Vorn Lesen zurn Scnvei en
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Gisela Schmid-Schönbein Vorn Lesen zurn Scnvei en Der Weg zum kommunikativen Gebrauch des Englischen "Schon in meinem ersten Pilotprojekt begannen einige Kinder nach ein paar Wochen von sich aus, das Gesprochene auf ihre Weise aufzuschreiben", berichtet Karlheinz Hellwig (1995: 76), ein Didaktiker, der das grundschulgemäße Lehrgangskonzeptfür den Englischunterricht in den 197oer-Jahren entscheidend mit entwickelte undfür einen behutsamen Einsatz des Schriftbildes plädierte. Hellwig sah jedoch zugleich auch die Gefahren einer möglichen Überforderung und Auslese. Hellwigs Haltung vertraten zu Beginn der 1990er-Jahre viele Lehrkräfte im Englischunterricht der Grundschule, besonders, wenn sie an die möglichen crossover-Störungen zwischen dem Erwerb des Schreibens in der Muttersprache und den englischen Schriftbildern dachten. Mitte der 1990er-Jahre trat jedoch ein Wandel in dieser Auffassung ein: Man begann, die Möglichkeiten der Lernerleichterung durch das Schriftbild zu sehen. Mit Erstaunen wurde das Lehrwerk Pop goes the weasel (1993/1994) von HansEberhard Piepho registriert. Für ihn ergab sich der Einsatz des Schriftbildes nicht primär "aus einer methodischen Absicht, sondern aus der natürlichen Umwelterfahrung aller Kinder, die nach unseren Untersuchungen im 3. Schuljahr mehr als 300 Morphemgruppen des Englischen kennen und annähernd richtig aussprechen, allerdings nur selten als Englisch empfinden" (Piepho 1994: 3). Von der ersten Unit an wurde im Schülerheft des Lehrwerkes für das 1. Lernjahr (3. Schuljahr) das Schriftbild konsequent eingesetzt, und zwar in Kontexten, in denen Lexeme des Englischen den Kindern ohnehin begegneten: shops, supermarkets, airports, hobbies. Evste Einsicht: UsslOvQche und Schvi~tbi'd Kinder sind ständig in der Werbung, in Katalogen und Zeitungen wie auch im Fernsehen von zahllosen englischen Schriftbildern umgeben, deren Klangbild sie sich, wie z. B. in cornflakes und mountainbike, auch richtig einprägen. Daran können Sie anschließen bei der Umsetzung einer allerersten Einsicht. Angesichts der nicht-phonetischen Schreibung des Englischen wird sich Ihren Lernenden spätestens bei gameboy oder play station die Einsicht erschließen, vielleicht zunächst nur unterschwellig, aber zunehmend auch im Sinne von language awareness: "Englisch ist die Sprache, die man anders schreibt als man sie ausspricht". Damit ist schon ein wichtiger Lernschritt im Hinblick auf das Leseverstehen getan, in dem die Schülerinnen und Schüler zunehmend ihnen bekannte Schriftbilder wieder erkennen. Levnevleichtevung - wieso? Neben der sinnvollen Auswertung von Schrift in der Umwelt der Kinder wird das Schriftbild im Sinne der möglichen Lernerleichterung gesehen, weil damit das Segmentieren des Lautstroms in einzelne Wörter und so das Begreifen der Bedeutung erleichtert werden können. Stellen wir uns vor, ein türkisches Kind hört in seinem Sprachlernprozess des Deutschen eine Äußerung wie Woisnderstifdgebliem? Dies rauscht an seinen Ohren als ein Lautstrom der Alltagssprache vorbei, und das Kind wird es schwer haben, wenn es aus diesem Input ohne jede Schriftlichkeit die Sprachelemente von Wo ist denn der Stift geblieben? ausgliedern und in sein Sprachlernen aufnehmen soll. Hier erleichtert das Schriftbild das Verstehen wie auch das Behalten, da über Ohr und Auge zwei Sinneskanäle zugleich angesprochen werden. Gerade für lernschwächere Schülerinnen und Schüler ist das Schriftbild deswegen häufig eine sinnvolle Lernhilfe. QS sagen die ehvlOliine? Mit Ausnahme des Saarlandes, das nur Französisch in der Grundschule unterrichtet, liegen in allen anderen 15 Bundesländern für Englisch (neben anderen Sprachen) inzwischen Lehrpläne vor. Darin variiert der Stellenwert der Fertigkeiten "Vom Lesen zum Schreiben" von der ausdrücklichen Betonung der "unterstützenden Funktion" im bayerischen Lehrplan bis zum nordrhein-westfälischen Lehrplan, in dem es unter "verbindliche Anforderungen" zum Ende der Klasse 4 heißt: "Leseverstehen bekannte Wörter und einfache Sätze wieder erkennen und verstehen kurze, vertraute Texte verstehen, vorlesen und szenisch gestalten einfache und mit Bildern unterstützte Anweisungen verstehen und danach handeln Schreiben • eine einfache, kurze Postkarte schreiben und eine kurze Personenbeschreibung, z. B. aIs Steckbrief, vervollständigen (Ministerium für Schule, Jugend und Kinder" (NRW 200 3: 37) PVil1"lVy Englisn Il' /ZOO6 1 Bf\SISBEIl:RAG ". Liest man die Anforderungen genau, so fällt auf, dass es um "bekannte Wörter" und "vertraute Texte" geht, also nicht, wie beim muttersprachlichen Lesenlernen, um das Erlesen englischsprachiger Texte mithilfe von gelernten, schülereigenen Strategien zur Dekodierung des Schriftbildes. Folglich gilt generell, dass im Englischunterricht nur etwas als Schriftbild mit der Aufforderung zum Lesen oder Schreiben auftauchen sollte, dessen Klangbild zuvor lautrichtig gefestigt ist und dessen Bedeutung von den Kindern verstanden wird. Zudem wird ausdrücklich gesagt, die Kinder sollten "einzelne Wörter, Wendungen sowie kurze, einfache Texte korrekt abschreiben" können (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2004: 78). Im Klartext heißt das, den Schülerinnen und Schülern sollte immer eine Vorlage zur Verfügung stehen, auf die sie beim Schreiben in Zweifelsfällen zurückgreifen können. s bvingen die ehvwevke? In Heft 1/06 haben das Grundschulmagazin Englisch und Primary English eine Reihe von neueren Lehrwerken für den Englischunterricht vorgestellt; in '.. diesem Heft folgen zwei weitere (S. 1012). Schaut man in neuere Lehrwerke, so ist offensichtlich, dass von der ersten Lektion an gedruckter Text erscheint, immer mit dem Hinweis zu Beginn Listen to the story oder Listen and point oder Listen and draw. Durchgängig wird darauf Wert gelegt: Erst wird gehört, dann gesprochen und erst dann gelesen oder geschrieben. Der Stift als Symbol für Zu-Schreibendes taucht allerdings in einem neueren Lehrwerk (Bredenbröcker et aL 2005) bereits ab der ersten Unit auf, in der fünften wird, wie Abbildung 1 zeigt, bereits eine shopping list geschrieben. In konsequenter Weiterführung der Neuorientierung zum Schriftbild bietet ein Verlag für das erste und das zweite Lernjahr je ein Writing Bookfür die Schülerinnen und Schüler an, zur Differenzierung im Unterricht oder für die selbstständige Arbeit zu Hause. Darin finden sich die unterschiedlichsten Aufgaben, von Wort-Bild-Zuordnungsaufgaben bis zu kurzen freien Schreibaufgaben, die aber alle mithilfe von Vorlagen bewältigt werden können. Eine typische Aufgabe aus dem zweiten Lernjahr sieht wie in Abb. 2 dargestellt aus (Hollbrügge/ Kraaz 2005: 19). Zusi:itzliches esen und Schveiben irn ~lc.ssenzirnrnev ®0 1. Listen and ask your partner. How much is the ... ? 2. You have got f:3. Make 0 shopping list. thirteen Abb. I: Beispielseite aus Sally (2005) PrirnQry English ~ /Z006 13 Mit Beginn des ersten Lernjahres Englisch werden, immer in der Folge von Hören - Verstehen - Sprechen, im Laufe der Zeit alle groß beschrifteten Schilder im Klassenraum (wie etwa window, lamp, door) so gut bekannt sein, dass sie gelesen werden können, ebenso wie die Schilder, auf denen Monatsnamen, Wochentage, Zahlen oder die englischen Namen der Kinder geschrieben sind. In diesem Zusammenhang bedeutet "Schrift" erlesen noch keineswegs schreiben. Als Steigerung kann für die Freiarbeit das Zuordnen von Abbildungen und Schriftbildern auf selbst erstellte-n Bingo-Karten folgen, b i dem abwechselnd ein einzelnes Kind die Wortkärtchen vorliest und/oder gleichzeitig hochhält und zeigt: Who has got the scarJ?, worauf das Kind mit der entsprechenden Abbildung antwortet: I've got it oder I've got the scaif. Auf dem Weg vom Lesen zum Schreiben geht es immer um die Funktion, nicht um den Selbstzweck. Zudem fixiert das Schreiben ein Wortbild besonders für die visuellen Lerner in Ihrer Klasse. Also sollte zunächst be"schriftet" werden, was sinnvoll ist, weil es die Merkfunktion erhöht: My list ofschool things wäre eine solche Merkliste, neben What do we needfor our break? Immer aber sollten Sie darauf achten, dass das Schriftbild des Aufzuschreibenden für die Kinder zum Vergleich zur Verfügung steht, nie sollten Ihre Schülerinnen und Schüler aus dem Gedächtnis etwas aufschreiben müssen. Das würde im frühen Stadium der Schriftbegegnung zwar zu kreativen, aber wahrscheinlich falschen Schriftbildern führen. (Im Muttersprachenunterricht kann man sich den "Luxus" eines kreativ falsch Geschriebenen vielleicht leisten, wenn es um die Mitteilungsfunktion von Schrift geht, in Kinderbriefen zum BeispieL In der Muttersprache ist zum Ausgleich der Kontakt mit korrekten Schriftbildern ungleich größer). Die Mitteilungsfunktion von Schrift einzusetzen ist jedoch in Ihrem Englischunterricht ein Schritt, den Sie zumindest im zweiten Lernjahr zur Routine machen können (cf. Cameron 2001). Neugierig werden Ihre Schülerinnen und Schüler auf ein message board in Ihrem Klassenraum reagieren, auf dem Sie Kurznachrichten schreiben, immer solche, deren Text bekannt ist und mündlich beherrscht wird, wie It's Kevin's birthday today. He's eight. Ihre Kinder werden erpicht sein zu lesen, was Sie aufgeschrieben haben. Das kann auch Sachliches sein wie No music lesson today. Und welcher Fortschritt ist es, wenn eine Schülerin oder ein Schüler sich traut, selbst etwas auf dem message board mitzuteilen, z. B. It's my birthday today. Ginger goes to Indio 3 Watehing TV Fill in the speech bubbles. Was mag Hiras Familie gern im Fernsehen sehen? Verbinde die Wörter im Kasten mit den passenden Bildern. Ergänze die Sprechblasen. Was mag Ginger? iU u~ ~~@~ ~~~~~-----;;~i;:;'-;Iprogra~-;;'~~artoons -films -:--music sh;~-;---'l [ _______ . J q~.!~~s - sports llike watching Was siehst du gern im Fernsehen? Ilike _ Abb. 2: Beispielseite aus Ginger - Writing Book 2 Kleinere Texte wie z. B. Reime oder Liedverse, die die Kinder sehr gut beherrschen, können in einem weiteren Schwierigkeitsgrad als Schriftbild erscheinen, am besten auf dem Tageslichtprojektor, auf dem Sie von vier Zeilen zunächst nur die erste aufdecken und dann die Klasse nach und nach die weiteren erlesen lassen. Dabei ergibt sich auch die Bewusstmachung des jeweils einzelnen Wortes, wenn Sie vorher den Text mit einer Wortlücke in jeder Zeile vorbereitet haben. Im Sinne von cultural awareness ist das Schreiben von kurzen Texten auf den greeting cards sinnvoll, die ein Kulturspezifikum der anglo-amerikanischen Welt sind. Zum einen sind das die Get weil cards, die gute Wünsche bei Krankheit übermitteln, dann die Happy Birthday cards und schließlich haben sich auch bei uns die Christmas cards etabliert. Hierfür sollten mehrere Kurztexte zur Auswahl zunächst mit der Klasse an der Tafel erarbeitet werden, ehe die Kinder sie auf die selbst gebastelten Karten übertragen. o Lesen zum rechen Darauf zielt schließlich alles: die Kinder zum kommunikativen Gebrauch des Englischen im Rahmen des Gelernten zu befähigen. Deswegen ist es sinnvoll, in entsprechend großer Schrift so genannte "Sprachproduktionshilfen" in die Klasse zu hängen, mit Satzanfängen, die sich auf diese Weise auch visuell einprägen und so das Sprechen erleichtern. Sie brauchen dann bei Rollenspielen, wenn ein Kind "stecken bleibt", nur noch auf einen geeigneten Satzanfang deuten, um weiterzuhelfen: Can you tell me ..., please? / Let's go to ... / What's your favourite ... ? / I don't want to ... / Have you got ... ? A few fair words ofwaming Zum Schluss sei gestattet, noch einige mögliche Stolpersteine im Lese- und Schreiblernprozess zu erwähnen: Bei allen Irregularitäten des nichtphonetischen englischen Schriftbildes sollten Sie nicht vergessen, auch auf die vorhandenen, wesentlich häufigeren Regelmäßigkeiten zwischen Aussprache und Schreibung hinzuweisen, wie Wunsch (2006: 16) sie in Primary English aufgelistet hat. Kinder, die nicht nach Vorlage schreiben, bilden sich auf der Basis der Muttersprache ein eigenes englisches Schriftbild: *sann statt sun zum Beispiel. Ihre Schülerinnen und Schüler müssen sich beim Schreiben um Korrektheit bemühen und Sie sollten klar machen, dass es "ein bisschen Korrektheit" auch in der englischen Rechtschreibung nicht gibt. Es lohnt sich daher, gleich richtig schreiben zu lernen (Schmid-Schönbein 2001: 71). Das Schreiben sollte in Ihrem Unterricht keinen zu hohen Stellenwert einnehmen (etwa in Form von Vokabellisten) oder gar zur Leistungsfeststellung dienen. Bei angemessenem Einsatz von Lesen und Schreiben wird diese Arbeitsform für Ihre Kinder keine Schwierigkeit sein, sondem vielmehr Stolz auf das Gelernte vermitteln, kurzum etwas sein, das man "schwarz (oder farbig) auf weiß nach Hause tragen kann". Bibliografie Bredenbräcker, Martina et al. (2005): Sally- Lehrwerkfür den Englischunterricht ab Klasse 3, Schülerbuch 3. München: Oldenbourg. Cameron, Lynne (2001): Teaching Languages to Young Learners. Cambridge: Cambridge University Press. Hellwig, Karlheinz (1995): Fremdsprachen an Grundschulen als Spielen und Lernen. Dargestellt am Beispiel Englisch. Ismaning: Hueber. Hollbrügge, Birgit / Kraaz, Ulrike (2005): GINGER 2, Class 4, Writing Book. Berlin: Cornelsen. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (2004): Bildungsplan Grundschule. Stuttgart. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen (2003): Richtlinien und Lehrpläne zur Erprobungfür die Grundschule in Nordrhein- Westfalen. Englisch. Frechen: Ritterbach. Piepho, Hans-Eberhard (1993): Pop goes the weasel. Englisch in der Grundschule 3. Ders. (1994): Lehrerkommentar. Bochum: Kamp. Schmid-Schänbein, Gisela (2001): Didaktik: Grundschulenglisch. Reihe "studium kompakt". Berlin: Cornelsen. Wunsch, Christian (2006): "Schriftbilder schaffen Sprachbewusstsein und sind Lernhilfe". In: Primary English I: 15-17. Autorin Prof. Dr. Gisela Schmid-Schönbein lehrte Englische Sprache und ihre Didaktik an der Universität KoblenzLandau und ist Herausgeberin von Primary English (gss-aachen@t-online. de). Praxis zum Basisbeitrag Den Praxisbeitrag zu unserem Basisthema finden Sie im Grundschulmagazin Englisch ab Seite 3. PYirntAYY EngUsn-1l' 12006 5