Sportschuh mit Facebook-Anschluss

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Sportschuh mit Facebook-Anschluss
24 WO DIE ZUKUNFT ENTSTEHT
25
DONNERSTAG, 10. NOVEMBER 2011, Nr. 218
Sportschuh mit
Facebook-Anschluss
Moderne Laufschuhe sind leicht und trotzdem stabil. Innovative
Stoffe wärmen oder kühlen je nach Bedarf. Die Sportbranche
steckt Millionen in die Entwicklung leichter, atmungsaktiver
Materialien. Doch nun folgt der nächste große Sprung: Die digitale
Welt kommt auf dem Fußballplatz und in den Turnhallen an.
A
lles sieht auf den ersten Blick
aus wie in einer normalen Turnhalle. In der einen Hälfte liegt
grüner Kunstrasen, darauf steht
ein Fußballtor. Den Rest des Bodens bedeckt ein grauer Plastikbelag, eine Laufbahn ist darauf markiert.
Doch die Sportler im Tiefparterre der
Konzernzentrale von Adidas sind nicht
gekommen, um für den nächsten Wettkampf zu trainieren. Sie sind einzig und
allein dazu da, um die modernsten
T-Shirts, die innovativsten Bälle und die
Laufschuhe der übernächsten Generation auf Herz und Nieren zu testen.
Ein Dutzend Hochfrequenz-Kameras
zeichnet jede noch so kleine Bewegung
von Sprintern auf, sogenannte Kraftplatten auf dem Boden messen, wie sich das
Gewicht der Läufer in den Schuhen verteilt. „Wir versuchen, den Menschen zu
verstehen“, sagt Bernhard Krabbe, der
Chef des Sport Research Labs von Adidas. Bis zu 500 Bilder pro Sekunde schießen die Fotoapparate, die Krabbes Team
aufgebaut hat. So können die Spezialisten genau analysieren, ob die Sohle griffig genug ist, ob der Läufer genügend
Halt hat, welche Kräfte an den Gelenken
zerren, kurz, ob die neuen Turnschuhe
etwas taugen.
Es hat seinen Grund, dass Adidas einen
solch immensen Aufwand treibt. Der
Wettbewerb ist knallhart, und es ist
schwer, sich von den Rivalen abzusetzen.
Schließlich produzieren die drei führenden Sportkonzerne Nike, Adidas und
Puma in denselben Fabriken in Asien. Es
sind dieselben Lieferanten, von denen
die Grundstoffe kommen, und es sind die-
selben Arbeiter, die an den Bändern sitzen. „Innovationen in unserer Branche
sind in manchen Bereichen sehr schnell
kopierbar“, klagt Adidas-Vorstand Erich
Stamminger.
Deshalb will Adidas stets die leichtesten Produkte anbieten, „ohne dabei die
Funktion zu vernachlässigen“, betont Stamminger. Denn was
Handelsblatt-Serie:
nützt ein Ultra-LeichtZukunftslabor 2020
gewichtsschuh, wenn
der Jogger jeden KieHandelsblatt-Reporter haben
selstein spürt? Das Gedie Forschungslabore von
wicht zu reduzieren
zehn Weltkonzernen besucht,
ist ein Trend, der die
Innovationen begutachtet,
Branche die nächsten
mit Forschern über TechnoloJahre in Atem halten
gien der nächsten Generation
wird. „Die Produkte
diskutiert. Eine zehnteilige
werden wieder filigraSerie gibt Einblicke, wie unser
ner und damit auf das
Alltag 2020 aussehen könnte
Wesentliche
redu– und welche Firmen die besziert“, sagt Hartmut
ten Chancen haben, den ZuHeinrich,
Sportexkunftswettlauf zu gewinnen.
perte der Unternehmensberatung Vivaldi
Morgen lesen Sie:
Partners in Hamburg.
IBM – die Stadt der Zukunft
Eine Etage über der
Adidas-Testhalle und
nur einen kurzen
Sprint von Stammingers Vorstandsbüro
entfernt sitzen Dutzende Entwickler vor
ihren Computern und tüfteln an neuen
Konstruktionen für die Turnschuhe. Sie
variieren in aufwendigen Computer-Simulationen zum Beispiel das Innenleben
einer Sohle, um noch ein paar Gramm herauszuholen. Leistungsstarke Großrechner bilden dabei im virtuellen Raum
nach, wie sich solch ein neuer Joggingschuh wohl auf dem Asphalt verhält. Erst
vor ein paar Wochen sind die Experten
Die Wendejacke: Der Stoff
der Zukunft wärmt und kühlt
D
er Stoff der Zukunft, er kommt aus
dem kleinen Tiroler Ort Hall. Dort
hat der Designer Michele Stinco
ein revolutionäres Konzept einer Sportjacke entwickelt. Die Jacke hat zwei Seiten.
Wenn es kalt ist, wird die mattdunkle
Seite nach außen getragen, um die warmen Sonnen- und UV-Strahlen aufzufangen. Gleichzeitig reflektiert die silberne
Seite innen die Körperwärme. Damit
sinkt die Gefahr, auszukühlen. Wird es
warm draußen, ist die Jacke in Sekundenschnelle gewendet. Ist die silberne Seite
dann außen, so werden die Strahlen reflektiert.
Stinco zufolge ist das Polychrome genannte Material zwei bis drei Grad kühler oder wärmer als herkömmliche
Stoffe. Zugleich ist das sogenannte Laminat absolut wasserdicht, atmungsaktiv,
enorm leicht und stark dehnbar. Die
gesamte Jacke wiegt kaum mehr als
300 Gramm.
Das preisgekrönte Modell gilt
in der Sportbranche als Prototyp dafür, wie sich in den nächsten Jahren Stoffe mit ganz
neuen Funktionen entwickeln
werden. „Es sind Kleidungsstücke gefragt, die bei tiefer Kälte
genauso getragen werden können wie bei großer Hitze“, sagt
Erfinder Stinco.
jojo
Prototypenjacke Polychrome
von Adidas: Bis drei Grad wärmer oder kühler.
vom Adidas Innovation Lab in neue
Räume im Hauptquartier in Herzogenaurach eingezogen. Neben den Computern
stehen Dutzende Maschinen, mit denen
neu entwickelte Stoffe zerrissen und zerrieben werden, in denen Sohlen gebrochen und mit Kugeln beschossen werden; alles, um herauszufinden, ob das
leichte Gewebe auch hält, was der Hersteller verspricht.
Doch es reicht nicht, einfach nur Neuheiten am Reißbrett zu entwickeln: „Die
Kunden müssen die Innovation spontan
und auch emotional erleben können“,
sagt Stamminger. Das heißt: Was sich
dem Kunden nicht auf Anhieb erschließt,
ist zum Scheitern verurteilt.
Vielleicht ist das der Grund, warum es
der Sportindustrie bisher nicht gelungen
ist, Elektronik in ihre Produkte einzubauen: Alle Lösungen waren zu kompliziert. Doch wohin die Reise geht, das
zeigt ein neuer Fußballschuh, den die
Marke mit den drei Streifen Mitte November in die Läden bringt. Ein kleines, nur
acht Gramm schweres elektronisches
Bauteil in der Zwischensohle erfasst sämtliche Bewegungen eines Spielers. Am
Computer oder auf dem Smartphone können die Sportler dann sehen, wie viel sie
gerannt sind, wie schnell sie waren - und
vor allem: Sie können ihre Leistung per
Internet mit denen ihrer Mitspieler und
denen von Stars vergleichen. Auch die
Trainer können die Daten nutzen. Das alles hat seinen Preis: Der „Adizero F50 Micoach“ kostet etwa 250 Euro.
Bislang haben nur Fußballstars solche
Möglichkeiten. Mit Kameras werden alle
ihre Bewegungen aufgezeichnet und
dann per Spezialsoftware ausgewertet.
So erfährt dann nicht nur der Coach, son-
Sportschuh Micoach:
Sensoren melden
Blutdruck oder
Herzfrequenz an
ein Smartphone.
Das gibt dem Träger
entsprechende
Anweisungen.
Moderner Chip :
Die Bauteile
vernetzen Schuhe
mit Computern.
dern auch der geneigte Fernsehzuschauer, wie weit Schweinsteiger und Co.
in 90 Minuten gelaufen sind.
Das Produkt muss stimmig und für den
Alltag tauglich sein
Branchenkenner sind überzeugt, dass es
längst nicht mehr ausreicht, sich nur um
neue Trainingsanzüge oder verbesserte
Kickstiefel zu kümmern. „Reale und virtuelle Welten verschmelzen immer mehr“,
sagt Unternehmensberater Heinrich. So
sind die neuen, elektrischen Kickstiefel
denn auch der Versuch, den Spaß auf
dem Platz in soziale Netze wie Facebook
zu transferieren. Denn dort kann jeder
seine Daten vom Fußballfeld mit seinen
Freunden und Mannschaftskameraden
teilen.
War die Elektronik früher zu teuer, ist
sie heute spottbillig. Die Kunst ist aber,
sie in ein stimmiges System zu integrieren. Außerdem müssen die Bauteile auch
dann noch funktionieren, wenn es nass
und kalt ist. „Eingebettete Sensoren werden in den nächsten Jahren eines unserer
ganz großen Themen sein“, sagt denn
auch Chefforscher Krabbe. Doch ob der
Durchbruch wirklich kommt? Noch sehen erfahrene Branchenkenner die Elektronik eher skeptisch, gerade in einem
den Traditionen verbundenen Sport wie
dem Fußball. „Es fragt sich, wie viel Technik die Fußballlehrer bereit sind, einzusetzen“, sagt Klaus Jost, Vorstand der
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PR (2), AFP, dpa
Joachim Hofer
Herzogenaurach
Sporthändlervereinigung Intersport.
Adidas verlässt sich in seiner Entwicklung nicht allein auf die eigenen Leute.
„Wir pflegen ein großes Netzwerk, in
dem wir eng mit Lieferanten, Universitäten und Instituten zusammenarbeiten“,
sagt Gerd Manz, der oberste Konstrukteur des Konzerns. Es sind Partner wie
die Universität Freiburg oder die
Loughborough University in England. So
bekommt das Team Anregungen für
neue Materialien oder zukunftsträchtige
Produktionsprozesse. Wichtige Tippgeber sind aber auch Spitzensportler, die
bei Adidas unter Vertrag stehen und regelmäßig Prototypen ausprobieren.
Mitunter braucht es auch gar keine
Sportler mehr, um neue Ware auszuprobieren. Eine Ballschussmaschine drischt
einen Fußball nach dem anderen über
den Kunstrasen. So können die Ingenieure von Lab-Chef Krabbe die Flugeigenschaften testen. Schon lange würden
die Entwickler gerne einen kleinen Chip
in die Kugel einbauen. Kombiniert mit einem Sensorfeld im Tor zeigt ein uhrähnliches Gerät am Handgelenk des Schiedsrichters, ob die Kugel im Tor war – oder
eben nicht. Würde der Weltfußballverband Fifa sich für den Einsatz solcher
Bälle entscheiden, würde sich ein riesiger neuer Markt für das Unternehmen
auftun. Bislang aber sträuben sich die Hüter des Sports gegen jegliche Neuerung
dieser Art.
Smart Clothes:
Feueralarm im T-Shirt
W
as haben pfiffige Erfinder auf
Sportmessen nicht schon alles
vorgestellt: Kleider mit eingebauten Ventilatoren, Jacken, die mit Leiterbahnen durchzogen sind, um das
Handy zu bedienen, oder Stoffe mit integrierter Heizung. Seit Jahren experimentieren viele Firmen zudem mit Solarzellen,
die sie in ihre Ausrüstung einbauen.
Feuerwehrmann im Einsatz: Intelligente Kleidung kann
vor giftigen Dämpfen warnen.
So unterschiedlich all diese Konzepte
auch sein mögen, eines haben sie gemeinsam: Kein einziges Produkt hat es bis jetzt
in großem Stil in die Läden geschafft.
„Viele Entwicklungen sind noch nicht massentauglich“, sagt Klaus Jost, Chef der hierzulande führenden Sporthändlerkette Intersport.
So manche Idee der vergangenen Jahre
habe sich inzwischen sogar überholt, ist
der Manager überzeugt: „Was sollen die
Leute mit einem Laufshirt anfangen, das
Strom erzeugt? Schließlich halten die Batterien ihrer Handys heute tagelang.“
Allerdings bieten die sogenannten
Smart Clothes viele Vorzüge außerhalb
des Sports. Sensoren in Schutzkleidung
und Strampelanzügen können sogar Leben retten. Sie warnen Feuerwehrmänner
vor giftigen Dämpfen, retten Babys vor
dem plötzlichen Kindstod.
Und kranken Senioren ermöglichen die
Smart Clothes, ein weitgehend unabhängiges Leben zu führen. So misst die Elektronik in der High-Tech-Kleidung etwa den
Herzschlag des Trägers. Die Daten werden
direkt an ein Handy oder einen Laptop
übertragen. Die moderne Kleidung
schlägt Alarm, sobald sich bestimmte
Werte ändern.
jojo
Micoach:
Vernetzte Sportler
D
er interaktive, persönliche Trainingsservice für Sportler ist schon heute
keine Vision mehr. Zwar steht im Fall
des „Micoach“-Systems von Adidas kein
Übungsleiter aus Fleisch und Haaren neben
einem Läufer. Doch über eine Webseite sowie Software fürs Smartphone lassen sich
die eigenen Leistungen fast ebenso gut verbessern. Das System misst über Sensoren
beim Laufen Herzschlag, Blutdruck und andere Werte und gibt dem Läufer daraufhin
Anweisungen.
Konkurrent Nike hat sich auf dem Zukunftsfeld der tragbaren elektronischen Fitnessgeräte mit Apple verbündet. Und das
ist erst der Anfang. Mit jeder neuen Mobilfunkgeneration lassen sich mehr Daten der
Nutzer von einem Gerät zum anderen übertragen. Damit können Sportler Informationen abrufen oder senden, noch während
sie in Bewegung sind. So können selbst Hunderte oder Tausende von Kilometern voneinander entfernte Sportler gegeneinander
antreten, wenn sie nur übers mobile Internet verbunden sind. Zudem werden die
tragbaren Geräte Jahr für Jahr leistungsfähiger, was etwa für die Navigation im Freien
wichtig ist. „Das ist ein zusätzlicher Anreiz
für so manchen Sportler, sich zu bewegen“,
sagt Intersport-Chef Jost.
jojo
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