wenn Manager versagen

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wenn Manager versagen
WIRTSCHAFT
D I E Z E I T No 2 4
19
Wir hier oben
Foto: Ulrich Mattner; kl. Abb. (v.o.): Laura Breiling für DIE ZEIT; Prisma; Sebastian Arlt für DIE ZEIT
2. J U N I 2 0 1 6
DIESE WOCHE
Viele Briten möchten für
den Ausstieg aus der EU
stimmen. Wir wollten von
einer Psychoanalytikerin
wissen, warum Seite 23
Ewige Jugend durch
Kosmetik? Wir haben mit
dem Chef von L’Oréal über
das Geschäft mit der
Schönheit gestritten Seite 24
Chinesen planen, den
deutschen Roboterbauer
Kuka zu kaufen. Wir haben
den Kuka-Roboter KMR
iiwa 14 dazu befragt Seite 28
QUENGEL
ZO N E
Schrecken an der Wand
Selbst beim Pinkeln die Welt im Blick: Cheftoilette im Frankfurter Commerzbank Tower
E
MARCUS ROHWETTERS
Bei Volkswagen trafen Macht und Selbstherrlichkeit der Chefs auf die Ergebenheit ihrer Mitarbeiter.
Das ist kein Einzelfall in deutschen Konzernen – und führt ins Unglück VON THOMAS SATTELBERGER
nde April, Hannover Messe, der
amerikanische Präsident ist zu
Gast. Diese Gelegenheit kann
Matthias Müller einfach nicht verstreichen lassen. »Ich hatte knapp
zwei Minuten für das Gespräch
und habe mich für den Vorfall als
solches entschuldigt. Ich habe darum gebeten, dass
Amerika uns eine Brücke baut«, erzählt der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen hinterher über
sein Gespräch mit Barack Obama.
Dabei wird eines deutlich: Müller will immer noch
den Ton angeben. Seine Formulierung verrät ihn: Er
redet davon, sich zu entschuldigen, und nicht davon,
um Entschuldigung zu bitten. Nicht für den Betrug
seines Unternehmens an US-Kunden – nein, für einen »Vorfall«. Klingt nicht kriminell, eher nach
Falschparken. Und selber Brücken zu bauen, das ist
wohl zu viel verlangt von Herrn Müller. So überfordert man aber selbst den mächtigsten Mann der Welt.
Der ist aus seinem eigenen politischen System – anders als ein Automanager aus der Wolfsburger Retorte – checks and balances gewohnt, also gegenseitige
Kontrolle und Ausgleich der Machteinflüsse. Zwar
sollte es derartige Errungenschaften mittlerweile auch
in Konzernen geben, aber die Alleinherrscher aus
Wolfsburg haben sie meistens außer Kraft gesetzt.
Mit Chuzpe und dem Verbreiten von Angst kamen
sie jedes Mal durch. Der Abgasbetrug ist ja bloß der
jüngste Fall in einer ganzen Reihe von Verfehlungen.
Erstmals wurde das Unwesen 1996 ruchbar, als
der VW-Einkaufschef Ignacio López geschasst wurde, weil er im Verdacht stand, Betriebsgeheimnisse
von General Motors mit zu Volkswagen geschmuggelt
zu haben. Für die Adlaten des alten Regimes um
Gottvater Ferdinand Piëch und den Sohn zu seiner
Rechten, Martin Winterkorn – also vor allem für den
aktuellen CEO Matthias Müller und den Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch –, wird es nun
allerhöchste Zeit für ein wenig Demut. Bloß ist diese
schöne Eigenschaft nicht in der Führungskultur von
Wolfsburg angelegt. Der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende Piëch und der zurückgetretene Konzernchef
Winterkorn haben, berauscht von ihrer globalen Eroberungsstrategie, von ganz oben ein komplexes und
selbstherrliches Machtgefüge installiert – das in
deutschen Konzernen aber keinesfalls beispiellos ist.
Dem Unternehmen VW hat das Drama von schlechte Leistungen, als einen Konflikt mit der GeDominanz, Druck und Duckmäusertum erstmals seit werkschaft oder eigenen Vorgesetzten zu riskieren.
22 Jahren einen Jahresverlust eingebracht, noch dazu Das ist der Einstieg in die Disziplin der Feiglinge, in
den größten seiner Geschichte. Mögliche existenz- den Gehorsam der Kommisskultur.
bedrohende Strafen in Milliardenhöhe sind dabei
Alle Machtorganisationen neigen dazu, sich eine
noch nicht einmal berücksichtigt. Der Münchner Kultur der Günstlinge und Hofschranzen zu erSozialpsychologe Dieter Frey hat recht: Sobald­ schaffen. Unterliegen sie keinem Korrektiv, so unterMachiavelli ins Spiel kommt, also Machthunger sich drücken sie ehrliche Geister und schaffen eine­
mit Narzissmus paart, wird es gefährlich für ein Atmosphäre der Angst, in der so lange nichts Kri­
Unternehmen. Despotische Manager und geklonte tisches nach oben gelangt, bis dort nur noch der
Gefolgsleute wie die von VW gibt es überall – es gibt berühmte Kaiser ohne Kleider anzutreffen ist. Das
aber auch andere Führungspersönlichkeiten in ist auch bei VW so (gewesen?). Getrieben von wahnDeutschland, die ich sehr geschätzt und geachtet witzigen Absatz- und Ergebniszielen, haben sich
habe. Ich komme gleich auf einige zu sprechen. Nicht Manager wie Ingenieure korrumpieren lassen – und
jeder, der nach oben kommt, verdirbt dabei.
den Mund gehalten.
Zweite Lektion: Führungskräfte müssen spüren
Vor mehr als 40 Jahren startete ich mein Berufsleben bei Daimler-Benz. Die ersten zwei Jahrzehnte können, wie sie persönlich wirken. Das habe ich bei
der Lufthansa erlebt. Nach
war ich mittlerer Manager, die
dem Anschlag vom 11. Sepnächsten 20 Jahre verbrachte
tember 2001 erlitten wir 30
ich in den Chefetagen der
Prozent Umsatzeinbruch, jeKonzerne Lufthansa, Contiden Tag fünf Millionen Euro
nental und Telekom. Aus
Verlust – dramatisch! Als
meinen zahlreichen Fühoperativer Vorstand für Prorungsaufgaben in der Daxdukt und Service war ich verWelt habe ich folgende LehDaimler mogelte bei der
antwortlich für 30 000 Arren gezogen.
Diesel-Werbung
beitnehmer. Lange glaubten
Erste Lektion: FreiheitsSeite 21/22
rechte, die man sich als junger
sie uns nicht, dass wir wirklich
Mensch entreißen lässt, holt
alle an Bord halten wollten.
Bei der nächsten Gelegenheit
man sich im Laufe seiner KarWenige entscheiden, viele
habe ich deshalb öffentlich
riere immer schwerer zurück.
leiden: Ein Interview
gesagt, ich würde für das UnBei der früheren DaimlerSeite 22
ternehmen geradestehen und
Tochter MTU ließ ich mir mit
Mitte dreißig den Mund nicht
bestimmt an Bord bleiben, bis
verbieten. Weil ich unbotdie Krise vorbei sei. Das war
mäßige Fragen zur Unternehmenskultur stellte, meine innere Wandlung. Jede Miene, jede Geste wird
stornierte der Vorstandsvorsitzende Hans Dinger in so einer Zeit gedeutet. Da hilft nur kritische Selbstmeine Beförderung ins obere Management. Das reflexion und Authentizität. In dieser Krise der Luftschmerzte mich sehr, trotzdem: Ehrlichkeit und hansa lernte ich, Menschen Antworten zu geben, wo
Courage, die Widerstandsfähigkeit gegen Konformis- es keine klaren Sachantworten mehr gab. Wir, als
mus, darf man sich auf keinen Fall nehmen lassen! Lufthansa-Verantwortliche, hatten auch keine.
Wer früh falsche oder faule Kompromisse eingeht,
Wir hatten nur uns selbst – gläsern für die Geführkommt aus ihnen kaum mehr heraus. Mir berichten ten. Der damalige Vorstandschef Jürgen Weber verjunge VW-Ingenieure, sie hätten das vorgelegte Ge- zichtete in jener Sanierungsphase darauf, den total
werkschaftsbuch unterschreiben müssen, bevor sie das verschlissenen Teppich seines Büros zu erneuern.
erste Gespräch mit ihrem Vorgesetzten führten. Mir Ohne dass er es je gesagt hätte, wussten die Menschen,
berichten VW-Führungskräfte, sie tolerierten lieber der meint es ernst. Er vertraute auf den Wert sym-
WENN MANAGER
VERSAGEN
wöchentliche Einkaufshilfe
bolischer Handlungen, er zeigte, dass er nicht abgehoben war.
Und was strahlt Matthias Müller aus? Die moralische Dimension seiner Krise begreift er nicht, wie
sein Radiointerview in den USA vom Januar (»We
didn’t lie!«) zeigt. Mit ihm, einem treuen Gefolgsmann
von Piëch wie Winterkorn, wurde der Bock zum
Gärtner gemacht. Wie soll ein Täter des alten Systems
ausmisten? Technische Sensoren hat man bei VW
immer aus dem Effeff beherrscht. Ethische Sensorik
steht nicht mal auf der Zubehörliste. Dafür zahlen
die Mitarbeiter und die Marke jetzt einen schmerzhaften Aufpreis. Und das Topmanagement? Bedient
sich mit Boni.
Dritte Lektion: Gute Führung beweist sich in stürmischen Zeiten. Während meiner Conti-Zeit setzte
der Vorstandschef Manfred Wennemer eine Politik
der rigiden ökonomischen Effizienz durch – und ich
als Personalvorstand in seinem Gefolge auch. Nach
der Entscheidung, den Standort Hannover-Stöcken
zu schließen, gerieten wir 2005 in Verruf. Lange war
ich als Personalvorstand zu feige zum Widerspruch.
Ich befürchtete, das Ausscheren aus der Wagenburg
könnte mich die Position kosten. So verpasst man
sich selber Zwangsjacken! Erst als Wennemer mitten
in den Verhandlungen eine drastische Kürzung der
Produktion ankündigte, wagte ich den Konflikt mit
ihm: Auf einer Versammlung wütender Vertrauensleute versprach ich, dass diese Kürzung mit mir nicht
stattfinden würde. So löste ich mich von Wennemers
Rockzipfel, erkämpfte mir meine Handlungssouveränität zurück und verhandelte ein Jahr später ein für
alle Seiten passables Ergebnis. Meine mangelnde
Courage zu Beginn beschäftigt mich bis heute.
Auch VW-Vorstände fürchteten sicher um ihre
Macht und ihren Rang. Es ist mehr als naheliegend,
dass auch oberste Führungsränge in all die Lügenund Schweigegebilde des Abgasbetrugs eingeweiht
waren. Sie waren entweder einverstanden oder hatten
nicht die Traute, dem um sich greifenden Übel entgegenzutreten. Man hat mir zugetragen, VW-­
Vorstände hätten vor Sitzungen spaßhaft herum­
gerätselt, wem von ihnen Vorstandschef Winterkorn
diesmal den Kopf kürzen werde. Konformismus an
der Spitze ist verbreitet.
Fortsetzung auf S. 20
Das Buch mag verschwinden, der Text bleibt.
Es wurde ja viel darüber berichtet, dass manche Menschen heutzutage ihre Bücher lieber
wegwerfen, als sie aufzubewahren. Als Zeichen
der Belesenheit hat das Bücherregal ausgedient. Das ist aber nicht der Digitalisierung
oder dem Serienglotzen auf Netflix anzulasten.
Denn wer so argumentiert, übersieht einen
gegenläufigen Megatrend aus dem Bereich der
Inneneinrichtung: Wandtattoos. Das Bedürfnis, sich mit Text zu umgeben, bleibt ungebrochen. Ein durchschnittlich eingerichteter
Haushalt kompensiert die durch Bücherentsorgung wegfallende Textmenge problemlos
mit diesen großen Aufklebern. Ist ja auch logisch: Wo einst das Bücherregal an der Wand
hing, entsteht nun viel Platz für Sinnsprüche
und andere verschriftlichte Schrecklichkeiten,
die vom Innersten ihrer Besitzer künden. »Gib
jedem Tag die Chance, der schönste deines
Lebens zu werden« oder »Wenn das Leben dir
Zitronen gibt, mach Limonade draus« teilen
sie uns mit. Über dem Küchentisch erinnern
sie daran: »Essen ist ein Bedürfnis, genießen
ist eine Kunst«.
Die bleibende Sehnsucht nach Text drücken selbst bucharme Haushalte zudem durch
ironisch gebrochene Kaffeetassen aus (»Der
frühe Vogel kann mich mal«), lustig bedruckte
Sofakissen (»Komm kuscheln«), Türschilder
(»Hier leben, lieben und lachen ...«), Duschvorhänge (»Tropical Sun & Wellness«) und
Fußmatten (»My home is my castle«). Lauter
Kurzbotschaften, ein bisschen wie Twitter in
analog und interessant auch für jenen Typ
Mensch, der früher überall Post-its mit Anweisungen für Besucher hingepappt hat.
Lang lebe der Kurztext. Zur echten Literatur ist es zwar ein langer Weg, aber auch dieser
beginnt mit dem ersten Schritt. Außerdem
könnte man die häuslichen Botschaften der
Interieur-Designer ja vielleicht mal zusammen­
fassen und psychologisch ausdeuten. Der Stoff
reicht locker für ein Buch.
Von Verkäufern genötigt? Genervt von WerbeHohlsprech und Pseudo-Innovationen? Melden
Sie sich: [email protected] – oder folgen Sie
dem Autor auf Twitter unter @MRohwetter
20 WIRTSCHAFT
2. J U N I 2016
WENN MANAGER VERSAGEN
D I E Z E I T No 2 4
Große Egos
Joe Kaeser,
Siemens-Vorstandschef seit 2013
Martin Winterkorn,
Volkswagen-Konzernchef von 2007 bis 2015
Karl-Josef Neukirchen,
Metallgesellschaft-Vorstandschef von 1993 bis 2003
Jürgen Großmann,
RWE-Vorstandschef von 2007 bis 2012
Jürgen Schrempp,
Daimler-Vorstandschef von 1995 bis 2005
Ferdinand Piëch,
Volkswagen-Konzernchef von 1993 bis 2002
Fotos (im Uhrzeiger): Wolfgang Stahr/laif; Caro/Spiegl; Frank May/dpa/PA; Julian Stratenschulte/dpa/PA; Michael Dannenmann/Photoselection; F1online; kl. Foto: Rudolf Wichert/laif
Wir hier oben Fortsetzung von S. 19
Vierte Lektion: Gute Manager sind offen für abweichende Meinungen. Während des Skandals bei
der Telekom um die Bespitzelung von Aufsichtsräten
und Journalisten hatte ich eines Abends einen mehrstündigen Disput mit meinem Vorstandschef René
Obermann. Ich prangerte emotional die unterirdische
Unternehmenskultur an. Obermann, obwohl erst
kurz im Amt, fühlte sich persönlich angegriffen. Am
nächsten Morgen aber kam er in mein Büro und gab
mir recht. Ich schätze diese Bereitschaft von Vorgesetzten, Debatten auf Augenhöhe zu führen. Dieser
eine Streit hat viel Gutes ausgelöst. In den Jahren
danach haben wir gemeinsam auf allen Ebenen intensiv an unserem Wertegerüst gearbeitet. Obermann
hat das sehr aktiv gefördert. Ganz anders bei VW.
Dort haben die Chefs – vorneweg Piëch – die Unliebsamen oder Unbeugsamen vom Hof getrieben: von
Daniel Goeudevert über Bernd Pischetsrieder, dem
anscheinend viele Millionen Euro zum Abschied hinterhergeschmissen wurden, bis Wolfgang Bernhard,
Quereinsteiger allesamt.
Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Männer wie Jürgen
Schrempp bei Daimler und Kajo Neukirchen bei der
Metallgesellschaft haben es in den neunziger Jahren
mit dieser Führungsmaxime zu zweifelhaftem Ruhm
gebracht. Herrisch und unbelehrbar auch das Auftreten von Managern wie Markus Pinger bei Celesio
oder Jürgen Großmann bei RWE. Joe Kaeser hat bei
Siemens die Macht übernommen und igelt sich ein.
Zwei Co-Chefs der Deutschen Bank haben das Haus
immer näher an den Abgrund getrieben.
Der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann
untermauert in seiner Forschung, dass Eliten oft in
einer Parallelwelt leben, deren Mitglieder in zirkelschlüssigen Kategorien denken. 24 Prozent der Arbeiter halten die sozialen Unterschiede in Deutschland für gerechtfertigt. Unter den Angehörigen des
Großbürgertums, also der oberen fünf Promille der
Gesellschaft, sind es 56 Prozent. Und je länger deren
Zugehörigkeit zu den oberen Fünftausend, desto
stärker das selbstverständliche Empfinden ihrer
Sonder­stellung. Der Irrglaube, durch die eigene großartige Persönlichkeit an die Spitze gelangt zu sein,
paart sich mit der Haltung, das eigene Handeln aus
Prinzip für richtig zu halten. Viele Spitzenleute sind
ordentliche Menschen. Mindestens ebenso vielen aber
fehlt der Instinkt, ihre eigene Heuchelei zu bemerken.
Die ganze Automobilbranche steht am Pranger.
Nicht nur VW und Audi, auch Opel, Fiat, Suzuki,
Mitsubishi und meine alte Liebe Daimler, der in den
USA eine irreführende Werbung für den vermeintlich
sauberen Diesel (»Bluetec«) zur Last gelegt wird. Alle
haben ein bisschen geschummelt, aber allein VW hat
nachgewiesenerweise Software zur Abgassteuerung
manipuliert. Ein kleiner Schritt aus der Grauzone
hinüber zur verbotenen Handlung. Ein kleiner mit
Absicht getaner Schritt, der große Konsequenzen für
das Unternehmen hat – und für das Ansehen einer
ganzen Nation.
Aber ist es nicht auch ein Problem derer, die das
alles mit sich machen lassen? 1993 hat der Ökonom
Canice Prendergast einen Aufsatz über die Theorie
der Jasager veröffentlicht, die bis heute nichts von
ihrer demaskierenden Kraft eingebüßt hat. Prendergast wies nach, wie sehr Hierarchien intern die Anpassung fördern und wie das Gegenteil einer leistungsgerechten Unternehmenskultur entsteht.
Wo Anerkennung oder Karriere vor allem vom
Urteil des Vorgesetzten abhängen, ist die Führungsspitze einer Firma bald von windschlüpfrigen Nickern
umgeben. Vor allem das Mittelmanagement leitet nur
gefilterte und rosa eingefärbte Informationen nach
oben. Und umgekehrt: Wo Opportunismus und Konformismus irgendwann Urteilskraft und Kompetenz
ersetzen, schlucken abhängig Beschäftigte die falschen
Einschätzungen des Managements. Und der Anpassungsdruck ist dort am größten, wo Karrieren geschmiedet werden: in den Zentralen. Dort geht man
der eigenen Selbstdarstellung auf den Leim. Fehlverhalten in der Führung führt zu Fehlverhalten in den
Geschäftspraktiken – und umgekehrt. Ein Teufelskreis.
Ich habe auch beobachtet: Viele Manager zeichnet
eine pragmatische Mentalität ohne jede Moral aus.
Autokraten wie Martin Winterkorn können sich nur
ausleben, weil sie von einem Heer der Abhängigen
umgeben sind. Wahr ist: Karrieren entstehen öfter
durch Treuepunkte beim Chef, durch Habitus, Seilschaft, Zugehörigkeit zu den richtigen Kreisen oder
strategische Platzierung eines loyalen Statthalters als
durch qualifizierte Entscheidungen.
Das beginnt schon in den Kaderschmieden. Darunter die RWTH Aachen im Fall von Volkswagen.
An dieser technischen Hochschule haben wichtige
Köpfe des VW-Skandals ihre Karriere begonnen und
sich bestens vernetzt. Die konzerneigene Weiterbildung an der VW-Universität trainierte fachliches
Know-how – weniger ethische Kompetenz. Und nicht
zu vergessen: Jede Führungskraft lernt früh, dass sie
sich mit dem Betriebsrat nicht anlegen darf. So entspinnt sich ein feines Netz von Abhängigkeiten, in
dem man sich als Facharbeiter wie als Vorstand kommod einrichten kann – vorausgesetzt, man zieht hohe
Vergütung der Gedanken- und Bewegungsfreiheit vor.
In Aufsichtsräten sind auch die Arbeitnehmervertreter immer wieder mitschuldig an Katastrophen.
Für Geld, die Sicherheit ihrer Klientel und den persönlichen Machtgewinn verkaufen sie ihre Seele. Der
VW-Betriebsratsvorsitzende Klaus Volkert, Vorgänger
von Bernd Osterloh, musste ins Gefängnis, weil er
zweifelhafte Sonderboni eingestrichen und eine brasilianische Geliebte über die Firma abgerechnet hatte.
Arbeitsdirektor Peter Hartz, auch er rechtskräftig verurteilt, war vor gut zehn Jahren Täter in der VWKorruptionsaffäre und Sündenbock für andere.
Welch inzestuöse Firmenkultur: Arbeitnehmervertreter werden als Co-Manager hofiert, und gleichzeitig vermengen sich Rationalisierungskonflikte mit
der Diskussion um Vorstandsboni. In den börsennotierten Unternehmen kennen Kontrolleure und
Kontrollierte einander eben. So etwas gab es mutmaßlich bei Siemens vor der Bestellung von Joe Kaeser als
CEO und ziemlich offensichtlich bei Daimler –
mehrfach wurde Jürgen Schrempps Vertrag verlängert, obwohl der als CEO eine klare Fehlbesetzung
war. Der heutige Vorsitzende des VW-Konzernbetriebsrats, Bernd Osterloh, hat die 14,5 Millionen
Euro Vergütung für seinen Vorstandsboss mit dem
unsäglichen Satz verteidigt: »Martin Winterkorn
ist jeden Cent wert.« Rollen diffundieren in­
Grauzonen, Verantwortung löst sich auf: ein
schmutziges Verhältnis.
Wie es so weit kommt? Starre Bürokratien, wie es
Konzerne oft sind, glauben an die heilige Ordnung.
Zu dieser Ordnung gehören die Funktionäre des
Mittelbaus, die das System im Gleichgewicht halten.
Nach oben dulden sie keine Dissonanz. Nach unten
senden sie Signale der Uniformierung. Links und
rechts pflegen sie Konsensrituale des Mittelmaßes.
Dadurch funktioniert der Apparat mit all seinen
Normungs- und Abrichtungsprozessen, bloß – es
herrscht Stillstand, selbst wenn reihenweise Geschäftsmodelle bedroht sind: Versicherer müssen ihren Vertrieb unter Schmerzen aufs Onlinegeschäft ausrichten; deutsche Autokonzerne haben mit Tesla, Apple
und Google zu kämpfen; die einst blühende Bankenbranche ist nur mehr ein Schatten ihrer selbst; E.on
und RWE kämpfen auf aussichtslosem Posten mit
der Energiewende. Alles schreit nach Kreativität.
Doch autoritäre Führung erstickt jede neue Idee.
Unternehmen scheitern immer dann, wenn Topmanager keine Ahnung haben (wollen) vom inneren
Zustand ihres Ladens; wenn sie von sich und ihresgleichen beseelt sind. Das deutsche Segelschulschiff
Der Autor: Thomas Sattelberger, 66,
war Topmanager und Kulturreformer
bei Daimler, Lufthansa, Continental
und der Telekom. Er ist Buchautor
und Bildungsexperte
(https://twitter.com/th_sattelberger)
Gorch Fock war lange ein ideales Studienobjekt für
anmaßende Führung und ausgrenzende Rituale einer
elitären Männerkultur. Bis es Tote und Skandale gab.
Es ist schwer, jahrzehntelang eintrainierte Muster des
Erwerbs und Erhalts von Macht abzulegen. Denn alle
sind sich dann einig – weil alle gleich denken. Eine
Studie von Roland Berger über »Akademiker im
Chefsessel« kam 2012 zu einem irritierenden Befund:
Nur sieben von 181 untersuchten Vorstandsmitgliedern im Dax, also nicht einmal vier Prozent,
hatten jemals eine eigene Geschäftsidee, die sie auch
umsetzten. Und nur neun Männer ragten mit einer
nicht stromlinienförmigen Vita heraus. Wie soll eine
derartige Kohorte von Managern, die in industriellen
Organisationen des 20. Jahrhunderts auf Effizienz
und Planbarkeit getrimmt wurde, nun den digitalen
Wandel im 21. Jahrhundert meistern?
Die homosoziale Reproduktion – Schmidt sucht
Schmidtchen – greift ja nicht erst im Vorstand. Wir
müssen uns fragen: Wen rekrutieren, bezahlen und
fördern wir? Wen schließen wir aus? Spiegelbildlich
zu Controllern, die in Anbetung der ÖkonomieMaschine versunken sind, glauben Ingenieure an die
allmächtige Technik-Maschine. Ganz so als könnte
die alles lösen, jenseits von Moral und Ethik. So lassen
sich offenbar ganze Unternehmen steuern – als Maschine, aus der dieses oder jenes Ergebnis herauszukommen hat. Zum Beispiel das: Toyota muss als
größter Autobauer der Welt abgelöst werden. Bei VW
gedieh Hybris weit besser als Hybrid.
Was also tun? Vor allem dürfen wir nicht aufhören, in Unternehmen, aber auch in Gesellschaft und
Politik, die Frage nach der Rekrutierung des Nachwuchses zu stellen: Sorgen wir dafür, dass die Richtigen nach oben kommen? Nick Leeson, der »Golden
Boy«, hat die 200 Jahre alte Barings Bank in die
Pleite getrieben. Er behielt trotz klarer Hinweise der
Revision beim Zocken freie Hand.
Damit es nicht zum Drama kommt, sollte man
erstens Webfehler in Führungskompetenzen und
Charakter frühzeitig erkennen. Dazu lassen sich Anleihen bei der US-Luftwaffe nehmen. Bei der Auswahl
von Geschwaderkommandanten führt man dort
Buch über die »Beinahe-Kollisionen« der Piloten.
Professionelle Talentförderung muss vergleichbar
arbeiten. Kleine Verfehlungen, Egoismen, Eitelkeiten,
Führungsmängel – auch eine Reiseabrechnung in der
Grauzone – sind »Beinahe-Kollisionen«, die früh
erkannt und dokumentiert werden sollten. Gerade
bei Top-Besetzungen kann es sich rächen, ohne Rücksicht auf die Vorgeschichte zu entscheiden. Besonders
Aufsichtsräte sollten Charakter und Verhalten von
Kandidaten viel öfter berücksichtigen als bisher.
Zweitens zahlt sich bei Besetzungen immer aus,
wie gut man die Auswahl plant. Es zählt Kompetenz,
nicht Stallgeruch. Fest installierte Kronprinzen verstellen den Blick auf Optionen. Wer dogmatisch b­ este
Geschäftsintimität und Branchenkenntnis fordert, will
letztlich, dass die alte Garde weitermacht. Deshalb
lohnt sich ein Blick auf die gelebte Praxis der Nominierungsausschüsse. Zufallskontakte und hemdsärmelige
Zurufe in Netzwerken sind zwar legitim, ersetzen aber
nicht Systematik und checks and balances. So wählt im
schwedisch-norwegischen Modell die Hauptversammlung die Mitglieder des Nominierungsausschusses,
statt sie vom Aufsichtsrat besetzen zu lassen. Auch
angelsächsische Aufsichtsgremien pflegen die Kultur
der frühen Planung, wenn es um Nachfolger an der
Unternehmensspitze geht. Das ist gerade nicht das
Handauflegen, wie es mit Peter Löscher und anschließend Joe Kaeser bei Siemens oder mit Anshu Jain und
Jürgen Fitschen bei der Deutschen Bank geschah –
oder mit Peter Terium und Johannes Teyssen bei den
Unternehmensspaltungen von RWE und E.on.
Drittens: In den Reihen der Nachfolger muss sich
Vielfalt widerspiegeln. Eben nicht nur Frauenquote
und Internationalität, sondern Andersartigkeit der
Gedanken und Einstellungen. Fehlentwicklungen
gedeihen dort, wo sich Unternehmen von einzelnen
Handlungsmustern und Menschentypen abhängig
machen und sich so neuen Erfahrungs- und Denkmustern verschließen.
Viertens: Der VW-Aufsichtsrat ist in den Händen
der Familien Piëch und Porsche, ihrer Freunde auf
der Arbeitnehmerbank und des Landes Niedersachsen. Ferdinand Piëch hatte selbst einmal seine Frau
in das Gremium gehievt. Es gibt keine Vertreter der
freien Aktionäre außer den bisher stillen aus Katar.
Solch eine Clan-Wirtschaft muss ersetzt werden durch
eine Wertekultur, die nicht kompromittierbar ist und
auch dann nicht dem Geschäftserfolg geopfert wird,
wenn es hart auf hart kommt. Dazu gehört, dass der
Aufsichtsrat auch tatsächlich unabhängige Kontrolleure stellt, dass er die Qualität seiner eigenen Arbeit
intensiv prüft und die Führungskultur in der gesamten Organisation im Blick hat.
Fünftens: Man braucht Maßstäbe für die Vergütung, nicht nur wegen der öffentlichen Empörung
über die Millionen für Betrüger in Nadelstreifen. Gibt
es Komponenten, die nicht nur den finanziellen
Erfolg honorieren? Zumal wenn sich herausstellt, dass
vergangene Erfolge im Schatten bandenmäßiger
Kriminalität entstanden sind? Führungskompetenzen
müssen in Gehälter und Boni einfließen, die zudem
unter mehrjährigem Vorbehalt stehen sollten. Der
Betrugsskandal bei VW begann im vorigen Jahrzehnt!
Leistungsgerechte und langfristige Vergütung bildet
die Fähigkeit ab, Menschen zu führen und die Organisation nachhaltig auf die Zukunft auszurichten.
Sechstens: Ein monolithischer Apparat mit Hunderttausenden Mitarbeitern, mehr als einem Dutzend
Marken und einer zentralistischen Plattformstrategie
ist vielleicht nur noch führbar wie eine kommunistische Partei. Demokratischer Zentralismus, so nannte­
das der selige Leonid Breschnew in der KPdSU.­
Innovation verträgt keine Chefs, die sich in jedes
Detail einmischen und den Nachgeordneten die Luft
zum Atmen und den Raum zum Experimentieren
nehmen. Deshalb muss VW sich zerlegen, in dezentrale, transparente Geschäftseinheiten und Geschäftsleiter, die persönliche Verantwortung tragen – so wie
bei Continental: minimalistische Zentrale, hohe
Autonomie der dezentralen Geschäfte, kein Geschwätz über interne Synergien, sondern ein klarer
Fokus auf die vielen Kunden und Märkte.
Deutschland ist heute das Land effizientester
Massenproduktion und Standardisierung. »Mehr,
schneller, höher, weiter« – das beherrschen wir hervorragend. Dabei wäre ein »ganz anders« vielleicht
manchmal besser. Obwohl ich selbst bestimmt kein
Vorbild an offener unautoritärer Führung war, hatten
Kreativität und Talent bei mir Freiraum. Deswegen
erlaube ich mir heute, für das »demokratische Unternehmen« zu werben. Unzählige Firmen weltweit
experimentieren mit neuen Führungsarten. Dazu
gehören Wahl und Abwahl von Führungskräften, die
Mitbestimmung der Basis in Fragen der Unternehmensstrategie, Transparenz der Vergütung bis hin zur
Frage, ob alle Mitarbeitenden die gleiche Vergütung
bekommen sollen.
Es beinhaltet flache Hierarchien, die ihren Namen
auch verdienen, Abwesenheit äußerer Statussymbole,
die Aufteilung von Unternehmenseinheiten, wenn
sie eine kritische Größe überschreiten, horizontale,
netzwerkartige Kooperation. Oft sind es avantgardistische Unternehmen, Softwareschmieden oder innerlich beseelte Gründerinnen und Gründer. Manche
wollen es noch nicht wissen, aber dieser Silberstreif
am Horizont der deutschen Wirtschaft bedeutet die
Götterdämmerung für die alten Mächte.
Mitarbeit: Thomas Reinhold
Weitere Informationen im Internet:
w ww.zeit.de/management

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