Schillers Kabale und Liebe and Goethes Faust Within the
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Schillers Kabale und Liebe and Goethes Faust Within the
G3 TY3093 15 hp 2010-01-28 Tyska Handledare: Nina Johansson Examinator: Nina Johansson G2 G3 Avancerad nivå Schillers Kabale und Liebe and Goethes Faust Within the Discourse of Love Anja von Hoegen Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 3 2 Theoretischer Überblick 2.1 Einordnung Kabale und Liebe: Sturm und Drang 2.2 Einordnung Faust: Weimarer Klassik 2.3 Diskurs der Liebe um 1800 6 6 8 10 3 Kontrastive Werkanalyse 3.1 Darstellung der Liebe in Schillers Kabale und Liebe 3.1.1 Fokus Liebe – Untersuchung der Figur Luise 3.2 Darstellung der Liebe in Goethes Faust 3.2.1 Fokus Liebe – Untersuchung der Figur Gretchen 3.3 Gegenüberstellung der Werke und Figuren 13 13 18 21 27 29 4 Fazit 32 5 Literaturverzeichnis 34 2 1 Einleitung Die Liebesthematik in Johann Wolfgang Goethes Faust – Der Tragödie erster Teil und Kabale und Liebe von Friedrich Schiller sollen im folgenden Aufsatz verglichen werden. Besonders beleuchtet werden sollen sowohl die Figuren Gretchen und Luise, die weiblichen Protagonistinnen der Werke, als auch Faust und Ferdinand, ihre Geliebten und männliche Hauptfiguren. Beide Werke sind Dramen. Faust, eine Tragödie, erschien im Jahre 1808 und ist der Epoche der Weimarer Klassik zuzuordnen, während Kabale und Liebe, erschienen 1783, ein typisches Werk des Sturm und Drangs darstellt und ein bürgerliches Trauerspiel ist. Ziel dieser Arbeit ist es, die Verarbeitung des Themas Liebe in den beiden Dramen vor dem Hintergrund der aktuellen Forschung über die Epochen und die Gestaltung der Liebe in der Literatur um 1800 zu vergleichen. Dazu herangezogen wird sowohl Sekundärliteratur zur Weimarer Klassik sowie zum Sturm und Drang als auch allgemein zur Liebesthematik in Literatur. Außerdem werden Forschungsarbeiten zu den beiden Werken in Betracht gezogen. Die Untersuchung der Sekundärliteratur soll besonders auf das Thema Liebe fokussiert werden, damit anschließend Schlüsse gezogen werden können, inwieweit die ausgewählten Werke hinsichtlich der Thematik ihrer Zeit folgen. Ebenso soll die Frage beantwortet werden, inwieweit die Werke ihrer Epoche entsprechen und ob dies auch mit der Thematisierung ihrer Liebesgeschichten zu tun hat. Die von mir betrachtete Forschungsliteratur untersucht die Liebesthematik sowohl in Werken von Schiller als auch von Goethe, jedoch werden in dieser zur Untersuchung oft die Dramen Don Carlos und Die Leiden des jungen Werthers hinzugezogen (z.B. Kluckhohn 1966; Schwander 1997). Deshalb möchte ich nach Verknüpfungen zwischen der Forschung zur Liebesthematik in der Literatur dieser Zeit, Faust und Kabale und Liebe suchen. 3 Die beiden Dramen wurden als Grundlage dieser Arbeit gewählt, da zum einen beide Autoren zum Kanon der deutschen Literatur gehören und zum anderen meinerseits ein großes Interesse an Werken des 18. Jahrhunderts besteht.1 Das Thema Liebe wird ins Zentrum der Untersuchung gerückt, weil es in allen Epochen vorzufinden ist, da es die Menschen seit jeher beschäftigt. Interessant sind dabei die Entwicklung, der Blickpunkt und die Darstellung des genannten Themas vor mehr als 200 Jahren. Die gegenseitige Beeinflussung von Literatur und Gesellschaft ist ein weiterer interessanter Aspekt, der berücksichtigt werden soll. Der Untersuchungsschwerpunkt soll auf der Darstellung der Liebesbeziehungen der Protagonisten gelegt werden und ein besonderer Fokus soll zudem auf Luise und Gretchen gerichtet werden. Beide Figuren werden in ihren Dramen zum Opfer ihrer Liebesbeziehungen und gehen an diesen zu Grunde. Somit soll die Frage nach den Gründen dafür beantwortet und eventuelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede erarbeitet werden. Die Arbeit gliedert sich in vier Abschnitte. Nach der Einleitung soll zunächst beschrieben werden, in welche Epochen die Werke in der Forschung nach den herkömmlichen Ideen eingeordnet werden, um diese in der Analyse prüfen zu können. Die Ergebnisse der Analyse sollen aufzeigen, ob auch die Thematik der Liebe dafür spricht, die Werke nach den Ideen der Forschungsliteratur einzuordnen. Weiterhin soll in diesem Abschnitt ein theoretischer Überblick über einige aktuelle Forschungsarbeiten zum Thema Liebe in der Literatur um 1800 gegeben werden. Im dritten Teil wird eine kontrastive Werkanalyse von Faust und Kabale und Liebe den Hauptteil der Arbeit darstellen, dazu wird der Inhalt der Werke zusammengefasst, um das Verständnis der Analyse zu erleichtern und um wichtige Handlungsstränge nachvollziehen zu können. Dabei wird zunächst ein allgemeiner Überblick über das Werk und die Thematik der Liebe gegeben. In einem weiteren Unterkapitel wird es jeweils zu Gretchen und zu Luise 1 Faust erschien zwar erst 1808, doch entstand dieses Werk über viele Jahre und ein großer Teil auch schon im 18. Jahrhundert. 4 detailliertere Analysen geben, um die Gründe ihres Untergangs zu ermitteln. Abschließend werden die Werke hinsichtlich der Liebesgeschichten gegenübergestellt, damit die Unterschiede herausgearbeitet werden können. Im Fazit werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und weitere mögliche Fragestellungen und Analysemöglichkeiten benannt. 5 2 Theoretischer Überblick Die ersten Teile dieses Kapitels sollen sich mit den Epochen der Werke beschäftigen, die zu untersuchen sind, so soll zunächst geklärt werden, was unter dem Begriff der Epoche zu verstehen ist. Epochenbegriffe dienen dazu, die Literatur zu ordnen und zu kategorisieren. Dabei werden zum einen bestimmte Eckdaten festgelegt, um der Epoche einen zeitlichen Rahmen zu geben und zum anderen werden der Literatur jeder Epoche bestimmte Merkmale zugewiesen, sodass die Epochen inhaltlich unterschieden werden können (Jeßing/Köhnen 2007: 11). Dies sind sowohl politik- und sozialgeschichtliche Merkmale als auch philosophie-, ideen- oder auch religionsgeschichtliche Kriterien. Ebenso können literaturinterne Merkmale und Einschätzungen späterer Zeiten ausschlaggebend für die Eingrenzung einer Epoche oder die Festlegung eines Epochenbegriffs sein (Jeßing/Köhnen 2007: 11f). Auch wenn die Epochen Eckdaten aufweisen, sind die Epochenübergänge fließend, so können sich die Epochen zeitlich überschneiden oder gar parallel existieren. Aus diesem Grund wird statt von dem Begriff „Epoche” auch von literarischen Strömungen gesprochen (Jeßing/Köhnen 2007: 12). 2.1 Einordnung Kabale und Liebe: Sturm und Drang Die Einordnung von Schillers Kabale und Liebe kann laut der Forschung relativ eindeutig vorgenommen werden. Das Werk gehört zum Sturm und Drang und gilt als das letzte Werk dieser Epoche (Karthaus/Manss 2000: 138). Die Bezeichnung der Epoche stammt von dem gleichnamigen Titel eines Dramas von Friedrich Maximilian Klinger (Völkl 2007: 57). Der Sturm und Drang begann in den späten 60ern und hielt bis in die frühen 80er des 18. Jahrhunderts (Karthaus/Manss 2000: 15). Zu dieser Zeit bestand Deutschland aus fast 300 6 kleinen Teilstaaten, dabei hatte jeder Staat seine eigene Politik und eine eigene Verfassung. Die meisten Teilstaaten standen unter der absolutistischen Herrschaft eines Fürstentums, die teils sehr willkürlich handelten (Karthaus/Manss 2000: 16f). Gegen den herrschenden Absolutismus, die gesellschaftliche Ordnung und die starren Regeln rebellierten die zugehörigen Autoren dieser Epoche, die größtenteils sehr jung waren, in ihrer Literatur und Lyrik. Aus diesem Grund wird der Sturm und Drang auch als Protest- und Jugendbewegung verstanden (Mende 2009). Die Vorstellung des Genies spielt eine bedeutende Rolle für die Autoren: das Genie schafft eigene Regeln und Gesetze, entfaltet dabei seine Individualität und lässt sich durch die schöpferische Kraft der Natur leiten (Pohl 2009). Shakespeare galt als Vorbild eines genialen Dichters. Als Zentralbegriffe des Sturm und Drangs gelten die Freiheit im persönlichen, politischgesellschaftlichen und künstlerischen Bereich, Gefühle und Leidenschaft (Völkl 2007: 58). Der Sturm und Drang kann als Gegenbewegung zur Aufklärung verstanden werden, in der Gefühle verpönt waren und die kühle Rationalität mit einer strengen Regelpolitik die zentrale Rolle spielten (Völkl 2007: 57f). Als bevorzugte literarische Form galt im Sturm und Drang das Drama, thematisiert wird darin meist ein Held, der an den gesellschaftlichen Verhältnissen scheitert und seine Identität nur durch ein tragisches Ende wahren kann. Die Figuren weisen markante Charaktere auf, die Handlung ist spannend, gefühlsreich und dramatisch, Ort und Zeit werden häufiger gewechselt und es werden tragische und komische Elemente gemischt (Mende 2009). Schillers Werk ist dem Sturm und Drang eindeutig zuzuordnen, da Gefühle und Leidenschaft die leitende Rolle in dem Drama einnehmen. Verkörpert wird dies besonders durch die Figur Ferdinand, der für eine bessere gesellschaftliche Ordnung und für die individuelle Lebensgestaltung kämpft (Völkl 2007: 58f). Des Weiteren werden im Werk sehr deutlich die Missstände der gesellschaftlichen 7 und politischen Ordnung aufgezeigt. Die Figur des Präsidenten steht für den Machtmissbrauch und die Gleichgültigkeit der Herrschenden, denen Empfindungen und Moral fremd sind, was die Autoren des Sturm und Drangs in ihrer Literatur anprangern (Karthaus/Manss 2000: 134). 2.2 Einordnung Faust: Weimarer Klassik Wie zu jeder Epoche können auch zur Weimarer Klassik verschiedene Angaben zu den Eckdaten der Epoche gefunden werden. Einigkeit herrscht jedoch in der Auffassung, dass Goethes Italienreise 1786 zu Beginn der Epoche stand, doch Unklarheiten gibt es über die Dauer der Weimarer Klassik. Für einige Autoren der ausgewählten Forschungsliteratur ist Schillers Tod nicht nur das Ende der Ära Schiller und Goethe, sondern auch das Ende der Epoche. Andere sehen das Ende der Epoche erst mit Goethes Tod 1832 (z.B. Selbmann 2005: 19; Dörr 2007: 9) . Der Begriff „Klassik“ wurde erst später, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, festgelegt (Jeßing/Köhnen 2007: 12). Als Grund für diesen Epochentitel wird in der Forschungsliteratur insbesondere das politische Interesse bei der Reichsgründung gesehen. Der Epochenbegriff „Klassik“ sei als „Kompensationsbegriff zu interpretieren, der die politische Misere in der Auszeichnung des kulturellen Gipfels kompensiert [...] [und] „klassische” Literatur gerät mehr und mehr zur illustrierenden Legitimation der Größe des zu gründenden deutschen Reichs” (Plumpe 1995: 20). Der Epochenbegriff der deutschen beziehungsweise der Weimarer Klassik hat sich nur im deutschen Sprachraum durchgesetzt und auch hier ist er nach wie vor umstritten. Aus europäischer Sicht existiert der Begriff nicht, stattdessen wird die Literatur dieser Zeit in die gesamteuropäische Romantik eingeordnet. Jedoch ist auch in Europa klar, dass die deutsche Literatur um 1800 den Höhepunkt der deutschen Literatur darstellt (Selbmann 2005:18). 8 Ursprünglich meint der Begriff „Classicus” einen wohlhabenden römischen Bürger der höchsten Steuerklasse. In der Antike ist „Classicus” ein Synonym für „vorbildlich” oder „musterhaft” und bezeichnet zudem den Höhepunkt einer Kulturepoche. Somit definiert „Klassik” „den sich selbst zugeschriebenen Höhepunkt der jeweiligen Nationalliteratur” (Selbmann 2005: 12). Vom Stürmer und Dränger zum Klassiker wurde Goethe auf seiner Italienreise nach Rom von 1786-88, besonders die Zusammenarbeit mit Schiller trug zur Entstehung und zum Höhepunkt dieser Epoche bei (Selbmann 2005: 30; 43). Beide wendeten sich gegen die Französische Revolution, allerdings nutzten sie deren Folgen, um ihre klassischen Gedanken auszubauen (Selbmann 2005: 44). Geprägt war besonders Schiller durch die philosophischen Schriften Kants. Als Grundideen dieser literarischen Strömung gelten die Humanität und die Harmonie. Es soll nach diesen Idealen gestrebt werden und die Bildung einer ausgewogenen Einheit steht im Vordergrund: Tugenden, Gefühle und Verstand, das künstliche und das wissenschaftliche Verständnis sollen in Einklang gebracht werden. Ebenso kann die Totalität, die Vereinigung von Theorie und Praxis, als weiteres wichtiges Merkmal der Weimarer Klassik gesehen werden. Als Vorbild dient den deutschen Klassikern die griechische Antike, ihre Literatur soll aufgegriffen, aber nicht nachgeahmt werden. Diese Ideale sollen allerdings nicht mit einer Revolution erreicht werden, sondern die Veränderung jedes Einzelnen ist nötig und dazu sei Kunst das meist geeignete Mittel. Zur Literaturprogrammatik von Goethe und Schiller gehörte auch die Auflösung der starren Regelpolitik des Sturm und Drangs und der Empfindsamkeit (Jeßing/Köhnen 2007: 13). Ihre Wirkung erreichte die Weimarer Klassik insbesondere im Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts. Zitate aus den Werken wurden zu Sprichwörtern und der deutsche Klassiker wird zu einem Ideal (Plumpe 1995: 22). 9 Goethes Faust entstand in der Weimarer Klassik und wird gemeinhin dieser Epoche zugeordnet. Allerdings ist diese Einordnung nicht vollkommen festzulegen, da das Werk über einen langen Zeitraum entstanden ist und der Urfaust dem Sturm und Drang zugeordnet wird (Schmidt 2001: 38). Zu dieser Zeit entstand in erster Linie die Gretchentragödie, welche charakteristisch im Einklang mit dem Sturm und Drang steht. Gretchen lässt sich von ihren Gefühlen leiten und bringt diese nicht in Einklang mit ihrem Verstand, wie es die Klassiker fordern. Ebenso wird der formale Aufbau des Dramas dem Sturm und Drang zugeschrieben, da „sich der Faust I noch an das Erbe des Sturm und Drang: an die lockere Szenenfolge ohne Akteinteilung“ (Schmidt 2001: 38) hält. Faust I wird der Klassik zugeordnet, weil es durch die drei einleitenden Szenen des Dramas zu einer Distanz in der Betrachtung des Stücks kommt und der Zuschauer somit durch die Kunst lernen kann. Insbesondere kann der Zuschauer auch durch den Prolog im Himmel und die Szene „Wald und Höhle“ über die Grundfrage des Mensch-Seins nachdenken (Schmidt 2001: 38ff). Faust ist in sich gespalten, er befindet sich zwischen Himmel und Hölle und möchte zu sich selbst zurückfinden (Schmidt 2001: 43). 2.3 Diskurs der Liebe um 1800 Liebe ist ein Thema, das die Menschen schon immer beschäftigt hat und dementsprechend auch in der Literatur eine große Rolle einnimmt. Dabei beeinflussen sich die Liebe als Intimkommunikation im realen Leben und die Liebe in literarischen Gattungen gegenseitig (Werber 2003: 10). Liebe ist das zentrale Interesse des modernen Menschen, der Kosmos des privaten Lebens. Die Partnerschaft stellt die wichtigste zwischenmenschliche Beziehung dar und steht noch vor der Familie und Freunden (Reinhardt-Becker 2004: 246). Die Verbindung von Leidenschaft und Liebe in der Ehe ist allerdings eine Erfindung der letzten 200 Jahre (Reinhardt-Becker 2004: 246). Einen Wandel über die 10 Auffassung und die Vorstellung von Liebe hat es also erst im 18. Jahrhundert gegeben; das heutige Verständnis von Liebe als Verbindung von Gefühlen, Leidenschaft und Erotik findet dann Einzug in die Ehe. Bis dato war Liebe in der Ehe nicht erwünscht, da die Ehe einen reinen Nutzvertrag darstellte und Sexualität nur zur Fortpflanzung dienen sollte (Schwander 1997: 95). Die leidenschaftliche Liebe war generell von sehr kurzer Dauer. Nach Lenz wurden selbst noch im Bürgertum des 18. und 19. Jahrhunderts Ehen nicht wegen Gefühlen geschlossen, sondern in erster Linie wegen materiellen Vor- und Nachteilen: „Da Gefühle bekanntlich nicht satt machen, war ein Blick auf die ökonomischen Verhältnisse und die moralische Integrität der Person des potentiellen Ehegatten naheliegend“ (Lenz 2009: 285). Die Ehe stellt zudem in den damaligen Verhältnissen die einzig verlässliche Lebensgrundlage für die Frau und ihre Kinder dar (Lenz 2009: 285). Die Vorteile des Mannes in einer Ehe bestanden darin, dass dieser durch die Ehe erst Anerkennung in der Gesellschaft gewinnen konnte und durch eine Hochzeit eine Mitgift von der Familie seiner Frau erhielt (Lenz 2009: 285). Außerdem war eine Ehe vor dem 18. Jahrhundert nur innerhalb der einzelnen Schichten möglich und die Eltern bestimmten den Ehepartner (Werber 2003: 27). Diesen wählten die Familien möglichst multifunktionell – einbezogen wurden politische und ökonomische Aspekte. Familien konnten durch eine Ehe Güter und Land zusammenlegen, dadurch ihre Macht und ihren Einfluss vergrößern. Bei dieser Wahl wurde auf die Wünsche der zukünftigen Ehepartner keine Rücksicht genommen, oftmals kannten sich Braut und Bräutigam sogar vor der Ehe nicht (Werber 2003: 27). Zum Wandel der Vorstellungen von Liebe und Ehe trug auch die Literatur bei, die dabei eine Vorbildfunktion einnahm. Schwander untersuchte „[die] Rolle der Literatur bei der Neubestimmung dessen, was als Liebe empfunden wird“ diskursanalytisch und kam zu dem Ergebnis, dass „ihr bei der Bereitstellung der Sprachformeln, in denen die Situation Liebe sich ereignet und ausdrückt, 11 entscheidende Bedeutung zukommt“ (Schwander 1997: 95). Für Liebe und Gefühle finden insbesondere Poeten neue sprachliche Ausdrücke (Schwander 1997: 101). Besonders in der Literatur des 18. Jahrhunderts wird das herkömmliche Verständnis von Liebe thematisiert und problematisiert (Werber 2003: 28). Eine große Rolle spielt dabei auch Goethe; er hat die Vorstellung von Liebe in der Literaturwissenschaft entscheidend geprägt (Schwander 1997: 90). Im Laufe des 18. Jahrhunderts nehmen immer mehr auch soziale Werte in der Liebe eine wichtige Stellung ein, dazu gehören z.B. Treue, Zärtlichkeit und Wahrhaftigkeit. Das zeigt sich auch in der Literatur: Die in den Dramen entscheidende Paare machen diese zur Bedingung des Zusammenlebens. Nicht mehr praktische Erwägungen und ökonomische Interessen werden als Grundlage der Eheschließung angesehen, sondern das Modell der Liebesehe wird zum bürgerlichen Ideal. (Schwander 1997: 98) Innerhalb der Literatur gibt es aber Unterschiede hinsichtlich der Liebe. Ein Roman gestattet z.B. einen viel tieferen Einblick in die Gefühlslage der Figuren als dies im Drama überhaupt möglich ist. Im Drama muss der Zuschauer durch die Dialoge und Monologe selbst Zusammenhänge schließen können, daher bleiben auch einige Schlussfolgerungen Spekulation (Werber 2003: 16). Die Semantikgeschichte der Literatur beginnt mit der mittelalterlichen Minne, in der meist ein Ritter seiner Hofdame die Liebe gesteht ohne jedoch mit einer Erwiderung der gestandenen Gefühle zu rechnen. Im Barockzeitalter setzt sich die Metaphorik der Blindheit durch: Liebe macht blind (Reinhardt-Becker 2004: 251). Seit 200 Jahren stellt die Liebe eine Stabilisierung der eigenen Persönlichkeit und Identität her. In der Beziehung geht es um mehr als Gefühle: Die Partnerschaft erschafft einen starken Freundschaftsbund, es existiert die Vorstellung der Seelenverwandtschaft zum Partner (Reinhardt-Becker 2004: 251). 12 3 Kontrastive Werkanalyse 3.1 Darstellung der Liebe in Schillers Kabale und Liebe In Schillers Kabale und Liebe wird die Liebesbeziehung zwischen Ferdinand und Luise thematisiert. Die Protagonisten stammen aus verschiedenen Ständen, was zu Problemen der Liebesbeziehung führt. Ferdinand entstammt der höfischen Welt, sein Vater, Präsident von Walter, akzeptiert die Wahl seines Sohnes nicht und möchte ihn mit Lady Milford, der Mätresse des Herzogs, vereinen. Doch Ferdinand hält an der Liebe zu seiner bürgerlichen Luise fest. So plant der Präsident zusammen mit seinem Sekretär Wurm eine Intrige, um die Liebe zwischen Luise und Ferdinand zu zerstören: Er lässt Luises Eltern verhaften. Dies gibt dem Präsidenten die Möglichkeit, Luise zu erpressen. Wenn Luise nicht einen Liebesbrief an den Hofmarschall von Kalb schreibt und unter Eid schwört, diesen selbst geschrieben zu haben, würden ihre Eltern hingerichtet. Luise sieht sich der Intrige wahllos ausgesetzt und schreibt in ihrer Not das vom Präsidenten Verlangte. Dieser lässt den Brief Ferdinand zukommen, der wie von ihm erhofft eifersüchtig reagiert. Luise möchte sich unterdessen aus Schuldgefühlen und um die Wahrheit preisgeben zu können das Leben nehmen, wird jedoch von ihrem Vater abgehalten. Ferdinand vergiftet schließlich aus Rachelust und Verzweiflung Luise und sich selbst, sodass Luise ihm doch noch die Wahrheit sagen kann. Die Handlung spielt sich teilweise am Hof des Präsidenten, teils im Haus des Stadtmusikers Miller ab, dessen Tochter Luise ist. Ursprünglich veröffentlichte Schiller das Drama unter dem Titel Luise Millerin, änderte dies aber auf Grund eines Vorschlags des Schauspielers August Wilhelm Iffland. Idee war dabei die Gegenüberstellung der Stände im Titel: „Liebe“ als starker Begriff der privat-bürgerlichen Welt und „Kabale“ als Merkmal des 13 öffentlich-höfischen Standes (Zymner 2002: 46). Schiller ordnete sein Werk einer bestimmten Gattung zu, die er mit auf das Titelblatt schrieb: Ein bürgerliches Trauerspiel. So verwendet er im Drama typische Merkmale dieser Gattung, dazu gehören politische Inhalte ebenso wie die sozial-problematische Thematik. Die bürgerliche Familie steht im Vordergrund, in der der Hausvater das Oberhaupt darstellt, die Mutter sich als ehrgeizig erweist und die Tochter durch eine Liebschaft zu einem Adeligen verloren ist. Zudem gehört der höfische Intrigant ebenso zur Figurenkonstellation, wie die höfische Mätresse, die mit dem adeligen Liebhaber vermählt werden soll (Zymner 2002: 47). Die Ständeklauseln werden von Ferdinand und Luise durchbrochen, allerdings wird die Liebe bedroht durch die Intrigen der absolutistischen Herrschaft und die gegebenen sozialen Hürden. Zymner kommentiert hierzu: Die Liebe zwischen Louise und Ferdinand ist der Katalysator, der die Ketten des Standes, der Herkunft, der Konvention bis zur Kenntlichkeit sichtbar werden läßt und dabei verdeutlicht, daß der Vorsatz der sozialen Bindungslosigkeit, der Vorsatz der Überwindung der sozialen Schranken durch die einzige Bindung der Liebe in dieser Welt (und jedenfalls in der fiktiven Welt von „Kabale und Liebe“) einer Utopie folgt, deren Verwirklichung nicht zuletzt an den individuellen Zwängen, den Einstellungen und Erwartungen derjenigen scheitert, die die Ketten der Konvention, des Standes, der Herkunft sprengen zu können vermeinen. (Zymner 2002: 54) Schiller nutzt die zwei Figuren und den Aufbau des bürgerlichen Trauerspiels, um an ihnen zu zeigen, dass eine Liebe zwischen den Ständen, eine Liebe in völliger Freiheit, noch nicht möglich ist. Dies zeigt den Entwicklungsprozess hinsichtlich der Liebe und Ehe, der sich im 18. Jahrhundert vollzog. Die Akzeptanz einer Liebe zwischen Bürgertum und Adel hat sich noch nicht vollkommen durchgesetzt. So kann die Literatur als Medium genutzt werden, um auf dieses Problem aufmerksam zu machen. Luise und Ferdinand können die Unterschiede ihrer Herkunft nicht überwinden und das fesselt das Publikum. Die Tugendhaftigkeit des Bürgertums und der Zynismus des Adels werden gegenüber gestellt: „Schiller führt in Kabale und Liebe in alle drei Themenbereiche: Familienkonflikt, Standesprobleme und Absolutismuskritik, noch einmal zusammen. Sein bürgerliches Trauerspiel bildet einen letzten 14 Höhepunkt und den Abschluss der Sturm-und-Drang-Dramatik“ (Herrmann 1997: 13). Schauplatz des Geschehens ist zu Beginn des Stücks das Haus des Musikers Miller. Schnell wird die Problematik deutlich, über die der Musiker mit seiner Frau diskutiert. Ihre Tochter Luise hat eine Liebesbeziehung zu dem Sohn des Präsidenten, dem Major. Miller stellt seine Position klar fest: Er war der Herr im Haus und hätte besser auf seine Tochter achten sollen (KuL, S.5). 2 Es wird deutlich, dass Luises Vater eine Gefahr in der Liebschaft für die Familie sieht, denn er befürchtet, dass er Luise verlieren könne, da sie nun womöglich besseres will (KuL, S.7). Miller sieht es als seine Aufgabe an, die Beziehung frühzeitig zu beenden, um die Familie vor möglichen Folgen zu schützen. Miller steht, wie Herrmann schon bemerkt hat, dabei vor einem kritischen Punkt, der sich bei der Gattenwahl im Bürgertum oft zeigte. Die Tochter darf den Ehemann selbst bestimmen, jedoch soll sie sich an die ständischen Regeln und möglichst auch nach den Interessen des Vaters richten (Herrmann 1997: 12). Das verdeutlicht auch Miller. In Szene I,2 weist er den Sekretär Wurm zurecht, der um die Hand seiner Tochter anhält: „Das Mädel muss mit Ihnen leben – ich nicht – warum soll ich ihr einen Mann, den sie nicht schmecken kann, aus purem klaren Eigensinn an den Hals werfen?“ (KuL, S. 10). Trotz der neu gewonnenen Freiheit der Frauen im Bürgertum, darf eine bürgerliche Tochter nicht gegen die Standesregeln und die damit verbundenen Tugenden entscheiden (Werber 2003: 27). Genau das ist das Problem, das sich hier aufzeigt (Herrmann 1997: 12). Miller weist Wurm zwar an dieser Stelle zurück, dennoch wird er versuchen, die Liebenden möglichst bald auseinander zu bringen, um eine Schande über die Familie zu verhindern. Er zeigt an dieser Stelle, dass er zu den moderneren Menschen gehört, die ihre Töchter die Ehemänner selbst wählen lassen. Von der Anfrage des Verehrers beim Vater hält Miller nichts mehr und bezeichnet diese Methode als „altmodischen Kanal“ (KuL, S. 11). Wurm durchkreuzt allerdings Millers Plan, die Liebschaft von Luise und Ferdinand im Stillen zu klären, denn 2 Die Hinweise, die mit KuL eingeleitet werden, beziehen sich auf die folgende Ausgabe: Schiller: Kabale und Liebe, Stuttgart: Reclam 2001. 15 durch Luises Mutter hat er von der Liebschaft zwischen Luise und Ferdinand erfahren und nutzt dieses Wissen, um den Präsidenten davon zu unterrichten. Er nutzt die Macht von diesem, um gemeinsam mit ihm eine Intrige zu spannen, damit er den Konkurrenten um Luise ausschalten kann: Mit Wurms Abgang, weiß Miller, ist geschehen, was er gerade verhindern wollte: Das Haus ist im Geschrei, die private Liebe der Bürgerstochter mit dem jungen Herrn vom Adel ist ins Räderwerk der öffentlichen Instanzen und ihrer politischen Interessen geraten. (Herrmann 1997: 29) Der Präsident ist ebenso wenig begeistert von der Beziehung seines Sohnes wie Miller. Er verkörpert in diesem Drama die alten Traditionen, die Ehe als Nutzvertrag zu betrachten.3 So sieht er es als gesellschaftliche Pflicht, seinem Sohn einen politisch nutzvollen Ehevertrag zu verschaffen, um aber auch seine eigene Macht zu erweitern: „Damit nun der Fürst im Netz meiner Familie bleibe, soll mein Ferdinand die Milford heuraten“ (KuL, S. 19). Ferdinands Vater zweifelt an der Ernsthaftigkeit der Beziehung und geht davon aus, dass Luise nur eine Hure für Ferdinand ist (KuL, S. 18). Sein Plan ist es also, den Sohn mit Lady Milford, Mätresse des Herzogs, zu verheiraten. Deshalb spannt er die erste Intrige und lässt den Hofmarschall von Kalb in der ganzen Stadt die baldige Vermählung seines Sohnes mit Lady Milford verkünden ohne dass Ferdinand überhaupt davon unterrichtet ist. Der Präsident möchte das verbreitete Gerücht als Druckmittel gegen seinen Sohn verwenden: „Nun muss ja mein Ferdinand wollen, oder die ganze Stadt hat gelogen“ (KuL, S. 22). Doch Ferdinand lässt sich nicht so einfach von seiner Geliebten trennen, verteidigt sie vor dem Vater und stellt sie ihm als Gemahlin vor (KuL, S. 52). Die Kaltblütigkeit und Hinterlistigkeit des Hofes zeigt sich in der zweiten Intrige. Der Hofmarschall wird mit eingespannt, an dessen Namen Luise einen Liebesbrief schreiben soll, der anschließend Ferdinand zugespielt wird. Wurm schlägt die Intrige dem Präsidenten vor: 3 Werber weist z.B. in seiner Studie darauf hin, dass die Eheschließung aus politischen Interessen in der Literatur des 18. Jahrhunderts als Zwang empfunden wird. Es wird nach Alternativen gesucht, dies sei das Ende einer langen Epoche (2003:28). 16 Den Herrn Major umspinnen wir mit List. Gegen das Mädchen nehmen wir Ihre ganze Gewalt zu Hilfe. Wir diktieren ihr ein Billetdoux an eine dritte Person in die Feder, und spielen das mit guter Art dem Major in die Hände. (KuL, S. 55) Im Kapitel über die herkömmliche Epocheneinordnung der Werke wurde bereits erwähnt, dass Leidenschaft ein zentraler Begriff des Sturm und Drangs ist. Ferdinand zeigt dieses Merkmal deutlich in seiner Liebesbeziehung zu Luise. Er ist realitätsfern, lässt sich von seinen Gefühlen leiten und überschätzt sich oftmals selbst. Das wird z.B. gezeigt, als er Luise versucht zu überreden, mit ihm zu flüchten, um fern des Einflusses seines Vaters das Liebesglück verwirklichen zu können: Höre, Luise, - ein Gedanke, groß und vermessen wie meine Leidenschaft, drängt sich vor meine Seele, - du, Luise, und ich und die Liebe! - Liegt nicht in diesem Zirkel der ganze Himmel? Oder brauchst du noch etwas Viertes dazu? (KuL, S. 63) Ein weiterer großer Begriff der Epoche ist die Freiheit. Nicht nur Ferdinand kämpft um das Recht, seiner Liebe freien Lauf zu lassen, sondern auch Luise verkörpert den Freiheitsbegriff. Sie erhält durch den Vater die Freiheit, entscheiden zu können, wen sie lieben möchte. Zwar ist ihr Vater mit der Wahl nicht einverstanden, dennoch erfährt Luise durch ihn keine harten Konsequenzen. Ferdinand setzt sich zudem mit seiner Wahl eines bürgerlichen Mädchens dem Machtstreben seines Vaters entgegen und drückt seinen verzweifelten Kampf durch diese Liebe aus. Auch das Ende des Werkes zeigt typische Merkmale der Epoche. Durch den Mord an Luise und sich selbst zeigt Ferdinand, dass seine Gefühle vor dem Verstand und der Rationalität stehen. Zudem gibt er sich leidenschaftlich seiner großen Liebe Luise hin, deshalb muss er schließlich im tragischen Ende scheitern. So nimmt er sich und Luise das Leben, um seinen Kampf nicht aufgeben zu müssen. Die starken Gefühlsausbrüche sollen auf der Bühne deutlich zum Ausdruck gebracht werden. So lässt Schiller durch Regieanweisungen z.B. Ferdinand eine Violine ergreifen, 17 deren Saiten er zerreißt und, das Instrument zu Boden schleudern (KuL, S.65). Aus diesen Gründen ist das Werk ohne Zweifel dem Sturm und Drang zuzuordnen. 3.1.1 Fokus Liebe – Untersuchung der Figur Luise Luise betrifft laut Herrmann ein Grundproblem, das zwischen der Aufklärung und der Romantik besonders hervortrat. Die Frau hat durch die starke Vaterbindung nicht genügend Autonomie. Dieses Problem verkörpert Luise in besonderem Maße, denn sie befindet sich in einem Zwiespalt zwischen ihrem Vater und ihrem Liebhaber (Herrmann 1997: 13). Bei ihrem ersten Auftritt im Drama bezeichnet Luise sich vor dem Vater als schwere Sünderin (KuL, S.12). Ihr nächster Gedanke gehört aber wieder Ferdinand. Wie stark er sie einnimmt, bekräftigt ihre Aussage: „Ah! Ich vergaß, dass es noch außer ihm Menschen gibt“ (KuL, S. 12). In der Szene wird deutlich, dass Luises Herz vollkommen Ferdinand gehört, trotzdem fühlt sie sich hin- und her gerissen zwischen Tugend und Leidenschaft. Gleichzeitig erkennt sie auch die Aussichtslosigkeit dieser Liebe, die Schranken der Stände sind zu fest verschlossen, somit liegt ihre Hoffnung im Leben nach dem Tod, wo „Menschen nur Menschen sind“ (KuL, S. 14). Der Gefühlsausbruch vor ihren Eltern zeigt die verzweifelte Lage, in der sich Luise befindet. Sie bekennt, dass ihr Stand es nicht erlaubt, ein Verhältnis mit Ferdinand zu haben und dass sie sich auch vor Gott schuldig fühlt. Sie bittet ihre Eltern um Vergebung und verspricht, in diesem Leben auf ihren Geliebten zu verzichten (KuL, S. 13). Ferdinand gegenüber zeigt sich Luise beeindruckt, sowohl von seiner Sprache als auch von dem besitzergreifenden Verhalten. Er weist ihr durch seine Sprache ihre Rolle zu. Er möchte sie bewachen, genauso wie der Zauberdrache über das unterirdische Gold wacht (KuL, S. 16). Es ist klar, dass er der handelnde Part in 18 der Beziehung ist. Luise fühlt sich aber durch Ferdinand in ihrer Tugendhaftigkeit bedroht, der Friede ihres Lebens sei aus, wilde Wünsche würden in ihrem Busen rasen (KuL, S. 17). Durch den starken Auftritt des Präsidenten in ihrem Elternhaus, wo sie als Hure seines Sohnes beschimpft wird, verliert Luise alle Hoffnungen für die Chancen ihrer Liebe: „Ich glaube an keine glückliche Tage mehr“ (KuL, S. 63). Ihre Bindung zum Vater ist zu groß, als dass sie es wagt, Ferdinands Vorschlag nachzugehen und aus dem Land zu fliehen. Sie weiß, dass sie ihrem Vater alles bedeutet (KuL, S. 64). Sie deutet Ferdinand erneut auf die nicht zu überwindenden Standesgrenzen hin - „und dein Herz gehört deinem Stande“ (KuL, S. 65) - und gibt ihm zu verstehen, dass sie ihn aus diesem Grund verlieren wird. Sie weiß, dass Ferdinand sie wirklich liebt und es fällt ihr schwer, die Liebe aufgeben zu müssen. Sie erkennt, dass die Hürden der Stände zu groß sind und das ist auch ein Grund, weshalb die Liebe zwischen Luise und Ferdinand scheitert. Sie schaffen es beide nicht, sich über ihre Stände und die damit verbundenen Vorstellungen und Werte hinwegzusetzen. Luise bleibt die Bürgertochter des Musikers und Ferdinand bleibt der Sohn des Präsidenten vom Hofe, wie auch Zymner bemerkte (Zymner 2002: 59). Luise sieht ihre Pflicht darin, gerecht für ihre Sünden bestraft zu werden und somit leiden zu müssen (KuL, S. 65). Das Problem ist, dass Ferdinand diese Haltung nicht nachvollziehen kann und immer erboster auf sie einredet. Luise wehrt sich zum ersten Mal gegen ihren Geliebten und gibt ihm deutlich zu verstehen, dass eine Flucht vor den Geschehnissen für sie keine Lösung ist (KuL, S. 64). Sie plädiert zunächst auf ihrer beiden Pflicht gegenüber ihrem Vater, mit dem nächsten Argument versucht sie durch den Stand und die Religion zu überzeugen. Sie sagt: „[...] mein Anspruch war Kirchenraub“ (KuL, S.65) und meint somit, die gesellschaftliche Ordnung als gottgewollt hinzunehmen. Als letzter Versuch bleibt ihr schließlich den Verzicht auf Ferdinand zu beteuern und somit das Opfer auf sich zu nehmen. Das Verhalten zeigt das Weltbild von Luise, das aus Standesordnung, Vaterliebe und Moral besteht und dies ist gleichzeitig ihr Problem. Durch ihre moralischen Wertvorstellungen ist sie davon überzeugt, für ihre Liebesbeziehung bestraft werden zu müssen: „Ich bin die Verbrecherin – mit 19 frechen törichten Wünschen hat sich mein Busen getragen – mein Unglück ist meine S t r a f e“ (KuL, S. 65). Bei der Umsetzung der zweiten Intrige schafft Wurm es, Luise einen Brief zu diktieren, da er weiß, Luises Situation auszunutzen. Der Plan hätte nicht funktioniert, wäre Luise der Liebhaber wichtiger gewesen als ihre Familie. Dennoch ist es für sie eine Schande, diesen Schritt gehen zu müssen und Ferdinand somit aufzugeben. Im weiteren Verlauf des Dramas wird Luise zu Lady Milford befohlen, wo sich das Gespräch der Rivalinnen um Ferdinand abspielt. Luise gewinnt während des Gesprächs mit der Lady an Stärke und weiß ihre Herkunft einzusetzen und lässt sich von dieser nicht demütigen. Den bürgerlichen Vorurteilen von Lady Milford setzt sie die bürgerliche Unschuld entgegen. Luise gibt klar zu bekennen, dass sie sich nicht zu fürchten braucht, da ihr Elend nicht größer werden kann (KuL, S.87). Im letzten Akt, in dem es zur Katastrophe kommt, sieht Luise nur noch einen Ausweg, den sie während des Stückes schon immer wieder angedeutet hat: Selbstmord. Ihr Vater kann sie aber von dem Plan abbringen (KuL, S.100). Nachdem Ferdinand den Brief gefunden und gelesen hat, unterbricht er Vater und Tochter. Luise schwant Böses: „Mich zu ermorden ist er da“ (KuL, S.101), sie gibt auf Ferdinands drängende Fragen zu, den Brief geschrieben zu haben, doch Luise befindet sich hier in einem „qualvollen Kampf“ (KuL, S. 104). In der sechsten Szene des fünften Aktes ist Luise voller Angst vor Ferdinand, möchte unbedingt verhindern, dass ihr Vater sie mit ihrem Liebhaber alleine lässt. Ferdinand schickt Miller auf einen Botengang zu seinem Vater, Luise bietet sich dreimal an, den Brief zu übermitteln, um der Situation zu entgehen, Ferdinand allein gegenüber stehen zu müssen (KuL, S.111). Den abschließenden Höhepunkt des Dramas stellt die siebte Szene des letztens Aktes dar, indem nun Ferdinand und Luise allein aufeinander treffen. Der Konflikt wird hier ausgetragen bis zum Tod. Zunächst gibt es einen Schlagabtausch von Vorwürfen zwischen den Protagonisten, in die sich verzweifelte Ausrufe der Liebenden mischen (KuL, S. 105). Luise befreit sich 20 so in ihren letzten Atemzügen von ihrem Eid und nutzt die Möglichkeit, ihrem Liebhaber die Wahrheit sagen zu können: Ferdinand! Ferdinand! - O – Nun kann ich nicht mehr schweigen – der Tod – der Tod hebt alle Eide auf – Ferdinand – Himmel und Erde hat nichts Unglückseligeres als dich – Ich sterbe unschuldig, Ferdinand. (KuL, S. 118) Ferdinand fragte zu spät, ob Luise den Marschall geliebt habe (KuL, S. 117) und er erkennt zu spät, dass die Intrigen seines Vaters sie beide in den Tod getrieben hat. Kabale und Liebe erweist sich als eine „Tragödie einer tödlichen, nicht zu verwirklichenden Liebesbeziehung“ des 18. Jahrhunderts (Herrmann 1997: 56). 3.2 Darstellung der Liebe in Goethes Faust Goethes Faust handelt von der gleichnamigen Titelfigur, einem Wissenschaftler, der des Lernens und Lehrens leid ist. So verkauft er seine Seele an den Teufel Mephistopheles, unter der Bedingung, dass dieser ihm Glück und Ruhe schenkt. Mephistopheles führt Faust zur Hexe, wo er einen Zaubertrank erhält, der ihn verjüngt und der leidenschaftliches Verlangen in ihm weckt. Im nächsten Bild trifft Faust auf das kleinbürgerliche, streng gläubige Gretchen, das vom Beichten in der Kirche auf dem Weg nach Hause ist. Faust verlangt von Mephistopheles, ihm dabei zu helfen, Gretchens Herz zu gewinnen. So geschieht es und Gretchen verliebt sich unsterblich in Faust, einzig Fausts religiöse Ansichten und Mephistopheles, dessen Anwesenheit ihr äußerst unangenehm erscheint, machen ihr zu schaffen. Doch die Liebe zu Faust zerstört Gretchens Leben, denn durch den Schlaftrunk, den sie von ihm erhält, damit er sie bei Nacht besuchen kann, stirbt ihre Mutter und in einem Kampf zwischen Faust und Gretchens Bruder Valentin verliert sie auch diesen. Dazu beschimpft Valentin im Sterben liegend seine Schwester als eine Hure, da er von der Liebschaft zu Faust weiß. Gretchen erwartet ein Kind von Faust, der mit dem Teufel zur Walpurgisnacht gereist ist. In ihrer Verzweiflung ertränkt Gretchen das Kind, wird 21 in den Kerker gesperrt und zum Tode verurteilt. Durch eine Vision erblickt Faust Gretchens Leiden, reist zurück, um sie zu befreien, doch Gretchen lässt dies nicht zu. Sie nimmt freiwillig den Tod hin, übergibt sich dem Gericht Gottes und wird schließlich noch im Tod gerettet. Goethes Faust besteht aus zwei großen Teilen, aus der Gelehrtentragödie und der Gretchentragödie (Schmidt 2001: 142). Die Tragödien haben den gleichen Umfang, beide umfassen ungefähr 2000 Verse. Die Liebe zwischen Gretchen und Faust wird somit erst im zweiten Teil des Dramas, in der Gretchentragödie, thematisiert. Bei der Untersuchung der Liebesbeziehung zwischen den Protagonisten ist festzustellen, dass ihre Liebe nicht einem allgemeinen Ideal entspricht, denn Gretchen lässt sich von Faust vollkommen verzaubern, schenkt ihm bedingungslos ihr Herz und geht schließlich durch die Beziehung zu Grunde. Faust hingegen steht wegen seiner Wette mit Mephistopheles unter dessen Einfluss und lernt Gretchen deshalb unter schlechteren Bedingungen kennen als es ohne den Teufelspakt möglich gewesen wäre. Er ist benommen von dem Zauberspiegel der Hexe, in dem er „das schönste Bild von einem Weibe“ (Faust, S. 69)4 erblickt und das, kombiniert mit dem Verjüngungstrank, ein ungeheures Verlangen nach Liebe und körperlicher Nähe in ihm weckt. So bricht es beim Blick in den Spiegel aus ihm raus: „Mein Busen fängt mir an zu brennen“ (Faust, S. 70). Faust zeigt sich gefesselt von dem Bild und kann den Blick nicht mehr von dem Spiegel lassen, es macht ihn schier verrückt. (Faust, S. 70). In der nächsten Szene begegnet er zum ersten Mal Gretchen und an dieser Stelle hätte ihm jedes andere hübsche Mädchen vermutlich ebenso gut gefallen wie sie. Somit ist Gretchen nicht die junge Frau, die er unbedingt haben will, weil er von Herzen spürt, dass sie die richtige Frau für ihn ist, sondern sie ist das erste weibliche Objekt, das ihm nach der Verzauberung in der Hexenküche begegnet. Die Wahl, die Faust mit Gretchen trifft, ist also reiner Zufall. Seine Gefühle, die er zunächst für sie empfindet, sind rein sexueller Natur. Diese These kann von einer Aufforderung aus dieser Szene an Mephistopheles gestützt werden: 4 Die Hinweise zum Faust beziehen sich auf die folgende Ausgabe: Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Der Tragödie erster Teil. Stuttgart: Reclam 2000. 22 Schaff mir etwas vom Engelsschatz! Führ mich an ihren Ruheplatz! Schaff mir ein Halstuch von ihrer Brust, Ein Strumpfband meiner Liebeslust! (Faust, S. 76) Faust zeigt sich außerdem zu Beginn der Gretchentragödie geradezu besessen davon, Gretchen für sich zu gewinnen. Mephistopheles soll ihm die „Dirne schaffen“ (Faust, S. 75) und falls er sie bis Mitternacht nicht in seinen Armen hält, droht er den Pakt zu brechen (Faust, S. 76). In den Momenten, in denen Mephistopheles auftritt, ändert sich Fausts Verhalten auffällig. Wenn er alleine seinen Gedanken nachhängt, schwärmt er von Gretchen und zeigt Leidenschaft, tritt der Teufel hinzu, wirkt Faust deutlich besitzergreifender. Mephistopheles kündigt ihm z.B. an, ihn in ihr Schlafzimmer zu führen, worauf Faust begierig fragt: „Und soll sie sehn? Sie haben?“ (Faust, S. 76). Es zeichnet sich also an dieser Stelle bereits ab, welche Auswirkungen der Pakt mit dem Teufel auf die Liebesbeziehung zwischen Faust und Gretchen hat. Die Annäherung an Gretchen gelingt Faust nur durch die Hilfe von Mephistopheles, der Schmuck besorgt, den er „woanders hergenommen“ (Faust, S. 78). Das erste Geschenk verliert Gretchen durch ihre ehrliche Art und Weise an die Kirche (Faust, S. 81). Ihre Neugierde, wer ihr so teuren Schmuck schenkt, ist dennoch geweckt. So beschreibt Mephistopheles Gretchens Unruhe: Sitzt nun unruhvoll, Weiß weder was sie will noch soll, Denkt ans Geschmeide Tag und Nacht, Noch mehr an den der's ihr gebracht. (Faust, S. 82) So gewinnt Faust durch des Teufels schlechtes Werk Gretchens Aufmerksamkeit. Dem unehrbaren Start in die Liebschaft folgt eine Beziehung zwischen Gretchen und Faust, die von Höhen und Tiefen gekennzeichnet ist. 23 Das Glück der beiden hält nie lange an, zunächst zeigen sich beide sehr glücklich in den Szenen „Garten“ (Faust, S. 89 ff) und „Gartenhäuschen“ (Faust, S. 93 f), doch befinden sich die beiden Figuren nicht auf einer Wellenlänge. Faust ist wie zu Beginn vor allen Dingen an körperlicher Nähe zu Gretchen interessiert, während Gretchen mehr durch ihre Gefühle abgelenkt ist, denn für sie ist es die erste Liebeserfahrung ihres Lebens. Als Faust ihre Hände fasst, zeigt Gretchen ihre Überforderung: „Mich überläuft's!“ (Faust, S. 92). Nach diesen ersten gemeinsamen Erlebnissen zieht sich Faust in der Szene „Wald und Höhle“ zurück: Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer Nach jenem schönen Bild geschäftig an. So tauml' ich von Begierde zu Genuss, Und im Genuss verschmacht ich nach Begierde. (Faust, S. 95) Es wird deutlich, dass Faust starkes Verlangen nach Gretchen hat. Er begreift in dieser Szene eigentlich erst richtig, welche Folgen der Pakt des Teufels für ihn hat. Auch Schmidt bemerkt Fausts Selbsterkenntnis in dieser Szene, die er durch die Selbstreflexion über das Geschehene erhält (Schmidt 2001: 164). Faust weiß, dass es eine wahre Liebe zwischen ihm und Gretchen nicht geben kann, denn sobald er einen Augenblick vollkommener Ruhe empfindet, wird Mephistopheles seine Seele einfordern. Faust hat es ihm versprochen: Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen; So sei es gleich um mich getan! Kannst du mich schmeichelnd je belügen Dass ich mir selbst gefallen mag, Kannst du mich mit Genuss betriegen; Das sei für mich der letzte Tag! Die Wette biet ich! (Faust, S. 48) Deshalb kämpft Faust gegen die Begierden und das Verlangen nach Gretchen und fordert Mephistopheles dazu auf, ihm nichts mehr von dem Mädchen zu erzählen: „Und nenne nicht das schöne Weib!“ (Faust, S. 97). 24 Nachdem sowohl Faust als auch Gretchen die Beziehung reflektieren konnten und beide unter der Trennung gelitten haben, erleben sie noch einmal glückliche Momente in „Marthens Garten“ (Faust, S.100), ihre letzten gemeinsamen Minuten vor der katastrophalen Wendung im Drama. In dieser Szene gibt Faust seiner Geliebten ein Fläschchen mit einem Schlaftrunk, den sie ihrer Mutter verabreichen soll, damit sie sich nachts sehen können. Durch diesen Trank stirbt Gretchens Mutter jedoch und das Leid der Familie beginnt. Es zeigt sich, dass Goethes Faust nicht unbedingt Teil der Strömung des 18. Jahrhunderts ist, in der die Liebe verknüpft wird mit sozialen Werten wie Gefühlen, gegenseitigem Verständnis und Treue. Allein Gretchen schenkt ihrem Geliebten ihr Herz, lässt sich durch ihre Gefühle leiten und würde durch ihre kleinbürgerliche moralische Einstellung niemals untreu werden. Jedoch kann sie ebenso wenig Verständnis für Fausts Person haben, wie Faust für sie. Sie haben ein sehr unterschiedliches Intellekt, denn Faust ist Gelehrter, der Philosophie, Jura, Theologie und Medizin studiert hat (Faust, S. 13), während Gretchen tüchtig für die kleine Wirtschaft der Familie schuftet und den Haushalt pflegt (Faust, S. 90). Auch die Charaktere der beiden Figuren passen nicht zusammen. Faust geht eine Wette mit dem Teufel ein, während Gretchen ausgesprochen auf ihre Unschuld achtet und zur Beichte geht, selbst wenn sie keine Sünden begangen hat (Faust, S. 75). Sie blickt zu Faust auf, er bedeutet alles für sie und durch ihn verliert sie die Kontrolle über ihr Leben. Zu Gretchen passt die Metaphorik der Blindheit durch Liebe (Reinhardt-Becker 2004: 251) – Gretchen gerät samt Familie durch Faust ins Verderben und trotzdem ändern sich ihre Gefühle nicht. Für Faust hingegen ist Gretchen ein Abenteuer der neu gewonnenen leidenschaftlichen Liebeslust. Er schwärmt von ihr und ist dank des Teufels Werk verzaubert von ihrem Antlitz. Nur das Ende der Tragödie, insbesondere die Vision in der „Walpurgisnacht“ kann so interpretiert werden, dass zwischen den Seelen der Liebenden eine Verbindung herrschen muss, da Faust ansonsten Gretchens Not nicht wahrnehmen und spüren würde. Mephistopheles hat Faust zur Walpurgisnacht geführt, um ihn von Hexen 25 verführen zu lassen und ihn somit von Gretchens Leid abzulenken. Das gelingt dem Teufel jedoch nicht, weil Faust die Schande seiner Geliebten spürt: Mephisto, siehst du dort Ein blasses, schönes Kind allein und ferne stehen? Sie schiebt sich langsam nur vom Ort, Sie scheint mit geschlossnen Füßen zu gehen. Ich muss bekennen, dass mir deucht, Dass sie dem guten Gretchen gleicht. (Faust, S. 121) Faust lässt sich nicht weiter täuschen und begibt sich sofort auf die Rückreise, um Gretchen vor ihrer Schande zu retten. Der Darstellung der Forschungsliteratur im Kapitel 2.2 muss zugestimmt werden, dass es sich bei Faust um ein klassisches Drama handelt. Die Figur Faust hat klassische Züge: Er gibt sich nicht mit dem reinen Verstand zufrieden, da er feststellt, dass er allein damit nicht glücklich werden kann. Er gesteht sich ein, dass er, um die Harmonie des Ichs zu erreichen, Herz und Verstand glücklich machen muss. Er zweifelt zwar zunächst daran, dass dies überhaupt möglich sei, lässt sich dennoch auf den Versuch und die Wette mit Mephisto ein. Der Kampf um die Harmonie zwischen Gefühlen und Verstand wird also deutlich dargestellt. Faust ist es unangenehm, durch den Zauber des Spiegels in der Hexenküche den Verstand zu verlieren, deshalb fordert er Mephistopheles auf, den Ort zu verlassen: „Entfernen wir uns nur geschwind“ (Faust, S. 70). Doch dieses Bestreben wird nicht nur durch die Figur Faust gezeigt, sondern dem Zuschauer wird in der Szene „Wald und Höhle“ ebenfalls die Chance geboten, den Kampf zwischen Herz und Verstand zu verfolgen. 26 3.2.1 Fokus Liebe – Untersuchung der Figur Gretchen Gretchen erlebt durch die Liebe zu Faust ein schweres Schicksal. Bei ihrer ersten Begegnung mit Faust wird ihr unschuldiges und sündenfreies Wesen betont, über das Mephistopheles keine Gewalt haben kann (Faust, S. 75). Deshalb misslingt auch der erste Versuch, Gretchen mit einem wertvollen Schmuckgeschenk zu ködern. Sie ist zu ehrlich und gibt den Schmuck der Mutter, die durch ihren „feinen Geruch“ (Faust, S. 81) spürt, dass etwas Böses im Spiel ist und das Geschenk ihrer Tochter der Kirche vermacht. Gretchen spürt zudem die Boshaftigkeit des Teufels, ihre Kammer ist ihr zu stickig, nachdem Mephistopheles darin den Schmuck versteckt hat, sie fürchtet sich sogar und sehnt sich nach ihrer Mutter (Faust, S. 79). Erst mit dem zweiten noch wertvollerem Geschenk gelingt dem Teufel, Gretchen nach Fausts „Herzens Wunsch und Will' zu wenden“ (Faust, S. 79). Sie bleibt zunächst misstrauisch und kann nicht verstehen, wieso ihr jemand solch wertvolle Dinge schenken sollte, denn sie fühlt sich nur als „armes junges Blut“ (Faust, S. 84). Gretchen hat in ihrem Leben noch keine Erfahrung mit Liebe gemacht, allerdings steht für sie fest, lieber nicht zu lieben als sich durch den Verlust der Liebe „zu Tode betrüben“ (Faust, S. 84). Ironischerweise ist dies genau ihr Schicksal, durch ihre Liebe zu Faust verliert sie die gesamte Familie und schließlich auch ihr eigenes Leben. Goethe spielt an dieser Stelle schon auf das tragische Ende seiner weiblichen Protagonistin an. Ihre Naivität und Unerfahrenheit zeigt Gretchen bei der Frage, wie es um ihr Herz stünde (Faust, S. 87), denn mit dieser Frage weiß Gretchen nichts anzufangen, auch eine Ehe sei ihr viel zu früh (Faust, S. 85). Bei dem im späteren Verlauf der Handlung vorkommenden Spiel mit der Sternenblume, wird deutlich, wie naiv Gretchen in der Liebesbeziehung ist, da sie es sehr erfreut, beim letzten Blütenblatt „Er liebt mich“ (Faust, S. 92) sprechen zu können. 27 Interessant ist an dieser Stelle besonders, wie leicht Faust und Gretchen mit dem Wort Liebe umgehen. Gerade im 18. Jahrhundert hat das Wort stark an Bedeutung zugelegt, wie im Theorieteil dazu bereits erwähnt wurde. Bei ihrer ersten Unterhaltung mit Faust gibt sich Gretchen stark unterlegen. Sie spazieren gemeinsam durch den Garten und Gretchen gesteht: „Ich weiß zu gut, dass solch erfahrnen Mann [m]ein arm Gespräch nicht unterhalten kann“ (Faust, S. 89). Ihr fehlt es in dieser Situation maßgeblich an Selbstbewusstsein, dadurch macht sie sich selbst viel zu leicht zur Beute. Denn Faust möchte seine körperlichen Triebe befriedigen, daher nutzt er Gretchens mangelndes Selbstvertrauen und ihre gestandene Einsamkeit beim Spaziergang durch den Garten: „Ich werde Zeit genug an Euch zu denken haben“ (Faust, S.90). Ihr fehlt es an Mut und Erfahrung, Fausts Wünschen zu widersprechen: Beschämt nur steh ich vor ihm da Und sag zu allen Sachen ja. Bin doch ein arm unwissend Kind, Begreife nicht was er an mir find't. (Faust, S. 94) Das Zitat zeigt, dass Gretchen von Faust überrumpelt wird, dies aber widerstandslos zulässt. Während Fausts Abwesenheit in der Szene „Wald und Höhle“ erfährt der Zuschauer durch Mephistopheles Berichte, dass Gretchen gefangen ist von ihrer Liebe zu Faust, somit Sehnsucht und Trauer verspürt (Faust, S. 96). In der Szene „Gretchens Stube“ (Faust, S. 98) wird dem Zuschauer Gretchens Leiden noch näher gebracht. Doch erst nach der Schmach und Unruhe bricht Gretchens Leid über ihr zusammen. Erstes Opfer der Familie ist die Mutter, die von Gretchen einen Schlaftrunk verabreicht bekommt, der ursprünglich vom Teufel stammt und diese tötet (Faust, S. 132). „Am Brunnen“ wird Gretchens Situation widergespiegelt und das Publikum kann zum ersten Mal ihre Schwangerschaft vermuten. Über eine Freundin wird gesprochen, die ein ähnliches Schicksal wie Gretchen erlitten hat. Gretchen spürt zum ersten Mal Abneigung, da über die Freundin gespottet und zudem verachtende Worte gesprochen werden: „Da mag sie denn sich ducken 28 nun, Im Sünderhemdchen Kirchbuß tun!“ (Faust, S. 104). Durch das Duell zwischen Faust und Gretchens Bruder Valentin fällt dieser und ist somit das zweite Opfer der Familie (Faust, S. 108). Bevor er stirbt verkündet er durch vernichtende Worte Gretchens Schwangerschaft, was für sie katastrophale Folgen hat: Im Dom wird Gretchen vom bösen Geist vor dem Volk geächtet, schließlich verurteilt und in den Kerker gesperrt (Faust, S. 112/130). Erst in der letzten Szene schafft es Gretchen sich von Faust zu lösen: Dein bin ich, Vater! Rette mich! Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen, Lagert euch umher, mich zu bewahren! Heinrich! Mir graut's vor dir. (Faust, S. 135) Sie entscheidet sich für den Tod, sich für ihre Taten von Gott richten zu lassen und somit gegen Leben und die Rettung durch Faust und den Teufel. Gretchen hat, wie schon erwähnt, eher Züge des Sturm und Drangs, da sie sich vollkommen von ihren Gefühlen leiten lässt. Allerdings unterscheiden sich die Charaktere und die Liebesbeziehungen der Protagonisten, was im Folgenden genauer beleuchtet werden soll. 3.3 Gegenüberstellung der Werke und Figuren Die Liebesbeziehungen, die in Goethes Faust und in Schillers Kabale und Liebe von den Protagonisten präsentiert werden, unterscheiden sich beträchtlich. Luise und Ferdinand zeigen eine Liebschaft, die von ihren Gefühlen auf Gegenseitigkeit beruht. Sie kämpfen darum, die Person lieben zu dürfen, die sie selbst gewählt haben und nicht jemanden, der von der Familie erwählt wurde. Das trifft besonders auf Ferdinand zu, der gegen die traditionelle Form der Ehe als Nutzvertrag rebelliert. Luise könnte laut ihres Vaters frei entscheiden, jedoch ist auch sie in ihrer Wahl eingeschränkt, denn ihr soll es nicht möglich sein, über die Standesgrenzen hinweg einen Partner zu finden. Auch die Protagonisten aus 29 Goethes Faust stammen aus unterschiedlichen Schichten, doch dies wird nicht direkt problematisiert. Wie in der Untersuchung des Werks von Goethe bereits erwähnt, fürchtet Gretchen, dass sie Faust nicht genügend Unterhaltung bieten kann (Faust, S. 89). Faust und Gretchen haben aber nicht um ihre Liebe zu kämpfen, weil sich die Familien und die absolutistische Herrschaft gegen eine Vereinigung der Liebenden sträuben, sondern ihr Problem liegt vor allen Dingen in der Koppelung mit der Gelehrtentragödie. Die Liebe der beiden spielt sich auf unterschiedlichen Ebenen ab. Faust ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt und der Wette zwischen ihm und dem Teufel, wird zudem von diesem negativ beeinflusst und kann sich somit gar nicht auf tiefergehende Gefühle für Gretchen einlassen. Sie wird Opfer eines teuflischen Spiels, verliert ihr Herz und die Kontrolle vollkommen an Faust. Der Untergang der Liebenden in den beiden Werken ist somit auch unterschiedlich. Während Luise und Ferdinand von Intrigen getrieben gemeinsam untergehen, aber dennoch in Liebe zusammen sterben, wird in Fausts Gretchentragödie der Untergang der weiblichen Protagonistin problematisiert. Sie verliert in dem Werk alles durch ihren Geliebten, die Beziehung zerstört ihr Leben samt des Lebens ihrer Familie. Allerdings werden sowohl Luise als auch Gretchen als sehr tugendhaft und unschuldig dargestellt. Diese Eigenschaft führt in beiden Fällen auch dazu bei, dass die Liebe zur vollkommenen Zerstörung der Figur führt. Luise wird wegen ihrer Moralvorstellung daran gehindert, ihren Geliebten von den Intrigen des Präsidenten zu unterrichten. Gretchen vermutet wegen ihrer eigenen Unschuld nichts Böses, hat eine Abneigung gegen Mephistopheles, doch Faust weist sie keine Schuld zu. Durch ihre Schwangerschaft ist sie dazu an Faust gebunden; er müsste sie heiraten, damit sie in der Gesellschaft überhaupt noch akzeptiert wird. Gretchen zeigt sich in ihrer Liebe sehr leidenschaftlich und bedingungslos, weshalb ihre Gefühle ähnlich dargestellt werden, wie die von Ferdinand und Luise. Dies hängt damit zusammen, dass dieser Teil in der Zeit des Sturm und Drang geschrieben wurde, wie bereits erwähnt. Gefühle spielen bei der Liebe 30 natürlich auch in der Klassik eine Rolle, diese sollen aber mit dem Verstand gekoppelt werden, so wie Faust es zeigt. Seine Handlungen werden nicht durch Gefühle geleitet. Im Gegensatz zu Ferdinands leidenschaftlichem Verhalten werden bei Faust die sexuellen Triebe deutlicher thematisiert. Das zeigt, dass er eher kühl und rational handelt und sich durch diese nicht von seinem Ziel ablenken lässt. In beiden Werken werden moralisch verwerfliche Handlungen angespielt. In Kabale und Liebe gehen diese von Ferdinands Vater aus, also von einem Vertreter der absolutistischen Herrschaft. Motiv dieser Handlungen sind in diesem Werk die Durchsetzung politischer Interessen und die Machterweiterung des Präsidenten. Bei Faust gehen die moralischen Missetaten von der Titelfigur aus, der sich vom Teufel leiten lässt, um die Befriedigung der körperlichen Triebe zu erreichen. Da er Gelehrter ist, muss er davon ausgehen, dass es durch die Mithilfe eines Teufels Opfer geben wird. Bei dem Versuch, Abstand von seiner Geliebten zu gewinnen, wird er von Mephistopheles immer wieder dazu verleitet, zu Gretchen zurück zu kehren. Sie ist für den Teufel nur Mittel zum Zweck, um eben zu erreichen, dass Faust sein Glück findet und er die Wette gewinnt. 31 4 Fazit Abschließend kann festgehalten werden, dass die Einschätzungen der betrachteten Forschungsliteratur bei der Einordnung der Werke in die Epochen bestätigt werden konnten. Ursprünglich sollten Protagonisten aus verschiedenen Epochen verglichen werden. Während der Arbeit am Aufsatz stellte sich jedoch heraus, dass die Figur Gretchen Züge des Sturm und Drangs aufzeigt und nicht unbedingt als klassisch bezeichnet werden kann. Dies hängt damit zusammen, dass Faust ein Lebenswerk Goethes war und er zu verschiedenen Zeiten an dem Werk arbeitete; die Gretchentragödie entstand demnach bereits früher als der Rest des Werkes. Es stellte sich aber als nicht so problematisch dar, wie zunächst angenommen, dass die Protagonistinnen der gleichen Epoche zugeordnet werden können. Denn besonders im 18. Jahrhundert machte der Umgang mit dem Thema Liebe enorme Entwicklungssprünge, besonders auch das Verständnis und die sozialen Werte von Ehe. Somit war es bei der Untersuchung der Dramen besonders interessant nach Unterschieden über die Auffassung von Liebe der Protagonistinnen zu suchen, da beide nicht nur wegen ihrer Charaktere derselben Epoche zugeordnet werden können, sondern die Figuren zudem wegen ihrer Liebe untergehen. Ein weiteres Problem während der Arbeit bestand darin, dass von mir keine Forschungsliteratur zum Thema Liebe gefunden werden konnte, in der Faust oder Kabale und Liebe beispielhaft analysiert wurden. Deshalb mussten die Verknüpfungen selbst geschlossen werden ohne dass ich vergleichbares in der Forschung nachlesen konnte. Für mich war dieser Punkt im Nachhinein besser als zunächst vermutet, da ich beim studieren der Sekundärliteratur besonders intensiv nach Verbindungsmöglichkeiten zu den Werken gesucht habe. Meiner Einschätzung nach würden sich beide Werke gut dafür eignen, als Beispiele für die enorme Entwicklung der Liebesthematik in der Literatur um 1800 zu dienen. Bei einer intensiven Arbeit an den Tragödien könnten sicherlich noch 32 interessante Aspekte zu dem fokussierten Thema Liebe erforscht werden. Bei Faust könnte z.B. untersucht werden, inwieweit die Entwicklung der Vorstellung von Liebe und Ehe gegen Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts nachvollzogen werden kann, da, wie erwähnt, Goethe über einen langen Zeitraum an dieser Tragödie gearbeitet hat. Denn es hat sich ja bereits herausgestellt, dass die Hauptfiguren durch ihre verschiedenen Verhaltensweisen, auch im Bereich Liebe, zu verschiedenen Epochen gehören. Eine weitere Analysemöglichkeit für das Werk Faust wäre zudem, welche Rolle der Teufel Mephistopheles in der Liebesbeziehung von Faust und Gretchen spielt. In dieser Arbeit konnte nur auf seine Wette mit Faust und deren negative Beeinflussung auf die Liebesbeziehung von diesem und Gretchen hingewiesen werden. Ein weiterer interessanter Aspekt wäre auch, ob Mephisto ein Teil der Figur Faust selbst ist und was das für die tragische Liebesgeschichte von Faust und Gretchen bedeuten würde. Durch eine Verschiebung des Fokus auf andere Figuren könnten also noch weitere interessante Analysemöglichkeiten untersucht werden. 33 5 Literaturverzeichnis Primärliteratur Goethe, Johann Wolfgang: Faust – Der Tragödie erster Teil. Stuttgart: Reclam 2000. Schiller, Friedrich: Kabale und Liebe. Stuttgart: Reclam 2001. Sekundärliteratur Dörr, Volker C.: Weimarer Klassik. Paderborn: Fink 2007. Herrmann, Hans Peter u. Herrmann, Martina: Friedrich Schiller: Kabale und Liebe. 6. erweiterte Auflage, Frankfurt am Main: Diesterweg 1997. Jeßing, Benedikt u. Köhnen, Ralf: Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft. 2. Auflage, Stuttgart: Metzler 2007. Karthaus, Ulrich u. Manss, Tanja: Sturm und Drang. Epoche – Werke – Wirkung. 2. Auflage, München: Beck 2007. Kluckhohn, Paul: Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik. 3. unveränderte Auflage, Tübingen: Niemeyer 1966. Lenz, Karl: Soziologie der Zweierbeziehung. Eine Einführung. 4. Auflage, Wiesbaden: VS 2009. Plumpe, Gerhard: Epochen moderner Literatur. Opladen: Westdeutscher Verlag 1995. Reinhardt-Becker, Elke: „Liebe als Roman? Skizzen zu ihrer Semantikgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert“ in: Becker, Frank (Hrsg.): Geschichte und Systemtheorie, Exemplarische Fallstudien. Frankfurt am Main: Campus Verlag 2004. Selbmann, Rolf: Deutsche Klassik. KulturKompakt. Stuttgart: UTB 2005. Schmidt, Jochen: Goethes Faust: erster und zweiter Teil. Grundlagen, Werk, Wirkung. 2. Auflage, München: C.H. Beck 2001. 34 Schwander, Hans-Peter: Alles um Liebe?: zur Position Goethes im modernen Liebesdiskurs. Opladen: Westdeutscher Verlag 1997. Völkl, Bernd: Lektüreschlüssel. Friedrich Schiller. Kabale und Liebe. Stuttgart: Reclam 2003. Werber, Niels: Liebe als Roman. München: Fink 2003. Zymner, Rüdiger: Friedrich Schiller. Dramen. Klassiker Lektüren, Band 8, Berlin: Schmidt 2002. Internetquellen Mende, Claudio: Literaturwelt, URL: http://www.literaturwelt.com/epochen/sturm.html (eingesehen am 20.11.2009) Pohl, Wolfgang: Homepage von Wolfgang Pohl, URL: http://pohlw.de/literatur/epochen/stdrang.htm (eingesehen am 20.11.2009) 35