Beschluss Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers vom 10

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Beschluss Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers vom 10
Beschluss
Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers vom 10. Juli 2002 wird der Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin
vom 09. Juli 2002 - 71 M 769/02 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der pfändungsfreie Betrag in dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 17.
Juni 2002 wird gemäß § 850 d ZPO auf 775,00 EUR festgesetzt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Schuldnerin zu tragen.
Gründe:
I.
Der am 14. Juni 1988 geborene Gläubiger ist das minderjährige Kind der Schuldnerin und betreibt gegen diese
auf Grund einer notariellen Urkunde vom 26. Oktober 2001 ... die Zwangsvollstreckung wegen laufenden
Kindesunterhalts in Höhe von monatlich 249,00 EUR und eines Unterhaltsrückstandes von 945,00 EUR. Wegen
dieser Ansprüche wurden durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 17.
Juni 2002 ... die angeblichen Forderungen der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin auf Zahlung des
gegenwärtigen und künftigen Arbeitseinkommens gepfändet und dem Gläubiger in Höhe des gepfändeten
Betrages zur Einziehung überwiesen. Den pfandfreien Betrag nach § 850 d ZPO setzte das Amtsgericht
Neuruppin auf monatlich 750,00 EUR fest.
Am 26. Juni 2002 hat die Schuldnerin die Erhöhung des pfandfreien Betrages nach § 850 f ZPO beantragt und
folgende monatlichen Belastungen geltend gemacht:
Miete 421,82 EUR
Autokredit 105,40 EUR
Möbelkredit 74,00 EUR
Versicherungen 26,02 EUR
Autoversicherung 22,54 EUR
Rechtsschutzversicherung 102,00 EUR
Stromkosten 43,00 EUR
Auf diesen Antrag hin hat das Amtsgericht Neuruppin durch Beschluss vom 09. Juli 2002 den in dem Pfändungsund Überweisungsbeschluss vom 17. Juni 2002 festgelegten Pfändungsfreibetrag nach § 850 f ZPO auf 1.000,00
EUR festgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die von der Schuldnerin vorgetragenen Belastungen
notwendig seien und die Schuldnerin ansonsten nicht in der Lage sei, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
Gegen diesen ihm am 10. Juli 2002 zugestellten Beschluss hat der Gläubiger mit einem am 11. Juli 2002 bei dem
Amtsgericht Neuruppin eingegangenen Schriftsatz vom 10. Juli 2002 sofortige Beschwerde eingelegt.
Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 13. August 2002 nicht abgeholfen und die
Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 793 ZPO zulässig, insbesondere innerhalb der zweiwöchigen Notfrist des
§ 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingelegt worden. Auch in der Sache hat die Beschwerde im wesentlichen Erfolg.
Der von dem Amtsgericht festgesetzte pfändungsfreie Betrag erscheint der Kammer mit monatlich 1.000,00 EUR
zu hoch angesetzt.
Nach § 850 d Abs. 1 Satz 2 ZPO ist dem Schuldner so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt
bedarf.
Wie der dem Schuldner zu belassende notwendige Unterhalt dabei zu bemessen ist, sagt das Gesetz allerdings
nicht. Überwiegend wird der notwendige Unterhalt in der Praxis nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen
bestimmt, wobei vielfach auch eine konkrete Sozialhilfeberechnung vorgenommen wird (vgl. zu den in der
Rechtsprechung vertretenen Sozialhilfeberechnungen Rudolph, Zur Höhe des notwendigen Unterhalts, Rpfleger
1996, 490 (491 ff.); Büttner, Unterhalt und Zwangsvollstreckung, FamRZ 1994, 1433 (1435); Bruckmann, Die
Praxis der Zwangsvollstreckung, 4. Aufl., Rdnr. 382; Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 850 d Rdnr. 10). Ob sich der
Schuldner dabei - wie von dem Amtsgericht vorliegend angenommen - darüber hinaus auf die Regelung des §
850 f Abs. 1 ZPO berufen kann, ist ebenso umstritten (dagegen LG Berlin Rpfleger 1993, 120).
Teilweise wird der notwendige Unterhalt des Schuldners jedoch auch unter Zugrundelegung des
unterhaltsrechtlichen notwendigen Selbstbehalts bestimmt (vgl. OLG Frankfurt Rpfleger 1998, 165; LG Erfurt
JurBüro 1996, 384). Zur Begründung führen diese Entscheidungen aus, dass es sich hierbei um sorgfältig
erstellte Durchschnittssätze handele, deren Ermittlung letztlich auf der Lebenserfahrung beruhe.
Die Kammer folgt dieser Auffassung.
Nach Nr. 10 der Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (Stand 01. Januar 2002) beträgt
der monatliche Selbstbehalt gegenüber minderjährigen Kindern derzeit 775,00 EUR und, wenn der
Unterhaltspflichtige nicht erwerbstätig ist, monatlich 675,00 EUR.
Zwar liegt dieser notwendige Selbstbehalt in der Regel über den sozialhilferechtlichen Sätzen, auch über dem
von dem Amtsgericht ursprünglich zugrundegelegten Pauschalsatz von 750,00 EUR, sofern der
Unterhaltsschuldner erwerbstätig ist. Diese Besserstellung des Unterhaltsschuldners wird jedoch dadurch wieder
ausgeglichen, dass eine Erhöhung des notwendigen Selbstbehalts entsprechend der familienrechtlichen
Grundsätze nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden kann, es mithin
regelmäßig bei diesem Pauschalsatz zu verbleiben hat.
Diese Art der Bemessung des notwendigen Unterhalts im Sinne des § 850 d Abs. 1 Satz 2 ZPO dient den
Erfordernissen der Rechtssicherheit und gewährleistet darüber hinaus den Gleichlauf zum materiellen Recht.
Bereits im Erkenntnisverfahren vor den Familiengerichten wird genau geprüft, um den geschuldeten Unterhalt
unter Berücksichtigung des Einkommens und der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners konkret zu
ermitteln. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass es nicht zwingend notwendig erscheint, die Leistungsfähigkeit
des Unterhaltsschuldners in dem Zwangsvollstreckungsverfahren mit einem ebenso hohen Berechnungsaufwand
diesmal unter sozialhilferechtlichen Gesichtspunkten einer doppelten Überprüfung zu unterziehen (vgl.
Bruckmann, Die Praxis der Zwangsvollstreckung, 4. Aufl., Rdnr. 377).
Nichts anderes gilt, wenn - wie im vorliegenden Falle - der Unterhalt außerhalb eines familiengerichtlichen
Verfahrens festgesetzt worden ist. Auch den Fällen der außergerichtlichen Ermittlung des Unterhalts gehen in der
Regel längere Schriftwechsel und Auswertungen der vorgelegten Auskünfte, insbesondere der
Einkommensbelege voraus.
Es sollte insoweit vermieden werden, dass laufende Belastungen des Schuldners, die unterhaltsrechtlich, sei es
außergerichtlich oder gerichtlich, nicht anerkannt worden sind, über das Zwangsvollstreckungsverfahren wieder
eingeführt werden können. Finden derartige Belastungen im Zwangsvollstreckungsverfahren Berücksichtigung,
kann dies zu einer Entwertung des unterhaltsrechtlichen Titels führen.
Um solche Fälle auszuschließen, erscheint es sachgerecht, den unterhaltsrechlichen notwendigen Selbstbehalt
als absolute Größe auch bei der Bemessung des notwendigen Unterhalts nach § 850 d Abs. 1 Satz 2 ZPO
einzustellen.
Dabei sollten nur solche besonderen Belastungen des Schuldners anerkannt werden, von denen er nachweisen
kann, dass sie bereits in der Unterhaltsberechnung, sei es im Rahmen der außergerichtlichen Verhandlungen
oder in dem familiengerichtlichen Urteil, berücksichtigt worden sind. Auch für höhere Mietkosten als dem in den
Unterhaltsleitlinien bei dem notwendigen Selbstbehalt ausgewiesenen Mietanteil (Kaltmiete) sind die
familienrechtlichen Grundsätze zu beachten, wonach der Selbstbehalt nur wegen solcher Mietkosten erhöht
werden kann, die unvermeidbar sind (vgl. Finke/Garbe/Büttner, Familienrecht, 3. Aufl., § 3 Rdnr. 211). Denn im
Rahmen der gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern gilt, dass der Unterhaltspflichtige in
der Regel gehalten sein wird, sich eine kleinere und billigere Wohnung zu suchen, um seinen
Unterhaltsverpflichtungen nachkommen zu können.
Insgesamt ist es dem Schuldner eher zumuten, bei Änderung der Verhältnisse ein familiengerichtliches
Abänderungsverfahren (§ 323 ZPO) durchzuführen, als dem Gläubiger anzusinnen, sich im Rahmen der
Vollstreckung seines laufenden Unterhalts auf ein neues Erkenntnisverfahren einlassen zu müssen, nachdem er
bereits über einen vollstreckbaren Titel verfügt.
Das Amtsgericht hat vorliegend zugunsten der Schuldnerin Verpflichtungen wie etwa einen Autokredit,
Möbelkredit und Versicherungsbeiträge als besondere Belastungen anerkannt. Hierbei handelt es sich
ausschließlich um Belastungen, die unterhaltsrechtlich gegenüber minderjährigen Kindern grundsätzlich
unbeachtlich sind, weil sie entweder zu den allgemeinen Lebenshaltungskosten gehören oder der gesteigerten
Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern schlechterdings nachgehen. Soweit die von der Schuldnerin
zu zahlende Miete in Höhe von monatlich 421,82 EUR den in Nr. 10 der Unterhaltsleitlinien des
Brandenburgischen Oberlandesgerichts (Stand 01. Januar 2002) ausgewiesenen Anteil für Kaltmiete in Höhe von
235,00 EUR übersteigt, können diese Mehrkosten ebenfalls nicht ohne weiteres berücksichtigt werden. Wie oben
ausgeführt kann der Selbstbehalt nur wegen solcher Mietkosten erhöht werden, die unvermeidbar sind, wobei im
Rahmen der gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern gilt, dass der Unterhaltspflichtige in
der Regel gehalten ist, sich eine kleinere und billigere Wohnung zu suchen, um seinen Unterhaltsverpflichtungen
nachkommen zu können.
Nach alledem war der pfändungsfreie Betrag für die erwerbstätige Schuldnerin entsprechend Nr. 10 der
Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf monatlich 775,00 EUR festzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

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