Kirchliche Gemeinschaft, Kirchenverfassung und versöhnte Vielfalt

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Kirchliche Gemeinschaft, Kirchenverfassung und versöhnte Vielfalt
Stephen J. Plant, Trinity Hall, Cambridge
Kirchengemeinschaft, Kirchenverfassung und versöhnte Vielfalt in der Theologie von
Richard Hooker
Einleitung
Aus zwei Gründen verdient es Richard Hooker, dass wir ihm im Kontext dieser Meißener
theologischen Gespräche Aufmerksamkeit schenken. Erstens, weil sich Hooker in seinem
Hauptwerk, Of the Lawes of Ecclesiasticall Politie1, an die englischen Puritaner wandte, die
davon überzeugt waren, dass die protestantische Reformation in England niemals vollständig
durchgeführt worden war und sich tatsächlich im Rückzug befand. Deshalb kann man sagen,
dass die Gesetze eine der frühesten bedeutenden Beträge zum anglikanischen theologischen
Dialog mit der lutherischen und reformierten Theologie waren2, Zweitens hilft uns Hookers
Denken - in Bezug auf die besondere Fragestellung von Kirchengemeinschaft und
Versöhnung - zu verstehen, wie der englische Anglikanismus zu einigen Schlüsselelementen
innerhalb seines gegenwärtigen Verständnisses von Kirchengemeinschaft und Versöhnung
gekommen ist.
In jedem gut recherchierten Bericht erscheint Hooker als eine der Schlüsselfiguren innerhalb
der Entwicklung einer spezifisch anglikanischen Ekklesiologie und Theologie. Im Gegensatz
zu Erzbischof Thomas Cranmer, machte Hooker seinen Beitrag zur Entwicklung des
Anglikanismus vor allem als politischer Zuschauer. John Jewell, der damalige Bischof von
Salisbury, wurde auf den im Jahr 1554 in Devon geborenen Hooker aufmerksam.
Jewell verhalf ihm auch zu einem Studienplatz im Corpus Christi College in Oxford. Zwei
Jahre nach seiner Ordination 1579 wurde Hooker zum öffentlichen Prediger ernannt und
ergriff die Gelegenheit, die Puritaner in ihrer Prädestinationslehre herauszufordern, wobei er
im wesentlichem die arminische Linie vertrat. 1585 wurde er Prediger an der Temple Kirche
in London, die vor allem von Juristen besucht wurde. Diese Prestigestelle brachte ihn mit
einem führenden Puritaner3, dem Juristen Walter Travers, in Konflikt. Und dieser Konflikt
wurde zum Anlass, die Gesetze der Kirchenverfassung zu schreiben, obwohl, wie Diarmaid
MacCulloch bemerkte, ‚die Größenordnung von Hookers Werk weit über den Anlass
hinausragt’4, Erzbischof Whitgift erkannte die Bedeutung des sich entwickelnden Werkes von
Hooker und unterstützte seine Ernennung zum stellvertretenden Domprobst an der Salisbury
1
Alle Verweise auf Hookers Werk (deutsch etwa: Über die Gesetze einer Kirchenverfassung) beziehen sich auf
The Folger Library Edition (FLE) of the Works of Richard Hooker, the Belknap Press of Harvard University
Press, Cambridge MS & London, 1977. Die Verweise zitieren Buch, Kapitel und Abschnitt gemäß der
Standardzitierung der FLE. Die englische Rechtschreibung, der Satzbau und die Grammatik haben sich natürlich
seit dem 16. Jahrhundert verändert, werden aber in der FLE-Ausgabe beibehalten. Für die deutsche Übersetzung
der folgenden Auszüge wurde eine weniger umständliche und aktuelle Sprache gewählt.
2 Dies ist ein ernst zu nehmender Punkt: Hooker als frühen Ökumeniker zu sehen, ist überhaupt nicht weit
hergeholt. Vgl. z.B.: ‚Hooker on Ecumenical Relations: Conciliarism in the English Reformation’,
W.B.Paterson, 283-303 in ed. Arthur Stephen McGrade, Richard Hooker and the Construction of Christian
Community, 1997.
3 Die Bezeichnung ‘Puritaner’ gilt im Kontext der englischen Kirchengeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts
allgemein für jene, die glaubten, dass die protestantische Reformation in England noch nicht abgeschlossen war
und dass deshalb weitere theologische, liturgische und politische Reformen notwendig waren. Viele, aber bei
weitem nicht alle ‚Puritaner’ (der Begriff kam ursprünglich als Spottname auf) sahen nach Genf und Zürich, um
sich von dort richtungweisende Anhaltspunkte sowohl in Glaubensfragen als auch für die Kirchenverfassung zu
holen.
4 Diarmaid MacCulloch, Reformation: Europe’s House Divided 1490-1700, 506.
1
Kathedrale und zu zwei Pfründen in Kent. Dies alles bot ihm die materielle Sicherheit, die er
zum Schreiben brauchte.5 Das Vorwort und die ersten vier Bücher der Gesetze wurden 1593
veröffentlicht. Buch V erschien 1597. Die restlichen drei Bücher wurden zurückbehalten, entweder, weil Hooker sie für eine Veröffentlichung als zu umstritten ansah, oder vielleicht
einfach, weil sie nicht vollständig waren. Diese wurden dann posthum veröffentlicht.6 Hooker
starb 1600 in Kent.
Selbst für den engagiertesten Anglikaner sind Hookers Gesetze ein abschreckend langer und
komplizierter Text und unter jenen, die seine Schwierigkeit anerkennen, befinden sich
Bewunderer.7 Hooker hatte viel zu sagen und war gewillt, sich die Zeit zu nehmen, um dies
auszudrücken. In der Folger Edition enthält alleine Buch V – auf das ich mich in diesem
Vortrag hauptsächlich stütze – über 500 Seiten. Das zwingt jene, die darüber schreiben,
besonders jene, die ihre Anmerkungen auf maximal 4 000 Worte beschränken müssen, dazu,
Wege zu finden, wie sie ihr Augenmerk fokussieren können. Im Folgenden beginne ich,
einige von Hookers Ansätzen und Methoden im Gesamtwerk der Gesetze zu skizzieren. Dann
wende ich mich Buch V zu und untersuche Hookers Verständnis der Versöhnung als Anteil
am Leib Christi. Dazu untersuche ich sein Verständnis von der Rolle der Sakramente als
Anteil der Kirche am Leib Christi und sein Verständnis von den Auswirkungen des AnteilHabens auf die Versöhnung unter den Christen, die durch unterschiedliche Auffassungen der
Kirchenordnung und unterschiedliche Praktiken von einander getrennt sind. Wir werden
sehen, dass nach Hooker die Versöhnung zwischen Gott und der Menschheit, die in Christus
erreicht wurde, durch die Teilnahme an den Sakramenten erfahrbar wird. Deshalb sieht
Hooker die Kirchengemeinschaft weniger im Dienst der Versöhnung, als dass die Versöhnung
zwischen dem Menschen und Gott, die Jesus Christus errungen hat, die Gemeinschaft der
Kirche mit Gott ermöglicht, aus der dann die Gemeinschaft unter den Christen erwächst. Dies
kann den Dialogpartnern helfen zu verstehen, welche Bedeutung englische anglikanische
Ökumeniker Fragen der Kirchenverfassung und der sakramentalen Gemeinschaft im
Verhältnis zu enger gefassten Fragen der Lehre beimessen.
Strategien, Haltung und Methode in Hookers Gesetze einer Kirchenverfassung.
Von Anfang an fällt einem der friedfertige Ton in Hookers Gesetzen auf. Viele Polemiker
tragen eine Haltung von christlicher Großzügigkeit zur Schau, bei Hooker spürt man deren
Echtheit:
Hier möchte ich zwei Dinge, die ich für gut befunden habe, Euren Händen
anvertrauen. Dabei möchte ich Euch inständig bitten, ja selbst im Namen der Sanftmut
Jesu Christi, und ich vertraue darauf, dass Ihr diesen liebt, dass, wenn Ihr den Frieden
und die Ruhe dieser Kirche anbietet, in Euch diese barmherzige Demut sei, die die
Krone und den Ruhm eines christlichen Geistes ausmachen… Lasst nicht Euren
Glauben an unseren Herrn Jesus Christus von Parteilichkeit befleckt sein.8
Obwohl sich Hooker sicherlich als Protestant betrachtet, will er in seiner Lehre von Anfang an
einen offenen Geist beibehalten. Einerseits respektiert der Humanist in ihm die
5
Hooker bedankt sich ausführlich für diese Förderung in seiner Widmung des Buches V: V Ded. V: 1-8.
Bücher VI und VIII im Jahr 1648 und VII nicht vor 1661.
7 So bemerkt z.B. Rowan Williams, ‘… es wurde schon lange erkannt, dass unter den vielen Gaben von Hooker
nicht die war, die eine moderne Zuhörerschaft als allgemein zugängliche Sprache bezeichnen würde’, Vorwort:
Of the Lawes of Ecclesiasticall Politie Revisited, in ed. Torrance Kirby, A Companion to Richard Hooker, xv.
8 Lawes Preface, 1.3.
6
2
wissenschaftlichen Errungenschaften der Reformatoren. So ist er z.B. großzügig in seiner
Beschreibung von Calvin. Er sieht ihn ‚von meiner eigenen Betrachtungsweise aus … als der
weiseste Mann, über den sich die französische Kirche je freuen konnte, seit der Stunde, da sie
sich seiner freuen kann’9. Andrerseits - und dies obwohl er die natürliche menschliche
Tendenz dazu versteht - ist er nicht willens, die Kirche von England unter die doktrinäre
Vormundschaft irgendeines spezifischen Reformators zu stellen.
So ist es von Natur aus unsere Vorliebe, dass wir bei denen, die wir in großen Dingen
sehr bewundern, uns nicht überzeugen lassen, dass irgendetwas fehlen sollte… Dies
hat in jedem Glaubensbekenntnis dem kritischen Urteil einiger weniger zu viel
Autorität verliehen. So hat es dazu geführt, dass unter den Deutschen Luther und in
vielen anderen Kirchen Calvin in allen Dingen vorherrschen.10
Ursprünglich hatten die Gesetze die Form einer Punkt-für-Punkt-Widerlegung der Vorschläge
von Thomas Cartwright, mit denen er die Debatten über die Reform der Kirche von England
ausweiten wollte. Eine der Hauptforderungen von Cartwright war, dass ‚die Schrift alleine die
Richtschnur aller Dinge ist, die Menschen tun dürfen’. Daraus folgte, so meinte Cartwright,
dass ‚die Schrift eine unveränderliche Form der Kirchenleitung vorschreibt’ und dass ‚die
Kirche von England durch papistische Befehle und Riten verdorben worden ist’, die nicht
nach der Schrift sind. Hooker akzeptierte gerne die Autorität der Schrift. Doch obwohl er die
Schrift an erste Stelle setzte, bevorzugte Hooker einen thomistischen Ansatz, der nach der
Bedeutung des biblischen Textes nicht so sehr im buchstäblichen Wort, sondern mehr in den
Realitäten, um die es ging, fragte, d.h. mehr nach dem Sinn als nach dem Buchstaben. Die
Tradition der Kirche war für ihn wertvoll, doch unkritisch wollte er ihr nicht folgen. Indem er
sich stark auf Luthers Prinzip der Adiaphora stützte, nahm Hooker die Haltung ein, dass es im
Gegensatz zur Meinung der Puritaner nicht notwendig war, dass die liturgische und kirchliche
Praxis wortwörtlich der Schrift folge. Eher, so behauptete er, sei das, was in der Schrift nicht
verboten wird, erlaubt. Wird dieses Axiom z.B. für die Regelungen der geistlichen Ämter
angewandt, so hieß das, wenn auch eine dreifache Amtsaufteilung in Diakone, Pfarrer und
Bischöfe nicht über jeden Zweifel erhaben auf der Basis der Schrift gerechtfertigt werden
konnte, diese dennoch eine theologisch richtige Form der Amtsordnung war.
In Hookers Denken gab es auch eine politische Dimension, weswegen es nicht ganz falsch ist,
wenn wir ihn, auch wenn der Begriff anachronistisch ist, als liberal bezeichnen. Das
puritanische Ziel der Kirche war semper reformanda. In der Praxis hieß das der Versuch, die
Re-formation der Liturgie, Lehre und Kirchenverfassung der Kirche von England zu
erwirken, falls notwendig auch durch politischen Zwang. Hooker hatte allerdings theologische
Gründe, dem Einsatz von öffentlicher Macht für Heil bringende Zwecke zu widerstehen. In
diesem Punkt war seine Sicht der Kirche im Wesentlichen augustinisch: Die Kirche ist ein
corpus permixtum, in der Weizen und Unkraut zusammen gesät und erst bei der Ernte
getrennt werden. Somit sind Reformversuche durch Aktivismus in der Kirche vergeudete
Liebesmühe, da auf dieser Seite des jüngsten Gerichts, das Gute und das Böse eng
miteinander verwoben sind. Hooker wurde manchmal als nicht viel mehr als Speichellecker
und Verteidiger des elisabethanischen Establishments verleumdet, als ein Eusebius des 16.
Jahrhunderts für die jungfräuliche Königin. Solche Ansichten sind völlig unbegründet:
Hooker hielt die elisabethanische Staatsregelung nicht für vollkommen. Im Gegenteil: Jenen,
9
Lawes Preface, 2.1.
Lawes Preface, 4.8.
10
3
die nach irgendeiner vollkommenen Form der Kirchenverfassung strebten, entgegnete Hooker
die überraschend moderne Ansicht:
Die Fehler und Makel, die wir in unserem Staat finden, die aus der Wurzel der
menschlichen Schwäche und Korruption stammen, sind nicht nur, sondern waren
schon immer mehr oder weniger, ja … werden bis ans Ende der Welt ein Grund der
Klage sein, in welcher Form auch immer eine Regierung verfasst sein wird.11
Bevor wir uns nun Buch V zuwenden, dem Buch, dessen Inhalt am meisten für eine
Betrachtung von Kirchengemeinschaft und Versöhnung hergibt, ist es hilfreich, kurz die
Themen zu skizzieren, die in den voran gegangenen Bänden der Gesetze behandelt worden
sind. Im Buch I der Gesetze geht es um „Die Gesetze und deren verschiedene Kategorien im
Allgemeinen“. Buch II beschäftigt sich direkt mit dem Anspruch, dass die Schrift die einzige
Ordnung zur Regelung des menschlichen Lebens ist. Buch III spricht von dem besonderen
Anspruch, dass die Kirchenverfassung in der Schrift enthalten sein muss. Buch IV untersucht
Behauptungen, dass einige der Riten und Zeremonien, die noch in der Kirche von England
beibehalten wurden, abgeschafft werden müssten, da sie korrupt und ‚papistisch’ seien.
Inkarnation und Versöhnung
Bis nun Hooker bei Buch V angelangt war, haben seine Argumentationen ein
fortgeschrittenes Stadium erreicht. In Buch V war es ihm aufgrund von bereits etablierten
allgemeinen Prinzipien möglich, sich einer Reihe von ganz besonderen Fragen zu widmen.
Der Titel des Buches – bestimmt nicht mit dem Ziel gewählt, breiten Erfolg zu erheischen –
heißt: „Zur vierten Behauptung, dass es über die öffentlichen Pflichten der christlichen
Religion viel Aberglauben gibt; und wenn es um die Menschen geht, die zur Ausübung dieser
Pflichten mit der Autorität der Kirchenverfassung ausgestattet worden sind, sind unsere
entsprechenden Regelungen und Verfahren in vieler Hinsicht auch korrupt“.
Buch V bringt die Widerlegung folgender Anschuldigungen zum Ausdruck:
Erstens, dass viele damalige liturgischen Praktiken der Kirche von England nicht nach
der Schrift sind und
zweitens, dass der Charakter jener, die die Liturgie ausführen, dazu ungeeignet ist.
Mit der ersten Anschuldigung setzt sich Hooker viel länger auseinander als mit der zweiten.
Für die erste braucht er Kapitel 1–75, während er die zweite in Kapitel 76–81 abhandelt. Für
unser Thema, d.h. für Kirchengemeinschaft und Versöhnung, beginnen Hookers Argumente
ab Kapitel 50 interessant zu werden. Bis dahin hat sich Hooker nicht nur mit der Rolle des
Gebets in der Liturgie auseinander gesetzt, sondern auch besonders mit dem lauten Sprechen
der Glaubensbekenntnisse. Aus den Glaubensbekenntnissen heraus war es natürlich, die
grundlegende Bedeutung der Tatsache herauszustreichen, ‚dass Gott in Christus ist aufgrund
der persönlichen Inkarnation des Sohnes, der Gott selbst ist’12. Indem er einen polemischen
Punkt in Bezug auf die Notwendigkeit der Inkarnation für die Errettung wiederholt, einen
Punkt der mindestens seit Athanasius in dessen Beweisführung gegen die Arianer im Umlauf
war, hält Hooker daran fest,
dass das Heil der Welt ohne die Inkarnation des Sohnes Gottes ein Ding der
Unmöglichkeit wäre, nicht einfach nur unmöglich, sondern deshalb unmöglich, da
11
12
Lawes Preface, 3.7.
Lawes V.51.1; 2:209.
4
vorausgesetzt wurde, dass der Wille Gottes dies nicht anders wollte, als durch den Tod
seines eigenen Sohnes.13
Die Vereinigung der beiden Wesen in Christo war für Hooker axiomatisch. Seine Sichtweise
über die Beziehung der beiden Wesen in Christo folgte jedoch weitgehend eher einer
reformierten als einer lutherischen Linie der Christologie. Somit bekräftigt Hooker
hinsichtlich der beiden Wesen:
So lasst es uns als Grundleitsatz festsetzen, so dringend notwendig zum einfachen
Entscheiden aller Zweifel und Fragen über die Vereinigung der Wesen in Christo, dass
die beiden Wesen oft miteinander kooperieren, sich manchmal miteinander verbinden,
aber niemals die eine Natur an der anderen partizipiert, wobei die Eigenschaften der
einen in die andere einfließt.14
Trotzdem glaubte Hooker hinsichtlich der beiden Wesen, dass Christus ‚ein dreifach
Empfangender’ wäre. Dies deshalb, weil er erstens der ‚Sohn Gottes’ ist, zweitens, weil seine
menschliche Natur die Ehre empfängt, mit der Gottheit eins zu sein und drittens, weil durch
diese Vereinigung ‚verschiedene hohe Gnadengaben als Ausstrahlung von der Gottheit in jene
Natur geflossen sind, die damit gepaart ist’15. Nur weil Christus mit der Ewigkeit vom Vater,
mit der Einheit mit Gott und mit dem Segen Gottes beschenkt worden ist, war es Hooker
möglich zum Schluss zu kommen: ‚Es war für die Errettung der Welt zwingend, dass der
Sohn Gottes in dieser Form Fleisch geworden ist‘.16
Bonhoeffer betont, dass die Christologie immer vor der Soteriologie her kommen muss. Dies
erweist sich auch für Hooker so. Von der Vereinigung des Menschlichen und Göttlichen geht
Hooker auf die allgemeine Teilhabe der Menschheit in Gott über:
Bisher haben wir von der Person und der Gegenwart Christi gesprochen. Die Teilhabe
ist dieser gegenseitige innere Einfluss, den Christus auf uns hat und wir auf ihn und
zwar in solcherlei Gestalt, dass ein jeder den anderen einnimmt auf Grund der
besonderen Eigenschaften und der damit einhergehenden Kopulation.17
Das letzte Wort in diesem Satz ist eine eklatant offenkundige sexuelle Metapher, um ‚die
Vereinigung oder gegenseitige Teilhabe, die zwischen Christus und der Kirche Christi in
dieser gegenwärtigen Welt’ stattfindet, zu beschreiben. Diese Vereinigung war
vorherbestimmt,
denn was immer wir in dieser gegenwärtigen Welt erblicken, so war es doch
eingewoben im Innersten der göttlichen Barmherzigkeit, geschrieben im Buch der
ewigen Weisheit und in die Hände der omnipotenten Macht gelegt, bevor die ersten
Fundamente der Welt erstellt wurden.18
Alle Menschen, so dachte Hooker, stehen bis zu einem gewissen Grad in einer Gemeinschaft
mit Christus als Folge ihrer Erschaffung im Bilde und Ebenbilde Gottes. Für Christen jedoch,
die von Urzeiten an erwählt worden sind, ist der Umfang der Teilhabe noch tiefer: ‚Wir sind
13
Lawes V.51.3; 2:211.
Lawes V.53.2; 2:218-19.
15 Lawes V.54.1; 2:220.
16 Lawes V.54.10; 2:227.
17 Lawes V.56.1; 2:234.
18 Lawes V.56.5; 2:237.
14
5
in Christo, weil er uns kennt und liebt wie Teile seiner selbst.’19 Allerdings befand sich
sicherlich zu viel von Augustin in Hookers Theologie, um zu glauben, dass alle getauften
Mitglieder der Kirche an der Gnade Gottes gleichen Anteil haben sollten: ‚wie er nicht in
allen aus Gnaden wohnet, so arbeitet er auch nicht in allen gleich, in denen er wohnet.’20
Hier ist es nicht schwer, den Einfluss östlicher Quellen zu entdecken. Dies ist keine Theologie
der Versöhnung, die auf der theologia crucis gründet. Dies ist eine Lehre von der Teilhabe am
Göttlichen, von der Vergöttlichung oder theosis, in der mehr von Athanasius steckt als von
Luther. Hooker fasst die Verbindungen, die er zu diesem Zeitpunkt in Buch V dargelegt hat in
einem Absatz zusammen, der seine Vorliebe für die johanneischen Themen vor jenen des
Paulus belegt. Daher auch die mystische Eigenart seiner Darstellung der göttlich
menschlichen Versöhnung und das völlige Fehlen von juristischen Ideen und einer
ebensolchen Sprache.
So sehen wir, wie der Vater ist im Sohne und der Sohne im Vater. Wie sie beide in
allen Dingen und alle Dinge in ihnen sind. Welche Gemeinschaft Christus mit seiner
Kirche hat und wie seine Kirche und jedes ihrer Mitglieder aufgrund der
ursprünglichen Abstammung in ihm sind. Und wie er persönlich in ihnen weilt
aufgrund einer mystischen Verbindung, erwirkt durch die Gabe des heiligen Geistes,
welche sie von ihm empfangen, zusammen mit der Leben spendenden Kraft seines
Leibes und seines Blutes, damit sie Früchte tragen. Ja, schrittweise werden sie das
ganze Maß aller solcher göttlicher Gnade empfangen…21
Somit wurde die Szene wunderbar für den Höhepunkt dieser Phase des Buches und im
Denken von Hooker über die Sakramente vorbereitet.
‚Die Notwendigkeit der Sakramente zur Teilhabe an Christus’
Für Hooker ist es die Gnade Gottes, die das wirksame Instrument innerhalb der Sakramente
ausmacht.22 Und nicht irgendeine Eigenschaft, die in den Sakramenten selbst verankert wäre.
Um dies genau zu beschreiben, unterscheidet er zwischen ‚physischen’ und ‚moralischen’
Instrumenten, wobei er bekräftigt, dass die Sakramente unter die zweite Kategorie fallen. Dies
ist offensichtlich wichtig, um das Prinzip aufrecht zu erhalten, dass Gott alleine der Urheber
der Gunst der sakramentalen Gnade ist:
Denn wir nehmen weder die Taufe noch die Eucharistie als bloße Ähnlichkeit oder
Erinnerung an Dinge, die fehlen [hier gegen Zwingli], noch nehmen wir sie als bare
Zeichen und Zeugnisse, die uns die zuvor erhaltene Gnade versichern, sondern … als
effektive Mittel, durch die uns Gott beim Empfang der Sakramente jene Gnade in
unsere Hände legt, die uns bis zum ewigen Leben zur Verfügung steht und die die
Sakramente repräsentieren oder bedeuten.23
19
Lawes V.56.7; 2:239.
Lawes V.56.10; 2:242. Trotz des Zitates von Augustinus an dieser Stelle der Gesetze frage ich mich, ob
Hooker Augustinus Empfinden für das Ausmaß der Auswirkungen der Sünde auf die Menschheit im vollen
Umfang übernommen hat. Sicherlich denkt Augustinus nicht, dass das göttliche Bild durch die Sünde völlig
ausgelöscht worden war. Aber es ist nicht schwer zu sehen, woher der Augustinermönch in Wittenberg sein
tiefes Empfinden hatte, dass eine Teilhabe an Gott ohne die versöhnende Kraft des Kreuzes unmöglich war.
21 Lawes V.56.13; 2:244.
22 Hooker war der Meinung, dass es nur zwei Sakramente gäbe: Die Taufe und das Sakrament des Leibes und
Blutes Christi.
23 Lawes V.57.5; 2:247.
20
6
Kurz gesagt, es ist die Gnade Gottes, die Menschen verändert – eine Erkenntnis, die Hooker
u. a. mit Thomas von Aquin teilt. Trotzdem bewirken die Sakramente mehr, als dass sie nur
auf diese Gnade hinweisen: Die Sakramente führen Gottes Gnade aus.
Abschließende Zusammenfassung und Bemerkungen
Im Vorwort zu den Gesetzen zeigt Hooker - Aristoteles folgend - auf, dass jede Gesellschaft
durch einen gemeinsamen Zweck oder ein gemeinsames Wohl zusammengehalten wird. Jede
solche Gesellschaft ist genau auf dieser Basis des gemeinsamen Wohls eine Gemeinschaft.24
Nach Hooker soll eine nationale Kirche, wenn sie denn solch eine Gemeinschaft sein soll,
eine gemeinsame Gottesdienstordnung haben. Gemäß der Lehre der Adiaphora dachte
Hooker, dass die Kirche von England die Legitimität habe, sich sowohl auf das gemeinsame
Gebetsbuch als auch auf die gemeinsamen Regelungen der geistlichen Ämter zu einigen, ohne
deshalb aus ihren spezifisch englischen liturgischen Praktiken ‚imperiale’ Ansprüche
hinsichtlich der Kirchenführung zu extrapolieren, wie andere nationale Kirchen ihre
Angelegenheiten zu regeln hätten. Aber Hooker geht noch weiter: In einer Gemeinschaft, die
sich auf einen gemeinsamen Gottesdienst begründet, stellt das höchste Miteinander-Teilen die
Gemeinschaft des Leibes und des Blutes Christi dar. Trotz Hookers zweifelloser Loyalität
gegenüber verschiedenen grundsätzlichen Eigenheiten des Protestantismus, ist diese
Gedankenwendung bemerkenswert. Das könnte den Punkt darstellen, an dem die Kirche von
England eine Art Trennlinie zwischen sich und der kontinentalen Reformation gezogen hat.
Diese Wende hinsichtlich der Sakramente ist, wenn ich dies hier richtig beschreibe, eine, die
auch MacCulloch im Buch V bemerkt: ‚Bewusst und auch in großer Breite betont Hooker
wiederholt die Rolle der Sakramente und des liturgischen Gebets auf Kosten der Predigt’.
Obwohl dies schwierig einzuschätzen ist, wird man hier versucht zu spekulieren, ob das
Verständnis Hookers hinsichtlich der Heil bringenden Rolle der Sakramente im Leben der
Kirche für den Anglikanismus prägend war. Sicherlich besteht hier ein Unterschied zur
Ansicht von Martin Luther, dass ‚ubi est verbum, ibi est ecclesia’. Für Luther ist alles, was die
Kirche ausmacht, die Kirche im gepredigten Wort, das Wort in der greifbaren Form der
Sakramente und das Wort in der heiligenden Wirkung des heiligen Geistes. Natürlich ist es
nicht so, dass die Sakramente für Luther keine Rolle in der Kirche als Kirchesein spielen.
Davon ist er weit entfernt. Vielmehr ist es so, dass für Luther eine Gleichwertigkeit besteht
zwischen dem gepredigten Wort und dem Wort, das in den Sakramenten enthalten ist, so dass
dort, wo das eine ohne das andere auftritt, das Wort voll vertreten ist. Was meine
unmaßgebliche Meinung betrifft, so glaube ich, dass Luther Recht hatte, zumindest in diesem
Punkt. Und insoweit nun einige Formen anglikanischer Praktiken das Predigen in Relation zu
den Sakramenten als weniger wert zu erachten scheinen, geben sie eine recht rätselhafte
Sichtweise der Wirkungskraft des εὐ αγγελί ου Ἰ ησοῦ Χριστοῦ wieder.
24
Vgl. dazu John S. Marshall, Hooker and the Anglican Tradition: An historical and theological study of
Hooker’s Ecclesiastical Polity, Kap. XVIII, 155 ff.
7
Quellenangaben
Richard Hooker, Of the Lawes of Ecclesiasticall Politie, Buch V, Band II of The Folger
Library Edition of the Works of Richard Hooker, W. Speed Hill, General Editor, the Belknap
Press of Harvard University Press, Cambridge MS & London, 1977
Editor, Torrance Kirby, A Companion to Richard Hooker, Brill, Leiden/Boston, 2008. See
especially chapter 12, ‘The Church’, by William H. Harrison, 305-336
John S. Marshall, Hooker and the Anglican Tradition: An historical and theological study of
Hooker’s Ecclesiastical Polity, Adam & Charles Black, London, 1963. Vgl. besonders die
Kapitel XVII & XVIII
Diarmaid MacCulloch, Reformation: Europe’s House Divided 1490-1700, Allen Lane Press,
London 2003
Editor Arthur Stephen McGrade, Richard Hooker and the Construction of Christian
Community, Tempe, AZ, 1997
8

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