Jahrestagung Erziehungswissenschaftliche Biographieforschung

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Jahrestagung Erziehungswissenschaftliche Biographieforschung
Jahrestagung der Kommission Erziehungswissenschaftliche
Biographieforschung der Sektion Allgemeine
Erziehungswissenschaft
in der DGfE zum Thema
Repräsentanzen, Typenbildung und
Theoriegenerierung. Aktuelle methodische
Herausforderungen an die
Biographieforschung
Aktuelle Infos unter
http://www.unibw.de/paed/ebwb/kommissionstagung
Informationen zum Tagungsort und zur Anmeldung
Tagungsort
Haus der bayerischen Landwirtschaft Herrsching
Rieder Str. 70
82211 Herrsching am Ammersee
Tel.: 08152-938-000 Fax: 08152-938-222
http://www.hdbl-herrsching.de
Anmeldung
Die Anmeldung erfolgt über die Tagungsorganisation des Hauses der
Bayerischen Landwirtschaft und wird nicht von den Organisatoren in
München vorgenommen. Das Anmeldeformular finden Sie auf der nächsten
Seite. Bitte gesondert ausdrucken und an das Haus der bayerischen
Landwirtschaft Herrsching schicken (Fax: 08152/938 224).
Organisation
Burkhard Schäffer: [email protected]
Jutta Ecarius: [email protected]
Arnd-Michael Nohl: [email protected]
24.09. – 26.09.2007 in Herrsching am Ammersee
Informationen zum Tagungsort und zur Anmeldung,
Tagungsprogramm und Abstracts
Kontakt
Prof. Dr. Burkhard Schäffer
Lehrstuhl für Erwachsenenbildung/Weiterbildung
Universität der Bundeswehr München
Werner-Heisenberg-Weg 39
85579 Neubiberg
Tel: +49 (0)89-6004-3118
Fax: +49 (0)89-6004-4718
Mail: [email protected]
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Anmeldung im
Haus der bayerischen Landwirtschaft Herrsching, Rieder Str. 70, D-82211 Herrsching
Fax: 08152/938 224 –Tel.: 08152/938 000 - E-Mail: [email protected]
Zur Jahrestagung der Kommission Erziehungswissenschaftliche Biographieforschung
vom 24.09.2007 bis 26.09.2007 , Buchungsnummer 4726, reserviere ich
_______ Einzelzimmer vom 24.09.2007-26.09.2007 zum Preis von 197,00 € für die Tagungspauschale (Inklusivleistungen
sind: 2 Übernachtungen, 2 Frühstücke, 1 Imbiss, 1 Mittagessen, 4 Kaffeepausen mit Brezn o. Obst o. Kuchen, 2 Abendessen, 2
Getränke im Seminarraum pro Tag, Raummietenanteil)
_______ Doppelzimmer vom 24.09.2007-26.09.2007 zum Preis von 177,00 € pro Person (Leistungen sh. oben)
Promotionsstipendiaten (bzw. ½ TVÖD) wird ein Nachlass von 10,00 € auf den Gesamtpreis bei Übernachtung im
Doppelzimmer gewährt. Trifft zu:
Ja
Nein
Bei kürzerem Aufenthalt geben wir Ihnen den Preis auf unserer Rückbestätigung an, falls Ihre An- und Abreise nicht mit o.g.
Daten übereinstimmt. Bei abweichender Buchung bitte hier eintragen:
Doppelzimmer:
1 Person/2 Personen Einzelzimmer:
Anreise am:
_______________________
um ca. ___________ Uhr
(Bei Anreise nach 22 Uhr wird ein Code für die Haustüre benötigt, bitte telefonisch bis 19 Uhr erfragen)
Abreise am:
_______________________
um ca. ___________ Uhr
Tagungspauschale ohne Übernachtung zum Preis von 32,50 € pro Tag/Person
für die Tagungspauschale (Inklusivleistungen sind: 1 Mittagessen, 2 Kaffeepausen mit Brezn o. Obst o. Kuchen, 2 Getränke im
Seminarraum pro Tag, Raummietenanteil)
für _________ Tage / ich komme:
am 24.09. von ______ Uhr bis ______ Uhr
am 25.09. von ______ Uhr bis ______ Uhr
am 26.09. von ______ Uhr bis ______ Uhr
ich bin auch zum Abendessen (Preis 10,60 €) da:
ja / nein
Name: ______________________________________ Vorname: _________________________________
(für 2. Person im Doppelzimmer bitte 2. Namen angeben)
Name: ______________________________________ Vorname: _________________________________
Straße: _____________________________ PLZ: ___________ Ort: _______________________________
Telefon:_______________ Telefax:_____________________e-mail:______________________________
Bankverbindung als Garantie für die Reservierung (Kostenloser Storno nur bis vier Wochen vor Veranstaltungsbeginn, ab
dann 50% der Kosten, 3 Tage vorher oder bei Nichterscheinen 85% der Kosten oder Sie stellen einen Ersatz oder wir können
das Zimmer anderweitig vermieten.)
Name des Kontoinhabers: _________________________________________________________________
Kontonummer: _______________________________ BLZ: ____________________________________
Name der Bank: _________________________________________________________________________
___________________________________
Rechtsverbindliche Unterschrift
________________________________
Ort, Datum
Nach Eingang und Reihenfolge Ihrer Anmeldung erhalten Sie eine schriftliche Bestätigung Ihrer Reservierung. Bitte
bringen Sie die Reservierungsbestätigung zur Tagung mit. Bitte beachten Sie, dass die Abrechung der Übernachtung, die
hier bei Anreise stattfinden soll nur bar oder mit deutscher EC-Karte möglich ist.
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Anreise
Anreise
Herrsching am Ammersee ist ca. 40 km südwestlich von München gelegen
und mit der S-Bahn (S 5) von München (Hauptbahnhof) in 50 Minuten zu
erreichen.
• Die S 5 fährt am Hauptbahnhof alle 20 Minuten.
• Vom Flughafen fahren Sie ebenfalls mit der S-Bahn (S 1, umsteigen in
Laim in die S 5).
• Mit dem PKW fahren Sie über die A96 (Lindau) nach Herrsching.
Informationen über S-Bahnverbindungen finden Sie unter http://www.mvvmuenchen.de/de/home/index.html .
Achtung
Bei Anreise nach 22 Uhr wird ein Code für die Haustüre benötigt,
bitte telefonisch bis 19 Uhr erfragen: Fax: 08152/93 82 24 –Tel.:
08152/93 80 00 - E-Mail: [email protected]
Vor dem S-Bahnhof finden Sie den Taxistand Herrsching: 08152-3458 ,
weitere Telefonnummern: Taxi Bleschart: 08152-980303 Taxi Turba: 08152925592).
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Tagungsprogramm
Tagungsprogramm
Dienstag 25.09.07
Montag 24.09.07
12.00
Begrüßung und Eröffnung durch Burkhard Schäffer, Jutta Ecarius
und Arnd-Michael Nohl
12.30 bis 18.15 Uhr: Plenarvorträge
12.30
Micha Brumlik:
Typ und Prototyp. Zur systematischen Bedeutung von Augustinus
"Confessiones"
13.30
Rudolf Tippelt:
Idealtypen konstruieren und Realtypen verstehen – zur
Kombination von quantitativen und qualitativen
Forschungsmethoden
14.30
Pause
15.00
Ralf Bohnsack:
Die Mehrdimensionalität der Typenbildung und ihre
Aspekthaftigkeit
16.00
Udo Kelle:
Typenbildung als theoriegenerierendes Verfahren - die zentrale
Bedeutung der Fallkontrastierung
17.00
Pause
17.15
Robert Kreitz:
Zur Beziehung von Fall und Typus – Anregungen aus der
Analytischen Philosophie
18.15
Abendessen
9:00 bis 12:00 Uhr: Arbeitsgruppen 1, 2 und 3
Arbeitsgruppe 1: Typenbildung: Habitus, Raum und Biographie
9.00
Florian von Rosenberg:
Orientierung und sozialer Raum: Zwei unterschiedliche Formen der
Typenbildung
10.00
Helmut Bremer, Andrea Lange-Vester, Christel Teiwes-Kügler:
Typenbildung in der Habitus- und Milieuforschung
11.00
Thorsten Fuchs:
Theorieentwicklung bildungstheoretisch orientierter
Biographieforschung oder: Was sind die Probleme und Perspektiven
einer qualitativen Bildungsforschung mit bildungstheoretischem
Zuschnitt?
Arbeitsgruppe 2: Theoriegenerierung in der Jugend-, Medien- und
Moralforschung
9.00
Heike Ohlbrecht:
Qualitative Typenbildung als Herausforderung für die
Theorieentwicklung - am Beispiel jugendlicher Identitätsarbeit
10.00
Martina Schuegraf:
Subjektkonstitution bei medienkonvergenter Interaktion. Ein
Beispiel zur Schlüsselkategorie- und Theoriegenerierung
11.00
Monika Witzke:
Moral in konkreten Situationen – methodische Aspekte am Beispiel
des MoKKiE-Projekts
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Tagungsprogramm
Arbeitsgruppe 3: Zur Triangulation hypothesenüberprüfender und
rekonstruktiver Sozialforschung
9.00
10.00
11.00
Maren Zschach/ Sina Köhler:
Kinder und ihre Freunde - Mehrdimensionale Typenbildung zum
Verhältnis von Bildungsbiographien und Peergroup-Einbindung
Christine Wiezorek, Sylke Fritzsche:
Methodentriangualation im Forschungsprozess. Zur Relevanz
qualitativer Forschung für die Reflexion quantitativer
Forschungsverfahren
Tom Wenzl:
School Shooter – Zum Verhältnis von statistischem Profil und
qualitativer Typenbildung
16:00 bis 18:00 Uhr: Plenarvorträge
16.00
Petra Reinhartz:
Erzählen heißt, etwas Besonderes zu sagen zu haben!
17.00
Ingrid Miethe, Martina Schiebel:
Systematisierung – Verstehen – Generieren. Der Beitrag
deskriptiver und genetisch-strukturaler Typen zur Theoriebildung
18.15
Abendessen
19.30
Mitgliederversammlung der Kommission
12.00-13.30 Mittagspause
Mittwoch 26.09.07
13.30 bis 15.30 Uhr: Arbeitsgruppen 4 und 5
Arbeitsgruppe 4: Textuelle und visuelle Repräsentationen
13.30
Bettina Dausien:
„Geschichten vom Leben“ - Methodologische Überlegungen zum
Problem der Repräsentation in / von biographischen Texten
14.30
Katja Stoetzer:
Bildanalyse – neue Herausforderungen an die Qualität
erziehungswissenschaftlicher Biographieforschung
9:00 bis 12.30 Uhr: Plenarvorträge
9.00
Bettina Fritzsche, Kerstin Rabenstein, Sabine Reh:
Organisationstypik als Organisationskultur – Einzelschultypische
Lernkulturen in der multiperspektivischen Rekonstruktion von
Geschichten und Praktiken
10.00
Jochen Kade, Christiane Hof:
Subjektformation, Zeitlichkeit, Wiederholung. Zur theoretischen,
methodologischen und empirischen Engführung der Biographieforschung
Arbeitsgruppe 5: Typenbildende Auswertungsverfahren unter Beobachtung
13.30
Friederike Fetting:
„Da dachte ich, … da habe ich gemerkt“ – Zum Stellenwert der
Argumentation in der Dokumentarischen Methode
14.30
Sabine Maschke:
Rekonstruktion der Typenbildung
15.30
Pause
11.00-11.30 Pause
11.30
Theodor Schulze:
Von Fall zu Fall. Über das Verhältnis von Allgemeinem, Besonderem
und Individuellem in der erziehungswissenschaftlichen
Biographieforschung
12.30-13.00 Abschlussplenum
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Abstracts
Abstracts der Beiträge in chronologischer
Reihenfolge
Plenarvorträge am Montag
Micha Brumlik (Frankfurt): Typ und Prototyp. zur systematischen
Bedeutung des allerersten Falles: Die "Confessiones" von
Augustinus.
Dass Menschen ihr Leben selbst beschreiben – und nichts anderes heißt „
Auto -Bio-Graphie“ - ist nicht selbstverständlich und auch keine natürliche,
gleichsam anthropologische Gegebenheit. Zwar ist es möglich, dass das
menschliche (Selbst)bewusstsein narrativ konstituiert ist, doch ist die auf den
Lebenslauf bezogene geordnete Erfahrung damit nicht identisch.
Autobiographien sind Textsorten, die sehr wesentlich der jüdisch und
griechisch, der christlichen Kultur des Okzidents angehören und auf einer so
nur in diesem Kulturraum bekannten Form der Zeiterfahrung und der
Personaliät beruhen. Diese Form der Zeiterfahrung und diese Form der
Personalität geben indes nicht nur die Folie für alle Formen der
Autobiographie, sondern auch die Kategorien für Ihre Analyse vor. Hier gilt
die kantische Feststellung, dass die Bedingungen der Möglichkeit der
Erfahrung zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der
Erfahrung ist, in besonderer Weise. Auch wenn es, wie man etwa den
Studien Georg Mischs entnehmen kann, schon vor den „Confessiones“
autobiographisch getönte Texte in der klassischen antike gegeben hat, steht
doch fest, dass die „Confessiones“ des Augustinus als Prototyp aller
Autobiographien gelten können und eine herausragende hemeneutische
Funktion aufweisen.
Rudolf Tippelt (München): Idealtypen konstruieren und Realtypen
verstehen – zur Kombination von quantitativen und qualitativen
Forschungsmethoden
Mit M. Weber wird zwischen den der Erkenntnis dienenden, aber empirisch
kaum vorkommenden (reinen) Idealtypen und den empirisch auftretenden
Realtypen unterschieden, wobei dimensionale und kategorisierende
Forschungsprozesse zur Sprache kommen. Die Entwicklung von Idealtypen
bedarf der theoretischen Konstruktion und lässt sich durch qualitative und
induktive Forschungsmethoden ergänzen. Die Deskription und Erklärung von
Realtypen basiert zum einen auf der theoretischen Konstruktion, der
empirischen Operationalisierung und der Ermittlung quantitativer Verteilungen
– zum anderen unterstützen und vertiefen qualitative Forschungsmethoden
(insbesondere Tiefeninterview und Gruppendiskussion) in diesem Kontext das
Verstehen von Realtypen. Auftretende Probleme sollen an Beispielen der
Forschungspraxis (z.B. Milieuforschung, Soziotopenansatz,
Attribuierungsforschung) verdeutlicht werden.
Ralf Bohnsack (Berlin): Die Mehrdimensionalität der Typenbildung
und ihre Aspekthaftigkeit
Probleme der Repräsentanz, Typenbildung und Generalisierung finden in der
qualitativen Sozialforschung immer noch wenig Aufmerksamkeit. Dort, wo
dies überhaupt der Fall ist, herrscht weitgehend Konsens, dass im Anschluss
an Max Weber dem auf der Basis von Repräsentativität gebildeten
Durchschnittstypus (d. h. des „durchschnittlich gemeinten“ Sinns) das Modell
des Idealtypus gegenübergestellt werden soll, welcher auf die Repräsentanz
tiefer liegender Sinnstrukturen zielt, dass also in der Bildung von Idealtypen
der Schlüssel zur Generalisierung im Bereich qualitativer Analyen zu suchen
ist. In forschungspraktischer Hinsicht hat hier die Grounded Theory mit ihren
Strategien der komparativen Analyse und des theoretischen Sampling einen
ersten Entwurf vorgelegt.
Die im Anschluss hieran in der qualitativen Sozialforschung diskutierten
Modelle zeichnen sich allerdings zum einen durch eine einseitige Rezeption
des Weberschen Begriffs des Idealtypus aus. Zum anderen gehen diese
Modelle davon aus, dass die fallspezifischen Beobachtungen (bzw. die
Beobachtungen an mehreren Fällen) mit dem Typus möglichst weitgehend zur
Deckung zu bringen, ihm also mehr oder weniger zu subsumieren sind.
Demgegenüber haben nach dem Modell der Typenbildung, wie es im Kontext
der dokumentarischen Methode entwickelt worden ist,
Generalisierungsleistungen – geradezu umgekehrt – ihre Voraussetzungen
darin, dass die Grenzen des Geltungsbereichs des Typus, dass also
Kontingenzen bestimmt werden können, indem fallspezifische Beobachtungen
aufgewiesen werden, die anderen Typen zuzuordnen sind. Am Fall sind somit
grundsätzlich unterschiedliche Typen bzw. Typiken, d.h. unterschiedliche
Dimensionen oder „Erfahrungsräume“, auf der Grundlage der komparativen
Analyse zu rekonstruieren.
Die qualitative Forschung kann sich dem Qualitätskriterium der
Generalisierbarkeit insofern grundsätzlich nicht entziehen, als auch im Falle
von Studien, die sich dezidiert als Einzelfallanalysen verstehen, sich das
Problem der Reichweite und somit auch der Generalisierungsfähigkeit der
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Abstracts
Interpretationen in der Weise stellt, dass jede theoretisch relevante
Interpretation den Fall lediglich aspekthaft oder dimensionenspezifisch erfasst
– auch wenn dies nicht reflektiert wird. Es kommt darauf an, die
Aspekthaftigkeit des empirischen Zugangs (welchen Aspekt des Falles
erfassen wir aufgrund der gewählten Grundbegrifflichkeiten?) wie auch
dessen ‚Dimensionengebundenheit‘ (welche Dimension des Falles erfassen wir
aufgrund der gewählten Vergleichshorizonte oder -fälle?) methodisch zu
kontrollieren.
Udo Kelle (Marburg): Typenbildung als theoriegenerierendes
Verfahren - die zentrale Bedeutung der Fallkontrastierung
Abstract fehlt
Robert Kreitz (Göttingen): Zur Beziehung von Fall und Typus Anregungen aus der Analytischen Philosophie
In meinem Vortrag möchte ich mich mit der Frage der Beziehung zwischen
Fall und Typus beschäftigen. Hierbei möchte ich in einem ersten Schritt die
gängige Praxis, auf der Grundlage eines zwischen Theoriegenerierung und
Datenanalyse hin- und herwandernden Prozesses des theoretical sampling
Typologien hervorzubringen, insofern problematisieren, als ich glaube, dass
dabei weniger eine Theorie der untersuchten Phänomene, sondern vielmehr
eine Semantik, mit deren Hilfe man auf neue Weise über diese Phänomene
sprechen kann, generiert wird. Obgleich semantische Klärungen und
Neuschöpfungen ein wichtiger und keineswegs trivialer Aspekt von Forschung
ist, bleibt m. E. unklar, welchen Status die durch das erwähnte Procedere
generierten begrifflichen Unterscheidungen, Zuordnungen und Typologien
haben: Beschreiben sie bloß auf mehr oder weniger geeignete Weise die
Oberflächenstruktur der Phänomene, oder wird durch sie ihre „Tiefenstruktur“
erfasst?
Um einer Klärung dieser Frage näherzukommen, möchte ich in einem zweiten
Schritt einige Überlegungen zum Verhältnis von type und token (Typ und
Vorkommnis) in der Analytischen Philosophie vorstellen. Sie scheinen darin zu
münden, dass Typen aus Theorien eines Gegenstandsbereichs abgeleitet
werden (Linda Wetzel: Types and Tokens. In: Stanford Encyclopedia of
Philosophy. 2006). Man muss demnach bereits über eine Theorie verfügen,
um Typologien aufbauen und die Zuordnung von Fällen zu Typen leisten zu
können. Wäre dies wahr, dann ließe sich daraus folgern, (a) dass die Bildung
von Typologien kein Zwischenschritt der Abstraktion vom Einzelfall zur
Theorie kann, sondern eher zum „Finish“ einer gegenstandsbasierten
Theoriebildung gehört, und (b) dass biographieanalytische Typologien, falls
sie nicht Ausdruck (impliziter) Theorien sprachlicher Bedeutung sein sollen, im
Kontext einer allgemeinen Theorie des Lebenslaufs gestellt werden müssen.
Zu einer allgemeinen gegenstandsbasierten Theorie des Lebenslaufs würden
Sätze gehören, die zwar aus der Erfahrung gewonnen wurden, aber
notwendigerweise wahr sind. Sätze dieser Art (notwendige Wahrheiten a
posteriori) sind Gegenstand von Saul Kripkes Naming and Necessity
(1971/1980). Kripke betrachtet Bezeichnungen, die zwar anhand von
Oberflächenmerkmalen der Objekte, auf die sie sich beziehen, eingeführt
wurden (Gold: ein gelblich glänzendes relativ schweres und weiches Metall),
damit aber Stoffe gleicher Art bezeichnen. Es kann sich daher herausstellen,
dass Dinge, die wir bislang z. B. als Gold betrachtet haben, nicht Gold sind,
weil sie nichts mit dem chemischen Element Gold zu tun haben, sondern nur
die Oberflächenmerkmale mit Gold gemeinsam haben.
Die Frage, die ich daher in einem dritten Schritt erörtern möchte, lautet, ob
Ausdrücke wie „Verlaufskurve“, „Wandlungsprozess“ in Fritz Schützes Theorie
der Prozessstrukturen des Lebensablaufs strikte Bezeichner (rigid designators)
im Sinne Kripkes sind und was es heißen kann, auf empirischem Wege etwas
über ihre substantiellen Eigenschaften herauszufinden.
Arbeitsgruppe 1 (Die 9-12): Typenbildung: Habitus, Raum und
Biographie
Florian von Rosenberg (Hamburg): Orientierung und sozialer Raum:
Zwei unterschiedliche Formen der Typenbildung
Über den Einzelfall hinausweisende Typenbildungen ergeben sich in der
qualitativen Sozialforschung üblicherweise durch die Rekonstruktion von
handlungsleitenden Orientierungen. Allein die Orientierungen von Akteuren
herauszuarbeiten wird einer dichten Beschreibung von Sozialität jedoch nur
bedingt gerecht, insofern Orientierungen sich immer im sozialen Raum
vollziehen. So weisen Studien unterschiedlichster soziologischer Provenienz
über Luhmann, Habermas, Bourdieu und Giddens immer wieder auf die
Eigenlogik von sozialen Systemen, Feldern oder Räumen hin, welche sich
nicht vollständig durch oder aus den Handlungen von Akteuren oder
Akteursgruppen und damit auch nicht aus deren Orientierungen erklären
lassen. Nimmt man diesen Befund ernst, muss man die Rekonstruktion von
Orientierungen durch die Rekonstruktion von sozialen Räumen ergänzen.
Dabei werden soziale Räume verstanden als eigenlogisch funktionierende
relationale soziale Gebilde mit einer eigenen Genese, welche
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Abstracts
mehrperspektivisch strukturiert sind. Die Eigenlogik der sozialen Räume
erschließt sich wie bei den Orientierungen auch nur durch die Kontrastierung
und die komparative Analyse von und mit anderen sozialen Räumen. Neben
Typenbildungen von Orientierungen können so unterschiedliche Typen von
sozialen Räumen, Feldern oder Systemen herausgearbeitet werden. Ziel ist
dabei Relationierungen zwischen Orientierungen und sozialen Räumen
beleuchten zu können. Exemplarisch soll dies anhand eines
forschungspraktischen Beispiels, in dem es um die alltägliche
Auseinandersetzung von Peergroups mit der Institution Schule geht,
dargestellt werden (vgl. von Rosenberg 2007). Hier zeigt sich, dass
Orientierungen zwar raumübergreifend funktionieren, dass sie jedoch durch
den regelmäßigen und typologisierbaren Charakter von sozialen Räumen
immer wieder auf ähnliche Problemlagen stoßen, was dazu führt, das die
Orientierungen für verschiedene soziale Räume unterschiedliche Strategien
ausbilden. Die Rekonstruktion dieser Strategien hilft das Wechselspiel
zwischen unterschiedlichen Typen von Orientierungen und sozialen Räumen
differenzieren und verstehen zu können.
Literatur
Rosenberg von, Florian (2007): Habitus und Distinktion in Peergroups. Ein
Beitrag zur Rekonstruktiven Schul- und Jugendkulturforschung, Berlin:
Logos (im Erscheinen)
Helmut Bremer (Hamburg/Leipzig), Andrea Lange-Vester
(Hannover), Christel Teiwes-Kügler (Hannover): Typenbildung in der
Habitus- und Milieuforschung
In dem geplanten Vortrag geht es um die Vorstellung und Diskussion eines
typenbildenden Verfahrens, das dem theoretisch-methodologischen Ansatz
von Habitus und Feld nach Pierre Bourdieu folgt. Das Verfahren wurde in
langjähriger empirischer Forschungsarbeit in der typenbildenden Habitus und
Milieuanalyse an der Universität Hannover entwickelt.
Wir nutzen dabei verschiedene theoretische Elemente. Zunächst knüpfen wir
an die von Bourdieu im Anschluss an Durkheim herausgearbeitete
Korrespondenz von mentalen und sozialen Strukturen an. Für die qualitative
Arbeit folgern wir daraus, dass die in der Praxis und den Narrationen der
Akteure eingesetzten Bewertungsmuster zugleich gesellschaftliche
Teilungsprinzipien repräsentieren; im Zusammenhang von Klassen und
Klassifizierungen ist somit die Verbindung von Makro- und Mikroebene
angelegt und kann hermeneutisch herausgearbeitet werden. Im weiteren
folgen wir Bourdieu darin, dass sich der Habitus in spezifischer Weise in
einem sozialen Feld entfaltet und somit zugleich auf die Dynamik und die
aktuellen Kräfteverhältnisse im Feld verweist.
Die von uns qualitativ herauszuarbeitenden Typen und Typologien sollen die
milieuspezifischen Praktiken für ein bestimmtes Feld (z.B.
Erwachsenenbildung, Hochschule) abbilden. Die empirische Typenbildung
erfolgt durch eine Stichprobe, die orientiert ist an einer statistisch
repräsentativen Makrotypologie sozialer Milieus. Diese Makrotypologie, die die
Klassenstruktur der Gesellschaft abbildet, ist selbst zunächst qualitativ
gefunden und mittels eines daraus entwickelten standardisierten Instruments
quantifiziert worden. Die von uns herausgearbeiteten feldspezifischen
Habitus- und Milieutypologien können naturgemäß keine statistische
Repräsentanz beanspruchen, zielen vielmehr darauf, im Sinne inhaltlicher
Repräsentanz und theoretischer Sättigung das milieuspezifische Spektrum der
Praktiken im sozialen Feld auszuleuchten. Dazu bedarf es in der Regel
vergleichsweise großer Stichproben. Prinzipiell halten wir es für möglich,
unsere Typologien mit einem entsprechenden Instrument auch zu
quantifizieren.
Die Typenbildung erfolgt nach der Ähnlichkeit bzw. dem Kontrast der
Habitusmuster. Dabei legen wir zum einen Bourdieus praxeologischen Ansatz
zu Grunde, wonach Wahrnehmungen, Bewertungen und Handeln der sozialen
Akteure überwiegend auf inkorporierten, vorreflexiven Schemata
aufbauen.Zum anderen gehen wir davon aus, dass der Habitus einen
Zusammenhang zwischen ganz unterschiedlichen Dingen stiftet und dabei
dennoch ein einheitliches, in sich logisches (nicht unbedingt
widerspruchsfreies) Prinzip (modus operandi) bildet. Wir verstehen daher den
Habitus als ein Ensemble unterschiedlicher, aufeinander bezogener
Einstellungen und Haltungen, die die Praxis strukturieren. Bei der Bildung von
Habitustypen, für die Bourdieu selbst nur in Ansätzen eine Methodologie
vorgelegt hat, nutzen wir daher das Syndromkonzept von Theodor Adorno
u.a., das darauf angelegt ist, unter einen Typus verschiedene Züge und
Dispositionen zu einem sinnvollen Ganzen zusammen zu fügen.
Folgt man Ralf Bohnsacks Unterteilung in eine „Typenbildung des Common
Sense“ und eine „praxeologische Typenbildung“, ist die hier vorgestellte
Typenbildung letzterem zuzuordnen. Ferner handelt es sich nur begrenzt um
idealtypische Konstrukte im Sinne Max Webers; es bleiben relativ dicht am
empirischen Material entwickelte Realtypen. Einzelfälle bilden dabei den Typus
prototypisch ab; insgesamt streuen jedoch die Fälle um den Prototypus.
Für die hermeneutische Auswertung und Typenbildung müssen Kriterien
gefunden und festgelegt werden, die die Zuordnung und Abgrenzung des
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Abstracts
Typus begründen. Dabei kommen heuristische Kategorien zur Anwendung,
die sich im Verlauf der Forschungsarbeiten für die Differenzierung von
Habituszügen als besonders geeignet erwiesen haben. Die Typenbildung
erfolgt demnach nicht theoriefrei, ist jedoch im Hinblick auf das zu
untersuchende Feld offen-explorativ und theoriegenerierend. Die
Typenbildung vollzieht sich als Prozess, in dem sich langsam die Konturen der
einzelnen Typen und ihre Beziehung zueinander entwickeln und sich immer
wieder auch Änderungen und Verschiebungen ergeben. Die Stichprobe wird,
hier ähnlich wie beim theoretical sampling, im Verlauf der Untersuchung auf
der Basis von Zwischenergebnissen aufgefüllt und variiert. Mit der
Herausarbeitung der einzelnen Typen und deren vielschichtigen Beziehungen
zu einander entwickelt sich langsam die gesamte Typologie. Mit deren
Entstehen werden dann auch die Logiken des Feldes deutlich, können die
Regeln und Kräfteverhältnisse des Feldes aufgedeckt werden. Sichtbar
werden dominierende Gruppen, die die ‚Spielregeln’ des Feldes beherrschen
und bestimmte Leitbilder vorgeben. Ebenso zeigen sich die Konfliktlinien, die
zu anderen sozialen Gruppen des Feldes bestehen.
Unsere qualitativen Typologien ermöglichen daher auch, die relative
Eigenlogik der Felder herauszuarbeiten. Leitend dafür ist Webers Maxime,
wonach es ein Grundgedanke der Sozialwissenschaften ist, Typenbegriffe zu
bilden und generelle Regeln des Geschehens zu suchen. Im Anschluss an
Bourdieu kann somit ein Beitrag für eine Theorie der sozialen Felder
beigesteuert werden – einerseits dahingehend, inwiefern es allgemeine
Gesetze von Feldern gibt, andererseits dafür, inwiefern zugleich jedes Feld
eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt.
Thorsten Fuchs (Gießen): Theorieentwicklung bildungstheoretisch
orientierter Biographieforschung oder: Was sind die Probleme und
Perspektiven einer qualitativen Bildungsforschung mit
bildungstheoretischem Zuschnitt?
Die so genannte „bildungstheoretisch orientierte Biographieforschung“
rekonstruiert das für das Bildungsdenken bedeutsame Ich-Welt-Verhältnis
durch narrativ-autobiographische Interviews, d.h. sie „interessiert sich
empirisch für den Aufbau, die Aufrechterhaltung und die Veränderung der
Welt- und Selbstreferenzen von Menschen“ (Marotzki 1999, 58). Das
Verhältnis eines Menschen zu sich selbst und zur Welt wird hierbei auf
mikrostruktureller Ebene, d.h. im primordialen Analysefokus auf das Subjekt,
im empirischen Material analysiert, um so Bildungsprozesse in
lebensgeschichtlichen Zusammenhängen zur Darstellung zu bringen (vgl.
Marotzki 1990, Koller 1999; von Felden 2003; Nohl 2006). Auf diese Weise
ergibt sich „die Möglichkeit, Grundlagentheorie philosophisch und theoretisch
elaboriert“ (Marotzki 1996, 80) sowie „empirisch gehaltvoll und differenziert
zu betreiben“ (ebd.) – und damit zugleich die beiden Antipoden
Bildungstheorie und Bildungsforschung über die Kategorie der Biographie
zusammenzuführen.
Diese Forschungsrichtung und ihre Bestrebung werden in dem Vortrag einem
kritischkonstruktiven Blick unterzogen. Dabei wird zuerst die angestrebte
Vermittlung zwischen Bildungstheorie und Bildungsforschung diskutiert und
daraufhin die These zu plausibilisieren versucht, dass die bildungstheoretische
Orientierung der bislang zu diesem Forschungszweig vorgelegten Ansätze zu
intensivieren bzw. zu erweitern ist. Nicht lediglich für die Aufrechterhaltung
des Vermittlungsanspruchs bildungstheoretisch orientierter
Biographieforschung, sondern gerade auch für ihre Theorieentwicklung
scheint die Beschäftigung mit Fragen lohnend und sogar notwendig zu sein,
die einen zu stärkenden bildungstheoretischen Akzent thematisieren und auch
den Weltverhältnissen, die in den bisherigen Ansätzen mitunter
unterbeleuchtet bleiben, mehr Aufmerksamkeit widmen (vgl. Wigger 2004).
Möglicherweise liegt nämlich die Entwertung der inhaltlichen Bedeutungsfülle
von Welt in den Ansätzen bildungstheoretisch orientierter
Biographieforschung an der Überbetonung der Subjektivitäts- bzw.
Selbstzentriertheit, die eben gerade dadurch eine Egalisierung der
„mannigfaltigen Weltverhältnisse“, wie man mit Wilhelm von Humboldt
formulieren könnte, begünstigen. Ein Weiterdenken bildungstheoretisch
orientierter Biographieforschung scheint deshalb nicht zuletzt vor dem
Hintergrund einer eigenständigen, die Fragen der Erziehungswissenschaft
ernst nehmenden und aufgreifenden „Empirie der einheimischen Begriffe“
(Gruschka 2006, 6) geboten. Für zusätzlichen Diskussionsstoff sorgt auch die
Frage, ob und inwiefern sich eine bildungstheoretisch orientierte
„Biographieforschung den Qualitätsstandards qualitativer Sozialforschung und
dem Problem der Generalisierbarkeit ihrer Aussagen stellen muss“ (Krüger
2006, 27). Bislang hierzu vorgelegte Antworten, die Vorschläge für eine
Verallgemeinerung – mindestens im Sinne einer Typenbildung – unterbreiten,
können nicht gänzlich überzeugen.
Aus dem laufenden Dissertationsprojekt werden anhand erster
Interviewauswertungen mit Jugendlichen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren
Perspektiven einer bildungstheoretisch orientierten Biographieforschung
vorgestellt, die auch die Weltverhältnisse der „Informanten“ stärker in den
Blick nehmen. Dabei soll illustriert werden, wie diese Interviews über die
9
Abstracts
Fokussierung auf die sprachlich-gedankliche Auseinandersetzung der
Jugendlichen mit sich selbst, mit anderen und mit Welt nicht zunächst und
zumeist die in der Biographieforschung häufig in den Blick genommenen
„Prozeßstrukturen des Lebensablaufs“ (Schütze 1981) in den Mittelpunkt der
Analysen stellen, sondern deren kritisches Bedenken und problematisierendes
Infragestellen all dessen, was etwa durch Erziehung, Sozialisation und Lernen
auf ihr Selbst-, Fremd- und Weltbild Einfluss nimmt (vgl. Ruhloff 1996).
Literatur
Felden, H. von (2003): Bildung und Geschlecht zwischen Moderne und
Postmoderne. Opladen: Leske + Budrich.
Gruschka, A. (2006): „Anmerkungen zur Zukunft der Pädagogik als
wissenschaftlicher Disziplin“. URL:
http://dgfe.pleurone.de/termine/ZurLagederErziehungswissenschaft_
folder/Gruschka.pdf [Stand: 07.03.2006].
Krüger, H.-H. (2006): „Entwicklungslinien, Forschungsfelder und Perspektiven
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Marotzki, W. (1990): Entwurf einer strukturalen Bildungstheorie.
Biographietheoretische Auslegung von Bildungsprozessen in hochkomplexen
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wissenschaftliche Pädagogik 80. Jg., H. 4, S. 478-493.
Arbeitsgruppe 2 (Die 9-12): Theoriegenerierung in der Jugend-,
Medien- und Moralforschung
Heike Ohlbrecht (Berlin): Qualitative Typenbildung als
Herausforderung für die Theorieentwicklung - am Beispiel
jugendlicher Identitätsarbeit."
Im Rahmen einer qualitativen Studie wurde dem Zusammenhang zwischen
Biografie, Identität und Leiblichkeit und dessen Krisenhaftigkeit am Beispiel
chronischer Krankheit im Jugendalter nachgegangen. Mittels Sequenzanalyse
(Oevermann) wurden Leitfadeninterviews ausgewertet und die Ergebnisse zu
Fallrekonstruktionen verdichtet. Ziel der Fallrekonstruktionen ist nicht die
Identifikation des relativen Anteils der Varianz von Einzelfaktoren (z. B.
Krankheitsschwere, Bildung, Familiensituation) am Bewältigungsprozess
kritischer Lebensereignisse, sondern die Identifikation typisierbarer und damit
strukturell generalisierbarer Konstellationen steht im Vordergrund, die die
Identitätsarbeit chronisch kranker Jugendlichen aus Strukturmomenten der
unterschiedlichen Sozialisationsumwelten im Zusammenspiel mit den
individuellen Entwicklungsaufgaben der Jugendlichen verständlich machen
und erklären.
Die Ergebnisse qualitativer Forschung erheben keinen Anspruch auf
universelle Relevanz, stellen aber kontextualistische Erklärungen dar, die von
befristeter Gültigkeit, von lokaler Anwendbarkeit und von perspektivischer
Relevanz sind (Bude). Insbesondere das Verfahren der Typenbildung läuft
darauf hinaus, aus der Vielzahl der dargestellten Interpretationen typische
Strukturen zu extrahieren. Die Typenbildung knüpft damit unmittelbar an das
Problem der Generalisierung an und somit an Fragen der
Verallgemeinerbarkeit von interpretativen Forschungsergebnissen und der
Frage danach, ob ein beschriebener Einzelfall auf eine Typizität verweist. Wie
kann man zu validen Typisierungen gelangen, was ist typisch an den
untersuchten Fällen? Methodologisch wurde in der Studie von einer
Verknüpfung der Grounded Theory (Glaser/Strauss) mit der
fallrekonstruktiven Forschung (Oevermann/ Hildenbrand) ausgegangen. Um
zu Typen zu gelangen, wurden anhand eines zirkulären Vergleichs nach
10
Abstracts
internen und externen Kriterien, Orientierungsmuster der Jugendlichen
rekonstruiert. Davon ausgehend wurde danach gefragt, inwiefern diese
Orientierungsmuster die Identität beeinflussen. Von diesen Überlegungen
ausgehend, ließen sich mittels einer komparativen (Fall)Analyse (theoretical
Sampling) Typen der Auseinandersetzung mit einer chronischen Krankheit,
wie sie sich auf der Ebene der Identität(sarbeit) zeigen, ermitteln. Die
rekonstruierten Typen jugendlicher Identitätsarbeit sind folgende:
Transformation und Wandlung der Identität, Wiederherstellung und Reparatur
der Identität, Kontinuität und Erhalt der Identität sowie Verlust, Beschädigung
der Identität.
Ausgehend von sensibilisierenden Konzepten, die mittels der empirischen
Analyse konkretisiert und modifiziert werden, kann somit zu einer
Theorieentwicklung gelangt werden. Am Beispiel vorliegender Studie wird
deutlich, dass Krankheiten fast paradigmatisch Chiffren für unsicherere
Situationen darstellen und sich aus dem Umgang mit der Krankheit, mit der
fallrekonstruktiven Analyse der Neubalancierung des Leib-KörperIdentitätsgefüges Schlussfolgerungen ziehen lassen, die verdeutlichen, wie
Jugendliche typischerweise mit biografischen Unsicherheiten umgehen.
Martina Schuegraf (Postdam): Subjektkonstitution bei
medienkonvergenter Interaktion. Ein Beispiel zur
Schüsselkategorie- und Theoriegenerierung
Im Rahmen meiner Dissertation zum Thema „Medialität und
Subjektkonstitution. Medienkonvergente Interaktionen am Beispiel von
Musikfernsehen“, habe ich die identitätsstiftende Bedeutung
medienkonvergenter Interaktionen für die Subjektkonstitution untersucht. Am
Beispiel von Musikfernsehen sind dabei die spezifischen Handlungsweisen
Jugendlicher und junger Erwachsener im Umgang mit diesem Medium und
den dazugehörigen Internetseiten einer qualitativ-empirischen Analyse
unterzogen worden. Dabei wurden auch medienbiografische Prozesse in den
Blick genommen, um Erkenntnisse über die „Mediensozialisation“ der
Nutzenden zu erhalten. Denn im Verlauf ihrer selbstverständlichen
Sozialisation mit Medien entwickelt sich ihr Wissen über Medien und deren
Inhalte, variiert sich, wird verworfen, transformiert und wieder neu
hergestellt. Die forschungsleitende Frage lautete, was Medienkonvergenz für
das (Inter-)Agieren und die Konstitution von Subjektivität der
Mediennutzenden in ihrem Alltag bedeutet. Um diese Frage angemessen
beantworten zu können, zeigte sich nach den ersten Interviewdurchführungen
und –auswertungen, dass sich insbesondere der Prozess der Subjektivation
(Butler) mittels Performativitätstheorien begreifen lässt. Medien sind
performativ, sie führen ihre Inhalte auf und konstituieren auf diese Weise
Wirklichkeit, somit wirken sie auch auf die Konstitution von Subjektivität. Da
es sich hier um eine gegenstandsbezogene, theoriebildende Untersuchung
handelt, bei der die Rekonstruktion des Interviewdatenmaterials und die am
Gegenstand orientierte Theoriebildung im Mittelpunkt steht, werden diese
Konzepte als „Sensitizing concepts“ (Kelle/Kluge 1999, S. 25) behandelt, um
letztlich das Datenmaterial zu verdichten. Mittels der Grounded Theory
konnten drei Schlüsselkategorien gewonnen werden, die als Repräsentanzen
für den Prozess der Subjektivation bei medienkonvergenter Interaktion
begriffen werden können und somit über den Einzelfall hinausreichen.
In meinem Vortrag möchte ich zum einen aufzeigen, dass die Genese von
Schlüsselkategorien nicht zwingend zu einer Typenbildung führen muss,
sondern als ein über den Einzelfall hinausweisendes Modell gefasst werden
kann, das (in diesem Fall) zu Aussagen und Erkenntnissen über den
Zusammenhang von Medienkonvergenz, Mediennutzung und
Subjektkonstitution führt. Zum zweiten soll es darum gehen, darzustellen, wie
schließlich Empirie und Theorie miteinander verknüpft werden können, um zu
einer Theoriegenerierung auf der Basis dieser extrapolierten
Schlüsselkategorien im Sinne von Strauss (1998) zu gelangen.
Literatur:
Kelle, Udo/Kluge, Susanne (1999): Vom Einzelfall zum Typus. Leske und
Budrich, Opladen.
Strauss, Anselm L. (1998): Grundlagen qualitativer Sozialforschung, 2.
Auflage. Wilhelm Fink Verlag, München.
Monika Witzke (Augsburg): Moral in konkreten Situationen –
methodische Aspekte am Beispiel des MoKKiE-Projekts
Der Beitrag beschäftigt sich aus einer konstruktivistisch-interaktionistischen
Perspektive mit der Frage nach der Repräsentanz von Ergebnissen qualitativer
Forschungsmethoden und daraus erwachsenden Folgen für den Stellenwert
einer in wechselseitiger Verwiesenheit von theoretischer Reflexion und
empirischer Forschung gewonnenen Theorie. Diese Problematik wird am
Beispiel des Projekts „Moralbezogene Konzepte und Ko-Konstruktionsprozesse
in Eltern-Kind-Beziehungen (MoKKiE)“ betrachtet, in dem u.a.
Gruppendiskussionen und Leitfadeninterviews durchgeführt werden.
An ausgewählten Beispielen sollen zwei Zugänge gegenübergestellt werden,
die versuchen, sich Moralkonzepten anzunähern: Erstens Narrationen über
Situationen, die vom jeweiligen Probanden selbst erlebt wurden, und zweitens
11
Abstracts
vorgegebene hypothetische Situationen, die vom Probanden reflektiert
werden sollen (Vignetten). Dabei stellt sich die Frage, ob der Schluss von
konkreten Situationen auf Moralkonzepte und somit auch die Herausbildung
von Mustern im Sinne einer Typenbildung überhaupt zulässig sein kann. Es
werden erste Ergebnisse aus dem MoKKiE-Projekt herangezogen, ihre
Repräsentanz geprüft und im Anschluss mögliche Konsequenzen für eine
Theoriegenerierung diskutiert.
Arbeitsgruppe 3 (Die 9-12): Zur Triangulation
hypothesenüberprüfender und rekonstruktiver Sozialforschung
Maren Zschach, Sina Köhler (Halle): Kinder und ihre Freunde Mehrdimensionale Typenbildung zum Verhältnis von
Bildungsbiographien und Peergroup-Einbindung
Bezogen auf das Problemfeld Typenbildung soll es in diesem Vortrag um erste
Forschungsresultate des DFG-Projektes: „Peergroups und schulische Selektion
– Interdependenzen und Bearbeitungsformen“ und insbesondere um den
Prozess der Gewinnung und Systematisierung dieser Ergebnisse gehen.
Empirisch soll u.a. untersucht werden, welche Bedeutung schulische und
außerschulische Gleichaltrigengruppen für schulisch erfolgreiche bzw. weniger
erfolgreiche Bildungsbiographien haben. Methodisch ist das Projekt als
qualitative Längsschnittstudie mit drei Untersuchungswellen angelegt, wobei
der erste Erhebungsdurchlauf, welcher mit Kindern der fünften
Jahrgangsstufe durchgeführt wurde, inzwischen abgeschlossen ist. Das
Forschungsdesign basiert auf einem gestuften Setting, wobei ausgehend von
einer quantitativen Vorstudie zunächst thematisch strukturierte, biographische
Interviews erhoben wurden. Anschließend folgten Gruppendiskussionen und
teilnehmende Beobachtungen einiger interviewter Kinder, die unter der
Maßgabe, ein möglichst breites Spektrum stark kontrastiver Fälle abzubilden,
ausgewählt wurden.
Anhand von heuristischen Grundannahmen, basierend auf Ergebnissen
bislang vorliegender quantitativer und qualitativer
Querschnittsuntersuchungen, formulierten wir zunächst vor dem Beginn
unserer Erhebung fünf Muster zur Relevanz von Peergroups für die schulische
Bildungsbiographie. Diese hatten für die Suche nach interessanten Fällen eine
gewisse Orientierungsfunktion, bestätigten sich jedoch anhand unserer
Analysen nur teilweise.
Bei dem von uns angestrebten Versuch einer Typen- bzw. Musterbildung
triangulierten wir das Material zunächst auf der Ebene des Einzelfalles, der
hier aus dem Kind und seiner Peergroup besteht. Während es bei der
Bearbeitung der Interviews darum ging, individuelle Orientierungen und
habituelle Fundierungen im Bezug auf die ausgewählten Analyseschwerpunkte
Familie, Peergroups und Schule zu entschlüsseln, wurden anhand der
Gruppendiskussionen kollektive Orientierungen u.a. zum Thema Schule und
hinsichtlich spezifischer Freizeitpraxen rekonstruiert. In der Darstellungsform
von Fallportraits fassten wir Ergebnisse aus den Analysen der Interviews und
Gruppendiskussionen zusammen. Im Anschluss daran erfolgt mit der
Entwicklung von Mustern bzw. Typen eine auf den Gegenstand der Studie
bezogene fallkontrastive Analyse. Dieser sinngenetischen Typenbildung folgt
eine, auf soziale Kategorisierung und sozialstrukturelle Merkmale bezogene
soziogenetische Typenbildung. Hier soll untersucht werden, welche Rolle z.B.
Geschlecht, Migrationshintergrund der Kinder und der Faktor sozialer
Ungleichheit für die Fragen des Schulerfolges bzw. der Zugehörigkeit zu einer
Peergroup spielen.
Anhand von konkreten Beispielen und der Vorstellung unserer Analyseschritte
soll im Vortrag der Frage nachgegangen werden, ob sich z.B. die Plastizität
und Erklärungskraft später herauszuarbeitender Typen bzw. Muster nicht
bereits auf der Ebene der Entwicklung des Forschungsdesigns nachhaltig
beeinflussen lässt und durch das Mittel der Methodentriangulation
differenziertere Analyseresultate erzielbar sind. Zum anderen soll das
Vorgehen der schrittweisen Musterbildung diskutiert werden, welches uns
zum einen aufgrund der Kombination verschiedener Materialsorten auf der
Ebene des Einzelfalles als notwendig erschien, als auch garantieren soll, dass
dessen Individualität in seiner Komplexität jeweils die Basis verschiedener
Typisierungen bildet.
Christine Wiezorek (Jena), Sylke Fritzsche (Bern):
Methodentriangualation im Forschungsprozess. Zur Relevanz
qualitativer Forschung für die Reflexion quantitativer
Forschungsverfahren
Eines der Ergebnisse, das in der gängigen sozialwissenschaftlichen,
quantitativ orientierten Forschung zu Jugend und politischen Einstellungen
immer wieder reproduziert wird, ist der Befund, dass mit steigenden
Bildungsgrad – gemessen zumeist an der besuchten Schulform –
fremdenfeindliche Einstellungen abnehmen. Dabei ist zumindest in der
wissenschaftlichen Diskussion bekannt, dass dieser Zusammenhang zwar ein
empirisch gesicherter, dennoch in seinen ‚Wirkmechanismen’ ein allgemeiner,
theoretisch abstrakter Zusammenhang ist, der über den einzelnen Fall
12
Abstracts
zunächst nichts aussagt, insgesamt aber sehr deutlich eine Tendenz derart
angibt, dass bei jemandem, der über einen niedrigen Bildungsabschluss
verfügt, eher Fremdenfeindlichkeit zu erwarten sei als bei jemandem, der eine
höhere Bildung genossen hat. Insofern beansprucht dieser Befund
Repräsentativität.
Dass mit der empirisch belegten Konstitution dieses allgemeinen
Zusammenhanges Wirklichkeitskonstruktionen einhergehen, die im
wissenschaftlichen wie öffentlichen Diskurs auch im Hinblick auf den einzelnen
Fall meinungsbildend sind, bleibt dabei jedoch zumeist unbeachtet. Vor dem
Hintergrund eines je fallbezogen sensibilisierten Forschungszugangs einerseits
und andererseits der Anforderung, angesichts einer auf messbare
Forschungsergebnisse fokussierten Öffentlichkeit eine eigene
Überzeugungskraft zu entwickeln, stehen rekonstruktiv Forschende diesen
Befunden und den sich anschließenden Meinungsbildungsprozessen zumeist
skeptisch gegenüber, ohne jedoch mit den eigenen Forschungsverfahren
solche repräsentativen Befunde grundlegend und umfassend – eben:
repräsentativ – negieren bzw. differenzieren zu können.
Allerdings erweist sich der Rückbezug rekonstruktiv gewonnener
Forschungsergebnisse zum Thema auf das quantitative Forschungs- und
Auswertungsverfahren selbst als höchst instruktiv: So haben wir in Bezug auf
den Zusammenhang von Bildung und Fremdenfeindlichkeit anhand von
Ausschnitten aus zwei hinsichtlich der Schulform maximal kontrastierenden
Gruppendiskussionen mit Jugendlichen exemplarisch nachgezeichnet, dass
Fremdenfeindlichkeit weniger an kognitive Abstraktions- und sprachliche
Elaborationsfähigkeit gebunden ist – was den schulformbezogenen
Bildungsunterschieden entsprechen würde – als an die Haltung der
grundlegenden Achtung des Anderen als einem Gleichen, deren Beförderung
neben der Förderung sogenannter kognitiver Kompetenzen ebenfalls zentrales
Bildungsziel – und zwar aller Schulen – ist.
Diese über die qualitative Forschung erzeugte Repräsentanz – das
Sichtbarmachen unterschiedlicher (‚kognitiver’ und ‚sozialer’) Bildungsaspekte
und deren offensichtliche Unverbundenheit – verwies auf die
Differenzierungsbedürftigkeit des quantitativen Analysevorgehens und stellte
im Forschungsprozess zugleich die Grundlage für eine Arbeitshypothese dar,
nach der der Bildungseffekt als ein stärker durch einzelschulische
(schulformunabhängige) Gegebenheiten moderierter konzipiert werden
konnte. Hierüber ließ sich schließlich anhand quantitativer Analysen –
repräsentativ – aufzeigen, dass es bei niedrigem Bildungsniveau keine
ausgeprägtere Disposition zu fremdenfeindlichen Haltungen gibt als bei
höherem.
Die systematische Triangulation von hypothesengenerierenden und
hypothesenprüfenden Auswertungsverfahren ermöglicht hier – dies soll im
Vortrag vor allem unter methodischem Gesichtspunkt aufgezeigt werden –
beispielhaft eine Vermittlung von qualitativer Repräsentanz und quantitativer
Repräsentativität, die dazu führt, den sehr allgemeinen Befund des
Zusammenhanges von Bildung und Fremdenfeindlichkeit in ‚repräsentativer’
Weise aufzuklären.
Dass auch in Bezug auf die Generierung ‚zähl- und messbarer’ Befunde
(gleichwohl es sich längst nicht darin erschöpft!) qualitative
Forschungsmethoden ein eigenes Potenzial haben, soll zudem veranschaulicht
werden.
Literatur:
Wiezorek, C./Fritzsche, S.: Fremdenfeindlichkeit und Bildung. In: Zeitschrift
für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, in Druck.
Tom Wenzl (Frankfurt): School Shooter – Zum Verhältnis von
statistischem Profil und qualitativer Typenbildung
School Shootings (Schul-Amokläufe) schienen bis vor einigen Jahren noch ein
typisch US-amerikanisches Phänomen zu sein. Spätestens seit den School
Shootings in Erfurt 2002 und Emsdetten 2006 ist jedoch deutlich geworden,
dass es sich dabei vielmehr um ein internationales Handlungsschema handelt,
auf das in schwere Krisen geratene Jugendliche unter bestimmten
Bedingungen in verschiedenen Ländern zurückgreifen. Insbesondere der mit
Schusswaffen ausgerüstete, vermummte School Shooter, der in einer Schule
wahllos auf das Schulpersonal schießt, hat sich mittlerweile als wieder
erkennbare Figur auch im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit etabliert.
Bisherige Forschungsarbeiten, die ausschließlich in den USA durchgeführt
wurden, haben sich aus Gründen des Handlungsbedarfs vor allem auf die
Suche nach Möglichkeiten der Verbesserung von Präventionsmaßnahmen und
Früherkennung von School Shootern beschränkt. Ziel der meisten Arbeiten
war es, ein vor allem für Sicherheitspersonal und Praktiker an Schulen gut
handhabbares Profil des School Shooters zu erstellen. Kennzeichnend für die
fast ausschließlich statistisch ausgerichtete bisherige Forschung ist die Suche
nach verschiedenen Risikofaktoren, die aufsummiert das Gefahrenpotential
von Jugendlichen ergeben sollen. Fasst man die Ergebnisse dieser Studien
zusammen, so findet man trotz der sehr unterschiedlichen
13
Abstracts
Untersuchungsmethoden und ausgewerteten Datenmaterialien folgende
Übereinstimmungen:
- School Shooter planen ihre Taten lange im Voraus.
-
School Shooter zeigen häufig depressive Verstimmungen, ohne
allerdings überdurchschnittlich häufig an schweren psychischen
Erkrankungen zu leiden.
-
Kurz vor ihren Taten erleiden School Shooter schwere persönliche
Niederlagen.
-
Im Unterschied zu Grundgesamtheit aller jugendlichen Mörder
konsumieren School Shootern eher weniger Drogen und Alkohol.
In welchem Verhältnis stehen nun diese statistisch ermittelten Merkmale von
School Shootern, die sozusagen das „Profil“ des School Shooters bilden, zu
qualitativ bestimmten Typen von School Shootern? Fällt qualitativen Analysen
lediglich die Aufgabe zu, den inneren Zusammenhang der verschiedenen,
statistisch ermittelten typischen Merkmale von School Shootern aufzudecken?
Oder handelt es sich um zwei Analyseebenen, die sich nicht überschneiden?
Auf objektiv hermeneutischen Analysen dreier prominenter School Shootings
aufbauend und ausgehend von den methodologischen Prämissen der
Objektiven Hermeneutik möchte ich aufzeigen, warum einzelne
Fallstrukturrekonstruktionen immer zugleich auch Strukturgeneralisierungen
und damit Typen darstellen, und wie verschiedene in Einzelfallanalysen
ermittelte Typen zueinander und zu dem durch statistische Untersuchungen
ermittelten „Profil“ des School Shooters in Beziehung stehen.
Gerade an einem so seltenen Phänomen wie dem des School Shootings, das
für statistische Untersuchungen aufgrund der geringen Fallzahl nur schwer
fassbar ist, kann demonstriert werden, wie bereits über einzelne
Fallstrukturrekonstruktionen Aussagen mit einem gerechtfertigten Anspruch
auf Verallgemeinerbarkeit getroffen werden können, auch wenn diese
Verallgemeinerbarkeit nicht mit dem gängigen Verständnis von empirischer
Verallgemeinerbarkeit übereinstimmt.
Arbeitsgruppe 4 (Die 13.30 - 15.30): Textuelle und visuelle
Repräsentationen
Bettina Dausien (Flensburg): „Geschichten vom Leben“ Methodologische Überlegungen zum Problem der Repräsentation in
/ von biographischen Texten
In der empirischen Arbeit mit biographischen Interviews oder auch
schriftlichen autobiographischen Dokumenten werden vielfältige
Vorannahmen über Repräsentationsverhältnisse gemacht. So gehen wir
zumeist mehr oder weniger „stillschweigend“ davon aus, dass Geschichten,
die z.B. in einem biographischen Interview erzählt werden, „tatsächlich“ so
(oder doch so ähnlich) passiert sind. Wir rekonstruieren biographische Daten
und verlassen uns (mehr oder weniger) auf sie, sofern sie plausibel sind und
sich in unser Kontextwissen einfügen lassen. Oder wir nehmen an, dass die
erzählten Geschichten eine „Erfahrungshaltung“ zum Ausdruck bringen, die
sich im Verlauf einer Lebensgeschichte herausgebildet hat, und wir wagen
mehr oder weniger sichere Deutungen darüber, wie diese Haltung entstanden
ist und welche Bedingungen aus der (vergangenen) Lebenswelt des
biographischen Subjekts dafür verantwortlich waren.
Es gibt gute Gründe, derartige Unterstellungen kritisch zu hinterfragen oder
auch sich ihrer radikal zu enthalten und den Text ausdrücklich „nur“ als Text
zu behandeln (wobei der jeweils zugrundeliegende Textbegriff zu klären
wäre). Ist eine solche Enthaltsamkeit die angemessene Form, mit der „Krise
der Repräsentation“ in der Biographieforschung umzugehen? Verschiebt sie
das Problem nur auf eine andere Ebene? Und – gehen bei einer solchen
Verschiebung am Ende womöglich gerade erziehungswissenschaftlich
interessante Fragen „verloren“, z.B. Fragen nach dem biographischen
Zusammenhang von Erfahrungen und Lernprozessen oder nach den
gesellschaftlichen Kontexten von Biographien?
Der Vortrag greift diese Fragen unter einer methodologischen und
forschungspragmatischen Perspektive auf und diskutiert Möglichkeiten des
Umgangs mit den unterschiedlichen Repräsentationsverhältnissen in
biographischen Texten.
Katja Stoetzer (Magdeburg): Bildanalyse – neue Herausforderungen
an die Qualität erziehungswissenschaftlicher Biographieforschung
Die Qualität und Akzeptanz erziehungswissenschaftlicher Biographieforschung
hängt nicht nur davon ab, ob sie Antworten auf die Frage nach der Relevanz,
14
Abstracts
der Übertragbarkeit ihrer Ergebnisse und der Tragweite ihrer Aussagen geben
kann.
Diesen Gütekriterien vorgelagert – und einer medialen Öffentlichkeit
weitgehend verschlossen – ist die Frage nach der Anlage der Untersuchung
selbst: Das Untersuchungsdesign hat maßgeblichen Einfluss auf die Punkte,
die im Konzept der Tagung als Qualitätsmerkmale herausgearbeitet werden
sollen: Schon die Festlegung der Untersuchungsgruppe und des Feldzugangs
strukturieren den weiteren Forschungsprozess vor – analog zur quantitativen
Forschung, die unter dem Stichwort „Stichprobenkonstruktion“ ebenfalls
forschungsstrukturierende Entscheidungen der Auswahl und des empirischen
Zugangs diskutiert.
Im Vortrag wird anhand eines konkreten, empirischen Forschungsprojektes –
zur Verknüpfung von Raum und Biographie mittels Photographien –
Strukturentscheidungen im Forschungsprozess nachgegangen, die die Qualität
erziehungswissenschaftlicher Biographieforschung beeinflussenden können.
Methodeninnovationen, wie visuell arbeitende Forschung, eignen sich dabei
besonders, das Ineinandergreifen der Phasen des Forschungsprozesses
zusammen mit zu entwickelnden Gütekriterien zu diskutieren – zumal
Typenbildung und Theoriegenerierung bislang fast ausschließlich mit
textuellen „Datenmaterial“, also Protokollen, erfolgt. Visuelles Material sperrt
sich dagegen auf den ersten Blick textanalytischen Zugängen und mussim
Hinblick auf die Akzeptanz in Fachpublikum und Öffentlichkeit erst noch den
Status einer zuverlässigen und eigenständigen (Erkenntis-)Quelle erreichen.
Hier lässt sich aktuell eine Entwicklung beobachten, die bei textuellsprachlichen Zugängen nur retrospektiv möglich ist.
Die Suche nach Qualitätsstandards sollte sich dabei jedoch nicht an Vorgaben
der quantitativen Sozialforschung orientieren. Sie gelten für ein
paradigmatisch anderes Vorgehen bei der Erkenntnisgenerierung – für einen
verstehenden Zugang zur Pluralität sozialer Wirklichkeiten müssen eigene
Qualitätsstandards erarbeitet und dann in Forschung und Lehre konsequent
angewandt werden.
Vorgestellt wird die Forschungsarbeit zu „Raumbiographien“, die
Photointerviews und intensive visuelle Arbeit der befragten Studierenden als
Methoden- und Erkenntnisfrage kritisch diskutiert. Die Verwendung visuellen
Materials stellt dabei besondere Herausforderungen an die Transparenz im
Forschungsprozess, an ethische Fragen (Anonymisierungsproblem), an
methodische Auswertungsverfahren, aber auch an die Vermittlung der
Ergebnisse für ein Fachpublikum und eine interessierte Öffentlichkeit.
Der Vortrag wird auf eine Zusammenfassung der die Güte
erziehungswissenschaftlicher qualitativer empirischer Forschung maßgeblich
beeinflussenden Entscheidungen im Forschungsprozess hinauslaufen, die zwar
jeweils am konkreten Beispiel exemplifiziert werden können, deren
Strukturlogik jedoch nicht auf dieses beschränkt ist. Perspektivisch werden
abschließend Möglichkeiten kritisch diskutiert, Gütekriterien für qualitative
Forschung im Forschungsprozess selbst zu institutionalisieren.
Arbeitsgruppe 5 (Die 13.30 - 15.30): Typenbildende
Auswertungsverfahren unter Beobachtung
Friederike Fetting (Siegen) :„Da dachte ich, … da habe ich gemerkt“
– Zum Stellenwert der Argumentation in der Dokumentarischen
Methode
Theoriegenerierung, auf die sowohl die Grounded Theory als auch die
Dokumentarische Methode zielen, setzt bei der losgelösten Betrachtung eines
Gegenstandes von etablierten und gesicherten theoretischen Annamen an. Sie
verlangt reflexive Kontrolle nicht nur der theoretischen Vorannahmen,
sondern auch der Methode. Denn jede Methode fokussiert schon den Blick,
wenn man sie in Anwendung auf ein bestimmtes Material bringen will. Jede
Methode kann nur einen bestimmten Ausschnitt an Beobachtungen erfassen.
Demgegenüber stehen der zu untersuchende Gegenstand und das aus ihm
erzeugte Datenmaterial. Und auch dieses Material hat einen Eigensinn, dem
die Methode Rechnung zu tragen hat. Das möchte ich anhand meines
Materials aus einem Feldforschungsprojekt zur ästhetischen Bildung im
Medium des Theater veranschaulichen, in dem eine sich zu einem
Theaterprojekt zusammengefundene, sehr heterogene Gruppe ein Jahr lang
in ihrer Arbeit von mir begleitet und abschließend interviewt wurde. Aus
diesem Forschungskontext heraus möchte ich zwei Aspekte im Sinne einer
Anfrage an die Grundvoraussetzungen der dokumentarischen Methode
diskutieren:
- Inwiefern sind die Einbettung der Interviews im Forschungsprozess, die
Interviewsituation und die Beziehung von Interviewer und Interviewten
ausschlaggebend für die Art der Diskursführung? Welche Bedeutung und
Stellenwert hat das Interview selbst für die Befragten und wie beeinflusst z.
Bsp. die mehrmonatige Präsenz eines Forscher im Rahmen eines
Forschungsprojektes diese Bedeutung? Ausgehend von meinem Projekt lautet
die Frage konkret: Wenn nach einer mehrmonatigen Proben- und
Inszenierungsphase die Spieler zu ihren biografischen und theaterspezifischen
15
Abstracts
Erfahrungen befragt werden, ist dann das Interview nicht selbst die reflexive
Verlängerung der Theaterarbeit und integrierter Bestandteil des
Reflexionsprozesses?
- Wenn das Interview Bestandteil eines Reflexionsprozesses ist, so ist auch
das Verhältnis von argumentativen und narrativen Passagen im Interview und
damit die Gewichtung der Textsorten noch einmal zu betrachten.
Argumentative, reflexive, eigentheoretische Passagen haben innerhalb der
Auswertung der dokumentarischen Methode eine bislang untergeordnete
Rolle, da sie das atheoretische Wissen, welches handlungsanleitend sein
kann, überdecken. Wenn es aber darum gehen soll, die Wirkung bestimmter
Ereignisse, wie zum Beispiel der Theaterarbeit, auf Bildungsprozesse im Sinne
einer Veränderung der Selbst- und Weltreferenz nachzuweisen, so kann es
aufschlussreich sein, die Differenz zwischen atheoretisch-implizitem Wissen
und explizitem Wissen zu ignorieren, sondern auszuschöpfen.
Sabine Maschke (Siegen): Rekonstruktion der Typenbildung
Problematisierung. In diesem Beitrag möchte ich die in der
dokumentarischen Methode angewandte mehrdimensionale Typenbildung
diskutieren. Diese nimmt in einem zweistufigen Verfahren (der
sinngenetischen und soziogenetischen Interpretation) im Sinne des
erklärenden Verstehens bei Max Weber erst unterschiedliche Orientierungen
oder Habitus in den Blick und befasst sich dann mit der systematischen
Untersuchung der „Soziogenese“ der Erfahrungsräume der beobachteten
Orientierungen (vgl. Bohnsack 2003). Die Typenbildung folgt dabei dem
„Entdeckungsverfahren“ (Reichertz) der Abduktion. Typiken werden
entwickelt, die (möglichst) mehrere Dimensionen konjunktiver Erfahrungen
und Orientierungen abbilden; grundlegende Dimensionen sind „milieu-,
generations- und entwicklungsphasenspezifische Zugehörigkeiten und die
Geschlechtszugehörigkeit“ (Loos/Schäffer 2001: 72).
Die Zuordnung dieser Dimensionen erfolgt quasi ‚von außen’, die Dimensionen
entstammen den Vergleichshorizonten und den Standorten der
ForscherInnen. Dies steht u. a. der Forderung der Grounded Theory nach
einer Typen- und Theoriegenerierung ‚aus den Daten heraus’
(Gegenstandsbezug) gegenüber. Problematisieren lässt sich innerhalb der
Typenbildung sowohl das Verfahren der Abduktion, das einen „gedanklichen
Sprung“ (Reichertz) beinhaltet, der nicht ohne weiteres zu begründen und zu
kritisieren ist sowie der nur schwer nachvollziehbare Wechsel von einer eher
gegenstandsbezogenen sinngenetischen Interpretation und Typenbildung hin
zur Soziogenese und damit zum Einbezug ‚grundlegender’ Dimensionen. Um
die intersubjektive Nachvollziehbarkeit und die Gültigkeit der Befunde zu
erhöhen, bedarf es klarer methodischer Verfahren und Schritte.
Ziel. Ziel ist, die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Typenbildung zu
erhöhen. Mit Blick auf die Abduktion und die oben genannte
‚gegenstandsbezogene’ Prämisse steht die Rekonstruktion des Prozesses der
Typenbildung, die Herausarbeitung möglichst klarer Schritte und Übergänge,
im Mittelpunkt.
Beispiel aus der Forschungsarbeit. Vor dem Hintergrund unserer
Forschungsarbeit 1 möchte ich einzelne Schritte der Typenbildung
nachvollziehbar und transparent machen. Dazu zählt u. a. die Phase der
Auswahl der InterviewpartnerInnen (Stichwort: Parallelität von Erhebung,
Analyse und (wiederholter) Auswahl): „Wer“ gelangt, aufgrund welcher
Auswahlkriterien, ins Sample? Und: Inwieweit nehmen diese zu Anfang
gesetzten Auswahlkriterien Einfluss auf die Dimensionen der Typenbildung?
Unsere Untersuchung bezieht sowohl Interviews als auch Fotos ein, die wir
(noch) getrennt voneinander analysieren (u. a. Auswahl von Eckfällen durch
Kontrastierungen). Damit ergibt sich die Möglichkeit, Analyseergebnisse, auch
hinsichtlich des Nachvollzuges insbesondere der Sinn-, in Ansätzen auch der
Soziogenese, vergleichen zu können. Geplant ist, die getrennte Analyse im
Sommer aufzuheben; erste Ergebnisse könnten also im September vorgestellt
werden.
Plenarvorträge (Die 16-18)
Petra Reinhartz (Flensburg): Erzählen heißt, etwas Besonderes zu
sagen zu haben!
In qualitativen, insbesondere biographischen Studien begegnen wir der
besonderen Erzählung, die unter dem Anspruch zu generalisierender
Repräsentativität keinen wissenschaftlichen Erkenntniswert zu haben scheint.
Was aber bedeutet überhaupt wissenschaftlicher Erkenntniswert? Zur
Beantwortung dieser Frage möchte der Vortrag in drei Schritten einen Beitrag
leisten.
Erstens wird generell gefragt, worin die Überzeugungskraft einer
Argumentation besteht. Hier wird u.a. auf das Schlussverfahren des
1
DFG-Projekt zur visuellen und biographischen Selbstdarstellung des
geschlechtlichen Habitus bei männlichen Lehramtsstudenten in ‚untypischen’
Fächern. Durchgeführt werden biografische Interviews und Fotoerhebungen mit
LehramtsstudentInnen, die die Hauptfächer Kunst oder Physik belegen.
16
Abstracts
Enthymems zurückgegangen, wie es Aristoteles in seiner Rhetorik beschrieben
hat. Überzeugt wird durch das Zusammenspiel von Syllogismus und Beispiel.
Denn das Beispiel verdeutlicht erst den Sinn allgemeiner Schlussfolgerungen
und erzeugt erst dadurch das Überzeugungsgefühl (vgl. Friedrich
Schleiermacher).
Zweitens soll die Idee eines komplementären Pluralismus von Wissenschaft,
Philosophie, Kunst und Dichtung im Anschluss an Gottfried Gabriel erläutert
werden. Dabei ist zu zeigen, dass Erkenntnisfragen der Bildung einer
ästhetischen Erweiterung des methodischen Zugangs bedürfen. Die
Frühschriften Theodor W. Adornos lassen sich in dieser Weise deuten und m.
E. die Entwicklung des Idealtypus nach Max Weber. Ferner bedarf die
Interpretations- und Repräsentationsebene rhetorischer Darstellungsformen,
die aber nicht mit dem Machtwillen populistischen Redens zu verwechseln
sind. Die Rhetorik bietet vielmehr eine Erweiterung der Aussagenqualität um
literarisch-narrative Topoi. Dies ermöglicht sowohl ein antisystemisches
Aufbrechen verfestigter Diskurse als auch eine Steigerung des tatsächlich
Vorfindlichen um denkbar bessere Möglichkeiten.
Drittens soll das so theoretisch Entworfene an Auszügen qualitativer
Interviews demonstriert und zur Diskussion gestellt werden.
Ingrid Miethe, Martina Schiebel (Darmstadt): Systematisierung –
Verstehen – Generieren. Der Beitrag deskriptiver und genetischstrukturaler Typen zur Theoriebildung
Typenbildung stellt generell einen wesentlichen Zwischenschritt zwischen
Einzelfallrekonstruktion, gegenstandsbezogener Theoriebildung und
Einbindung in formale Theorien dar. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass
die verschiedenen Möglichkeiten der Typenbildung beispielsweise von
deskriptiver Typenbildung entlang äußerer, prinzipiell auch quantifizierbarer
Merkmale bis hin zu genetisch-strukturalen Typenbildung als Generalisierung
von Fallstrukturen, jeweils sehr verschiedene Erkenntnisinteressen und damit
auch Theorieimplikationen und -reichweiten beinhalten. Im Beitrag soll
aufgezeigt werden:
Auf welche Art der Fragestellung die jeweilige Typologie bezogen ist.
Wie sich deskriptive und genetisch-strukturale Typenbildung gegenseitig
ergänzen können bzw. an welchen Stellen und warum diese nicht kompatibel
sind und lediglich nebeneinander Bestand haben können.
In welcher Weise die gebildeten Typologien in die theoretische Diskussion
eingebunden bzw. inwieweit diese einen Beitrag zur Theoriegenerierung
leisten können
Empirische Basis der Ausführungen sind die Ergebnisse eines 2007
abgeschlossenen DFG-Projektes „Die Arbeiter-und-Bauern-Fakultät Greifswald.
Eine biografische Institutionenanalyse“, in dem eine Vier-Ebenen-Analyse
biografischen Material entwickelt wurde. Diese Vier-Ebenen-Analyse des
biografischen Materials ermöglicht es, sowohl den unterschiedlichen
Datenquellen des Projektes gerecht zu werden (Ego-Dokumente,
lebensgeschichtliche Interviews), als auch die verschiedenen Ebenen der
Typenbildung mit ihren jeweiligen theoretischen Reichweiten zu explizieren.
Plenarvorträge (Mi 9 -12.30)
Bettina Fritzsche, Kerstin Rabenstein, Sabine Reh (Berlin):
Organisationstypik als Organisationskultur – Einzelschultypische
Lernkulturen in der multiperspektivischen Rekonstruktion von
Geschichten und Praktiken
Wir interessieren uns im Rahmen eines Forschungsprojektes LUGS
(Lernkultur- und Unterrichtsentwicklung an GanztagsSchulen) für das
Typische des Lernens und Lehrens in einer einzelnen Schule. Um dieses
erheben, beschreiben und untersuchen zu können, sprechen wir von einer für
eine einzelne Schule typischen Kultur, einer „Lernkultur“. Das heißt dasjenige
Konzept, mit dessen Hilfe wir bezüglich der Organisation eine Einheit oder
Einheitlichkeit unterstellen, ist „Kultur“. Wir orientieren uns mit dem hier
gebrauchten Begriff der „Kultur“ an neueren soziologischen Kulturtheorien
(wie sie etwa Reckwitz systematisierend darstellt). Kultur ist der
Sinnzusammenhang einer symbolischen Ordnung, die geschaffen wird im
„doing organization“, in (biographischen) Geschichten, Interaktionen und
anderen (körperlichen) Praktiken, deren Aufführung erst immer wieder neu
die Existenz der Organisation gewährleisten.
In diesem Beitrag soll versucht werden, anhand zweier kontrastierender
Beispiele von schultypischen Lernkulturen mögliche Antworten auf die Frage
zu finden, „welche Wege qualitative Forschung einschlägt bzw. einschlagen
kann“, um Aussagen über den Einzelfall in einer Weise treffen zu können, die
jenseits der „Folklore der Fälle“ es überhaupt erst möglich macht, über diesen
einzelnen Fall hinausweisende Erkenntnisse zu gewinnen. Unserer Ansicht
nach ist ein entscheidendes Qualitätskriterium der qualitativen Forschung ein
gegenstandsbezogener (und nicht nur methodischer) Anschluss an die
Ergebnisse anderer Untersuchungen. Versucht man jedoch in der qualitativen
bzw. der rekonstruktiven Bildungsforschung, etwa im Bereich der
Lehrerbiographieforschung, aber auch der interpretativen
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Abstracts
Unterrichtsforschung, so etwas wie einen „Stand der Forschung“ zu
formulieren, muss man sehr schnell feststellen, dass im konkreten
Gegenstandsbezug kaum oder mindestens wenig aufeinander Bezug
genommen wird, an das angeschlossen wird, mit dem weiter gearbeitet wird,
was jeweils schon erforscht wurde. Das setzt Grenzen hinsichtlich der
Konstitution einer (sub)disziplinären Einheit – und natürlich auch hinsichtlich
der Entfaltung von sozialer Macht im Wissenschaftssystem.
Wir werden an unseren Beispielen aufzeigen, wie wir auf der Grundlage eines
vielfältigen Datenmaterials (narrativ-problemzentrierte Interviews,
Interaktionstranskripte aus verschiedenen Sitzungen verschiedener Instanzen
der Schule, Unterrichtsvideographien, Gruppeninterviews mit Schülern und
Schülerinnen) schultypische Lernkulturen rekonstruieren und anschließend die
folgenden Fragen diskutieren:
- Welche Daten benötigt man vor dem Hintergrund der theoretisch
formulierten Grundannahme zur Kultur von Organisationen, um Aussagen
über eine einzelschultypische „Lernkultur“ treffen zu können?
- In welcher Weise ist das unterschiedlich erhobene und ausgewertete
Datenmaterial aus den Organisationen aufeinander zu beziehen?
- Inwiefern erlaubt insbesondere auch ein Bezug auf andere empirische
Forschungen verallgemeinernde Aussagen über unser Material?
Jochen Kade (Frankfurt), Christiane Hof (München):
Subjektformation, Zeitlichkeit, Wiederholung. Zur theoretischen,
methodologischen und empirischen Engführung der
Biographieforschung
Die Biographieforschung profiliert ihren Grundbegriff Biographie bislang vor
allem gegenüber dem Lebenslauf (subjekttheoretisch und methodologisch:
Erzählung vs. Bericht) und gegenüber der Karriere (normativ). Darüber hinaus
bleibt ihr Grundbegriff – um es für die Diskussion etwas zuzuspitzen – eher
unreflektiert. Unser Vortrag soll vor dem Hintergrund eines
Forschungsprojektes („Diskontinuierliche Bildungsgestalten. Lebenslanges
Lernen im großstädtischen Raum zwischen Biographie, Karriere und
Lebenslauf“) die weitgehende theoretische, methodologische und empirische
Engführung der gegenwärtigen Biographieforschung herausarbeiten und erste
Perspektiven ihrer Überwindung umreißen. Theoretisch besteht die
Engführung darin, dass Biographie als Subjektformation verabsolutiert, damit
gewissermaßen naturalisiert wird, nicht aber als eine spezifische Form der
Bildung des Subjektes in den Blick kommt. Der Vortrag unterscheidet
demgegenüber Biographie, Lebenslauf und Karriere als die drei für moderne
Gesellschaften grundlegenden Formen, in denen Individuen ihr Leben in
zeitbezogener Perspektive beschreiben und zugleich konstruieren.
Methodologisch besteht die Engführung der Biographieforschung darin, dass
die Biographie zwar als Ort der Erfassung der Zeitlichkeit des Lebens Ernst
genommen wird, aber der Zeitindex der Biographie selber nicht zum Thema
wird. Der Beitrag bestimmt demgegenüber die Biographie als Reihe,
formalisiert ausgedrückt: als Reihe B1- n+1. Damit zusammen hängt die
bisherige empirische Engführung der Biographieforschung, ihre wesentliche
Beschränkung auf Einmalerhebungen. Der Vortrag begründet demgegenüber
Follow-Up-Untersuchungen als einen für qualitative Forschung spezifischen
Typus der Längsschnittuntersuchung. Gezeigt wird, dass sich auf dieser
empirischen Grundlage die Frage nach dem Verhältnis von Kontinuität und
Diskontinuität, damit die Frage danach, auf welcher Ebene eigentlich
Veränderungen im Lebensverlauf empirisch beobachtbar werden, radikaler als
bisher diskutieren lässt.
Theodor Schulze (Bielefeld): Von Fall zu Fall. Über das Verhältnis
von Allgemeinem, Besonderem und Individuellem in der
erziehungswissenschaftlichen Biographieforschung
In meinem Beitrag beschäftige ich mich mit dem Problem der
Verallgemeinerung in der erziehungswissenschaftlichen Biographieforschung.
Das Problem besteht unter anderem darin, dass wir es in ihr einerseits mit
individuell bedeutsamen Aussagen (autobiographische Texte) und mit
individuell bedeutsamen Sachverhalten (biographische Prozesse) zu tun haben
und dass andererseits gemäß dem Anspruch sozialwissenschaftlicher
Standards von der Biographieforschung verallgemeinerbare Ergebnisse
erwartet werden. Ich gehe dieses Problem unter zwei Gesichtspunkten an:
Zum einen frage ich: Was ist eigentlich das Allgemeine, das wir unter dem
Anspruch der Verallgemeinerung im Blick haben? These 1: Es gibt nicht nur e
i n Allgemeines, sondern verschiedene Arten und Ebenen des Allgemeinen
bzw. des Besonderen und Individuellen, für die jeweils unterschiedliche
Bedingungen der Verallgemeinerung gelten. - Da gibt es zunächst das
kategoriale Allgemeine in einer wissenschaftlichen Disziplin, das Allgemeine in
ihrem Gegenstandsbereich. These 2: In der Soziologie und den
Sozialwissenschaften ist das die Grundstruktur „Sozialer Handlungen“
(WEBER), „Soziologischer Tatbestände“ (DURKHEIM) oder „Sozialer Systeme“
(LUHMANN). Doch für die Biographieforschung gilt eine andere Grundstruktur.
Hier gilt die des „Biographischen Prozesses“. - Weiter unterscheide ich
innerhalb der Sozialwissenschaften zwischen dem soziologischen Allgemeinen
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Abstracts
(z.B. Geschlecht, Klasse, nationale Gesellschaft, Kultur, Religion), dem
soziologischen Besonderen (z.B. Milieu, Gruppierung, Generation, Institution,
Feld), dem sozialen Besonderen (z.B. konkrete Gruppen und Einrichtungen,
„Kreise“ und „Schulen“, Netzwerke), dem situativen Besonderen (z.B.
„Aktivitätssysteme“, Schlüsselsituationen) und dem individuellen Allgemeinen.
These 3: Die Biographieforschung bedient vornehmlich die Ebenen des
sozialen Besonderen, des situativen Besonderen und des individuellen
Allgemeinen. Es geht in der sozialwissenschaftlichen Forschung und
insbesondere in der Biographieforschung nicht nur um die Verallgemeinerung
von Einzelnem, sondern ebenso um die Verbesonderung und
Individualisierung von Allgemeinem oder anders: um die Betroffenheit der
Subjekte durch „objektive“ Strukturen und Systeme, um Soziologie „von
unten“.
Zum anderen frage ich: Für wen ist die Verallgemeinerung in der Erziehung
gut? Ich unterscheide hier zwei Arten von Handlungsweisen in
pädagogischen Arbeitsfeldern. Das ist zum einen das organisatorische
Handeln (z.B. Schulorganisation, Bildungsorganisation, Einrichtung von Kitas,
Entscheidungen im Jugendrecht, Weiterbildungsmaßnahmen) und zum
anderen interaktives Handeln (z.B. Unterrichten, Einzelfallhilfe, Therapie,
Beratung, Betreuung). These 4: Für das organisatorische Handeln mag
Verallgemeinerung im sozialwissenschaftlichen Sinne nützlich sein (z.B.
Typenbildung, Identifizierung von Verhaltens-, Orientierungs- und
Deutungsmustern oder sozialen Strukturen). Für das interaktive Handel ist
eine andere Art der Verallgemeinerung erforderlich: die Übertragung von Fall
zu Fall. Es geht hier um Abweichungen und Abwandlungen, um die Beachtung
des Individuellen und Besonderen im Allgemeinen.
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