrieben. Das, was wir also an uns anderen wahrnehmen, die Daten der Umwelt (die Müdigkeit am Morgen, der Eigenkapitalanteil der Firma, die Umweltprobleme), werden erst durch unsere Interpretationsmuster zu Informationen. Mit Fakten lässt sich
nichts beweisen, sondern erst mit den Schlüssen, die wir daraus ziehen.
Besonders die Konstruktivisten (z.B. Varela, Maturana) messen dem „Beobachter“ eine zentrale, konstruierende Funktion zu. Damit ist die Annahme einer objektiv erkennbaren Wirklichkeit, nicht mehr
haltbar. Jeder färbt die Realität mit seinen Farben, jeder sieht die Welt durch seine Brille, jeder hat seine
subjektiven Wahrnehmungsfilter.
Heisenberg sagt: „In unserer Betrachtung der Welt können wir Widerspiegelungen von uns selbst erkennen“. Und schon Descartes meint: “Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter als über Paul”.
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Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle?
Welche Filter selektieren unsere Wahrnehmung?
1. Filter: Sozialisation, Deutungsmuster
2. Filter: Gefühle, Empfindungen
3. Filter: Situation, Kontext
Die drei aufgezählten Filter sind nur analytisch zu trennen. Sie beeinflussen einander wechselseitig.
1. Filter: Sozialisation
Wahrnehmung hängt mit unserer lebensgeschichtlichen Entwicklung zusammen. Unsere Erziehung,
unsere Erfahrungen in Familie, Schule und Arbeitswelt prägen uns, unsere Vorstellungen und Werte,
unser Verhalten, unsere Denk- und Wahrnehmungsweise. All das scheint so selbstverständlich, dass
uns die Hintergründe unseres Verhaltens gar nicht mehr voll bewusst sind. Ein Auswahlfaktor dessen,
was wir wahrnehmen, ist Ergebnis des Auseinandersetzungsprozesses zwischen dem, was wir von
Natur aus mitbringen und dem, was unsere gesellschaftliche Umwelt aus uns gemacht hat. Dazu gehören unsere Fähigkeiten, das Temperament, aber auch unsere Überzeugungen, Theorien, Ideologien,
Etikettierungen, Vorurteile, Ziele, Interessen, Werte und Grundannahmen. Was wir sehen, hängt davon
ab, was wir zu sehen erwarten. Unsere Erwartungen wirken wie Schablonen. Biografisch vermittelte
Weltsicht und Bedeutungsinterpretationen sind aber auch nicht voraussetzungslos, sondern in einen
Symbolvorrat eingebettet: Es gibt Sprachkultur und Konventionen. Es ist bekannt, dass insbesondere
die Sprache, in der man aufwächst, kultur- und schichtspezifische Informationen transportiert. Sie ist
auch Ausdruck einer ganz bestimmten Wirklichkeitsauffassung.
- Wenn ein Architekt, ein Gärtner und ein Historiker durch eine Stadt gehen, fallen jedem andere, für
ihn wichtige Dinge auf. [...]
JUNGE: Alles war doch so offensichtlich gewesen. Wie war es möglich, dass ich es nicht
bemerkt hatte? Ich musste blind gewesen sein.
2. Filter: Empfindungen und Gefühle
Wir wissen aus der Biologie und Neurophysiologie (z.B. Förster, Glasersfeld), dass unsere Sinnesorgane nur eine begrenzte und spezifische Aufnahmefähigkeit besitzen. So können wir beispielsweise
nur Töne in einem bestimmten Frequenzbereich hören, Licht nur in einem bestimmten Spektrum sehen.
Aber auch hier gibt es individuelle Bandbreiten. Das gilt auch für das Schlafbedürfnis, für Hunger- und
Schmerzempfindungen.
- Geht man hungrig durch eine Stadt mit schönen Baudenkmälern, fallen einem, auch als kulturell
Interessierter, nur noch Gasthäuser auf.
[...] Gefühle sind einer der zentralen Faktoren, die Wahrnehmungsprozesse beeinflussen. Bringt man
jemandem positive Gefühle, wie Vertrauen und Sympathie entgegen, werden seine Handlungen positiv
interpretiert – beinahe egal, was er tut. Das kann beeinflussend wirken, so dass das positive Urteil auf
die Handlungen des anderen zurückwirkt. Er verhält sich so wie es erwartet wird. Das Phänomen der
„Selffullfilling-Prophecy“ kann aber auch negative Vorurteile bestätigen. Das Sprichwort: Verliebtheit
macht blind, verweist auf die selektive Wahrnehmung des Verliebten. Man spricht auch von der „rosaroten Brille“, die alle Verhaltensweisen im Sinne des idealisierenden Bildes interpretiert. Umgekehrt
lassen depressive Gefühle alles „schwarz erscheinen“. Man nimmt nur Informationen auf, die die Gefühlslage bestätigen.
Verliebte neigen dazu, die Zukunft trotz aller Probleme voll Hoffnungen zu sehen.
Kurz nach einer Kündigung, erlebt der Angestellte die Weltnachrichten als Beweis dafür, dass man
sowieso in einer niederträchtigen Welt lebt. Eine besonders große Bedeutung kommt in diesem Zusam-
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menhang dem Gefühl der Angst zu. Angst kann ein wichtiges Signal sein, das für drohende Gefahren
besonders sensibel und hellhörig macht. Angst kann zu raschen Handlungen gegen die angstauslösenden Ursachen motivieren. Insofern ist sie funktional. Angst kann aber auch „dumm“ und „stumpf“
machen. Längere Überforderung kann in „gelernte Hilflosigkeit“ münden, d.h. in Resignation. Dieses
Verhalten ist dann ökonomisch, wenn man keine Chance sieht, die Kontrolle über die Situation wieder
zu gewinnen. Menschen versuchen aus angstbesetzten Situationen zu flüchten, sie zu verleugnen
und sie abzuwehren. Wir alle haben unsere Abwehrmechanismen. Wie differenziert in ängstigenden
Situationen wahrgenommen werden kann, wie differenziert Informationen verarbeitet werden können,
hängt mit dem Ausmaß der Überforderung durch das Gefühl der Angst zusammen.
Starke Überforderung führt zum Ausschalten des Denkapparates. Man greift auf gewohnte Verhaltensmuster zurück. In diesem Sinne kann Angst „konservativ“ machen. Die Angst selbst hat also einen
widersprüchlichen Doppelaspekt: sie kann zur Schärfung bestimmter Wahrnehmungen beitragen, oder
aber, wenn sie stark ist, zur Ausblendung und extremer Verzerrung von Wahrnehmung führen. [...]
JUNGE: STOPP! Hier läuft etwas falsch, das ist nicht die Szene, die ich auf dem Rückflug
immer und immer wieder vor meinen Augen habe abspulen lassen.
Probenfoto: Robert Neumann, Jennifer Breitrück
3. Filter: Situation, Kontext
Unsere Wahrnehmung hängt auch vom Kontext, von den konkreten Gegebenheiten in einer Situation
ab. Das Verhalten wird anders sein, wenn man mit einem Bekannten redet, oder wenn man vor 100
Leuten ein Referat halten muss. Die Beschaffenheit des Raumes, der Farben, die Gemütlichkeit der
Einrichtung, der Beleuchtung, die Ungestörtheit oder die Sitzordnung – alle diese Situationsfaktoren
beeinflussen unsere Wahrnehmung.
Zum Kontext gehört auch Alter und Geschlecht:
[...]Dinge und Personen haben für jeden eine andere Bedeutung. Sie ist ganz wesentlich durch andere Mitmenschen beeinflusst. Die jeweilige ist Ergebnis eines Interpretationsprozesses und ist auszuhandeln. Dabei kommt es auf den Kontext an. Er ist mitdefiniert durch die Rolle, die jemand einnimmt,
durch die Organisationsstruktur bzw. -kultur, durch den Erwartungsdruck in der bestimmten Situation,
durch die Einflussmöglichkeiten bzw. die Macht der Anwesenden (direkt oder indirekt), durch die Beziehungsnetze, die sichtbar oder unsichtbar wirken (Loyalitäten). [...]
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Welche Funktion erfüllt die selektive Wahrnehmung?
Sie schützt vor Reizüberflutung, gibt Orientierung und Sicherheit. Menschen haben das Bedürfnis nach
Stabilität, nach absoluten Grundfesten, nach unverrückbaren Werten, nach einfachen sinngebenden
Erklärungen. Die Selektivität der Wahrnehmung ermöglicht auch rasches Handeln. Warum wollen Menschen am Mythos der objektiven Wirklichkeit festhalten?
Neben dem erwähnten Sicherheitsbedürfnis stellt es auch eine Kränkung dar, wenn wir zu einer objektiven Wahrnehmung nicht fähig sind. Diese Vorstellung relativiert unser Machtgefühl, es führt das
mechanistische Weltbild des Machers, Beherrschers und Kontrolleurs ad absurdum. Darüber hinaus
ist es entlastend zu glauben, dass wir, so suggeriert es die mono-kausale, lineare Denktradition, „die“
Wirklichkeit erfassen zu können. Wir sind für komplexere, vernetzte Denkprozesse weniger geeignet, obwohl der Dialog über die unterschiedlichen, widersprüchlichen Wahrnehmungen immer nötiger
wird.
Welche Konsequenzen könnte die Einsicht, dass Wahrnehmung immer selektiv sein muss,
haben?
Wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass es verschiedene Darstellungen der Wirklichkeit geben
kann, die aber alle ihre Gültigkeit haben, aber auch widersprüchlich sein können, dann kann niemand
behaupten, die eine Wirklichkeit sei wichtiger als die andere.
Eine Konsequenz müsste also die Toleranz sein. Wenn man weiß, dass man seine Wirklichkeit selbst
mitkonstruiert, dann kann man Schuld nicht mehr nur auf andere ab-wälzen, sondern muss auch die
eigenen Anteile sehen.
Eine zweite Konsequenz müsste also die Verantwortung sein. Wenn man erkennt, dass man durch die
eigenen Filter wahrnimmt, sollte man sie kennen, um sie in sein Bild mit einzubeziehen.
Eine dritte Konsequenz wäre also die Selbsterkenntnis und Selbstreflexion. Wenn man akzeptiert, dass
jeder seine Wirklichkeit hat, dann gibt es keinen Weg am Gespräch mit anderen vorbei, in dem die
unterschiedlichen Sichtweisen ausgetauscht und kommuniziert werden. Nur so kann man sich einer
gemeinsamen Wahrheit nähern.
Eine vierte Konsequenz wäre also die Bereitschaft zum Dialog und die Fähigkeit, wenn nötig, Konflikte
auszutragen.
„Das Glück ist ein Wie, kein Was, ein Talent, kein Objekt.“ (Hesse)
Aus: www.bc-c.ch/downloads/Selektive-Wahrnehmung.pdf
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Der Sturz von
Wolke sieben
Aspekte rund um den Liebeskummer
JUNGE: Das alles muss verschwinden!
JUNGE:
Die Tage vergingen. Ich lag im Bett, bewegte mich wie ein Zombie in meinem
Zimmer hin und her, ging nie ans Telefon und machte die Wohnungstur nicht auf,
wenn es draußen läutete.
JUNGE:
Was macht ein Leben nach Herztrost noch für einen Sinn.
Liebeskummer
Aus: www.bauermedia.de/dr_sommer_studie.html
JUNGE: Jetzt habe ich mein Leben in ihre Hände gelegt. Aber wenn sie nicht anruft? Seid gegrüsst, ihr blauen Tabletten. Tschüss, Leben.
Liebeskummer – ein Thema das jeden Menschen früher oder später selber betrifft. Sei es bei sich selber, bei guten Freunden oder auch bei den eigenen Kindern. Liebeskummer bedeutet für die betroffene
Person eine schlimme psychische Ausnahmesituation.
Von der Medizin wird dieser Zustand kaum zur Kenntnis genommen. Obwohl die Folgen von echtem
Liebeskummer teilweise dramatisch, bis hin zu schweren körperlichen Erkrankungen oder sogar Selbstmord sein können. In den Medien wird immer wieder – so leider auch zurzeit – von Fällen berichtet, in
denen Jugendliche als letzten Ausweg den Suizid wählen.
[...] Man darf Liebeskummer nicht unterschätzen [...], denn gerade bei Jugendlichen ist Suizid aus
Liebeskummer die zweithäufigste Todesursache.
Das Gefühl der Liebe, kann so stark sein, dass jedes rationale Handeln überdeckt wird und für Außenstehende zu unbegreiflichem Verhalten, wie Hingabe, Selbstaufgabe und Opferbereitschaft führt. Wird
dieses Gefühl jeweils erwidert, ist es oft mit ungeheurem Glücksgefühlen, innerer und äußerer Zufriedenheit sowie großer Ausgeglichenheit verbunden. Aber Liebeskummer muss nicht immer nur durch
Verlust oder Trennung entstehen. Es gibt auch viele Fälle, in denen sich ein Mensch in einen anderen
verliebt, ohne dass es zu irgendeiner Art von Beziehung gekommen ist. Hin und wieder weiß der oder
die Betroffene nicht einmal von den Gefühlen des anderen.
Die Reaktion der Menschen auf den Verlust der Liebe oder hinsichtlich unerfüllter Sehnsucht ist sehr
verschieden und kann von leichten Formen mit relativ kurzer Dauer bis hin zu langer und schwerster
Verzweiflung reichen.
Aus: http://www.freshdads.com/magazin/liebeskummer-bei-jugendlichen
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Probenfoto: Jennifer Breitrück, Robert Neumann
Liebeskummer setzt Körper enorm unter Stress
Für die Literatur sind gebrochene Herzen seit jeher ein „Must-have“. Der unglücklich verliebte „junge
Werther“ etwa machte Goethe auf einen Schlag berühmt.
Einen Vergleich zu den Leiden des jungen Werther finden sie auf Seite 56.
Für die Wissenschaft von der Medizin bis zur Humanbiologie hingegen ist das Thema Liebeskummer
eher schwierig zu definieren, einheitliche Erklärungen fehlen. [...]
Eine der wenigen humanbiologischen Studien zum Thema „Broken-Heart-Syndrome“ wurde Ende der
90er-Jahre am Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtethologie an der Universität Wien durchgeführt.
Der Verhaltensforscher Michael Bechinie untersuchte die Gefühle und das Verhalten zahlreicher von
Liebeskummer geplagter Menschen. Für Bechinie ist Liebeskummer eine schlimme psychische
Ausnahmesituation und ähnelt der Reaktion bei der Trauer um einen engen Verwandten. Immerhin
45 Prozent der Studienteilnehmer plagten sogar Selbstmordgedanken.
JUNGE: Sein oder Nichtsein? Nichtsein. Aber wie?
Wie nimmt man sich das Leben?
Wie macht man Schluss?
Wie stirbt man? Wie stirbt man besten?
Als mögliche Funktion des Broken-Heart-Syndroms sieht Bechinie dessen „adaptive Wirkung“. Liebeskummer könnte als regulierender Mechanismus des Selbstbildes dienen und helfe bei der zukünftigen
Selbsteinschätzung auf dem „Partnermarkt“.
Nichtsdestotrotz handelt es sich um eine extreme Stresssituation für den Körper, betont die amerikanische Anthropologin Helen Fisher. „Stressbedingt können unzählige Erkrankungen auftreten,
beispielsweise wird die Immunfunktion des Körpers herabgesetzt.“ Und auch Erzählungen, in denen
von Menschen berichtet wird, die an schwerem Liebeskummer sogar verstorben sind, seien nicht unbedingt von der Hand zu weisen.
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„Ich habe vor allem zwei Gefühle in ihrer denkbar stärksten Ausprägung gesehen: Wut und Verzweiflung“, sagt Fisher. Bis dahin nie erlebte Gefühle von Ohnmacht, Hilflosigkeit, Antriebslosigkeit, angeschlagenes Selbstbewusstsein, Schwermütigkeit, Angst und Hass breiten sich aus. Eine nachweisbare
physiologische Veränderung ist der Rückgang des „Glückshormons“ Serotonin im Gehirn.
„Während einer anfänglichen Protestphase versucht der Verlassene, mit allen Mitteln wieder zu gewinnen“, sagt Fischer. „Das Ende der Beziehung aktiviert den Liebesbotenstoff Dopamin zu Höchstleistungen, weil die Belohnung ausbleibt.“ Je mehr sich unser Partner von uns abkehrt, desto intensiver wird
unsere Leidenschaft. Der Ex-Partner wird nochmals zum Mittelpunkt allen Handelns, die Liebe aktiviert
sich noch. Irgendwann spürt der verlassene Partner, dass er aufgeben muss, und verfällt in Verzweiflung oder wird sogar depressiv. Depressive haben einen niedrigen Dopamin-Level im Gehirn.
Wut auf den Ex-Partner, Hass- und Rachegefühle haben vor allem diejenigen im Bauch, die verlassen
worden sind. Dabei leiden auch diejenigen, die eine Beziehung selbst beendet haben nicht weniger, als
die Verlassenen, fand die Psychologin Ina Grau heraus. Nur die Wut auf den anderen ist seltener.
Frauen schienen nach der ersten Untersuchung viel stärker als Männer unter Liebeskummer zu leiden.
Ist der Liebeskummer tatsächlich intensiver bei ihnen oder geben die Männer die Verletztheit nicht zu?
In einer zweiten Untersuchung kam Ina Grau zu dem Ergebnis, dass Frauen vor allem an Kopf-, Bauchund Gliederschmerzen, Kreislaufbeschwerden, Erschöpfung und Schlaflosigkeit leiden. Sie fand auch
heraus, dass die Anfälligkeit gegenüber Liebeskummer zudem von persönlichen Merkmalen abhängt.
Menschen, die zu „besitzergreifender Liebe“ neigen, haben häufiger Liebeskummer.
JUNGE: Ich wollte sie für mich allein haben.
Auf unserer Insel war nur Platz für zwei.
Das gilt auch für Menschen mit geringem Selbstwertgefühl und für Schüchterne.
„Verliebte sind wie Drogensüchtige“, sagt Fischer. „In ihren Gehirnen treten die gleichen Aktivitätsmuster auf.“ Die gleichen Schritte, die Süchtigen helfen, erleichtern eine Trennung: Alle Bindungen zu dem
früheren Partner müssen abgebrochen werden, da er die Droge für den Liebeskranken ist. Geschenke
und Briefe sollte man wegpacken und keinen Ort aufsuchen, der an den Partner erinnert. Auch wenn
es schwerfällt, sollte man versuchen, neue Dinge zu unternehmen: Neues lenkt ab und erhöht den
Dopaminspiegel.
Das Tröstliche: Die Zeit heilt in den meisten Fällen auch die Wunden eines gebrochenen Herzens, wie
die Wiener Studie von Bechinie zeigen konnte. Je länger der Zeitpunkt der Trennung zurückliegt, desto
mehr weichen depressive Gemütslage und Introvertiertheit, während Konzentration, Selbstvertrauen
und gute Stimmung langsam wieder zunehmen. Auch wenn es kein sicheres Mittel gegen Liebeskummer gibt, empfiehlt Grau, viel Zeit mit Freunden zu verbringen, und sei es auch nur zur Ablenkung.
Liebeskummer darf man auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen: Vor allem Personen, die in
schwach ausgeprägten sozialen Netzwerken leben, sollten, wenn das Leiden länger anhält, zu einer
therapeutischen Behandlung gehen.
Goethes jungen Werther trieb die verschmähte Liebe zu Lotte in den Selbstmord. Der Dichter griff zum
besten Mittel: Ablenkung. Denn nach eigener Aussage schrieb Goethe innerhalb von nur vier Wochen
„Die Leiden des jungen Werther“ – um seinen eigenen Liebeskummer zu kompensieren. Und um sich
von Selbstmordgedanken zu befreien.
Aus: http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article3286526/Liebeskummer-setzt-Koerper-enorm-unter-Stress.html
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Jungs, mit wem redet ihr über Liebeskummer?
Probenfoto: Robert Neumann
Mädchen fragen Jungs:
FRAGE:
Man kann das Scheitern einer Beziehung in nächtelangen
Gesprächen diskutieren – man kann auch zunächst einmal
in sich gehen, die Klappe halten, anstatt die Geschichte
sofort vor der Welt auszubreiten. Letzteres tun wir leider
selten. Wir Mädchen gehen mit unserem Beziehungsschmerz hausieren. Es kommt vor, dass zwei einander
unbekannte Mädchen innerhalb von wenigen Minuten
ihre intimsten Erlebnisse miteinander austauschen. [...].
Warum? Wir brauchen: offene Ohren, Instant-Trost,
Solidarität und eine Leidensgemeinschaft. Wir wollen
uns gegenseitig das Fell kraulen - und vergessen, dass
man manche Dinge mit sich selbst ausmachen muss.
Bei euch Jungs habe ich hingegen das Gefühl, dass ihr
lieber alleine mit Liebeskummer klarkommen wollt. Zumindest kann ich mir nicht vorstellen, wie einer von euch
aufgelöst bei einem Kumpel in die Tür schneit, von diesem
erst mal einen Beruhigungstee bekommt und dann anfängt, sich stundenlang in seinen Armen auszukotzen.
Auch habe ich noch nicht von Beziehungsnotkonferenzen
unter Jungs gehört. Ich kann mir höchstens vorstellen, dass
ihr euch einmal im Jahr in einem ernsten Vater-und-SohnGespräch ein paar philosophische Lebensweisheiten in Hinblick auf Frauen einholt.
Also, mit wem redet ihr über Liebeskummer? Wem vertraut ihr euch an? Fresst ihr es in euch hinein?
Und wenn ja, wie schafft ihr das alleine?
ANTWORT
Was Liebeskummer angeht, so werden wir Jungs irgendwie meistens bitterkalt davon überrascht. Hätten
wir nie gedacht, zumindest am Beginn der Karriere als Liebende, dass da ein Schmerz ist, der uns zerreist und aufschlitzt, umhaut und wegbläst. (Ein bisschen wie Kranksein – wir leiden dabei vielleicht sogar mehr als ihr.) Das ist für uns jedenfalls schon erstmal eine Offenbarung: Oha, ich fühle! Aua, und wie!
Ohne zu sehr Cowboy-Folien an die Wand werfen zu wollen - irgendwie hatten wir insgeheim
und jedes Mal gedacht, wir kämen besser damit klar, irgendwie ist es uns schwieriger, diesen gefühligen Schmerz zu akzeptieren - deswegen rennen wir damit auch nicht gleich zum nächsten
Ohr. Uns fehlt dabei die stereotype Routine, die ich euch jetzt mal unterstellen möchte, die ihr mit
Büchern, Filmen, Mädchenleben einigermaßen gut auf diese Situation und auf das Verhalten
vorbereitet seid. Ihr geht souveräner und aufgeklärter damit um. Wir Jungs denken: So schwarz
war es noch in keinem Menschen! So verletzt wie ich bin, huhu, das kann keiner verstehen,
ich schreibe jetzt 14 Gedichte mit Tod und Mord und dann lege ich mich für immer irgendwo hin.
Natürlich wissen wir modernen Jungen auch um die heilende Kraft des „Drüber redens“, das haben uns
befreundete Mädchen beigebracht und einen gewissen Teil unserer Reputation bei Mädchen beziehen
wir ja vielleicht auch daraus, „reden“ zu können.
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Deswegen werden wir das wohl auch ab einem gewissen Stadium des Kummers anbringen
- denn so schlagen wir ja vielleicht zwei Fliegen mit einer traurig geöffneten Klappe: Wir reden uns
das Blei vom Herzen und werden gleichzeitig von einer netten Damen getröstet. Und trösten, das
ist in diesem Fall ja ein sehr weites Feld, nicht wahr? Ist ja nicht so, dass ihr jammernde Jungs nicht
auch zum Reinverlieben süß fändet, bisweilen?
Also, abschließend: Vielleicht erzählen wir auch mal einfach so einem Fremden an der Bar von unseren
Liebesangelegenheiten. Das ist dann aber etwas sehr Besonderes und außerdem vom Alkohol zumindest unterstützt. Den guten Freunden gegenüber wollen wir am liebsten gute Freunde bleiben und das
inkludiert nicht wochenlanges Trost suchen und Rumheulen. Unseren guten Freundinnen erzählen wir
am leichtesten davon, denn die kennen sich ja nun bestens aus. Aber so ganz eigentlich, wollen wir bei
richtigem Liebeskummer die Fenster zumachen und vor die Hunde gehen. Und kurz bevor alles zu spät
ist, verlieben wir uns neu. Entweder in eine Frau oder wenigstens wieder ins Leben.
Aus: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/439825
Was machst du, wenn du Liebeskummer hast? (Was hilft dir dagegen?)
Sport, Film schauen KEINE LIEBESFILME. (Junge, 18 Jahre)
Ganz viel Süßes essen, mich mit meinen Freunden treffen (Mädchen, 12 Jahre)
Ich heul mich bei meinen Freunden aus. (Mädchen, 14 Jahre)
Ich würde mit meiner Schwester reden. Na mit den Eltern eher nicht. Mit irgendeiner Person mit der
man guten Kontakt hat. Wenn man es in sich reinfrisst, ist es unschön. (Mädchen, 14 Jahre)
Ja, also ich würde in der Familie drüber sprechen oder mit der besten Freundin. Ich esse dann gar
nichts. (Mädchen, 13 Jahre)
Ich höre Musik. Ich würde sehr aggressiv sein und höre laut Musik. (Junge, 15 Jahre)
Freundinnen, Mama besuchen – reden! Erstmal alleine weinen, nicht viel essen
und dann viel reden und heulen (Frau, 39 Jahre)
Sport machen, bis ich mich abreagiert habe, mit Freunden treffen. (Junge, 16 Jahre)
Ganz viel reden, Musik hören (Mädchen, 14 Jahre)
Aus einem Interview mit Jugendlichen auf dem Alexanderplatz, Berlin
Probenfoto: Robert Neumann
34
Selbstmord bei Jugendlichen
Allgemeine Aspekte und Fakten zum Thema Suizid bei Kindern, Jugendlichen und
Erwachsenen:
•
Über alle Altersstufen hinweg sind es in der Regel psychosoziale Krisen, die zur Selbsttötung führen.
•
Aberglaube ist es, anzunehmen, dass Menschen, die vom Suizid reden, es nicht wirklich tun werden, während die, die dies tun wollen, davon nicht reden.
Das Suizidrisiko liegt bei Männern um das 2,5- fache höher als bei Frauen.
•
Die Suizidziffer (Zahl der Suizide pro 100.000 Einwohner) beträgt in der
Bundesrepublik 9 für männliche Jugendliche, 3 für weibliche.
Geschätzte Suizidversuchsrate: bei männlichen Jugendlichen: 127 pro 100.000, bei
weiblichen Jugendlichen: 376 pro 100.000.
Psychodynamische Aspekte des jugendlichen Suizids:
•
Suizidale Jugendliche erleben sich in einer Krisensituation: Autoritäts-, Identitätskrise oder
psychosexuelle Krise
•
Wichtigste Suizidauslöser bei 10- bis 18- Jährigen [...]
1.
Familienkonflikte (erlebte Einengung durch die Eltern, Liebesentzug und Disharmonie
in der Familie): 31 %;
2.
Partnerverlust (Liebeskonflikt): 16 %;
3.
Schul- und Ausbildungsprobleme: 11,5 % und
4.
Entwicklungskrisen: 8,9 %.
Beim Jugendlichen sind es insbesondere zwei Faktoren, die die Psychodynamik in Gang
bringen:
1. Das zerbrochene Weltbild.
Hier ist das kindliche Weltbild gemeint, das aufgegeben wird und zerbricht: Gelingt es dem
Pubertierenden nicht, die eigene neue Weltsicht in die ihn umgebende Welt zu integrieren, kommt es zur Identitätskrise.
2. Der gestörte Dialog, die Vereinsamung und das Gefühl, emotional zu kurz zu kommen.
Der Pubertierende ist seinem Wesen nach ein „relativ Isolierter“: Gesellschaft bietet keine
institutionalisierten, funktionierenden Initiationen an.
Lösungsversuch der Vertrauens- und Kommunikationskrise:
•
Der Vertrauenskrise setzt der suizidale Jugendliche ein imaginiertes Publikum entgegen.
•
Seine Ohnmacht versucht der jugendliche Selbstmörder durch den Entschluss zurück zu
gewinnen, der Ohnmacht durch eigenes Handeln ein Ende zu setzen.
•
Beim Tabletten-Suizidversuch wird häufig die Entscheidung dem Schicksal überlassen, was den Ausgang angeht.
•
Mit der suizidalen Handlung nimmt der Jugendliche Rache an der Vergangenheit unter
„scheinbarem Verzicht“ auf die Zukunft.
•
Der Ausgang des Suizidversuchs gleicht einer Wiedergeburt (egal, ob es beim Versuch bleibt oder der Versuch tödlich endet).
35
Lösungsversuch der Identitätskrise:
•
Schlaf, Bewusstlosigkeit oder Tod führen psychologisch gesehen zu einer Verschmelzung mit dem geliebten und/oder gehassten Objekt: Der Versuch der äußersten Absonderung führt
dabei im Selbstmord zur Vereinigung, ähnlich dem Verhalten eines Außenseiters, der vor
„Heimweh“ geplagt ist. Die Verschmelzung bahnt sich bereits in den Phantasien zum
imaginären Publikum an.
•
Der Suizidversuch ist ein Spiel mit dem Tod. Es kommt zur Umkehr sämtlicher Werte: Tod und Leben verlieren im ambivalenten Schwebezustand des Suizidenten ihre Bedeutung als
eindeutige Situation.
Die durch die Tabletteneinnahme phantasierte Veränderung und Verwandlung bedeutet eine „Gratwanderung mit verbundenen Augen“
•
Der Tabletten-Suizidversuch ist u. a. der Versuch, die Grenzen des eigenen Seins abzutasten, in ein persönliches Niemandsland vorzustoßen.
•
Wunsch des Pubertierenden: Immer wieder zu erfahren, dass er unzerstörbar ist, dass er sich selbst in dem nicht akzeptierten Zustand „überleben“ kann.
Tabletten-Suizidversuch als Autoinitiation:
•
Tabletten-Suizidversuch als „Nacht-Meer- Fahrt des Helden“
•
Bleibt es beim Versuch, wird der Jugendliche dennoch nach „Rückkehr“ zum
Wiedergeborenen, d. h. zum Initiierten: Er hat unter Beweis gestellt, dass er im Stande ist,
Konventionelles über Bord zu werfen und den „Aus- und Überstieg“ zu wagen.
G. Klosinski Ärztlicher Direktor der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und
Jugendalter mit Poliklinik; Universität Tübingen
Aus: www.medizin.uni-tuebingen.de/.../Suizidalität-Klosinski.pdf
36
Phasen des Liebeskummers
Die meisten Experten teilen den Liebeskummer in drei bis vier Phasen (in mehr oder weniger naher
Anlehnung an die Trauerphasen von Elisabeth Kübler-Ross) ein.
1. Phase: „Verleugnen”
Die meisten Beziehungen werden letzten Endes von EINEM der beiden Partner gelöst. Auch wenn es
sich schon längere Zeit abgezeichnet hat, dass die Beziehung keine Chance mehr hat, die tatsächliche
Trennung ist so gut wie immer ein Schock.
Die Phase des Verleugnens ist oft von der Hoffnung geprägt, den Partner wieder zurückgewinnen zu
können. In dieser Phase werden oft Versprechen gemacht, jeder Anruf wird als neue Kontaktaufnahme
oder der Versuch wieder in Beziehung zu treten gedeutet.
Der Schmerz ist kaum aushaltbar und zumeist auch körperlich spürbar. Wichtig ist es jetzt, keine großen
Pläne zu machen. Es gilt den Tag zu überstehen. Freundinnen sind jetzt ganz wichtig, zum Reden zum
Trösten und zum Reichen von Taschentüchern.
2. Phase: „Aufbrechen der Gefühle”
In dieser Phase stehen alle Gefühle im Vordergrund. Wut, Zorn, Ärger, Trauer, ein Gefühlscocktail der
rasch wechselt. Wichtig ist es dabei, die Gefühle auch zuzulassen und entsprechend Ausdruck zu verleihen. Aktionismus ist dabei nicht gefragt, sondern vielmehr ein bewusstes Durchleben der Gefühle,
auch wenn es noch so weh tut.
3. Phase: „Verarbeitung”
Schon wieder sind die FreundInnen gefragt. Um die vergangene Beziehung zu verarbeiten, ist Reden
eines der wirksamsten Mittel. In nahezu endlosen Gesprächen werden nun die guten und schlechten
Seiten der Beziehung und des Ex-Partners erörtert. Wer diese Phase kritisch, aber nicht selbstzerstörerisch nutzt, hat eine echte Chance zur Veränderung und kann viele Erkenntnisse für die nächste
Beziehung gewinnen. 4. Phase: „Akzeptanz”
Erst jetzt ist die Loslösung vollzogen. Die Beziehung gehört der Vergangenheit an und Platz für Neues
wird geschaffen. Jetzt ist es auch möglich sich wieder neu zu verlieben oder bewusst Single mit allen
Vor- und Nachteilen zu bleiben.
Aus: http://www.psychotherapeutin.cc/index.php?article_id=21
Aufbrechen der Gefühle: Wut und Hass
Aus Angst, unseren Partner noch weiter von uns wegzutreiben, drücken wir unsere Wut und den Hass
nach der Trennung zunächst meist nicht aus bzw. verspüren ihn nicht einmal. Gegen Ende der zweiten
Phase treten dann Gefühle von Wut, Verbitterung und Hass auf. Sie sind ein Zeichen, dass wir langsam
Abstand von dem verlorenen Partner gewinnen. [...]
Wann immer wir etwas verlieren oder weggenommen bekommen, was uns wichtig ist, fühlen wir uns
bedroht und alarmiert. In unserem Körper wird Energie frei, uns zu wehren und um das zu kämpfen,
was wir nicht mehr bekommen können. Deshalb ist es vollkommen natürlich, dass Wut und Hass nach
der Trennung auftauchen. Die Wut ist um so stärker, je mehr wir uns im Nachteil sehen und denken,
unseren Expartner zu brauchen. [...]
Die Gefühle von Wut und Hass zu erleben, ist wichtig, denn sie bringen uns aus unserer Hilflosigkeit
und Ohnmacht heraus. Die Gefühle sind quasi ein Versuch, uns gegen das Unrecht, das uns angetan
wurde, zu wehren. [...]
An diesem Punkt ist es notwendig, zunächst einmal unsere Gefühle des Hasses und der Wut zu akzeptieren - sie gehören zum Loslösungsprozess dazu - und sie auf eine für alle ungefährliche Art und
Weise auszudrücken.
Aus: http://www.scheidung.de/die-vier-phasen-einer-trennung-phase-ii
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Rachegelüste
Wann suchen wir nach Vergeltung?
Wenn wir von unserem Partner betrogen werden
Ein Seitensprung trifft einen bis ins Mark, da man sich nicht nur erniedrigt und hässlich fühlt, sondern
auch das eigene Vertrauen auf das Schändlichste betrogen sieht. Ganz zu schweigen von der fehlenden Ehrlichkeit! [...]
Wenn wir von unserem Partner verlassen werden
Die verschärfte Variante von oben und das mit Abstand häufigste Motiv für Rachegelüste. Hier verbinden sich verletztes Selbstwertgefühl, hilflose Ohnmacht und grenzenloser Schmerz zu einer unheilvollen Mischung. [...]
Wenn wir in der Öffentlichkeit bloßgestellt werden
Es gibt wohl kaum etwas Schlimmeres, als durch eine megapeinliche Geschichte zum Gespött von
Freunden oder einer Menge wildfremder Leute gemacht zu werden! Scham und Demütigung tun verdammt weh und schüren einen leidenschaftlichen Hass auf denjenigen, dem wir diese Kränkung und
Schande verdanken. [...]
Rächen sich Jungen anders als Mädchen?
Oh ja! Reaktionszeit, Motive und Racheakte sind durchaus verschieden!
Racheengel
Grundsätzlich kommt der Wunsch nach Rache beim sogenannten schwachen Geschlecht später, häufig erst Wochen oder sogar Monate nach dem eigentlichen Vorfall. Das lässt sich dadurch erklären,
dass Mädchen dazu neigen, die Ursache für das Fehlverhalten zunächst bei sich selbst zu suchen.
“Mein Freund hat mich betrogen, weil ich nicht hübsch genug/zu dick bin oder im Bett nicht alles mitmache” sind typisch weibliche Gedankengänge.
Neben dem verspäteten Rachegelüsten und dem verwundeten Selbstwertgefühl als Auslöser unterscheiden sich die Damen auch in der Art der Rache. Sie setzen bevorzugt die Technik des verbalen
Vergiftens ein, d.h. sie verbreiten Gerüchte, Lügen oder geben peinliche Tatsachen und Wahrheiten
über ihr Opfer preis. Verleumdungen jeglicher Art. Vor allem solche, die unter die Gürtellinie gehen. So
erzählen sie beispielsweise genüsslich, dass die Potenz ihres Verflossenen und seine Phantasie beim
Liebesspiel ohnehin zu wünschen übrig gelassen haben...
Rächer
Jungen reagieren nicht nur wesentlich schneller auf die erlittene Schmach, sondern auch aus einem
völlig anderen Antrieb heraus. Bei ihnen ist es nicht das mangelnde Selbstbe-wusstsein, sondern der
verletzte männliche Stolz. Gedanken der Art “Wie kann sie es wagen, mir, der ich doch so toll bin, so
etwas anzutun?” schießen ihm bei Untreue als erstes in den Kopf. Sie sorgen sich um ihr gesellschaftliches Ansehen: “Wie stehe ich jetzt nur vor meinen Freunden da?”. Gefühle wie Wut und Ärger stellen
sich bei ihnen schneller ein.
Im Gegensatz zum anderen Geschlecht ist die Rache der Herren oft “handfest”, d.h. sie reagieren mit
der Androhung von körperlicher Gewalt bzw. lassen tatsächlich die Fäuste sprechen oder sie richten
ihre Gewaltgelüste gegen Gegenstände: zerschnittene Kleidungsstücke, zerstörte CDs oder verwüstete
Zimmer sind dann die sichtbaren Ergebnisse ihrer ausgelebten Rache.
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Welche Funktion erfüllt die Rache?
Beim Rächer:
Wer sich rächt, will seine Macht zeigen und dadurch die zuvor erlittene Erniedrigung wieder wett
machen. Die ausgespielte Macht biegt das angeschlagene Selbstbewusstsein wieder gerade.
Beim Racheopfer:
Der Vergeltungsschlag macht dem Ersttäter unmissverständlich klar, dass er zuvor zu weit gegangen
war. Hier ist die Rache als eine Art Warnung zu verstehen, die ihm sagt, dass er beim nächsten Mal mit
schlimmeren Folgen zu rechnen hat. Quasi eine Erziehungsmaßnahme, damit er künftig auch schön
brav ist. Außerdem weiß er nun, dass sich der andere nicht alles gefallen lässt.
Aus: http://www.juppidu.de/juppidu/fitness/rache%20ist%20suess.html
Probenfoto: Robert Neumann, Jennifer Breitrück
Lass uns Freunde bleiben!
MÄDCHEN: So muss es doch wirklich nicht sein! Es muss nicht entweder – oder sein. Es muss
doch möglich sein, dass man befreundet ist
Es mag eine traurige Wahrheit sein, dass die Trennung die Qualität der Beziehung spiegelt. Denn Liebe
und Freundschaft haben vieles gemeinsam. Darum kann eine Freundschaft nach der Trennung ganz
fantastisch funktionieren - oder eben überhaupt nicht. Das mag für manche vielleicht paradox klingen: Aber je inniger, ehrlicher und vertrauensvoller die Liebesbeziehung war, desto wahrscheinlicher
bekommt man eine gute Freundschaft irgendwann danach hin. Man trennt sich, weil man als Paar nicht
mehr weiterkommt. Weil man sich auseinandergelebt hat. Weil man sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt hat und die in der Beziehung nicht miteinander vereinbar sind: [...]
JUNGE: (zum Publikum) Ein Freund, aha, das bin ich also gewesen, aha. Ein Kumpel, eine
Reisebekanntschaft im Bus, aha.
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Es gibt keine Anleitung, wie man eine Freundschaft nach der Trennung hinbekommen kann. Aber es
gibt zwei Regeln. Regel Nummer eins: Die Beziehung muss wirklich beendet sein und die Trennung
verarbeitet. Je länger man zusammen war, je enger und intensiver die Beziehung, je tiefer die Verletzung, desto länger dauert es, bis die Trauer überwunden ist. Schnell geht das nur, wenn sich beide
bald eingestehen, dass die Sympathie nicht für eine Liebesbeziehung reicht und es besser gewesen
wäre, gleich nur eine enge Freundschaft einzugehen. [...]
Denn, Regel Nummer zwei: Es müssen beide eine Freundschaft wollen, nichts anderes. Wer noch
etwas für den anderen empfindet oder mehr investiert hat, der wird »Lass uns Freunde bleiben« völlig
anders verstehen. Für den heißt Freunde bleiben: »Bleibe bitte in meiner Nähe und in meinem Leben.«
Der wird jedes Treffen, jedes freundliche Wort überbewerten und als Hoffnungsschimmer wahrnehmen.
Dann geht es in jedem quälenden Gespräch um die vom anderen längst beendet geglaubte Beziehung.
Und weil der damit abgeschlossen hat und seine Ruhe will, endet das im Krach und in noch schlimmeren Verletzungen. [...]
Freundschaften entstehen nicht aus schlechtem Gewissen oder gar Pflichtgefühl heraus. »Das Grundprinzip einer Freundschaft ist Freiwilligkeit. Man kann ein freundliches Angebot machen, aber niemanden dazu zwingen«, sagt Ann Elisabeth Auhagen. Eine Freundschaft soll einen schließlich glücklich
machen und nicht das Leben noch schwerer. Drum sucht man sich seine Freunde ja aus. Jetzt kann
man fragen: Wieso muss es denn ausgerechnet der Ex sein? Gibt es nicht genügend andere nette
Menschen auf der Welt? Eine Menge, ganz bestimmt. Und eine Menge eifersüchtiger Partner und
Partnerinnen würde sich freuen über diese Einstellung. Aber es mag Liebe auf den ersten Blick geben.
Freundschaft nicht. Und niemand kennt einen so gut wie der Expartner. Mit allen Macken, Ängsten
und Sorgen. Den liebenswerten Seiten und den abscheulichen. Und er muss sich damit nicht mehr
rumärgern, sondern kann, ganz objektiv, Lebenshilfe geben. [...]
MÄDCHEN: Ich hatte mal einen Freund und der fehlt mir jetzt ...
Ein Partner wird immer Teil des Lebens bleiben, egal, ob man ihn nie wiedersieht, ihn jahrelang hasst,
ihm nachtrauert oder gelegentlich telefoniert. Wie viel schöner ist das, wenn er als echter Freund bleibt.
»In der Partnerschaft war das Ziel, den Partner zu lieben. Das kann auch ein umfassenderes Ziel sein:
ihn als Menschen zu lieben «, sagt Auhagen. Denn er ist außerdem der Einzige, der auf die Frage »Bin
ich dicker geworden?« ehrlich antworten wird. Und darf.
Aus: NEON (Juli 2007) http://www.neon.de/kat/fuehlen/freundschaft/199984.html
Glaubt ihr, dass die Freundschaft weitergehen kann?
Ja, ich denke schon. Das wenn man sich zusammen setzt man sehen kann, das so eine Freundschaft
etwas Besonderes ist und es weiterhin so sein sollte. (Junge, 15 Jahre)
Ja, ich denke auch, die Freundschaft sollte weiterhin erhalten bleiben, wenn man sich lange kennt.
(Mädchen,14 Jahre)
Ja, also Freundschaft find ich auch ok. Aber ältere Leute denken gleich was anderes, weil sie das von
früher noch nicht so kennen, dass Jungs und Mädchen befreundet sein können. Anscheinend hat sich
das aber heute geändert. (Mädchen, 13 Jahre)
Aus einem Interview mit Jugendlichen auf dem Alexanderplatz, Berlin
JUNGE:
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Aber mich gibt es. Und es gibt dich.
Irgendwo am anderen Ende der Leitung.
Ich weiß, dass du da bist.
Und ich bin froh, dass es dich gibt.
Liebe, Leidenschaft
und Lehranstalt
Die Themen „Freundschaft, erste Liebe und Sex“ im Unterricht
JUNGE: MÄDCHEN:
JUNGE: MÄDCHEN: JUNGE: Ich habe hier eine deutsche Grammatik hab, die ich nicht gebrauchen kann.
Dachte mir, dass du sie vielleicht vermisst [...]
[...] echt idiotisch, dass ich meine Grammatik vergessen hab. Jetzt ist meine
Zwei in Deutsch futsch. Das sieht mir ähnlich ...
Soll ich sie dir bringen?
Willst du?
Von mir aus, ich nehm mein Fahrrad. Es wär ehrlich ärgerlich, wenn du deine Zwei
nicht bekommst...
Kinder lassen ihren Körper und ihr Geschlecht nicht vor der
Schultür
Probenfoto: Robert Neumann, Jennifer Breitrück
Zwar haben Lehrkräfte von der Grundschule bis zum Gymnasium täglich mit jungen Menschen zu tun
und verfolgen ihre Entwicklung in jedem Schultyp und jeder Schulstufe über große Entwicklungsspannen hinweg, dennoch erleben sie nur Ausschnitte der Befindlichkeit und der Einstellung der einzelnen
Mädchen und Jungen [...].
Was sie sonst noch umtreibt und irritiert als Menschen mit den Gravuren des ihnen zugeschriebenen
Geschlechtes, mit ihrem nicht immer harmonischen familiären Erlebnishintergrund, mit einem ständig
sich verändernden Körper und ihrem großen Bewegungsdrang, ist in der Regel kein eigenes Thema
von Unterricht.
Nichtsdestoweniger fordert diese Tatsache Lehrerinnen und Lehrer ständig zu pädagogischen überlegten „Maßnahmen“, zu Motivierung und Disziplinierung heraus, und zwar besonders dann, wenn
Mädchen und Jungen die Maske des interessierten Lernwesens zu eng wird, wenn sie sie ablegen, ihre
Persönlichkeit und ihre Gefühle offenbaren.
Kinder sind Wesen aus Fleisch und Blut. Sie geben weder ihr Geschlecht noch ihren Körper an der
Schulgarderobe ab. Sehnsucht und Eifersucht, Neid und Rivalität, der Wunsch zu gefallen und geliebt
zu werden, die Angst, anders zu sein, zum Gespött gemacht, entblößt oder ausgegrenzt zu werden,
nicht „normal“ zu sein, sind alltägliche Begleiterscheinung im „Lernhaus Schule“. [...]
Neben der Lernleistung geht es in der Schule um ganz andere Dinge: um Freundschaft, Beliebtheit
und Körperkontakte, um das Ausprobieren der eigenen (erotischen) Anziehungskraft – darum, sich
körperlich und emotional wohl zu fühlen.
Schulische Sexualerziehung im Dilemma zwischen Auftrag und
Intimität
Bereits 1968 erklärten die Kultusminister die Sexualerziehung zur gemeinsamen Aufgabe von Elternhaus und Schule. [...]
Obwohl viele Lehrkräfte von der Notwendigkeit der Verhandlung des Themas in der Schule heute mehr
denn je überzeugt sind, fühlen sie sich mit der Umsetzung allein gelassen. Schließlich mangelt es trotz
ausdrücklicher Empfehlung der Kultusminister bis heute an ausreichenden Qualifizierungsangeboten.
Hinzu kommt die unterschiedliche Richtung der Behandlung des Gegenstandes in den Richtlinien und
Lehrplänen der Bundesländer.
Hinter solchen Varianzen stehen unterschiedliche Auffassungen von Erwachsenenseite darüber, was
an diesem Thema als privat zu gelten habe und mit welcher Moral es zu vertreten sei. Allerdings ist aus
der wachsenden Einsicht in die psychischen physischen Gefährdungen der Kinder eine Haltung hin zu
mehr Offenheit zu verzeichnen.
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Sexualerziehung ist Sozialerziehung
Es fällt nicht leicht die Schattenseiten von Sexualität als Chance für eine bejahende und offenen Sexualerziehung – getragen vom „Lernziel Zärtlichkeit“ - umzudeuten. Aber diese Chance ist gerade mit der
zunehmenden Sensibilisierung der Öffentlichkeit für diese Probleme gegeben und sollte unbedingt genutzt werde. Freilich muss das „Lernziel Zärtlichkeit“ um das „Lernziel Fairness“ erweitert und sowohl
differenzierter als auch diskreter angegangen werden, als dies im Überschwang der „sexuellen Revolution“ der siebziger Jahre einmal beabsichtigt war. Insofern wäre Sexualerziehung heute als wesentlicher Bestandteil einer Ich-stärkenden Sozialerziehung zu fassen. [...]
Sexualerziehung muss sich als Sozialerziehung verstehen und als solche sowohl durch das eigene
Vorbild wie durch Informationen und Anregungen Hilfen geben zu einem toleranten, liebevollen und
verantwortungsbereiten Umgang mit dem eigenen und dem anderen Geschlecht. [...]
Aus: „Sexualerziehung, die ankommt...“ Forschung und Praxis der Sexualaufklärung und Familienplanung (BZgA)
Vorbehalte und Ängste der LehrerInnen
Aus einem Gespräch mit Martina Zilezinski, dipt. Sozialpädagogin (FH) bei der Schwangerschaftsberatungsstelle BALANCE
Sie leitet mit einem Kollegen sexualpädagogische Veranstaltungen für SchülerInnen
Was können Sie aus ihrer Erfahrung mit den Schulen berichten, welche Befürchtungen und Ängste
bestehen bei LehrerInnen, wenn es darum geht, das Thema mit SchülerInnen zu besprechen?
Frau Zilezinski: Wenn ängstliche LehrerInnen das reflektieren könnten, würden sie darüber sprechen
und ich könnte es Ihnen genauer sagen.
Es hat sicher auch etwas mit der eigenen Sexualität zu tun, wenn LehrerInnen sich nicht an dieses
Thema herantrauen – gar keine Frage. Auch die eigene Erziehung spielt eine Rolle. Sie bestimmt, wie
für die LehrerInnen dieses Thema besetzt ist, sei es negativ oder positiv. In den Fällen, in denen sich
LehrerInnen nicht selbst an das Thema heranwagen oder unsicher sind, wie sie es angehen sollen,
ist es sicher besser, wenn sie unsere Unterstützung annehmen und die Bearbeitung in eine unserer
Veranstaltungen auslagern.
Wenn man mit so einem Thema in die Klasse geht, sind die SchülerInnen aufgeregt. Sie kichern und
sind teilweise außer Rand und Band. Sie sind wie losgelöst. Sie sind so voller innerer Spannungen, die
sie abbauen müssen, dass sie überdreht über Tische und Bänke steigen. In so einem Zustand kommen sie häufig zu uns, aber so verhalten sie sich auch im Klassenzimmer. So etwas macht LehrerInnen
natürlich häufig Angst. Ihnen fehlt teilweise einfach das Handwerkszeug, solche extremen Spannungen
ohne die üblichen Disziplinierungsmaßnahmen abzubauen.
Schwierig ist es ebenfalls für LehrerInnen, die Grenzen zu bewahren. Man muss auf so viel vorbereitet
sein. Wenn man mit einer intimen Frage, auf die man nicht vorbereitet ist, konfrontiert wird, kann man
natürlich leicht ins Rudern geraten. Das geht ja uns auch nicht anders, wenn manche SchülerInnen
anfangen, sehr persönliche Fragen zu stellen.
Die SchülerInnen haben aber oft das Bedürfnis, „Autoritäten“ zu fragen, ob das, was sie in Filmen, in
Zeitschriften, im Netz so sehen, das was sie sich vorstellen und vielleicht wünschen, auch in Ordnung
ist, und fragen deshalb. Wichtig ist, sich schon im Vorfeld zu überlegen, welche Fragen gestellt werden
könnten und wie ich mit diesen, teilweise sehr intimen Fragen umgehe – welche beantworte ich und
welche lasse ich offen ... Wir sind da freier in unserer Wahl, wir sehen die meisten SchülerInnen danach nie wieder. LehrerInnen sehen die SchülerInnen aber jeden Tag wieder. Man will ja auch nicht zum
Gegenstand des Pausengesprächs werden.
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Drei Beispiele für sexualpädagogische Angebote in Berlin für
SchülerInnen
Familienplanungszentrum – BALANCE
In den Veranstaltungen des Familienplanungszentrum – BALANCE bieten wir den Mädchen und Jungen im vertrauensvollen und geschützten Rahmen Informationen zum eigenen Körper, zu Freundschaft,
Liebe, Sexualität, Partnerschaft und Gesundheit an. Grundsatz unserer Beratungsarbeit ist die
Bewusste Berücksichtigung der Vielfalt der Kinder und Jugendlichen und ihrer Lebensrealitäten (Diversität von kultureller Herkunft, Nationalität, Religion, sexueller Orientierung, Handicaps...)
Durch den Ausschluss von Bewertungen und Maßregelungen befördern wir das Interesse an eigenen
Themen auf der persönlichen Ebene. Unser Ziel ist es die Kinder und Jugendlichen im eigenverantwortlichen Handeln zu bestärken und das Heranreifen ihrer sexuellen Identität positiv zu begleiten.
Kurse für SchülerInnen ab Klasse 7 und Jugendgruppen
Pubertät und andere Zustände Klassenstufe 7
Ausgehend von den Fragen der Jugendlichen werden die körperlichen, seelischen und
sozialen Veränderungen beleuchtet. Vorstellung von ausgewählten Verhütungsmitteln.
Liebe, Freundschaft, Sexualität Klassenstufe 8 und älter
Lust und Frust, erste Beziehung, das „Erste Mal“, Überblick über die Verhütungsmittel.
Sie sollten wissen, was sie tun... Klassenstufe 9 und älter
AIDS und andere sexuell übertragbare Krankheiten, Übertragungswege, Erkennbarkeit,
Safer-Sex.
Was bieten Sie für Schulklassen in der Alterstufe 13/14 und aufwärts an?
Martina Zilezinski: (...) es gibt ein 90-minütiges Modul mit dem Titel „Liebe, Freundschaft,
Sexualität“. Da geht es ums erste Mal und um Verhütung. Es werden aber auch Fragen
bearbeitet wie zum Beispiel: Wie merke ich, dass ich verliebt bin? Wie fühlt sich das an?
Wie fühlt es sich an, wenn das Gefühl nicht erwidert wird? Wie mache ich einen Jungen an? Und woran erkenne ich, dass mich ein Junge gut findet? Wie geht ein Zungenkuss? Oder was muss man tun, um gut zu küssen? Wie laufen die ersten Kontakte ab? Nähe Suchen,
Anfassen, wie geht das? Oder auch: Wieviel Nähe möchte ich zulassen, wann wird es mir
zu viel? Und wie sage ich es, wenn mir etwas noch zuviel ist, ohne den anderen zu verletzen? Wie gehe ich mit Liebeskummer um? All das sind Themen, die auch eine Rolle spielen.
Prokjekttage für SchülerInnen der Klassenstufe 6 und 8/9/10
Je nach Klassenstufe findet eine intensive Auseinandersetzung mit altersadäquaten Themen statt.
Das Projekt erfolgt in der Regel an mehreren Terminen.
Gruppenberatungen werden generell ab der 5. Klasse geschlechtergetrennt durchgeführt.
Familienplanungszentrum – BALANCE, Schwangerschaftsberatungsstelle – BALANCE
Mauritiuskirchstraße 3
10365 Berlin – Lichtenberg/Friedrichshain
Telefon: 030/ 236 23 68-0
Fax: 030/ 236236880
[email protected]
www.fpz-berlin.de
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Telefon: 030/ 57795822
Fax: 030/ 57795823
[email protected]
www.schwangerschaftsberatung-balance.de
Anmeldung für Kurse:
Montag bis Donnerstag 13 bis 14 Uhr unter 030/ 236236820
pro familia Berlin
Sexualpädagogik bei pro familia Berlin klärt auf, indem sie Fakten zu Sexualität vermittelt, wie z.B. zur
körperlichen Entwicklung, Verhütung und Schwangerschaft oder AIDS.
Sie ermöglicht Selbsterfahrung und Selbstreflexion zu Sexualität und Partnerschaft in den Themenbereichen sexuelle Selbstbestimmung, Schutz vor sexueller Gewalt, männliche und weibliche Identität,
Elternkonflikte oder Homosexualität.
Unsere Sexualpädagogik begleitet Jugendliche in ihrer sexuellen Entwicklung und fördert sie in ihrer
körperlichen und seelischen Entfaltung. Die Prävention sexuell übertragbarer Krankheiten, ungewollter
Schwangerschaften und (sexueller) Gewalt sind dabei gewünschte Effekte.
Gruppenangebote
Die 90-minütigen Gruppenveranstaltungen für die vorher beschriebenen Zielgruppen und Zielsetzungen
finden in der Regel in unserer Beratungsstelle statt. Dabei werden die Gruppen nach Geschlechtern
getrennt und von einer Pädagogin und einem Pädagogen begleitet. In sexualpädagogischen Gruppenveranstaltungen möchten wir Jugendlichen die Möglichkeit geben, sich im Rahmen eines geschützten
Gruppengesprächs zu Sexualität zu äußern. Deshalb bitten wir Lehrerinnen und Lehrer sowie Betreuerinnen und Betreuer auf ihre Teilnahme zu verzichten.
Informationen zu Terminen und Kosten erfahren Sie über unseren Telefondienst
unter der Nummer: 030-398 498 98.
pro familia Beratungsstelle Berlin
Kalckreuthstr. 4
10777 Berlin
030-3984-9898 [email protected]
Probenfoto: Robert Neumann, Jennifer Breitrück
Aus: http://www.profamilia.de/angebote-vor ort/berlin/beratungszentrum/angebot/sexualpaedagogik.html
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Bildungsinitiative • Querformat
Queere Bildung mit Format
Aufklärungsprojekt – Bildungsangebot für Schüler_innen
Junge LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual und Trans) Personen thematisieren mit Schüler_innen queere
Lebensweisen, hinterfragen Geschlechterrollen und diskutieren verschiedenen Normen und Werte. Die Teilnehmer_innen setzen sich mit dem Leben in Vielfalt und den sich daraus ergebenden Herausforderungen auseinander.
Homosexualität - ein Thema für alle!
Die Auseinandersetzung mit lsbt (lesbisch, schwul, bi- und transsexuelle) Lebensweisen
ist nicht eine Beschäftigung mit einem Minderheitenproblem, sondern steht exemplarisch
für grundsätzliche gesellschaftliche Fragestellungen.
Solche Themen sind beispielsweise:
• Antidiskriminierungspolitik
• kulturelle Vielfalt/ Diversity
• Sexualpädagogik
• Identitätsentwicklung von Jugendlichen
• Geschlechterbewusste Jugendarbeit
• Transgender/ Transsexualität
Hinzu kommt, dass auch heterosexuelle Jugendliche unter einem gewissen Druck stehen,
den Anforderungen der heterosexuellen Norm zu genügen. Auch sie sind in der Entwicklung ihrer sexuellen Identität durch gesellschaftliche Erwartungen, z. B. bezüglich ihrer
Geschlechterrolle, Belastungen ausgesetzt. Deshalb profitieren auch sie von der
Thematisierung oben genannter Aspekte.
Querformat ist eine gemeinschaftliche Initiative der Berliner Bildungsträger_innen ABqueer (Aufklärung
und Beratung zu queeren Lebensweisen) und KomBi (Kommunikation und Bildung). Beide Träger_innen verfügen über langjährige Praxis in der Bildungsarbeit zu LGBT Themen, Diversity, Gender und
geschlechtersensibler Pädagogik
Geschäftsstelle (Veranstaltungsplanung):
ABqueer e.V.
Sanderstrasse 15
12047 Berlin Tel.:
030/ 922 508 44
www.abqueer.de
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Veranstaltungsort der Seminare:
KomBi Kluckstrasse 11
10785 Berlin
Tel.: 030/ 215 37 42
www.kombi-berlin.de
Anregungen für den
Unterricht
MÄDCHEN: Diese Rede habe ich wochenlang vorbereitet, aber ... jetzt finde ich die richtigen
Worte nicht kannst du mir nicht ein bisschen helfen?
JUNGE:
Ich könnte anrufen, ich könnte selbst anrufen. Nein! Die Spielregeln müssen befolgt werden. Mogeln gilt nicht. Jetzt nicht. Aber ...,
MÄDCHEN: Du ... Wir müssen miteinander reden. Du und ich. Komm her und setz dich.
MÄDCHEN: It takes two to tango.
Spannungsbogen einer Liebesgeschichte
Am Beispiel “So lonley”
Anregungen siehe nächste Seite
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Gestalterische Anregungen
Ein Stück unter deiner Regie
Spannungsbogen einer Liebesgeschichte – Am Beispiel „So lonely“
JUNGE:
Jetzt kann die Vorstellung des Films beginnen. Titel: »Herztrost«,
Drehbuch und Regie: Ich selbst … oder vielleicht sie ... In der Hauptrolle: Ich selbst … oder vielleicht sie.
Der Junge redet davon, dass er sein eigens Drehbuch schreibt. Im Folgenden finden Sie eine Anregung
Drehbücher mit Jugendlichen zu schreiben.
Das folgende Schaubild zeigt den Spannungsbogen einer Liebesgeschichte. Es wird widergespiegelt,
anhand des Stückes SO LONELY, was es braucht um eine Liebesgeschichte zu erfinden und welche
Informationen es für den Rezipienten braucht und wie die Struktur verläuft.
Kopieren Sie das Schaubild für alle SchülerInnen
Materialien: Plakate, Stifte
Folgende Fragen kann man sich zudem Stellen, wenn man eine Geschichte erzählen möchte:
Wer spielt mit Wo spielt die Geschichte Wann spielt die Geschichte Worüber handelt die Geschichte = Personen
= Ort
= Zeit/ zeitlicher Rahmen
= Inhalt
Anbei mehrere Ideen, wie mit dem Schaubild gearbeitet werden kann.
1. Das Schaubild dient als Anregungen mit den Jugendlichen eigene Liebesgeschichten zu
entwickeln. Diese können entweder in der Gruppe erarbeitet werden oder einzeln. Diskuteren Sie, welche „Zutaten“ eine gute Liebesgeschichte braucht, welche Informationen
vermittelt werden sollen, wie der Aufbau der Geschichte aussehen soll. Sie können diese
Anregungen im Deutsch- oder Fremdsprachenunterricht nutzen sowie zur mündlichen
oder schriftlichen Arbeit.
2. Die Jugendlichen bekommen als Aufgabe, ihre Lieblingsfilme anhand des Spannungsbogen
zu untersuchen. Welche Personen spielen mit, welche Informationen bekommen wir, um sie näher kennenzulernen, welcher Ort ist von Bedeutung, was ist das Problem und an welcher Stelle verändert sich der Verlauf der Geschichte. Diese Aufgabe kann in Form eines Aufsatzes oder Referats verlaufen. Auch können die Jugendlichen eigene Schaubilder hierzu basteln.
3. Die SchülerInnen bekommen entweder als Gruppe oder alleine die Aufgabe, eine
Fotolovestory zu erfinden. Hierfür kann das Handy oder eine normale Kamera genutzt werden.
Der Spannungsbogen kann als Orientierung für den roten Faden der Geschichte dienen.
Ziele:
- erarbeiten eigener Geschichten
- Spaß am Geschichten entwickeln wecken
- Wahrnehmung für den Aufbau von literarischen Texten, Theaterstücken, Filmen schärfen
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Assoziationen zu Stückthemen
JUNGE:
Doch dieser Film handelt nicht von Liebe. Er handelt von Verliebtheit und Eifersucht
und Sehnsucht und ... und Sex ... und von einem Supertrottel. Aber nicht von Liebe. Liebe, was das ist, weiß ich nicht.
Der Junge erzählt anhand verschiedener Gegenstände die Geschichte, die er mit Ann-Kathrin erlebte.
Jeder Gegenstand hat steht somit auch für eine bestimmte Gefühlslage.
Ausgehend davon wird gemeinsam wird mit den SchülerInnen überlegt, was die stückrelevanten
Themen sind. Diese werden schriftlich festgehalten. Die SchülerInnen bekommen nun einzeln oder
in Kleingruppen die Aufgabe, bis zur nächsten Unterrichtsstunde Fotos, Zeitungsausschnitte, Gegenstände etc. mitzubringen, die für sie diese Themen darstellen.
Die Mitbringsel werden wie in einer Ausstellung im Klassenzimmer verteilt, jeder präsentiert anschließend, was er mitgebracht hat und erklärt seine Assoziation.
Ziele:
- Einleitung für die tiefere Auseinandersetzung mit stückrelevanten Themen
- Gegenständen eine Geschichte geben
- Wahrnehmung
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Gesprächsanregungen
Fragen zum Stück
• Warum heißt das Theaterstück SO LONELY?
• Welche Figuren kamen im Stück vor? Was könnt Ihr über sie erzählen?
Beschreibt den Jungen! Beschreibt Ann-Katrin!
• Von was handelt das Stück?
Was waren für Euch die wichtigsten Momente?
Welche Sätze sind euch in Erinnerung geblieben?
• Was könnt ihr über das Bühnenbild sagen? Was hat es mit dem Klebeband auf sich?
Welche Orte habt ihr gesehen? Wie wurde das Klebeband noch eingesetzt?
• Was für eine Beziehung hatten die beiden zueinander? War Ann-Katrin in den Jungen
verliebt? Was meint sie damit: „Ich hatte einen Freund, der fehlt mir jetzt.“ Wie steht ihr dazu: Können Jungs und Mädchen befreundet sein?
• Wie geht der Junge mit seinem Liebeskummer um? Wie drückt sich sein Liebeskummer
aus? Wenn ihr mit dem Jungen befreundet wäret, wie würdet ihr euch verhalten? Wie könnet ihr ihm helfen? Welchen Ratschlag würdet ihr ihm geben?
Und wie geht Ann-Katrin mit seinem Liebeskummer um? Gibt es etwas, was ihr ihr raten oder empfehlen würdet?
• „Alles muss verschwinden!!!“ Welche Erinnerungsstücke hatte der Junge?
Warum müssen sie verschwinden? Wie will er sie verschwinden lassen?
• Der Junge schreibt Briefe an Ann-Katrin. Würdet Ihr das auch tun? Was haltet Ihr davon
Liebesbriefe zu schreiben? Welche Kommunikationswege würdet ihr wählen?
• Aus welcher Perspektive wird die Geschichte erzählt? Welche Zeitebenen gibt es?
Welche verfremdende Elemente oder Stilmittel habt ihr im Stück wahrgenommen? (Perspektivwechsel, Spiel mit Publikum, Bewegungschoreografie, gedoppelte Musikeinspielungen Lichteffekte, Einsatz des Mikrofons....) Wie haben sie auf euch gewirkt? Habt ihr eine Idee, wieso der Autor und die Regisseurin sich dafür entschieden
haben?
• Film versus Theater? Oder Film im Theater? Oder der Film als Theater?
Was ist der Unterschied zwischen Film und Theater? Was hat es mit des Jungens Film
auf sich?
• Wie endet für euch das Stück? Wie könnte es weiter gehen? (siehe auch unter
Szenische Anregung: „Gleicher Bus, gleiche Personen, nur alles anders...“)
• Was meint Ann-Katrin mit der Aussage: “it takes two to tango”?
• Warum rennt Ann-Katrin weg, wenn der Junge beim Musikhören den Arm um sie legt und sie küssen möchte?
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Meine Meinung!
JUNGE:
Wir waren Freunde, wir redeten viel und lachten und wenn ich später an sie dachte,
wurde mir heiß und kalt. Ich konnte in ihren Augen ertrinken.
Keine Küsse und ich hatte nie ... an ihren Körper gedacht. Ehrenwort.
Die SchülerInnen stellen sich als Gruppe vor die Spielleitung.
Die Spielleitung schildert nun eine Situation oder nennt eine Aussage. Nun bietet sie zwei Antwort- oder
Verhaltensmöglichkeiten zur Auswahl. Nun erklärt sie, das wer sich für Option Nr.1 entscheidet, in die
rechte Raumecke geht und bei Wahl von Option Nr.2 in die linken Raumecke.
Beispiel:
Morgens trinke ich am liebsten
Nr. 1 = Tee (rechte Ecke)
Nr. 2 = Kaffee (linke Ecke)
Die SchülerInnen sollen sich schnell, ohne langes Überlegen entscheiden.
Anschließend können einzelne SchülerInnen von der Spielleitung befragt werden, warum ihre Entscheidung auf Option Nr. 1 oder Option Nr.2 fiel
Mögliche Fragen
(diese sollen nur als Anregung dienen, natürlich können sich die Fragen auch in andere Richtungen
bewegen):
Wenn man sich küsst ist man anschließend ein Paar.
1. Ja klar!
2. Ach, das heißt doch gar nichts
Mädchen und Jungen können auch nur befreundet sein.
1. Wieso denn nicht?! 2. Nie im Leben, früher oder später passiert immer was
Mädchen sind romantisch und Jungen Machos
1. Keine Frage so ist das! 2. Alles nur Vorurteile!
Die große Liebe gibt´s nur im Fernsehen
1. Quatsch, ich glaub´ an sie!
2. Genauso ist es!
Wenn Mädchen mit vielen Jungs rummachen, sind sie Schlampen. Wenn Jungs mit
vielen Mädchen rummachen, sind sie Helden!
1. Genau, Mädels bleibt schön brav!2. Gleiches Recht für Alle!
Ziele:
- Auseinandersetzung mit stückrelevanten Themen
- Eigene Meinung präsentieren
- Einstieg in inhaltliche Diskussion
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Szenische Anregungen
Probenfoto: Robert Neumann, Jennifer Breitrück
Gleicher Bus, gleiche Personen, nur alles anders...
Der Junge und Ann-Katrin treffen sich nach den Ferien wieder im Bus. Wie würde diese Begegnung ablaufen? Die SchülerInnen erarbeiten in Kleingruppen eine kurze Szene, wie sie sich diese Begegnung
vorstellen können. Sie sollen darauf achten dass es einen klaren Anfang, Höhepunkt und Schluss gibt.
Die Szenen werden sich gegenseitig präsentiert.
Hörst du nicht was ich denke?!
Ann-Katrin und der Junge kommen immer wieder in Situationen, in denen nicht direkt gesagt wird, was
die jeweilige Person wirklich denkt oder fühlt
MÄDCHEN: JUNGE: Hallo. Was hast du heute gemacht?
… hätte ich antworten können: »Ich hab gewartet und gewartet, seit 6 Uhr 37«
Doch stattdessen sagte ich:
Ich hab mein Zeugs für die USA gepackt.
Oder
MÄDCHEN: JUNGE: Du scheinst ja schon in einer Masse von Mädchenzimmern gewesen zu sein.
Klaro. Tausende.
(zum Publikum) Na, ja, tausende Mädchenzimmer war leicht übertrieben. Das von Cousine Emma natürlich. Und Sara aus meiner Klasse, bei der Klassenparty. Und ...
Ja, mehr waren es eigentlich nicht.
Die SchülerInnen überlegen in Kleingruppen, welche Situationen es in Freundschafts- oder Liebesbeziehungen gibt, in denen es zu solchen Diskrepanzen zwischen Gesagtem und Gedachtem kommt.
Sie entwickeln eine Szene, in der die Unterschiede zwischen Gesagtem und Gedachtem deutlich
werden.
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Liebesbote
MÄDCHEN: Diese Rede habe ich wochenlang vorbereitet, aber ... jetzt finde ich die
richtigen Worte nicht, kannst du mir nicht ein bisschen helfen?
Wenn Jungs und Mädchen miteinander sprechen, gibt es häufig unterschiedliche Wahrnehmungen
über das Ausgesagte. Auch der Junge und Ann-Kathrin scheinen sich nicht immer zu verstehen. Wie
gut wäre da ein Liebesbote, der klar macht, was gemeint ist. Anbei zwei Vorschläge zur Aufbereitung
dieser Problematik.
1. Gemeinsam wird überlegt in welchen Momenten im Stück etwas anderes gesagt wurde, als das was
die jeweilige Person meinte. In Kleingruppen überlegen die SchülerInnen was eigentlich hätte gesagt
weren sollen. Zwei aus der Gruppe spielen die Szene mit neuem Text vor.
2. Die SchülerInnen gehen in Kleingruppen (3-4er Gruppen) zusammen und stellen eine typische Szene
nach, in der Mädchen und Jungs miteinander oder aneinander vorbei reden. Es gibt Dolmetscher, die
übersetzen.
Ziele:
- Erinnerung an das Stück
- Einleitung in das Thema selektive Wahrnehmung und Arten der Kommunikation
Gefühlsstatuen
Der Junge setzt sich auf sein Bett und zieht sich das Laken über den Kopf gezogen. Seltsame
Geräusche dringen unter dem Laken hervor. Er scheint zu weinen.
Die Gefühle des Jungen gehen im Stück von „himmelhoch Jauchzend“, „bis zu Tode betrübt“. Das Mädchen scheint dies nicht immer wahrzunehmen, oder nicht wahrnehmen zu wollen.
Gefühle, die im Stück zu sehen waren, werden gesammelt und auf Karten schriftlich festgehalten. Nun
gehen die SpielerInnen zu zwei zusammen, wählen sich eine Karte mit einem Gefühl und bauen dazu
eine Gefühlsstatue.
Nach fünf Minuten kommen alle zusammen und zeigen sich gegenseitig ihre Statuen.
Die anderen MitspielerInnen haben nun die Möglichkeit, hinter die Statue zu treten und einen Subtext zu sprechen. Dies können die Gedanken der Personen sein oder das, was sie in der jeweiligen
Situation sagen. Desweiteren können die MitspielerInnen die Haltung der Statuen einnehmen „auffrieren“ und eine Szene improvisieren, wie die Situation weitergehen könnte.
Ziele:
- hineinversetzen in unterschiedliche Gefühle
- zeigen, wie unterschiedlich Gefühle ausgedrückt werden können
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Unsere Geschichte
Der Junge sitzt an seinem Schreibtisch und legt eine Reihe von Dingen vor sich hin. Es sieht aus, als
würde er die Sachen ordnen oder sortieren. Als er damit fertig ist, lehnt er sich zurück und schaut auf
die Uhr. Er nickt und lässt den Blick über die Sachen wandern, die dicht gedrängt auf dem Schreibtisch
liegen.
JUNGE: (zu sich selbst) Das muss alles verschwinden.
Die Geschichte von Ann-Katrin und dem Jungen wird anhand vieler Gegenstände erzählt, die für ihn
bestimmte Phasen der gemeinsamen Zeit erklären.
Diese Übung zeigt, wie Requisiten genutzt werden können, um gemeinsam eine Geschichte zu erfinden.
Die Spielleitung wählt einen Gegenstand (z.B. Uhr), der im Kreis weitergegeben wird. Sie beginnt nun
eine Geschichte zu erfinden, in der dieser Gegenstand eine Bedeutung hat. Jeder „Mitspieler“ erzählt
mit zwei Sätzen die Geschichte weiter.
Es gelten folgende Anweisungen:
- Die Geschichte muss einen Anfang (erste Person im Kreis) und ein Ende (letzte Person
im Kreis) haben.
- Die Geschichte soll einen Spannungsbogen haben (Spannungsaufbau, Höhe- und
Scheidepunkt, Spannungsabfall)
Variationen:
- Jeder „Mitspieler“ hat einen eigenen Gegenstand in der Hand, der zusätzlich in die
Geschichte mit eingeflochten werden muss (kann ähnlich wie „ich Packe meinen Koffer“
verlaufen).
- Arbeit mit einem Diktiergerät (Geschichte kann so unkompliziert und präzise festgehalten werden).
- Die gemeinsam erfundene Geschichte wird auf kleinen Zetteln Stichpunktartig festgehalten. Nun werden Gruppen von drei bis vier Personen eingeteilt. Diese Gruppen bekommen nun alle einen Teil der Geschichte, den sie szenisch umsetzen. Nach ca. 10 Minuten kommen
alle zusammen und präsentieren ihre Szenen. Die Szenen werden anschließend aneinander gereiht, sodass ein kleines Stück entsteht.
Ziele:
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- Die Geschichte kann Anlass zum Entwickeln von Szenen sein
- Jeder Mitspieler ist aktiv an der Entwicklung eines Stückes beteiligt. Jede kommt zu Wort.
- Spontaneität
- aufeinander hören
- lernen, einen „roten Faden“ zu beachten
Anregungen, um eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre zu schaffen
Schau mir in die Augen...
Alle sitzen im Kreis. Die Spielleitung sieht ihrem Nachbarn in die Augen und versucht wahrzunehmen,
wie es der anderen Person geht. Dabei wird nicht gesprochen. Dann wird der Blick von einer Person
zur nächsten weiter gegeben bis er wieder beim Spielleiter ankommt.
Ziele:
- sich gegenseitig wahrnehmen
- sich trauen, dem anderen in die Augen zu schauen und dies einen Moment lang auszuhalten
- Empathie
Flirt
Alle sitzen im Kreis und schauen sich gegenseitig an. Wenn sich zwei Blicke begegnen, wechseln die
Spieler die Plätze. Dabei wird nicht gesprochen. Jeder sollte mindestens drei Mal den Platz wechseln.
Anmerkungen:
- Wenn immer nur Jungen und nur Mädchen untereinander tauschen, kann auch die
Anweisung geben werden, dass nur Mädchen mit Jungen die Plätze wechseln.
- Darauf hinweisen, dass beim Platzwechsel keine körperlichen Berührungen stattfinden sollen
und keiner rennt!
Variationen:
Nachdem alle SpielerInnen parallel den Platz gewechselt haben, kann die Aufgabe dazukommen, dass
immer nur ein Spielerpaar den Platz wechselt. Die anderen müssen also darauf achten, dass sie erst
ihren Platz wechseln, wenn dies nicht schon jemand anderes macht. Dies fördert vermehrt die Konzentration in und auf die Gruppe.
Ziele:
- sich gegenseitig wahrnehmen
- Kommunikation ohne Sprache
- Aufbrechen festgefahrener Sitzordnungen
Zuzwinkern
Alle stehen im Kreis. Eine Person steht alleine, sonst stehen immer zwei Personen hintereinander. Die
einzelne Person versucht nun durch zuzwinkern eine Person zu sich zu holen. Die hintere Person hält
die vor ihm stehende Person fest, wenn diese weglaufen will, da sie angeblinzelt wurde. Wenn die hintere Person dies nicht bemerkt, steht sie nun alleine da und ist als nächstes mit Zwinkern dran.
Ziele:
- Konzentration
- Kommunikation ohne Sprache
- Schnelligkeit
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Spiegeln
Immer zwei Personen stehen sich gegenüber. Eine Person ist nun der Spiegel und wiederholt die
Bewegung, die der andere macht. Es sollte darauf geachtet werden, so exakt wie möglich die Bewegungen nachzumachen. Um so langsamer man sich bewegt um so leichter und klarer kann die Nachahmung werden.
Ziele:
- aufeinander achten
- Wahrnehmung schulen
Blindes Vertrauen
Die SpielerInnen gehen in Zweierpaaren zusammen. Nun wird eine führende und eine folgende Person bestimmt. Die folgende schließt nun die Augen und lässt sich von der führenden durch den Raum
leiten. Die Leitung kann über eine Hand auf der Schulter erfolgen, einen Kontakt zwischen den kleinen
Fingern oder aber auch nur über leises Flüstern.
Nach einiger Zeit wechseln die die Rollen.
Ziele:
- Vertrauen
- Kommunikationswege kennenlernen
- Aufeinander hören/fühlen
Komm her! Geh weg!
Immer zwei SpielerInnen stehen sich in einem Abstand von ca. 2 Meter gegenüber. Nun beginnt die
eine Person und sagt: “Komm her“ oder „Geh´ weg“. Die andere Person reagiert so, wie sie den Ton
des Gegenübers empfindet. Also ist es eine Art bei der man gerne näher kommen will, oder ist es eventuell so unfreundlich das man gar nicht reagiert, oder vielleicht sogar Angst bekommt. Nach einiger Zeit
wechseln die Rollen.
Ziele:
- Gespür dafür entwickeln wie entscheidend die Art ist, mit der etwas gesagt wird.
Du! – Wer, ich? – Ja, du? – Nein, ich doch nicht!
Alle stehen im Kreis, eine Person fängt an und sagt zu Ihrer NachbarIn im Kreis:„ HeyDu!“, diese erwidert darauf fragend „Wer, ich?“, darauf wieder die erste Person „Ja, du!“ die andere antowrtet mit:“
Wer ich doch nicht!“ Person Nr. 2 beginnt nun den Dialog mit der nächsten Person im Kreis. So übernimmt jeder im Kreis beide Rollen einmal. In einer zweiten Runden können die Sätze mit unterschiedlichen Emotionen unterlegt werden.
Ziele:
- Wahrnehmung WIE etwas gesagt wird
- Konzentration
- Einfühlungsvermögen stärken
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„Please hold the line“
JUNGE:
In dem überfüllten Bus besaßen wir gemeinsam eine einsame Insel: Eine Sitz-Insel
oder eine Steh-Insel, wo wir redeten und redeten und redeten.
Der Junge und das Mädchen befinden sich in unterschiedlichen Interaktionen, die zum Teil voller liebervoller Momente sind und auf der anderen Seite voller Wut und Trauer. Diese Übung zeigt wie wichtig
die non- und para - verbale Kommunikation ist.
Die Spielleitung gibt unauffällig vor Spielbeginn (beispielsweise in einer Pause) mehreren Personen (es
kommt auf die Gruppengröße an, bei zwanzig Personen insgesamt acht Personen) eine Aufgabe. Die
anderen MitspielerInnen dürfen dies auf keinen Fall mitbekommen!
Die Aufgaben sind:
- Du kommst Deinem Gesprächspartner sehr nahe
- Du schaust Deinem Gesprächspartner nicht in die Augen
- Du nimmst innerhalb des Gesprächs immer mehr Abstand.
- Du suchst innerhalb des Gesprächs Köperkontakt zu Deinem Gesprächspartner.
Das Spiel beginnt:
Alle SpielerInnen tanzen oder gehen zu schneller Musik durch den Raum. Die Spielleitung stoppt nun
die Musik. Alle SpielerInnen kommen nun ohne lange zu überlegen zu zweit zusammen. Die Spielleitung gibt nun ein Thema vor über das die SpielerInnen jeweils eine Minute erzählen. Nach einer Minute
gibt es ein Signal und die zweite SpielerIn erzählt. Die zuhörende Person, darf nur non-verbal reagieren. Nach einer zweiten Minuten beginnt die Musik und die SpielerInnen laufen weiter durch den Raum.
Der Ablauf wiederholt sich zu einem neuen Thema und in neuen Paarkonstellationen. Insgesamt sollte
es vier bis fünf Gesprächsrunden geben.
Nach den Runden kommen alle SpielerInnen in einem Sitzkreis zusammen. Es wird nun gefragt wie
es für die Teilnehmenden war eine Minute zu erzählen und wiederum eine Minute ohne zu reagieren
zuzuhören. Danach wird erzählt, dass mehrere Personen im Raum eine Aufgabe hatten und ob jemand
eine Idee hat, welche das gewesen sein kann. Zuerst können die SpielerInnen nun Vermutungen abgeben. Nach einiger Zeit, falls sie nicht darauf kommen, werden die Aufgaben aufgelöst.
Nun wird darüber gesprochen, wie es ist, wenn einer einen nie anschaut beim Reden, oder jemandem
immer näher kommt.
Zuerst dürfen die Personen mit der Aufgabe berichten wie es für sie war die Aufgabe zu erfüllen und
danach die Personen, die mit ihnen in den direkten Kontakt kamen. Anschließend wird in der gesamten
Gruppe diskutiert.
Vgl. http://www.transkulturelles-portal.com/index.php?option=com_content&view=article&id=180&Itemid=99
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Anregungen für den Deutschunterricht
Der Junge aus „So Lonely“ und der junge Werther
Beim Lesen oder Anschauen des Stückes „So lonely“ werden einige von Ihnen,
prompt „Die Leiden des jungen Werthers“ vor Augen haben. Damit sind sie nicht
alleine. In vielen Rezensionen wird dieser Vergleich gezogen und so wird „So
lonely“ auch als die jüngste Version der Werther Geschichte be-schrieben. Jedoch entscheidet sich unser Held, anders als Goethes Werther. Die Geschichte
endet nicht mit dem Tod, sondern mit den Worten:“ Dies ist nicht das E-N-D-E. Es
läuft hier nicht der Abspann.“
Im Folgenden möchten wir Ihnen Anregungen bieten, wie sie eine Verbindung
zwischen den beiden Geschichten im Unterricht schaffen und zudem auch die
Lebenswelt und Gedanken der Jugendlichen einbeziehen können.
Zusammenfassung „ Die Leiden des jungen Werther“
“Die Leiden des jungen Werthers” ist ein Briefroman [...]. Bis auf die letzten tragischen Ereignisse,
die der Protagonist nicht mehr selbst berichten kann, ist die gesamte Handlung in Briefen erzählt, die
Werther an seinen Freund Wilhelm richtet.
Werther ist ein junger Mann, der noch nicht Recht weiß, was er im Leben machen möchte. Er kommt in
die Stadt W., um für seine Mutter eine Erbschafts-Angelegenheit zu erledigen, und wohl auch, um aus
der gewohnten Umgebung heraus zu kommen. [...] Eines Tages wird er auf einen Ball eingeladen, zu
dem er Lotte begleitet, die Tochter eines Amtsmannes. Seit dem Tod ihrer Mutter kümmert Lotte sich
um ihre Geschwister. Werther weiß im Voraus, dass sie verlobt ist, aber er verdrängt dieses Wissen
und verliebt sich sofort.
Während des Balles kommt es zu einem Gewitter, welches beide an das gleiche Gedicht von Klopstock
erinnert, und so bemerken sie, am Fenster dem Naturschauspiel zuschauend, eine tiefe Seelenverwandtschaft. Von nun an besucht Werther die Tochter des Amtsmannes beinahe täglich und verbringt
viel Zeit mit ihr. Aber als Albert, Lottes Verlobter, von einer geschäftlichen Reise zurückkehrt, ändern
sich Werthers Gefühle. Die Anwesenheit des Verlobten macht ihm die Hoffnungslosigkeit seiner Liebe
bewusst. Obwohl Albert ein sympathischer, gutmütiger Mensch ist, bleibt das Verhältnis zwischen ihm
und Werther gespannt - wegen der Rivalität um Lotte und auch, weil der bodenständige Albert ganz
andere Ansichten hat, als der schwärmerische Werther. Dieser bemerkt, dass seine starken und hoffnungslosen Gefühle für Lotte ihm gefährlich werden können, und so beschließt er, die Stadt zu verlassen, um sich zu retten.
Als ihm ein Graf einen Posten als Gesandter anbietet, sieht Werther eine Gelegenheit, sich räumlich
und auch emotional dem Einfluss Lottens zu entziehen. Aber die Geschäftspedanterie, die Kleinlichkeit
und Enge der Etikette und zuletzt die Zurücksetzung von Seiten des adeligen Kastengeistes zerstören
seine Hoffnungen. Enttäuscht kehrt Werther zurück zu dem Ort, den seine Seele Heimat nennt, zu
Lotte. Aber inzwischen sind Lotte und Albert verheiratet. Albert ist viel beschäftigt und daher manchmal
verdrießlich, und Werther bemerkt, dass Lotte die alte Vertrautheit mit ihm vermisst. Er bildet sich ein,
dass sie nicht glücklich ist mit ihrem Mann. Eines Abends, als Albert unterwegs ist, besucht Werther sie.
Er liest ihr aus dem Ossian vor, und plötzlich umarmen und küssen sich die beiden. Werther wirft sich
vor ihr auf den Boden, Lotte flieht ins Nachbarzimmer, um nicht Werthers Leidenschaft zu erliegen und
will ihn nicht mehr wieder sehen. Nach diesem Ereignis verzweifelt Werther endgültig. Er schreibt einen
Abschiedsbrief, leiht sich unter einem Vorwand von Albert zwei Pistolen und erschießt sich.
Aus: http://www.klassiker-der-weltliteratur.de/die_leiden_des_jungen_werther.htm
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Zitate im Vergleich
Im Folgenden finden Sie Zitate aus SO LONELY wie aus DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS
Die Zitate behandeln die selben Momente oder Erlebnisse. Lesen Sie mit den Jugendlichen die Zitate
und lassen Sie sie zu den Zitaten eine Überschrift finden.
Lassen Sie sie anschließend diskutieren, inwiefern sie das Verhalten/Denken/Fühlen nachvollziehen
können. Zudem kann überlegt werden, wie man sich selbst in bestimmten Momenten verhält.
Bezauberung durch den anderen
JUNGE: Ich war erleichtert und begann ihr Haar anzustarren, ihren Nacken, ihr Ohr. Sie war
ganz nahe. Und ihr Ohr. Ihr Ohr sah so schutzlos aus, klein und einsam und mit
kleinen weichen Falten.
Ich saß da und starrte ihr Ohr an, wie bescheuert war das denn bitte? Bis sie plötzlich
an einer Haltestelle aufstand und ausstieg. Den Marktplatz ich hatte völlig verpasst.
Ich war durch die halbe Stadt gefahren und hatte auf ihr Ohr gestarrt. Ich würde zu
spät zur Mathestunde kommen, und es würde eine saftige Strafarbeit geben, aber
das war es wert. Bevor ich ausstieg, bemerkte ich im leeren Bus einen schwachen Duft von Zitrone.
WERTHER: [...] Wie ich mich unter dem Gespräche in den schwarzen Augen weidete! Wie die
lebendigen Lippen und die frischen muntern Wangen meine ganze Seele anzogen! wie ich, in den herrlichen Sinn ihrer Rede ganz versunken, oft gar die Worte nicht hörte,
mit denen sie sich ausdrückte! [...]
Aus: Die Leiden des Jungen Werther (2002),S. 32
Gemeinsames Interesse/Verbindendes Element
WERTHER:
Es donnerte abseitswärts, und der herrliche Regen säuselte auf das Land, und der er
quickendste Wohlgeruch stieg in aller Fülle einer warmen Luft zu uns auf. Sie stand
auf ihren Ellenbogen gestützt, ihr Blick durchdrang die Gegend, sie sah gen Himmel
und auf mich, ich sah ihr Auge tränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige und
sagte: - Klopstock!- Ich erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag, und versank in dem Strome von Empfindungen, den es in dieser Losung über
mich ausgoß.
Aus: Die Leiden des Jungen Werther (2002)S.37
JUNGE: Die deutsche Grammatik war zu einem Dauergag geworden, zu unserem Losungswort.
Ich behielt das Buch und nahm es nicht einmal mehr zu ihr mit. Und ich besuchte sie
immer wieder, nicht oft, aber manchmal. Ich traf sie im Bus oder bei ihr daheim,
nirgends sonst und nie, wenn jemand anderes dabei war. Ich hatte immer noch nur
auf ihrem Bett gesessen. Wir waren Freunde, wir redeten viel und lachten und wenn
ich später an sie dachte, wurde mir heiß und kalt. Ich konnte in ihren Augen ertrinken.
Keine Küsse und ich hatte nie ... an ihren Körper gedacht. Ehrenwort. Ich schlief mit
den Händen auf der Bettdecke. Das ist wahr. Damals war ich noch so.
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Liebeskummer/ Selbstmord
WERTHER:
Sie sind durch deine Hände gegangen*, du hast den Staub davon geputzt, ich küsse
sie tausendmal, du hast sie berührt: und du, Geist des Himmels, begünstigst meinen Entschluß! Und du, Lotte, reichst mir das Werkzeug, du, von deren Händen ich den
Tod zu empfangen wünschte und ach! nun empfange.[...]
Die Leiden des jungen Werther (2002)S. 168
JUNGE: Jetzt habe ich mein Leben in ihre Hände gelegt. Aber wenn sie nicht anruft? Seid
gegrüßt, ihr blauen Tabletten. Tschüss, Leben. Danke und leb wohl.
Umgang mit Enttäuschung
JUNGE: Dies ist nicht das E-N-D-E. Es läuft hier nicht der Abspann. Es gibt überhaupt kein
Filmset, keine Hauptperson. Das Zelluloid ist zu einer braunen Masse geschmolzen.
Es gibt keinen Film mehr. Aber mich gibt es. Und es gibt dich. Irgendwo am anderen
Ende der Leitung. Ich weiß, dass du da bist. Und ich bin froh, dass es dich gibt. Ich
und du und irgendwo ein wir.
WERTHER:
Von Alberts Bestürzung, von Lottes Jammer lasst mich nichts sagen. Der alte
Altmann kam auf die Nachricht hereingesprengt, er küsste den Sterbenden unter den heißesten Tränen.[...] Nachts gegen eilfe ließ er ihn an Stätte begraben, die er sich
erwählt hatte. Der Alte folgte der Leiche und die Söhne, Albert vermochts nicht- man fürchtete für Lottens Leben. Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet.
Probenfoto: Robert Neumann, Jennifer Breitrück
* Die Pistolen
62
Die Leiden des jungen Werthers (2002)S. 172 f
Literaturhinweise / Links
Sexualpädagogik – Unterrichtsmaterialien
Weidinger, Bettina/Kostenwein, Wolfgang/ Dörfler, Daniela: Sexualität im Beratungsgespräch mit
Jugendlichen Wien 2007, Springer-Verlag.
Sigrid Weiser, Daniel Kunz: Jetzt erst Recht. Eine Handreichung für menschenrechtsbasierte Sexualpädagogik mit Jugendlichen. Mit drei Praxisbeispielen. pro familia, Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung
e.V. Bundesverband 2011
kostenfrei zum Download unter: http://www.profamilia.de/publikation-forum-onlineberatung/publikationen/publikationen.html
Sexualpädagogischer Arbeitskreis (SPAK)des pro familia Landesverbandes e.V.
Sexualpädagogische Mädchen- / Jungenarbeit NRW. pro familia Landesverband NRW e.V.
Januar 2003
PDF zum download (139 KB) unter: http://www.profamilia.de/publikation-forum-onlineberatung/publikationen/publikationen/fachpersonal/paedagogik.html
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Abteilung Sexualaufklärung. Sexualaufklärung
und Familienplanung. Medien & Materialien Übersicht über die aktuell lieferbaren Materialien und
Medien zur Sexualaufklärung und Familienplanung, BZgA, 2010
Sie können die Publikation als pdf-Datei öffnen und sich direkt ausdrucken.http://www.sexualaufklaerung.de/index.php?docid=430
Gaschina-Hergarten, Birgit: Rahmencurriculum Sexualpädagogische Kompetenz. Qualifizierungsmaßnahmen im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen
BZgA, 2003 Sie können die Publikation als pdf-Datei öffnen und sich direkt ausdrucken. http://www.
sexualaufklaerung.de/index.php?docid=345
Gaschina-Hergarten, Birgit; Philipps, Ina-Maria: Sexualerziehung, die ankommt ...
Forschung und Praxis der Sexualaufklärung und Familienplanung
BZgA, 1999
http://www.sexualaufklaerung.de/index.php?docid=342
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Jugendsexualität 2010,
BZgA, Köln 2010
Download unter http://www.forschung.sexualaufklaerung.de
Pubertät, erste Liebe, sonstiges...
Brost, Hauke: Wie Teenies ticken. 111 Fakten, die aus allen Eltern Teenie-Versteher machen, Berlin 2007, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag GmbH.
Beil/C. v. Schelling: Das starke Buch für Jungs, Mosaik Verlag, 1998
Katharina Weiß: Generation Geil. Jugend im Selbstportrait, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag
GmbH 2010
63
Johann Wolfgang Goethe, Die Leiden des jungen Werther, Philipp Reclam, Stuttgart 2002
Ulrich Plenzdorf, Die neuen Leiden des jungen W., Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main
1976
John Green: Die erste Liebe (nach 19 vergeblichen Versuchen), Hanser Verlag, München 2008
Alexa Hennig von Lange: Erste Liebe, Rowohlt Berlin 2004
Nava Semel, Liebe für Anfänger, Verlagshaus Jacoby & Stuart, Berlin 2010
Steve Tesich, Ein letzter Sommer, Kein & Aber Verlag, Zürich 2005
Konstantin Wecker (Hrsg.): Stürmische Zeiten, mein Schatz – Die schönsten deutschen Liebesgedichte ausgewählt von Konstantin Wecker, Piper Verlag, München 2009
Zum Nachlesen und Weiterlesen:
Per Nilsson, Nie wieder Lonely, Oetinger Verlag, Hamburg 2009
Per Nilsson, So lonely, Oetinger Verlag, Hamburg 1996
Kurzbeschreibung zu: “Nie wieder lonely”
Eine für immer? Von Liebeskummer, Liebesglück und großen Geheimnissen
Vor einem Jahr hatte er sich in Ann-Kathrin verliebt. Doch nach einer Nacht war Schluss. Wie dumm er
damals war! Jetzt hat er Amina, das hübscheste Mädchen der Welt, kennengelernt, und mit der alten
Geschichte ist er endlich durch. Da trifft er sie zufällig im Bus wieder. Eigentlich hatte er gedacht, sie
könnten jetzt Freunde sein. Aber wieso bringt sie ihn dann noch immer so durcheinander? Und zudem
scheint Ann-Kathrin ein Geheimnis zu verbergen hat auch er damit etwas zu tun? Nach nur zwölf Tagen
ist sein Leben vollständig auf den Kopf gestellt! Eine anrührende Geschichte vom Erwachsenwerden,
von Liebe und Freundschaft. Vielfach ausgezeichneter Autor, u.a. mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis.
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Herzlichen Dank an
Anne Westerlaken, Clara Weigelin, Maiko Miske , Martina Zilezinksi, von der Schwangerschaftsberatungsstelle BALANCE, Stefanie Kaluza, den Menschen die sich von uns am Alexanderplatz zum
Thema Liebe haben interviewen lassen, Hans Seibert und dem darstellenden Spiel Kurs, 9.Klasse,
der Kopernikus Oberschule
Impressum
GRIPS Theater Berlin
Altonaerstr. 22
10557 Berlin
www.grips-theater.de
Reservierung
für Nachmittags- und Abendvorstellungen
Tel. 030-397 47 477
für Vormittagsvorstellungen
Tel. 030 397 47 40
für Abendvorstellungen
Tel 030 397 47 477
Redaktion: Susanne Rieber, Laura Klatt
Layout: Markus Pötter/panopti.de
Plakat-Illustration: derMarkstein
Titelbildgestaltung: Martin Markstein
Fotos: David Baltzer/bildbuehne.de
Herstellung: KOPIERART,
Lietzenburger Straße 65a,
10719 Berlin
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