Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung

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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
© Roland Berger Strategy Consultants
10/2009, all rights reserved
www.rolandberger.com
Die Go-West-Strategie der
chinesischen Regierung
Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Roland Berger 10/2009
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Studie
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
Die Go-West-Strategie der
chinesischen Regierung
Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Studie
2
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Studie
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
4
Vorwort
6
A. Management Summary
9
B. Die Entwicklung Gesamtchinas
1. Rasantes Wirtschaftswachstum
2. Die gewandelte Rolle Chinas in der Weltwirtschaft
3. China in der Krise
4. Kehrseiten des Wirtschaftsbooms
5. Das Leitkonzept der "harmonischen Gesellschaft"
6. Go-West-Strategie
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C. Die chinesischen Westprovinzen: Nahaufnahme
1. Natur und Raum
1.1 Geografie
1.2 Klima
1.3 Natürliche Ressourcen und Rohstoffe
2. Soziodemografie
2.1 Bevölkerungsentwicklung und -verteilung
2.2 Altersstruktur
2.3 Bildungsniveau
2.4 Forschung und Entwicklung
2.5 Einkommensniveau
2.6 Privater Konsum
3. Besondere politische Herausforderungen
3.1 Soziale Brennpunkte: Armut, Arbeitslosigkeit,
Wanderarbeiter
3.2 Nationale Minderheiten und ethnische Konflikte
3.3 Umwelt und Naturschutz
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D. Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung:
Ziele, Ergebnisse und Ausblick
1. Die erste Phase der Go-West-Strategie
1.1 Die Einbettung der Go-West-Strategie in die zentrale
Planung der Volksrepublik China
1.2 Die Go-West-Strategie im 10. Fünfjahresplan
(2001-2005)
1.3 Die Go-West-Strategie im 11. Fünfjahresplan
(2006-2010)
1.4 Der "Go West Implementation Guide" und die Förderung
ausländischer Direktinvestitionen
2. Status quo: Infrastrukturentwicklung
2.1 Ziele
2.2 Infrastrukturentwicklung in den Westprovinzen
2000 bis 2008
2.3 Weitere Planungen
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
3. Status quo: Wirtschaft
3.1 Wirtschaftsentwicklung
3.2 Auswirkungen der Wirtschaftskrise
3.3 Wirtschafts- und Industriestruktur
3.4 Industrielle Kerne
3.5 Wirtschaftsförderung durch Industrie- und Hightech-Parks
4. Status quo: Außenwirtschaft
4.1 Außenhandel
4.2 Ausländische Direktinvestitionen
4.3 Präsenz ausländischer Unternehmen in Westchina
5. Status quo: Rahmenbedingungen für ausländische Firmen in Westchina
5.1 Rahmenbedingungen in China insgesamt
5.2 Rahmenbedingungen in Westchina
5.3 Wesentliche Motive für das Engagement
ausländischer Unternehmen in Westchina im Speziellen
5.4 Besondere Herausforderungen
für ausländische Unternehmen in Westchina
5.5 Stärken und Schwächen der Westprovinzen
6. Die zweite Phase der Go-West-Strategie: Blick in die Zukunft
6.1 Zehn Jahre Go-West-Strategie: Zwischenbilanz
6.2 Das chinesische Konjunkturprogramm
6.3 Der Zehn-Industrien-Revitalisierungsplan
6.4 Weiterentwicklung der Go-West-Strategie
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E. Die Attraktivität der chinesischen Westprovinzen:
Benchmarking der Gebietskörperschaften
1. Methodik
2. Kernergebnisse des Benchmarkings auf Provinzebene
3. Kernergebnisse des Städte-Benchmarkings
4. Schlussfolgerungen zur Attraktivität der Westprovinzen im Vergleich
101
F. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1. Deutsch-chinesische Wirtschaftsbeziehungen
2. Die Bedeutung Westchinas für die deutsche Wirtschaft
3. Chancen für die deutsche Wirtschaft: Marktperspektive
4. Chancen für die deutsche Wirtschaft: regionale Perspektive
5. Chancen für die deutsche Wirtschaft: Branchenperspektive
6. Empfehlungen an das Ministerium für Wirtschaft und Technologie
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G. Profile der Provinzen
Sichuan
Chongqing
Shaanxi
Xinjiang
Steckbriefe der übrigen Westprovinzen
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Verwendete Quellen
204
101
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Studie
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1:
Übersicht über wichtige Kenngrößen der chinesischen Westprovinzen
9
Abb. 2:
Bruttoinlandsprodukt und BIP pro Kopf der Volksrepublik China
zu konstanten Preisen 1980-2009
23
Abb. 3:
Entwicklung ausländischer Direktinvestitionen in China 1983-2008
24
Abb. 4:
Chinas Außenhandel 1998-2008
25
Abb. 5:
Geografische Übersicht über die chinesischen Westprovinzen
31
Abb. 6:
Topografische Karte China
32
Abb. 7:
Verfügbarkeit von Rohstoffen in Westchina: Anteil an den
gesamtchinesischen Reserven
35
Abb. 8:
Bevölkerungsverteilung in den Westprovinzen
36
Abb. 9:
Kaufkraft der städtischen Bevölkerung in China
41
Abb. 10: Unterschiede bei der Anzahl der im Besitz befindlichen Konsumgüter
pro 100 Haushalte in Westchina gegenüber Ostchina 2008
42
Abb. 11: Für die Go-West-Strategie relevante Pläne und Programme
52
Abb. 12: Regionale Schwerpunkte von Industrieprodukten und HightechForschung in den Westprovinzen nach den Vorgaben des
11. Fünfjahresplans
56
Abb. 13: Kernregionen in den Westprovinzen nach der Festlegung
des 11. Fünfjahresplans
57
Abb. 14: Entwicklung infrastruktureller Ressourcen in Westchina
63
Abb. 15: Hauptachsen des Energienetz-Entwicklungsplans bis 2020:
4 Horizontal/6 Vertikal Energienetz-Struktur
73
Abb. 16: Nominales BIP-Wachstum der Westprovinzen und Gesamtchinas
74
Abb. 17: Volkswirtschaften der Westprovinzen im Vergleich
75
Abb. 18: Vergleich der Entwicklung der Exporte aus den Westprovinzen und
Gesamtchina mit dem Vorjahreswert im ersten Halbjahr 2009
77
Abb. 19: Übersicht über BIP und BIP-Gliederung nach Sektoren auf
Provinzebene in Westchina
78
Abb. 20: Übersicht über die Gewerbe- und Hightech-Parks in Westchina
und ihre Ratings
81
Abb. 21: Entwicklung FDI-Anteil und BIP-Anteil des Westens
an gesamtchinesischen Größen 2005-2008
84
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Abb. 22: Präsenz ausländischer Unternehmen in den chinesischen Provinzen:
Vergleich der Anzahl registrierter ausländischer Firmen in China
85
Abb. 23: Regionale und Branchen-Verteilung deutscher Unternehmen
in den chinesischen Westprovinzen
86
Abb. 24: Vergleich der Rahmenbedingungen für den Geschäftsbetrieb in China:
Zeitdauer für relevante unternehmensbezogene Vorgänge (ohne Tibet)
89
Abb. 25: Beurteilung der Bedeutung verschiedener Standortfaktoren für
Unternehmen in China und Ausprägung in den Westprovinzen
90
Abb. 26: Stärken-Schwächen-Profil der Westprovinzen
92
Abb. 27: Planerfüllung der chinesischen Westprovinzen im 10. Fünfjahresplan
93
Abb. 28: Überblick zum Verhältnis der Westprovinzen zu Gesamtchina
94
Abb. 29: Das "4 Billionen-Konjunkturprogramm" und seine Bedeutung
für die Westprovinzen
97
Abb. 30: Für das Benchmarking auf der analytischen Ebene verwendete
Indikatoren und Maßzahlen
102
Abb. 31: Schematische Übersicht zur Methodik der vergleichenden
Beurteilung der Gebietskörperschaften
102
Abb. 32: 13 wichtigste Wirtschaftszentren in den Westprovinzen
104
Abb. 33: Abbildung der Attraktivität der Westprovinzen aus analytischer
und Unternehmensperspektive
104
Abb. 34: Erzielte Rangplätze der Provinzen aus der analytischen Perspektive
in den einzelnen analysierten Dimensionen
106
Abb. 35: Erzielte Rangplätze der Provinzen aus der Unternehmensperspektive
108
Abb. 36: Abbildung der Attraktivität führender Agglomerationen aus analytischer
und Unternehmensperspektive
110
Abb. 37: Erzielte Rangplätze der 13 führenden Wirtschaftszentren aus der
analytischen Perspektive in den einzelnen analysierten Dimensionen
112
Abb. 38: Entwicklung bilaterales Handelsvolumen China und Deutschland
114
Abb. 39: Für deutsche Unternehmen attraktive Standorte nach Industriezweigen
120
6
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Studie
Vorwort
Die chinesische Regierung bemüht sich mit ihrer Go-West-Strategie seit fast
zehn Jahren, die ökonomischen, sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen für die Entwicklung Westchinas zu verbessern.
Die vorliegende Studie geht auf deutsch-chinesische Wirtschaftskonsultationen und das Interesse der chinesischen Regierung zurück, mehr Investitionen aus Deutschland für den chinesischen Westen anzuziehen.
Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie Roland Berger Strategy Consultants im Juni 2009 beauftragt,
eine Studie zu den ökonomischen Potenzialen für deutsche Unternehmen
im Westen Chinas zu erstellen.
Die Kernaufgaben der Studie waren dabei
> Eine Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen Situation in den
Westprovinzen
> Eine Bewertung der Go-West-Strategie und der zukünftig geplanten
Weichenstellungen, einschließlich des chinesischen Konjunkturpakets
> Ein Beurteilung der Infrastrukturentwicklung in Westchina
> Die Ermittlung von Geschäftsmöglichkeiten für die deutsche Wirtschaft
sowie die Ableitung von Handlungsempfehlungen
Die Studie wurde bei Roland Berger zwischen Juni und August 2009 vom
Competence Center Civil Economics in enger Zusammenarbeit mit unseren
drei chinesischen Büros erarbeitet. Große Teile der Datenaufnahme sowie
die Interviews mit Experten und Unternehmen wurden gemeinsam mit den
Büros von Roland Berger Strategy Consultants in China vor Ort durchgeführt.
Die Studie gliedert sich fünf Hauptteile:
> Die Management Summary in Teil A fasst die wesentlichen Ergebnisse
der Studie in geraffter Form zusammen.
> Teil B bietet eine Hinführung zum Thema und beschreibt den Kontext
für die Go-West-Strategie in der Entwicklung Gesamtchinas.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
> Teil C leistet eine zusammenfassende Darstellung der Westprovinzen.
Kernaufgabe ist hier, die Spezifika der Westprovinzen gegenüber
Gesamtchina und den östlichen Provinzen herauszuarbeiten.
> Teil D erläutert die Zielsetzung, die bisherigen Ergebnisse sowie die
weiteren Planungen der Go-West-Strategie der chinesischen Regierung.
Schwerpunkte sind dabei zwei wesentliche Themenfelder der Go-WestStrategie: die Infrastruktur und die Förderung des Außenhandels. In
diesem Kontext werden auch die Aktivitäten ausländischer Unternehmen
in den westlichen Provinzen betrachtet.
> In Teil E werden dann die einzelnen Provinzen und die wichtigsten
Wirtschaftszentren in einem systematischen Vergleich auf Basis statistischer Daten und der Ergebnisse der Unternehmensgespräche gegenübergestellt und anhand verschiedener Kriterien in eine Rangfolge gebracht.
> Teil F leitet aus den Ergebnissen der Studie Schlussfolgerungen bezüglich
der Chancen für die deutsche Wirtschaft in Westchina und Handlungsempfehlungen für das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ab.
> Teil G enthält schließlich in geraffter Form Steckbriefe der zwölf Westprovinzen und der wichtigsten ökonomischen Zentren sowie ausführliche Textdarstellungen zu vier ausgewählten Regionen.
Für die systematische und stimmige Aufbereitung von Informationen stellte
die Datenlage in den offiziellen chinesischen Statistiken häufig eine Herausforderung dar. Wo immer möglich, basieren die in dieser Studie präsentierten Auswertungen auf Daten aus den Publikationen des Nationalen Amtes
für Statistik der Volksrepublik China (National Bureau of Statistics of China,
im Folgenden zitiert als NBS) sowie auf Quellen anerkannter internationaler
Organisationen, etwa der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds.
Teilweise gelten die offiziellen Statistiken aber als nicht besonders aussagekräftig. Dies ist zum Beispiel bei Angaben zu Arbeitslosenquoten der Fall,
weil die entsprechenden Statistiken in der Regel nicht die komplette relevante Grundgesamtheit der Bevölkerung erfassen. Eine Reihe von Datenpunkten zu den Gebietskörperschaften ist außerdem in China nur aus den
einzelnen Jahrbüchern der Provinzen oder Städte zu ermitteln. Dabei hat
sich gezeigt, dass diese nicht immer mit den nationalen Statistiken konsistent sind und zum Beispiel bereits bei Angaben zu Wirtschaftsleistung oder
zu ausländischen Direktinvestitionen abweichen. An den Stellen der Studie,
an denen Daten nicht komplett plausibilisiert werden konnten, erfolgt ein
entsprechender Hinweis.
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Studie
Noch zwei formale Hinweise: Chinesische Namen und geografische
Bezeichnungen sind in der international üblichen Hanyu-Pinyin-Umschrift
wiedergegeben. Eine Ausnahme von dieser Regel wird lediglich in solchen
Fällen gemacht, bei denen im Deutschen geläufige Benennungen existieren:
Den Huang He kennen sicherlich die meisten deutschsprachigen Leser als
Gelben Fluss, den Chang Jiang als Jangtse.
Währungsangaben erfolgen im Rahmen dieser Studie durchgehend in
chinesischen Yuan Renminbi (CNY). An einigen Stellen wird zur Plausibilisierung eine Umrechnung in US-Dollar mit angegeben. Umrechnungen
erfolgten mit dem jeweiligen durchschnittlichen Wechselkurs des betreffenden Jahres. So entsprechen etwa für 2008 100 CNY circa 14,4 USD oder
9,81 EUR.
Die Realisierung dieser Studie in der vorliegenden Form war nur durch die
engagierte Mitwirkung zahlreicher Akteure und Institutionen auf deutscher
und chinesischer Seite möglich. Unser herzlicher Dank für die tatkräftige
Unterstützung bei den Recherchen gilt den Gesprächspartnern in China:
zum einen den Experten aus dem Kreis von Entwicklungsbanken und der
chinesischen Akademie der Wissenschaften, die uns für Gespräche zur
Verfügung standen, zum anderen den in China aktiven Unternehmen,
die sich die Zeit für ausführliche Interviews genommen haben.
Zu großem Dank verpflichtet sind wir auch der Deutschen Botschaft und
der Deutschen Handelskammer in China, die uns in vielfältiger Form unterstützt haben, sowie dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
für die pragmatische Hilfe. Dank sagen möchten wir außerdem der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) und dem chinesischen
Handelsministerium (MOFCOM) für ihre Bereitschaft zur Kooperation.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
A. Management Summary
Summarisch kann die Stellung der Westprovinzen in China anhand von
einigen Kernkenngrößen in der folgenden Abbildung dargestellt werden:
Die weiteren Ergebnisse der vorliegenden Studie lassen sich in den folgenden 45 Kernaussagen zusammenfassen. Die Struktur der Darstellung entspricht dabei zur leichteren Orientierung der Kapitelfolge der Studie.
Die chinesischen Westprovinzen: Nahaufnahme
> "Die Westprovinzen": Die Westprovinzen in der Definition der chinesischen Regierung stellen keine in irgendeiner Form homogene Gruppe
von Regionen dar – im Gegenteil: Die sechs Provinzen, fünf Autonomen
Regionen und eine regierungsunmittelbare Stadt sind in fast jeder Hinsicht heterogen: geografisch, klimatisch, bezüglich spezifischer Ressourcen, Einwohnerzahl und Bevölkerungsdichte, Wirtschaftsstrukturen,
Wirtschaftsleistung oder der Affinität für ausländische Investoren. Die
Gemeinsamkeit der einzelnen Provinzen besteht lediglich darin, dass sie
im Vergleich zu den übrigen chinesischen Regionen Chinas als weniger
entwickelt gelten und deshalb im Rahmen der Go-West-Strategie in der
politischen Planung gemeinsam betrachtet werden.
10
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Studie
> Natur und Raum: Zum Teil weisen die Westprovinzen extreme geografische und klimatische Bedingungen auf (Wüsten, ausgeprägte Höhenlagen), was die Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Tätigkeit, etwa
bei der Landwirtschaft, deutlich erschwert. Gerade in den nördlichen
und einigen westlichen Regionen fallen sehr geringe Niederschläge
und es herrscht Wassermangel.
> Ressourcen: Die Westprovinzen sind reich an natürlichen Ressourcen:
Es finden sich sehr große Anteile wichtiger Rohstoffe, zum Beispiel Kohle
(53% der chinesischen Reserven), Erdgas (68% der chinesischen Reserven), Zinn (80% der chinesischen Reserven) oder Nickel (97% der chinesischen Reserven). Außerdem liegen 37% des verfügbaren Ackerlandes
– eine in China zunehmend knappe Ressource – im Westen.
> Demografie: In den Westprovinzen leben 365 Mio. Menschen, die sich
aber sehr ungleich über die riesige Fläche dieser Regionen (69% der
Fläche Chinas) verteilen: So leben in Sichuan 81 Mio. Menschen, in der
weit größeren Autonomen Region Tibet nur knapp 3 Millionen. Von der
Gesamtbevölkerung leben mit 35% noch deutlich unterdurchschnittlich
viele Menschen in den Städten (China gesamt: 45%). Die Bevölkerungsentwicklung ist analog zu Gesamtchina praktisch stabil. Überdurchschnittlich wächst die Bevölkerungszahl nur in einigen Autonomen
Regionen, in denen die Angehörigen der nationalen Minderheiten
von den Vorgaben der Ein-Kind-Politik ausgenommen sind.
> Bildung: Westchina liegt bei den Bevölkerungsanteilen mit höherer
Schulbildung mit 11% und einem Akademikeranteil von 5% leicht unter
den gesamtchinesischen Werten von 13% beziehungsweise 7%. Auch
was die Zahl der Universitäten angeht, ist Westchina mit 1,1 Einrichtungen pro 1 Million Einwohner nicht deutlich schlechter gestellt als
der Osten Chinas (1,3). Allerdings wird mit im Schnitt 170.000 CNY
(circa 24.500 USD) pro 1.000 Einwohner im Westen deutlich weniger
in Bildungseinrichtungen investiert als im Osten (211.000 CNY,
circa 30.400 USD).
> Forschung: In der Forschungsleistung – gemessen an der Zahl der
Patente – liegen die Westprovinzen noch deutlich hinter dem Osten
Chinas zurück: So wurden 2008 nur 10% der in China angemeldeten
Patente im Westen erarbeitet (insgesamt 33.000). Innerhalb der Westprovinzen sind die Unterschiede zudem sehr stark: Zwei Drittel der in
Westchina angemeldeten Patente entfallen auf die Provinzen Sichuan
(40%), Chongqing (14%) und Shaanxi (13%).
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
> Kaufkraft und Konsum: Das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen liegt in den
westlichen Provinzen mit knapp 10.000 CNY (circa 1.400 USD) deutlich
unter dem der östlichen Provinzen mit 12.000 CNY (circa 1.700 USD).
Dementsprechend reduziert ist das Konsumverhalten: Zwar entsprechen
die Konsumausgaben der westchinesischen Bevölkerung mit einem
Anteil von 17% an denen Gesamtchinas ungefähr dem Anteil der Wirtschaftsleistung (19%). Die Ausstattung mit Wohlstandsgütern wie Fahrzeugen, Klimaanlagen oder Computern liegt aber noch deutlich unter
der im östlichen Teil Chinas (zum Beispiel 5,7 Fahrzeuge pro 100 Einwohner im Westen vs. 8,8 im Osten).
> Herausforderungen: Spezifische Herausforderungen für die Politik stellen
Armut und Arbeitslosigkeit und die ethnische Situation dar: Das Armutsniveau ist im Westen mit 8,7% der Bevölkerung deutlich höher als im
Osten (3,8%). Die offiziellen Arbeitslosenquoten liegen zwar im chinesischen Schnitt, berücksichtigen aber in der Regel die ländliche Bevölkerung und Wanderarbeiter nicht ausreichend, sodass man auch hier
von höheren Werten im Westen ausgehen kann. Darüber hinaus lebt
in Westchina ein Großteil der nationalen Minderheiten Chinas: Diese
stellen im Westen 20% der Bevölkerung (vs. 8% im Osten), und die
strikte Assimilierungspolitik der chinesischen Zentralregierung führt
immer wieder zu gewaltsamen Konflikten wie in Tibet im Jahre 2008
oder in Xinjiang im Sommer 2009.
> Umweltverschmutzung: Der Westen Chinas ist in besonderem Maße von
Umweltproblemen betroffen. Dazu zählen Wasserknappheit und Wasserverschmutzung, Erosion und Degradation von Böden sowie verstärkte
Wüstenbildung, Entwaldung sowie starke Luftverschmutzung
Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung:
Ziele, Ergebnisse und Ausblick
> Die Go-West-Strategie: Die politischen Zielsetzungen der Go-West-Strategie müssen im Kontext des chinesischen Systems der "sozialistischen
Marktwirtschaft" verstanden werden, die noch starke Züge einer Zentralverwaltungswirtschaft trägt. Die Go-West-Strategie wurde 1999 aus
der Motivation heraus entwickelt, die drastischen Entwicklungsunterschiede zwischen den westlichen Regionen Chinas und den sich stark
entwickelnden östlichen Regionen auszu-gleichen. Im Jahr 2000 wurde
die Go-West-Strategie in den 10. Fünfjahresplan (2001-2006) integriert.
12
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Studie
> Politische Programme: Die wichtigsten politischen Regelungen der
Go-West-Strategie sind der 10. und der 11. Fünfjahresplan mit jeweils
spezifischen Go-West-Programmen, der "Go West Implementation Guide"
sowie die Liste der geförderten Industrien für Auslandsinvestitionen.
> Der 10. und der 11. Fünfjahresplan: Die Go-West-Strategie wurde als
zentraler Baustein in den 10. Fünfjahresplan (2001-2006) integriert.
Als wesentliche Ziele wurden dabei festgeschrieben, die Infrastruktur in
ländlichen Gebieten zu verbessern, umfassende Wiederaufforstung und
Sanierung von Flächen vorzunehmen, das Bildungsniveau in den Westprovinzen anzuheben und die Effizienz in Industriebetrieben zu steigern.
Da diese Ziele (siehe Teil C) nur zum Teil erreicht wurden, wurde die
Go-West-Strategie im 11. Fünfjahresplan (2006-2010) fortgeschrieben,
der insgesamt eine Kurskorrektur von einer quantitativen zu einer mehr
qualitativen Wirtschaftsentwicklung vorsieht. Für die Westprovinzen sind
eine Forcierung der Infrastrukturentwicklung, vor allem beim Straßenund Schienenbau, sowie die Förderung bestimmter Wirtschaftszweige
vorgesehen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Energiewirtschaft, der
Chemiebranche, dem Abbau und der Verarbeitung von Mineralien, der
Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte, dem Maschinenbau, Hightech-Industrien und dem Tourismus. Außerdem ist die Förderung von
drei Fokusregionen mit Leuchtturmfunktion vorgesehen, der Region
Guanzhong-Tianshui (in den Provinzen Shaanxi und Gansu), der Region
Chengdu-Chongqing und der sogenannten "North Bay" in der Provinz
Guangxi.
> Der "Go West Implementation Guide" und die Liste der geförderten Industrien für Auslandsinvestitionen: In der Umsetzungsrichtline der Go-WestStrategie wurden zehn wesentliche Politikmaßnahmen definiert, die im
Rahmen der Strategie umzusetzen sind. Mehr als die Hälfte der aufgeführten Maßnahmen zielt darauf ab, die Bedingungen für Unternehmen
mit ausländischer Beteiligung zu verbessern, etwa im Bereich der Steuerpolitik. Für Auslandsinvestitionen in den chinesischen Westprovinzen
wurde außerdem ein sehr ausführlicher Katalog der "geförderten Branchen" und der in diesen Branchen vorrangig geförderten Aktivitäten
erstellt. Für diese Branchen kann in den jeweils benannten Regionen
von ausländischen Unternehmen insbesondere der verminderte Körperschaftssteuersatz von 15% in Anspruch genommen werden.
> Status quo Infrastrukturentwicklung: In der ersten Phase der Go-WestStrategie lag der Fokus im Wesentlichen auf dem Ausbau der Infrastruktur. Neben Großprojekten wie der Eisenbahnverbindung Qinghai-Lhasa
(abgeschlossen 2006), den West-Ost-Gaspipelines, dem West-Ost-Elektri-
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
zitätsübertragungssystem und dem Süd-Nord-Wassertransferprojekt
(derzeit in der Umsetzung) wurden vor allem VerkehrsinfrastrukturEntwicklungsprojekte angestoßen. So wurden zwischen 1999 und 2007
über 12.000 Kilometer Autobahnen und 8.000 Kilometer Schienenwege
gebaut. Dabei stand vor allem die Anbindung der Westprovinzen an den
Osten Chinas im Vordergrund. Der Ausbau soll auch in Zukunft weitergehen: Bis 2030 ist eine Verdopplung der Länge der Schnellstraßen im
Westen vorgesehen, der Ausbau des Schienenverkehrs wird eine größere
Rolle spielen, außerdem wird ein stärkerer Fokus darauf gelegt werden,
die Zentren Westchinas miteinander zu verknüpfen.
> Energieerzeugung: Die Elektrizitätserzeugungskapazität stieg zwischen
1999 und 2007 von 71 Gigawatt auf über 200 Gigawatt. Die Netz- und
Übertragungskapazitäten haben mit dieser Entwicklung aber nicht Schritt
gehalten, daher sind weiterhin große Investitionen in den Netzausbau
nötig. Geplant ist, ein chinaweites Netz von Hochspannungsübertragungsleitungen zu errichten, das die starken Erzeugungskapazitäten im
Westen systematisch mit den Ostprovinzen und den Norden mit dem
Süden des Landes verbindet. Künftig soll auf die erneuerbaren Energien
ein größerer Anteil an der Energieerzeugung entfallen, weil es gerade
im Westen große Potenziale und vielversprechende erste Projekte im
Bereich Wind- und Solarenergie gibt.
> Wirtschaftliche Entwicklung: Das Bruttoinlandsprodukt der Westprovinzen lag 2008 bei 5,8 Billionen CNY (circa 840 Mrd. USD). Das entspricht
einem Anteil von 19% an der Wirtschaftsleistung der Volksrepublik
China. Bis zum Jahr 2000 hinkte die wirtschaftliche Entwicklung der
westlichen Provinzen derjenigen Gesamtchinas hinterher. Seit 2001
konnte der Westen jedoch im Wachstumstempo aufholen und lag
beim Wachstum in etwa im gesamtchinesischen Schnitt. Um in der
Wirtschaftskraft aber zum Osten aufzuschließen, müsste der Westen
deutlich stärker wachsen als Gesamtchina. Dies ist zur Zeit nicht der
Fall. Die Wirtschaftsleistung in den Westprovinzen ist extrem ungleich
verteilt: Allein Sichuan, die Innere Mongolei, Guangxi, Shaanxi und
Chongqing erwirtschaften knapp 60% des westlichen BIP.
> Wirtschaftskrise: Glaubt man den offiziellen Statistiken trotz einiger
Unklarheiten, gibt es Indikationen dafür, dass die Westprovinzen von
den Auswirkungen der Wirtschaftskrise zwar ebenso wie Gesamtchina
hart getroffen werden, aber weniger stark als die östlichen Regionen.
Dies lässt sich anhand der Wachstums- und der Exportentwicklung
zeigen. Die These wird außerdem durch die Tatsache gestützt, dass der
Schwerpunkt des chinesischen Konjunkturpakets auf Leistungen für
den Westteil des Landes liegt.
14
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Studie
> Industriestruktur: Die Industriestruktur ist in Westchina noch sehr stark
am primären Sektor orientiert: Während im Osten Chinas nur 9% der
Wirtschaftsleistung aus der Landwirtschaft und 4% aus dem Bergbau
stammen, spielen in den Westprovinzen die Landwirtschaft mit 16%
und der Bergbau mit 9% der Wirtschaftsleistung eine sehr viel wichtigere
Rolle. Dagegen ist der Dienstleistungssektor mit im Schnitt 35% Anteil
am Bruttoinlandsprodukt im Westen noch stark unterentwickelt.
> Industrielle Zentren im Westen: Im Westen zeigen sich neben Bergbau
und Landwirtschaft sechs weitere Industriezweige, in denen sich die
Wertschöpfung der Westprovinzen deutlich positiv vom durchschnittlichen Beitrag des Westens zum gesamtchinesischen Volkseinkommen
abhebt und regionale Stärken zeigt: die Getränkeindustrie, die Tabakindustrie, die Metallverarbeitung (ohne Eisen und Stahl), die Erzeugung
von Erdgas, Wasser und Elektrizität, das Hotel- und Gaststättengewerbe
sowie die pharmazeutische Industrie.
> Gewerbe- und Hightech-Parks im Westen: Die beiden wichtigsten Gruppen
von Industrieparks in China sind die Nationalen Wirtschafts- und Technologie-Entwicklungszonen (National Economic and Technological Development Zones, ETDZ) auf der einen Seite und die Nationalen HightechEntwicklungszonen (National Hi-Tech Industrial Development Zones,
HIDZ) auf der anderen Seite. Heute existieren in ganz China 54 ETDZ,
davon 13 in Westchina, und 53 HTDZ, davon 12 in Westchina. Mit
wenigen Ausnahmen sind diese Industrie- und Hightech-Parks in der
Nähe der jeweiligen Provinzhauptstädte angesiedelt. Bezüglich der
Anzahl von jeweils etwa einem Fünftel entspricht die Zahl der Entwicklungszonen in Westchina also in etwa der westchinesischen Wirtschaftsleistung. In der Qualität der Industrieparks können aber nur sehr wenige
Parks in Westchina (vor allem Chongqing, Xi'an und Chengdu) mit den
Wettbewerbern im Osten mithalten, wie ein Rating aller chinesischen
Industrieparks ergab.
> Außenhandel des Westens: Beim Außenhandel liegen die Westprovinzen
nach wie vor sehr weit hinter den anderen Regionen Chinas zurück: Der
Anteil der westlichen Provinzen an den gesamtchinesischen Exporten
beträgt knapp 4%. Auf der Importseite liegt der Anteil ebenfalls nur
bei 4%. Den dominierenden Part im Außenhandel Westchinas spielen
bei den Exporten die Autonome Region Xinjiang sowie die Provinzen
Sichuan und Shaanxi; die drei Provinzen erreichen zusammen einen
Anteil von 50%.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
> Ausländische Direktinvestitionen: Die ausländischen Direktinvestitionen
in der Volksrepublik China sind in den zehn Jahren zwischen 1999 und
2008 mit durchschnittlich 10% pro Jahr sehr dynamisch gewachsen und
lagen 2008 bei 92 Mrd. USD. Der Westen absorbiert aber nach wie vor
sehr viel weniger ausländische Direktinvestitionen, als es eigentlich dem
Anteil seiner Wirtschaftsleistung entsprechen würde. Der Anteil an allen
ausländischen Direktinvestitionen in China, der in die Westprovinzen
geflossen ist, hat sich von einer niedrigen Basis ausgehend zwischen
2005 und 2008 von 8% auf 14% vergrößert und liegt damit noch deutlich unter dem Anteil der Wirtschaftsleistung von 19%.
> Präsenz internationaler Unternehmen: Von den 286.000 in der Volksrepublik registrierten ausländischen Unternehmen sind nur 16.600
– das entspricht einem Anteil von 6% – in den westlichen Provinzen
präsent. Die meisten Unternehmen mit ausländischer Beteiligung finden
sich heute in den Provinzen Sichuan und Shaanxi sowie in den südlichen
Provinzen Yunnan und Guangxi. Als Beispiele für das Engagement ausländischer Unternehmen in Westchina können Intel in Chengdu, Fraport
in Xi'an, Duravit in Chongqing, BASF in Kunming, Joh. Barth und Sohn
in Ürümqi oder die Veolia-Gruppe in verschiedenen Westprovinzen
aufgeführt werden.
> Präsenz deutscher Unternehmen: Von den knapp 3.600 Unternehmen
in der Datenbank der Deutschen Handelskammer in China sind nur 167
(5%) in Westchina registriert. Deren Verteilung innerhalb des Westens
zeigt dabei einen Schwerpunkt in den Provinzen Sichuan, Shaanxi
und Chongqing. In der Branchenverteilung zeigt sich die Dominanz
des Maschinenbaus, dem fast die Hälfte der deutschen Unternehmen
in Westchina zuzurechnen sind. Es folgen mit deutlichem Abstand in
der Bedeutung die Elektronik-, IT-, Automobil- und Chemiebranche.
> Rahmenbedingungen für ausländische Unternehmen: Die Aufnahme
und die Ausübung einer Geschäftstätigkeit in den Westprovinzen werden
immer noch als schwieriger beurteilt als in Ostchina. Die Gründung eines
Unternehmens dauert mit durchschnittlich 45 Tagen länger als im Osten
(39 Tage). Ähnlich verhält es sich mit der Zeit, die die Registrierung von
Eigentum (57 Tage im Westen vs. 50 Tage im Osten), die Registrierung
von Kreditgarantien (21 Tage im Westen vs. 14 Tage im Osten) und die
Durchsetzung von Verträgen vor Gericht (351 Tage im Westen vs. 300
Tage im Osten) in Anspruch nehmen. Sichuan, Chongqing und Shaanxi
erzielen dabei nicht nur die besten Platzierungen unter allen Westprovinzen; sie schneiden im Schnitt auch besser ab als die ostchinesischen
Provinzen.
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|
Studie
> Motivation der Unternehmen für eine Tätigkeit in den Westprovinzen: Die
Unternehmensinterviews, die für die vorliegende Studie geführt wurden,
machten deutlich, dass für das Engagement in Westchina im Prinzip vor
allem die lokalen Marktchancen, das Mitgehen mit Kunden oder Lieferanten und bis zu einem gewissen Grad die bessere Kostensituation
ausschlaggebend sind. Gleicht man diese Motivationslage mit dem
Stärken-Schwächen-Profil der Westprovinzen ab, so zeigt sich, dass der
Westen eher in den Bereichen punkten kann, die von den Unternehmen
als weniger wichtig betrachtet werden, also etwa bei der Verfügbarkeit
natürlicher Ressourcen oder bei der Wirtschaftspolitik. Überraschend
wenig Bedeutung messen die befragten Unternehmen der vorhandenen
politischen Unterstützung und der Wirtschaftförderung zu. Dies wird
nicht als besonderer Mehrwert der Westprovinzen betrachtet, weil
viele andere Standorte in China ähnliche Konditionen bieten.
> Spezifische Herausforderungen für Unternehmen in Westchina: Insgesamt
lässt sich festhalten, dass sich aus Sicht der Unternehmen die Rahmenbedingungen in Westchina nicht grundsätzlich oder extrem, sondern
eher graduell und bezüglich einiger Spezifika von den Gegebenheiten
in anderen Regionen Chinas unterscheiden. Als spezifische Herausforderungen wurden insbesondere das Qualifikationsniveau des Personals, die
schwierigere Situation für Expatriates, die geringere Erfahrung lokaler
Behörden im Umgang mit Ausländern und ausländischen Unternehmen,
die enormen Entfernungen und die anderen logistischen Herausforderungen sowie die Langwierigkeit administrativer Vorgänge angeführt.
Außerdem gilt der Aufbau langfristiger und intensiver persönlicher
Beziehungen im Westen als noch wichtiger für den Geschäftserfolg
als im östlichen China – das erfordert Zeit und Geduld.
> Spezifische Stärken der Westprovinzen:
– Große Vorkommen wichtiger Bodenschätze, vor allem bezüglich
Energierohstoffen (Erdgas, Kohle, Wasserkraft)
– Boomende Rohstoffbranchen und bisher niedriger Grad an
Ausbeutung der Naturressourcen
– Rolle als wichtige Schaltstelle für den Handel mit Zentralasien
(Xinjiang) und Südostasien (Yunnan)
– Niedriges Kostenniveau im Vergleich zu den Ostküstenregionen
– Stark verbesserte Verkehrsinfrastruktur
– Starke ökonomische Entwicklung in einzelnen Regionen und Herausbildung wichtiger Konsumentenmärkte in einzelnen Ballungszentren
– Herausbildung einzelner relevanter technologischer Zentren,
vor allem in Sichuan, Chongqing und Shaanxi
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
> Spezifische Schwächen der Westprovinzen:
– Einzelne Regionen geografisch sehr stark abgelegen, vor allem
Qinghai und Tibet
– Teilweise extremes Klima, vor allem in den nördlichen und
westlichen Regionen
– Schwelende ethnische Konflikte, vor allem in Tibet und in Xinjiang
– Starke Umweltverschmutzung, bereits starke Abholzung und
zunehmende Wüstenbildung
– Überproportionale Bedeutung von Landwirtschaft und Bergbau in
der Wirtschaft – dagegen geringe Bedeutung von Dienstleistungen
– Starke Uneinheitlichkeit der Wirtschaftsentwicklung in den
Provinzen
– Unterentwickelte Konsumentenmärkte wegen der Armut signifikanter
Teile der Bevölkerung
– Teilweise nicht hinreichend qualifizierte Arbeitskräfte
– Geringe Ausrichtung an und Erfahrung mit Auslandsinvestitionen
Zehn Jahre Go-West-Strategie: Die chinesische Regierung hebt in ihrer
bisherigen offiziellen Bewertung die positiven Effekte der Go-West-Strategie
hervor: Erfolge seien insbesondere bei der Infrastrukturentwicklung, dem
Wirtschaftswachstum, der Erhöhung der Haushaltseinkommen sowie durch
die Veränderung der Wirtschaftsstruktur – stärkere Entwicklung der Industrieproduktion relativ zur Landwirtschaft – erzielt worden. Es wurden
auch in der Tat einige messbare Fortschritte erreicht. Beispielhaft sei hier
angeführt, dass sich der Human Development Index der Vereinten Nationen
für die Westprovinzen zwischen 1999 und 2008 von im Schnitt 0,59 auf
0,72 verbessert hat.
Erfolge der Provinzen: Die Provinzebene in der Umsetzung der Go-WestStrategie ist sehr stark auf die Funktion eines rein ausführenden Organs
beschränkt. Zwar dürfen eigenständige ergänzende Programme entwickelt
werden, dies unterbleibt aber häufig aufgrund der starken Budgetknappheit
der regionalen Gebietskörperschaften. Die Umsetzung der Strategie ist
damit immer noch sehr stark zentralistisch von oben nach unten gesteuert.
Eine Analyse der Planerfüllung der Provinzen im 10. Fünfjahresplan zeigt,
dass alle Provinzen die in den Fünfjahresplänen vorgesehenen Ziele weitestgehend erfüllt haben. Es ist davon auszugehen, dass im offiziellen chinesischen Reporting-Mechanismus im Regelfall eine volle Zielerreichung berichtet wird, gegebenenfalls mit entsprechender Anpassung der Daten. Die
Aussagefähigkeit dieser Berichte für einen systematischen Vergleich der
Provinzen ist daher eingeschränkt.
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|
Studie
Status der Westprovinzen heute: Es muss generell festgehalten werden, dass
zehn Jahre nach dem Start der Go-West-Strategie in vielen Bereichen noch
ein erheblicher Abstand zwischen den Westprovinzen und den wohlhabenderen Ostprovinzen klafft. Beispielhaft sei angeführt, dass die Westprovinzen zwar 69% der Fläche und 28% der Bevölkerung ausmachen, aber lediglich 19% des Bruttoinlandsprodukts, 17% der Konsumausgaben, 14% der
ausländischen Direktinvestitionen, 10% der angemeldeten Patente, 6% der
ausländischen Unternehmen und 4% der Exporte erreichen. Die Go-WestStrategie hat daher ihre Ziele noch nicht erreicht und muss fortgeführt
werden.
Das chinesische Konjunkturpaket: Das im November 2008 aufgelegte chinesische "4 Billionen-Konjunkturprogramm" kommt überwiegend den Westprovinzen zugute. Wesentliche Bestandteile dieses Konjunkturpakets sind
auf Westchina ausgerichtet und zielen auf die Beschleunigung beziehungsweise die Erweiterung von Maßnahmen, die bereits im aktuellen Fünfjahresplan aufgenommen waren. Dazu gehört der forcierte Aufbau von Transport- und Infrastrukturprojekten, unter anderem der West-Ost-Gaspipeline.
Ein hoher Stellenwert wird auch den Wiederaufbaumaßnahmen in der
Provinz Sichuan eingeräumt, um die Beseitigung der von dem Erdbeben
2008 verursachten Schäden zu beschleunigen.
Der Zehn-Industrien-Revitalisierungsplan: Als Ergänzung zum Konjunkturpaket hat die chinesische Regierung im Frühjahr 2009 den sogenannten
"Zehn-Industrien-Revitalisierungsplan" vorgelegt. Die dabei in den Fokus
genommenen Branchen der Industrieproduktion (außer Logistik) tragen
heute einen Anteil von 40% zum chinesischen Bruttoinlandsprodukt bei.
Wie sich zeigt, weisen die im Zehn-Industrien-Revitalisierungsprogramm
adressierten Branchen eine hohe Korrelation mit denjenigen Wirtschaftszweigen auf, die bereits das ökonomische Profil der Westprovinzen prägen
beziehungsweise in diesen Regionen besonders gefördert werden sollen.
Weiterentwicklung der Go-West-Strategie: Im Sommer 2009 hat die chinesische Zentralregierung angekündigt, bereits Ende des Jahres ein überarbeitetes und erweitertes Programm für die Go-West-Strategie zu entwerfen und
zu veröffentlichen. Bereits heute zeichnet sich ab, dass dieses Programm
ebenso wie der nächste Fünfjahresplan vor allem den Ausbau und die Differenzierung der Industrieentwicklung in den Westprovinzen zum Inhalt
haben wird. In den Interviews, die bei den Recherchen zur vorliegenden
Studie geführt wurden, hielten sich Vertreter der offiziellen Stellen noch
sehr bedeckt, was die konkrete Ausgestaltung des aktualisierten Go-WestProgramms anbelangt. Allerdings deuteten sie an, dass es ein oder zwei
neue Fokusregionen im Westen geben wird.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Die Attraktivität der chinesischen Westprovinzen – Benchmarking der Gebietskörperschaften
> Die Westprovinzen im Vergleich: Ziel des Benchmarkings der Provinzen
und der 13 wesentlichen Wirtschaftszentren in Westchina war es,
anhand verschiedener Standortfaktoren die Attraktivität der einzelnen
Gebietskörperschaften für ein unternehmerisches Engagement zu beurteilen. Dabei wurden Kriterien wie Marktattraktivität, Infrastrukturniveau, Kostenniveau, wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen, Personal
und Innovation sowie Rahmenbedingungen für den Geschäftsbetrieb
genutzt, deren Parameter aus den offiziellen Statistiken ermittelt wurden
(analytische Perspektive). Parallel zu dieser Analyse wurden ausführliche
Interviews mit 15 ausländischen Unternehmen geführt, die in den Westprovinzen aktiv sind (Unternehmensperspektive). Die Unternehmen
wurden aufgefordert, gemäß ihrer Beurteilung Rangplätze zur Attraktivität einzelner Standorte in den Westprovinzen (Provinz- und Stadtebene) zu vergeben.
> Attraktivität der Westprovinzen: Im Ergebnis des Provinzvergleichs ergab
sich eine Dreiergruppe von klar "führenden" Provinzen ("Stars"), die sich
sowohl aus analytischer als auch aus Unternehmensperspektive als die
attraktivsten Standorte unter den Westprovinzen positioniert haben:
Chongqing, Shaanxi und Sichuan. In einer zweiten Verfolgergruppe
("Fast Follower") finden sich die Autonome Region Innere Mongolei,
die in der analytischen Perspektive überraschenderweise sogar Platz eins
unter allen Westprovinzen erreicht, sowie die südlichen Grenzregionen
Yunnan und Guangxi. Die anderen sechs weiter nördlich und westlich
gelegenen Provinzen fallen dabei alle in beiden Perspektiven deutlich
zurück und gehören damit in die Gruppe der Provinzen mit der geringsten Attraktivität ("Dogs"), mit Tibet als eindeutigem Schlusslicht aus
beiden Perspektiven.
> Attraktivität der wichtigsten Wirtschaftszentren: Auf der Ebene des Städtevergleichs zeigten sich sowohl aus analytischer als auch aus Unternehmensperspektive deutlich die wichtigsten Agglomerationen in denjenigen
Provinzen, die auch auf den ersten Plätzen des Provinz-Benchmarkings
liegen: Xi'an in Shaanxi und Chengdu in Sichuan. Im Vergleich zur
Provinzperspektive überraschend fiel die sehr positive Beurteilung von
Yunnans Hauptstadt Kunming aus beiden Perspektiven aus. Auf der
Unternehmensseite waren viele der Interview-Partner von den ökonomischen Potenzialen dieses "Tors nach Südostasien" überzeugt. Die auf
Provinzebene weit oben platzierte Innere Mongolei erzielt hier mit
Baotou und ihrer Hauptstadt Hohhot eine hohe analytische Bewertung,
während analog zu der aus Unternehmenssicht wichtigen Region
Guangxi deren Hauptstadt Nanning auch in der Städtebetrachtung
hoch bewertet wird.
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Studie
Schlussfolgerungen aus dem Benchmarking: Generell ist zu beobachten,
dass die Unternehmen – und dies deckt sich mit der faktischen Verteilung
ausländischer Unternehmen in Westchina – in ihren Präferenzen den schon
stärker eingetretenen Pfaden folgen und die südlicher gelegenen Provinzen
bevorzugen. Dies gilt für die Beurteilung auf der Provinzebene, zeigt sich
jedoch noch deutlicher bei der Bewertung der Städte. Den neuen Chancen,
die derzeit auf Basis der starken Wirtschaftsentwicklung auch im nördlichen
Teil Westchinas entstehen, wird bislang noch keine große Aufmerksamkeit
geschenkt.
Schlussfolgerungen und Empfehlungen
> Chancen für die deutsche Wirtschaft – Außenhandel: Im Außenhandel
Deutschlands mit China insgesamt dominieren heute hochwertige Industriegüter. Der Anteil des Maschinen- und Anlagenbaus an den gesamten
deutschen Ausfuhren liegt bei circa 30%. Die Automobilindustrie kommt
nach dem deutlichen Rückgang 2009 auf einen Anteil von 13%. Auf die
Elektrotechnik und chemische Erzeugnisse entfallen jeweils 11%. Diese
Struktur weist eine starke Übereinstimmung mit der Verteilung der
deutschen Unternehmen auf, die heute in den chinesischen Westprovinzen vertreten sind. Von den dort aktiven Firmen finden sich 45%
im Maschinenbau, 9% in der Automobilindustrie, 11% im Bereich
Elektronik und 7% in der Chemiebranche.
> Chancen für die deutsche Wirtschaft – Marktperspektive: Die Volkswirtschaft wächst in Westchina immer noch stärker als im restlichen China.
Damit geht vor allem in den Städten eine Steigerung des Einkommens
und der Konsumausgaben einher. Allein durch die laufende Anpassung
der Urbanisierungsraten in West und Ost können darüber hinaus zusätzliche für Konsum verfügbare Einkommen von 33 Mrd. USD jährlich
entstehen. Da deutsche Unternehmen bisher weniger im Konsumgütersektor aktiv sind, bestehen für diese in Westchina eher Chancen beim
Ausbau bestehender und beim Aufbau neuer Produktionsstätten in
denjenigen Branchen, die an den eigentlichen Konsumgütersektor
angrenzen, etwa dem Handel oder der Logistik.
> Chancen für die deutsche Wirtschaft – regionale Perspektive: Bei der
Investitionstätigkeit ausländischer Unternehmen in Westchina zeichnen
sich heute klare Schwerpunkte ab: 80% aller Auslandsinvestitionen in
Westchina fließen in die Provinzen Sichuan (26%), Chongqing (22%),
in die Innere Mongolei (21%) und nach Shaanxi (11%).
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Die vorgenommene Potenzialanalyse und die tatsächliche regionale
Verteilung der ausländischen Direktinvestitionen in den westlichen
Provinzen kommen daher zu ähnlichen Ergebnissen. Auf Basis der
Gespräche mit den Unternehmen, die die lokalen Märkte und Faktoren
wie die Bedeutung der bereits vorhandenen Netzwerke für Expatriates
für die Standortentscheidung als wichtig hervorheben, lässt sich als
regionale Orientierungsempfehlung für deutsche Unternehmen bei der
Auswahl möglicher Standorte in den Westprovinzen eine Priorisierung
anhand der Rangfolgen aus dieser Studie ableiten.
> Chancen für die deutsche Wirtschaft – Branchenperspektive: Für deutsche
Unternehmen, die vor allem in den Segmenten Maschinenbau und Industrieausrüstung sowie im Anlagenbereich für Energie und Versorgung eine
starke Position sowohl auf dem Weltmarkt als auch in China haben,
bieten sich in erster Linie in diesen Segmenten Chancen. Gesondert zu
betrachten sind außerdem die Branchen, die entweder in den Statistiken
nicht klar abgrenzbar sind oder vor allem spezifische Regionen betreffen.
So sind einzelne Branchen wie beispielsweise die Automobilindustrie
eher darauf angewiesen, sich an den bereits existierenden Clustern zu
orientieren, also vor allem an Chongqing und Sichuan. Aus den massiven
Herausforderungen Westchinas im Bereich der Umweltverschmutzung
ergeben sich aber auch starke Potenziale für die weltweit führende
deutsche Greentech-Branche: Dies gilt in unterschiedlichen Ausprägungen für fast alle westlichen Provinzen.
> Empfehlungen an das BMWi – Transparenz: Es hat sich im Rahmen der
Arbeiten an der Studie gezeigt, dass die Verfügbarkeit von Informationen,
die für eine Analyse von Standorten in Westchina relevant sind, stark
reduziert ist. Viele statistische Quellen liegen nur in chinesischer Sprache
vor, nur wenige auf Englisch, praktisch keine in deutscher Sprache.
Auch wichtige Dokumente über die Wirtschaftspolitik, etwa die Liste
der für Auslandsinvestitionen geförderten Industriezweige, sind nicht
ohne weiteres zu erhalten. In Bezug auf Chinas Westen kann daher
zunächst einmal eine weitergehende und bessere Aufbereitung und
Verbreitung von Basisinformationen helfen.
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Studie
> Empfehlungen an das BMWi – Aktivitäten: Die Ergebnisse dieser Studie
können dazu dienen, die existierenden Aktivitäten der Außenwirtschaftsförderung regional und industriebezogen zu fokussieren. Auf Basis der in
dieser Studie enthaltenen Informationen können Maßnahmen der Absatzund Kooperationsförderung avisiert werden, also zum Beispiel Informations- und Kontaktveranstaltungen mit Industrie- und Handelskammern in
Deutschland oder mit anderen Institutionen der Außenwirtschaftsförderung. Empfehlenswert wäre auch die Organisation von Delegationsreisen
von hochrangigen deutschen Regierungs- und Wirtschaftsvertretern nach
Westchina. Die Ziele sollten sich gemäß den Ergebnissen dieser Studie
fokussieren: Zu den Destinationen sollten neben den "Stars" unter den
Westprovinzen (Sichuan, Chongqing und Shaanxi) auch die "Fast Follower" Innere Mongolei und Yunnan gehören.
> Empfehlungen an das BMWi – Dialog: Die Ergebnisse dieser Studie lassen
sich schließlich auch auf der nationalen Ebene für den weiteren Austausch mit der chinesischen Regierung nutzen. Die Resultate erlauben
ein fundiertes Gespräch mit der chinesischen Regierung darüber, dass
nach Maßgabe der vorgenommenen Analysen, aber auch rein faktisch die
Rahmenbedingungen in Westchina offensichtlich in der Wahrnehmung
der Unternehmen noch nicht hinreichend attraktiv sind, um den Nachholbedarf der westlichen Provinzen beim Zufluss ausländischer Direktinvestition zu decken. Will die chinesische Regierung also eine höhere
Attraktivität der Westprovinzen für ausländische Unternehmen bewirken, muss sie ihre Anstrengungen bezüglich industriepolitischer Anreize
verstärken. Hinzu kommt, dass in puncto Aufbereitung von Informationen – zum Beispiel statistische Daten, Verzeichnisse von spezifischen
Fördermöglichkeiten für einzelne Regionen, Investitionsführer etc. – für
potenzielle Investoren auf chinesischer Seite noch erhebliches Verbesserungspotenzial besteht. Auch auf diesen Punkt sollte im Dialog mit der
chinesischen Regierung hingewiesen werden.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
B. Die Entwicklung Gesamtchinas
1. Rasantes Wirtschaftswachstum
Seit fast drei Jahrzehnten beeindruckt die Volksrepublik China die Welt
mit einer Wirtschaftsentwicklung, die zwischen 1980 und 2008 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von real 9,9% vorweisen kann. Im
selben Zeitraum hat sich das Pro-Kopf-Einkommen um den Faktor 7,4
erhöht (siehe Abbildung 2). Beachtliche Erfolge wurden bei der Bekämpfung
der Armut erzielt: So geht die UNO davon aus, dass die Zahl der als arm
geltenden ländlichen Bevölkerung von 130 Millionen Menschen im Jahr
1984 auf circa 20 Millionen Menschen im Jahr 2007 zurückgegangen ist.
Die Lebenserwartung ist seit 1980 von durchschnittlich 66 auf 72,6 Jahre
gestiegen.
Gemessen an seiner Wirtschaftsleistung ist China heute weltweit die Nummer drei hinter den USA und Japan und vor Deutschland, Frankreich und
Großbritannien. Zum Vergleich: 1978 belegte die Volksrepublik mit ihrem
Bruttoinlandsprodukt den zehnten Platz. Seit 2007 rangiert China als
zweitgrößte Exportnation der Welt hinter Deutschland, gefolgt von den USA,
Japan, Frankreich und den Niederlanden. Die Basis für diese im internationalen Maßstab beispiellose Erfolgsgeschichte legte die Ende der 1970er
Jahre einsetzende Liberalisierungs- und Öffnungspolitik. Den Beginn der
Transformation von einer Zentralverwaltungswirtschaft zu einer "Marktwirtschaft sozialistischer Prägung" markierte 1978 Deng Xiaopings
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Studie
Konzept der "Vier Modernisierungen", das dringende Reformen der Landwirtschaft, Industrie, Wissenschaft und Technik anmahnte. Im Kern ging
es bei der Wirtschaftsreform darum, durch marktwirtschaftliche Reformen
die Leistungsfähigkeit der chinesischen Volkswirtschaft zu steigern.
Neben einer Agrarreform und der Zulassung des Privateigentums an
Produktionsmitteln gehörte die Öffnung der chinesischen Wirtschaft für
den Außenhandel zu den tragenden Säulen der wirtschaftlichen Reformpolitik. Die Volksrepublik setzte bei der Modernisierung ihrer Wirtschaft
und bei der Industrialisierung des Landes auf ausländisches Kapital und
die Entwicklung einer leistungsfähigen Exportwirtschaft. Um attraktive
Rahmenbedingungen für ausländische Investoren zu schaffen, wurden
Anfang der 1980er Jahre die ersten Sonderwirtschaftszonen an der Ostküste
gegründet. Außerdem wurden chinesisch-ausländische Gemeinschaftsunternehmen zugelassen.
Die Industrialisierung des Landes, so die Vorstellung der chinesischen
Führung, sollte vor allem durch den Export getrieben und überwiegend
durch ausländisches Kapital finanziert werden. Dabei verfolgte China eine
zweigleisige Exportstrategie: Zum einen etablierte es sich aufgrund der
relativ niedrigen Arbeitskosten als "verlängerte Werkbank" der Industrienationen. Zum anderen sollte der Know-how-Transfer die Produktion und
den Export technologisch höherwertiger Güter fördern und so zu einer
qualitativen Aufwertung der wirtschaftlichen Entwicklung führen.
Ein Meilenstein bei der Integration der Volksrepublik China in die Weltwirtschaft war der Beitritt zur WTO im Dezember 2001. Dieser Schritt hat
den Abbau von tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen erheblich
beschleunigt und damit die Anziehungskraft der Volksrepublik für ausländi-
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
sche Investoren noch einmal beträchtlich gesteigert (siehe Abbildung 3).
Ein Indikator für die Attraktivität des Standorts ist der Zustrom ausländischer Direktinvestitionen (ADI). In der Gruppe der Schwellenländer zieht
die Volksrepublik China die höchsten Summen ausländischen Direktinvestitionen an. Weltweit belegt sie auf der Liste der wichtigsten Empfängerländer im Jahr 2007 Rang sechs. Der Blick auf die Außenhandelsstatistik (siehe
Abbildung 4) zeigt die enorme Bedeutung der Exporte für die chinesische
Volkswirtschaft: Exporte machten 2008 ein Drittel der chinesischen Wirtschaftsleistung aus. Träger des Wirtschaftswachstums der vergangenen
Jahrzehnte waren im Wesentlichen der Außenhandel und die lokalen
Investitionen. Dagegen spielte die Binnennachfrage eine geringere Rolle.
2. Die gewandelte Rolle Chinas in der Weltwirtschaft
Mit der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung hat sich die Rolle der Volksrepublik China in der Weltwirtschaft und in der Weltpolitik gravierend
verändert: Chinesische Unternehmen sind heute zunehmend als Anbieter
und Investoren auf dem Weltmarkt aktiv. Wesentliche Ziele sind dabei die
Sicherung von Energie- und Rohstoffquellen, der Erwerb von Technologien
und Markennamen sowie der Know-how-Transfer. Das staatseigene Finanzund Investmentunternehmen China International Trust and Investment
Company (CITIC) zählt zu den wichtigsten Staatsfonds der Welt. Zur
CITIC-Group gehören 44 Banken und Finanzunternehmen weltweit.
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Studie
Will die Volksrepublik China ihre Wirtschaft auf einem konstanten Wachstumspfad halten und dabei die politische Stabilität im Innern sichern, ist
sie auf zuverlässige Beziehungen zu den südostasiatischen Nachbarländern
angewiesen. Vor diesem Hintergrund sind Chinas Bemühungen um die
Festigung und den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu den ASEANStaaten1) zu sehen. Auf Initiative China wurde bereits 2002 ein Rahmenabkommen unterzeichnet, das ab 2010 die Gründung einer China-ASEANFreihandelszone vorsieht.
In Zentralasien will China ebenfalls die Kooperation mit den Nachbarstaaten
intensivieren. Die Gründung der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) mit Russland, Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan war ein Signal, dass die Volksrepublik dieser Region erhebliche politische und wirtschaftliche Bedeutung beimisst.
3. China in der Krise
Die Volksrepublik China wurde von den Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise im Herbst 2008 empfindlich getroffen: Das Wirtschaftswachstum ging im 4. Quartal 2008 auf 6,8% zurück. Diese Entwicklung kam
aufgrund der engen Verflechtung Chinas mit der Weltwirtschaft nicht unerwartet, denn für das Wachstum Chinas spielt die Exportnachfrage eine
Schlüsselrolle. Ministerpräsident Wen Jiabao kündigte im November 2008
Schritte an, um die Konjunktur vor einem Abwärtssog zu schützen. Als
wichtige Ziele nannte er dabei die Stärkung der binnenwirtschaftlichen
Entwicklung, unter anderem durch die Förderung der privaten Konsumnachfrage, die Erhöhung der Investitionen sowie die Stabilisierung des
Exportwachstums.
Ende 2008 wurden mit dem "4 Billionen CYN"-Konjunkturpaket umfangreiche Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur verabschiedet: Die
expansive Fiskal- und Geldpolitik zeigt Wirkung: Während das Bruttoinlandsprodukt im 1. Quartal 2009 in den USA um 5,7%, in der Eurozone
um 9,7% und in Japan um 14,2% schrumpfte, verzeichnete China im selben
Zeitraum einen Zuwachs von 6,1%; für das 2. Quartal 2009 verkündete
das Staatliche Amt für Statistik der Volksrepublik China ein Wachstum
von 7,9%. Dieser Wert liegt nur knapp unter der Zielmarke von 8%, die
die chinesische Führung für 2009 gesetzt hat, wird aber von einzelnen
Experten angezweifelt, da kein gleichlaufendes Wachstum des Energieverbrauchs nachweisbar ist.
1) ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) ist ein Zusammenschluss der südostasiatischen
Staaten Kambodscha, Indonesien, Brunei, Laos, Malaysia, Thailand, Myanmar, Philippinen,
Singapur und Vietnam mit dem Ziel, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung und die
politische Stabilität in der Region zu fördern.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft wird maßgeblich von den im
Konjunkturprogramm vorgesehenen öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur sowie von den Investitionen der Staatsunternehmen getragen. Der
private Konsum hält sich stabil. Die Exportnachfrage liegt allerdings noch
weit hinter dem entsprechenden Vorjahreswert zurück: Ein Vergleich der
Monate April/Mai 2009 und 2008 zeigt ein Minus von 20%. Investoren aus
dem Ausland zeigen sich angesichts der Krise zurückhaltend: Die ausländischen Direktinvestitionen sind im 1. Quartal 2009 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 20,6% zurückgegangen.
Die globale Wirtschaftskrise verstärkt den Druck auf China, ein angemessenes Wachstum zu erreichen und gleichzeitig seine Strukturprobleme zu
lösen. Angemessen bedeutet in diesem Kontext, dass ausreichend Arbeitsplätze für Schul- und Hochschulabgänger sowie für die im Zuge von Restrukturierung und Stilllegung von Staatsbetriebenen entlassenen Arbeitskräfte geschaffen werden. Um die strukturellen Probleme des bisherigen
Wachstumsmodells zu korrigieren, ist die Stärkung der Binnennachfrage
ein erklärtes Ziel der chinesischen Wirtschaftspolitik. Nur unter dieser
Voraussetzung kann es gelingen, die enorme Abhängigkeit der chinesischen
Wirtschaftsentwicklung von der Exportnachfrage zu reduzieren. Und diese
Aufgabe gewinnt angesichts der jüngsten Weltbank-Prognose an Dringlichkeit: Die Entwicklung der Exporte soll in den nächsten zehn Jahren erheblich schwächer verlaufen als in den letzten zehn Jahren.
4. Kehrseiten des Wirtschaftsbooms
Das exorbitante Wirtschaftswachstum, das China in den letzten Jahrzehnten durchlief, hat jedoch auch einen Preis: Die Turbo-Modernisierung der
Wirtschaft hat die inneren Widersprüche und Disparitäten innerhalb der
chinesischen Gesellschaft verschärft: Die Schere zwischen den Gewinnern
und den Verlierern des Reformprozesses klafft weit auseinander, was sich
unter anderem in der Einkommensverteilung widerspiegelt: Das Einkommensgefälle zwischen Stadt und Land ist erheblich und steigt weiter. Auch
innerhalb der Städte spitzen sich die sozialen Gegensätze zu: Ein Heer von
Wanderarbeitern – Schätzungen gehen von bis zu 150 Millionen aus – ist
aus den ländlichen Regionen in die boomenden Metropolen Ostchinas
gezogen. Hier verdingen sie sich zu weitaus schlechteren Konditionen als
ihre städtischen Kollegen. Die meisten Wanderarbeiter sind in sogenannten
"informellen Beschäftigungsverhältnissen" tätig – ein Euphemismus für
eine gering entlohnte Arbeit ohne Vertrag und soziale Absicherung.
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Studie
Trotz der unbestrittenen Erfolge bei der Armutsbekämpfung steht die Volksrepublik vor sozialpolitischen Herausforderungen: Das Einkommen von 254
Millionen Chinesen liegt nach wie vor unter der von der Weltbank definierten Armutsgrenze von 1,25 USD (PPP-USD 2005) pro Person und Tag. Die
Arbeitslosigkeit, die von den amtlichen Statistiken nicht vollständig wiedergegeben wird, war bereits vor der Wirtschaftskrise ein Strukturproblem
der chinesischen Volkswirtschaft. Durch die Stilllegung beziehungsweise
Restrukturierung unrentabler Staatsbetriebe verloren zwischen 1994 und
2006 circa 73 Millionen Chinesen ihren Arbeitsplatz. Diese Entwicklung
konnte durch die neu entstandenen Beschäftigungsmöglichkeiten im
privaten Sektor nicht hinreichend kompensiert werden.
Zu den negativen Folgen des chinesischen Wirtschaftswunders gehört auch
die erhebliche Belastung der Umwelt: Zu den gravierendsten Umweltproblemen zählt die starke Luftverschmutzung. In China befinden sich 16 der 20
Städte mit der weltweit schlechtesten Luftqualität. Die Hauptverursacher
der Luftverschmutzung sind veraltete Industrieanlagen und Kohlekraftwerke. Bei der CO2-Emission hat die Volksrepublik inzwischen die USA als
globalen Spitzenreiter abgelöst. Durch die Einleitung von unbehandelten
industriellen und städtischen Abwässern sowie durch die Einschwemmung
von Düngemitteln und Pestiziden gilt ein großer Teil der Wasserressourcen
Chinas als erheblich belastet. Nach offiziellen Angaben haben etwa 340
Millionen Chinesen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Nach Schätzungen von NGO sterben jedes Jahr 750.000 Chinesen an den Folgen der
Umweltverschmutzung. Die Fehlbildungen bei Neugeborenen in der Volksrepublik China haben zwischen 2001 und 2006 um 40% zugenommen; als
wichtigste Ursache dieses drastischen Anstiegs betrachtet die chinesische
Regierung die Umweltverschmutzung.
5. Das Leitkonzept der "harmonischen Gesellschaft"
Der Ausschnitt aus der umfangreichen Liste von Chinas Umweltproblemen
lässt auf den Handlungsdruck schließen, unter dem die Zentralregierung
steht: Laut Weltbank kosten die Folgen der Umweltverschmutzung die chinesische Volkswirtschaft jährlich 5,8% ihres BIP. Dies ist ein gewichtiges
Argument, um einer weiteren Verschärfung der Umweltsituation gegenzusteuern. Aber auch in der Sozialpolitik ist die chinesische Führung zunehmend gefordert, wenn sie nicht das Risiko einer gesellschaftlichen Destabilisierung und damit einhergehend des Verlustes ihrer Autorität eingehen will:
Die sozialen Spannungen entladen sich immer häufiger in Protestaktionen,
zum Beispiel Demonstrationen und Sitzstreiks.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Vor diesem Hintergrund hat die Zentralregierung in ihrem politischen und
wirtschaftspolitischen Kurs neue Akzente gesetzt: Wichtige Elemente des
11. Fünfjahresplans (2006-2010) sind eine Reduzierung des Stadt-LandGefälles sowie eine stärkere Berücksichtigung des Umweltschutzes. Die
politische Führung Chinas hat sich auf ihrem 17. Parteikongress im Oktober
2007 klar zum Leitkonzept der "harmonischen Gesellschaft" bekannt.
Kernelement dieser Idee ist nachhaltiges Wachstum, das einen Ausgleich
zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Interessen anstrebt.
6. Go-West-Strategie
Die Go-West-Strategie spielt bei der Umsetzung des Leitkonzepts der harmonischen Gesellschaft eine Schlüsselrolle: Die Angleichung der Lebensund Einkommensverhältnisse innerhalb Chinas setzt voraus, dass die ärmeren Provinzen in Zentral- und Westchina aufholen und ihren Abstand zu
den relativ wohlhabenden Provinzen im Osten verringern. Dies ist die
Voraussetzung für politische und wirtschaftliche Stabilität in der Volksrepublik China. Die chinesische Zentralregierung ist sich dieses Zusammenhangs
sicherlich bewusst und misst der Förderung der Provinzen in Zentral- und
Westchina einen hohen Stellenwert bei. Dies spiegelt sich unter anderem
in den Konjunkturpaketen wider, die zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur in den Westprovinzen enthalten. Ein weiteres,
gewichtiges Argument für die Go-West-Strategie der Zentralregierung ist
die angestrebte Stärkung der Binnennachfrage bei der angestrebten Neujustierung der Wirtschaftspolitik: Dieses Ziel lässt sich nur erreichen, wenn
die Wirtschaftskraft – und damit das Einkommensniveau – der Westprovinzen deutlich erhöht wird.
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Studie
C. Die chinesischen Westprovinzen: Nahaufnahme
1. Natur und Raum
1.1 Geografie
"By the middle of the 21st century, the Western Region of China will
become a new West with economic and social prosperity and stable and
harmonious life." – Diese Absichtserklärung steht mit großen Lettern auf
dem Titelblatt der offiziellen Broschüre über die Erfolge der Go-West-Strategie der chinesischen Regierung geschrieben. Das 1999 entwickelte und
zwischenzeitlich aktualisierte Programm hat das Ziel, den deutlichen
Entwicklungsrückstand der westlichen Provinzen im Vergleich zum
Osten des Landes zu verringern und damit zum Abbau der sozialen und
ökonomischen Disparitäten innerhalb der Volksrepublik China beizutragen.
Die Bezeichnung "der Westen Chinas" darf keinesfalls zu der Illusion verleiten, es handle sich um einen relativ homogenen Raum – ganz im Gegenteil:
Das Gebiet ist von einer extremen Heterogenität geprägt, und zwar landschaftlich, klimatisch, ethnisch und ökonomisch. Dies wird im Folgenden
näher ausgeführt. Zugespitzt formuliert besteht die wesentliche Gemeinsamkeit der westlichen Provinzen darin, dass sie in ihrer wirtschaftlichen
und sozialen Entwicklung teilweise erheblich hinter den östlichen Provinzen zurückliegen.
Die Go-West-Strategie umfasst die Provinzen Gansu, Guizhou, Qinghai,
Shaanxi, Sichuan und Yunnan, die regierungsunmittelbare Stadt Chongqing
sowie die fünf Autonomen Regionen Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei,
Guangxi und Ningxia2). Wer diese 12 Gebietskörperschaften auf der Landkarte Chinas betrachtet (siehe Abbildung 5), wird feststellen, dass der
Terminus "die westlichen Provinzen"3) nicht streng geografisch zu interpretieren ist: Der "Westen" im Sinne der Go-West-Strategie umfasst Gebiete,
die nach der üblichen Diktion im Norden (zum Beispiel die Innere Mongolei), in der Mitte (Sichuan, Shaanxi) und im Süden Chinas (Yunnan,
Guangxi) verortet sind.
2) Die fünf Autonomen Regionen wurden auf der Basis der gesetzlichen "regionalen Autonomie der
Nationalitäten" gegründet. Die Autonomen Regionen entsprechen auf der Verwaltungsebene den
Provinzen. Zwar ist mit dem Autonomie-Status, den es auch auf den administrativen Ebenen der
Bezirke und Kreise gibt, das Recht auf ein gewisses Maß an Selbstbestimmung verbunden.
De facto gelten die Entscheidungsbefugnisse der Autonomen Regionen als gering, vor allem
in politischen Angelegenheiten.
3) Wenn in der vorliegenden Studie von den "westlichen Provinzen", den "Westprovinzen" oder
"Westchina" gesprochen wird, sind stets diese Regionen gemeint. Umgekehrt steht die Bezeichnung "Ostprovinzen" oder "der Osten Chinas" für alle anderen 19 Provinzen und regierungsunmittelbaren Städte (ohne Hong Kong und Macau).
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Das Territorium der Westprovinzen umfasst eine Fläche von 6,6 Mio.
Quadratkilometern. Das entspricht einem Anteil von 69% an der Fläche
der Volksrepublik China. Die Höhenunterschiede auf dem Gebiet der
westlichen Provinzen sind beträchtlich: Aus diesen Voraussetzungen resultieren erhebliche Klimaunterschiede zwischen den einzelnen Regionen
des Westens, was wiederum sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen für
die landwirtschaftliche Nutzung bedingt. Die geografischen Gegebenheiten
sind seit jeher eine wichtige Determinante für die Entwicklung der Westprovinzen. Deshalb werden in den folgenden Abschnitten die Landschaft
und das Klima der westlichen Provinzen beschrieben.
Die Landschaft Chinas ist von West nach Ost in drei Höhenstufen gegliedert: An die tibetische Hochebene schließen sich auf einem Höhenniveau
zwischen 3.000 und 1.500 Metern Sichuan und Zentralchina an. Ab einer
Höhe von 1.500 Metern ziehen sich fruchtbare Tiefebenen zum Meer.
Der Blick auf die Karte (siehe Abbildung 6) zeigt auf Anhieb, dass die Landschaft der Westprovinzen von Gebirgszügen und Hochebenen geprägt wird.
Das felsige Qinghai-Tibet-Plateau zwischen dem Kunlun-Gebirge im Norden, dem Karakorum im Westen und dem Himalaja im Süden ist mit einer
Höhe von mehr als 4.000 Metern die höchstgelegene Ebene der Welt. Auf
das Qinghai-Tibet-Plateau entfällt etwa ein Drittel der Landmasse der gesamten Westprovinzen. Im tibetischen Hochland liegen die Quellgebiete der
Flüsse Brahmaputra, Mekong, Irrawaddy und Salween.
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Studie
Auf einer "zweiten Ebene" finden sich in den Westprovinzen einige Hochebenen, die auf einer Höhe zwischen 1.000 und 2.000 Metern liegen: Der
große Teil des Territoriums der Inneren Mongolei liegt auf der innermongolischen Hochebene. Das 530.000 Quadratkilometer große Tarim-Becken
in der Autonomen Region Xinjiang liegt bis zu 1.400 Meter hoch über dem
Meeresspiegel. Im Zentrum des Tarim-Beckens befindet sich die Wüste
Taklamakan, die zweitgrößte Sandwüste der Welt. Das Plateau der YunnanGuizhou-Hochebene liegt im Südwesten Chinas und erreicht Höhen zwischen 1.000 und 2.000 Meter. Es umfasst den Ostteil von Yunnan, die
gesamte Provinz Guizhou, den Nordwesten von Guangxi sowie die Grenzgebiete von Sichuan, Hunan und Hubei. Das Löss-Plateau, das sich auf
weite Teile der Westprovinzen Shaanxi, Ningxia und Gansu erstreckt, liegt
zwischen 1.000 und 1.600 Meter hoch. Ein Großteil der Fläche der Westprovinzen liegt also alleine schon von der Höhenlage her in Regionen, die
Landwirtschaft und wirtschaftliche Aktivität erschweren. Eine Ausnahme
im bergigen Relief der Westprovinzen bildet das 200.000 Quadratkilometer
große Sichuan-Becken. Es liegt auf etwa 200 Metern über dem Meeresspiegel und wird wegen seines roten Bodens auch Rotes Becken genannt.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
1.2 Klima
Aufgrund der geografischen Bedingungen weisen die Westprovinzen erhebliche Klimaunterschiede auf. Bei einer groben Einteilung ergeben sich drei
Klimaregionen: der subtropisch bis tropisch-feuchtwarme Süden, der Südwesten mit einem rauen Hochgebirgsklima sowie Norden und Nordwesten,
die durch ein sehr trockenes, vorwiegend kontinentales Klima geprägt sind.
Süden
Die Provinzen Yunnan und Guangxi liegen in den nördlichen Tropen. Die
jahreszeitlichen Temperaturschwankungen sind gering ausgeprägt. So gilt
Kunming, die Provinzhauptstadt Yunnans, wegen ihres milden Klimas als
"Stadt des ewigen Frühlings". Die Jahresdurchschnittstemperatur liegt etwas
über 20° C. In der Regenzeit zwischen Mai und Oktober fällt der Großteil
des jährlichen Niederschlags, der zwischen 750 und 1.750 Millimetern
liegt. Das Monsunklima wird teilweise durch die gebirgige Topografie abgemildert, sodass auf dem Gebiet der beiden Provinzen gemäßigte, subtropische und tropische Zonen vorzufinden sind.
Das Sichuan-Becken umfasst Chongqing sowie den Ostteil der Provinz
Sichuan mit der Hauptstadt Chengdu sowie die Provinz Guizhou und
liegt in den nördlichen Subtropen mit einer Jahresdurchschnittstemperatur
zwischen 16 und 19° C. Die Gebirge im Norden und Osten schirmen die
Region gegen kontinentale Kaltluft ab, während die subtropischen Luftmassen von Süden her für ein feuchtes Klima sorgen. Die Sommer sind feucht
und heiß – in Chongqing sind Temperaturen über 40° C keine Seltenheit.
Charakteristisch für das Sichuan-Becken ist der Nebel: Der Himmel über
Guizhou ist an 220 Tagen im Jahr wolkenverhangen. Die jährliche Niederschlagsmenge im Sichuan-Becken beträgt im Mittel 900 bis 1.500 Millimeter; der Großteil des Regens fällt im Sommer. Das Rote Becken ist bereits
seit mehr als zwei Jahrtausenden für seine Fruchtbarkeit bekannt. In manchen Gegenden bringen die Bauern sogar zwei Reisernten im Jahr ein.
Südwesten
Mit starker Sonnenstrahlung, niedrigen Temperaturen und erheblichen
Tag-Nacht-Temperaturschwankungen bei sehr dünner Höhenluft weist das
Qinghai-Tibet-Plateau die typischen Klimamerkmale einer Hochebene auf.
Weite Gebiete sind die meiste Zeit des Jahres mit Eis und Schnee bedeckt.
Mit jährlichen Niederschlägen zwischen 75 Millimetern im Westen und
400 Millimetern im Osten und Süden der Hochebene ist es im Allgemeinen
trocken bis sehr trocken. Das Gebiet um den auf 3.200 Metern liegenden
Qinghai-See (bei Xining), das Qaidam-Becken (im Norden Qinghais) und das
Brahmaputra-Flusstal (inkl. Lhasa) sind durch etwas milderes Klima gekennzeichnet und lassen sich deshalb – auch aufgrund der starken Sonneneinstrahlung – landwirtschaftlich besser nutzen.
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Studie
Norden und Nordwesten
Die Provinzen Innere Mongolei, Ningxia, Shaanxi, Gansu und Xinjiang
befinden sich in gemäßigten Klimazonen mit ausgeprägten Jahreszeiten.
Praktisch alle nördlichen Westprovinzen Chinas haben ein Kontinentalklima
mit heißen Sommern und kalten Wintern. Die Monatsdurchschnittstemperaturen schwanken zwischen -10°C im Winter und circa 25° C im Sommer.
Die Extremwerte liegen jedoch weit tiefer beziehungsweise höher: In
Xinjiang steigt das Thermometer im Sommer auf bis zu 40° C, im Winter
fällt es auf bis zu -30° C. Am Huoyan Shan ("Flammender Berg") östlich
von Turpan wurde die Rekordtemperatur von 81,2° C gemessen.
Da der Himalaja und das tibetische Hochland den Monsunregen aus dem
Indischen Ozean abhalten, sind die Niederschlagsmengen mit maximal
300 Millimetern pro Jahr sehr gering. Besonders Xinjiang, Qinghai und der
Westen der Inneren Mongolei sind sehr trocken – was in der Landwirtschaft
großflächige Bewässerung notwendig macht.
Die ganz nördliche Region Chinas ist also strukturell unterversorgt mit
Wasserressourcen für die Landwirtschaft, was die Politik vor große Herausforderungen stellt und Großprojekte wie das Süd-Nord-Wassertransferprojekt motiviert hat (siehe Seite 69).
1.3 Natürliche Ressourcen und Rohstoffe
Die Westprovinzen Chinas sind reich an natürlichen Ressourcen: Von 33
wichtigen Bodenschätzen verfügt Westchina über mehr als die Hälfte der
landesweiten Reserven. Mehr als die Hälfte (53%) der chinesischen Kohlevorkommen findet sich im Westen, Shaanxi gilt als die Kohleprovinz der
Volksrepublik. In der Autonomen Region Xinjiang und in den Provinzen
Qinghai und Shaanxi liegen 68% der chinesischen Erdgasvorkommen. Fast
ein Fünftel der Erdölquellen Chinas sprudelt in den westlichen Provinzen.
Einige Bodenschätze kommen fast ausschließlich im Westteil der Volksrepublik vor (siehe Abbildung 7).
Aber nicht nur Rohstoffe, sondern auch landwirtschaftliche Flächen sind
eine wesentliche Ressource für China. Um die Ernährung der Bevölkerung
sicherzustellen, geht die chinesische Regierung davon aus, eine Zielgröße
von 120 Mio. Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche zu benötigen. Durch
Flächenumwandlung für Besiedelung, Bodenerosion und Wüstenbildung
(siehe Abschnitt Umwelt, Seite 46) gehen der Volksrepublik aber nach
Schätzungen von Experten jedes Jahr circa 0,5% der landwirtschaftlichen
Flächen verloren. So wurden zwischen 1986 und 2005 Statistiken zufolge
17,7 Mio. Hektar Ackerland in Bauland verwandelt.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Offizielle Statistiken geben für 2007 in ganz China eine verfügbare landwirtschaftliche Nutzfläche von 121 Mio. Hektar an. Davon liegen 37% in den
Westprovinzen – also ein im Vergleich zur Bevölkerungsanzahl des Westens
überproportional hoher Anteil. Der Erhalt von Flächen für die Landwirtschaft und die Förderung der Landwirtschaft in den Westprovinzen ist daher
neben der Industrieentwicklung ein wichtiges strategisches Ressourcenthema für China. So gehen Experten zum Beispiel davon aus, dass es in
der Provinz Xinjiang noch rund 1,3 Mio. Hektar ungenutztes ackerfähiges
Land gibt.
Um ihren ökonomischen Expansionskurs fortsetzen zu können, ist die
Volksrepublik China in erheblichem Umfang auf Rohstoffe angewiesen.
Anders formuliert: Die Versorgung mit Rohstoffen ist eine Achillesferse des
Wachstums. Und dabei ist der Bedarf beträchtlich: Mehr als ein Drittel der
weltweiten Eisenerzförderung wird in China verbraucht. Im Vergleich zum
Vorjahr sind die Eisenerzimporte im zweiten Quartal 2009 um 41% gestiegen, die Kupferimporte um 140%, die Einfuhr von Kohle hat sich sogar
verdreifacht. Ob Kupfer, Zinn oder Blei – China gehört weltweit zu den
Top Five unter den Rohstoffimporteuren. Vor dem Hintergrund dieses
rapide wachsenden Bedarfs an Rohstoffen ist leicht nachvollziehbar, dass
die Westprovinzen mit ihrem großen Ressourcenreichtum für die Zentralregierung in Peking eine strategische Rolle spielen: Nur wenn der westliche
Teil über eine gut entwickelte Infrastruktur verfügt und die politische Stabilität aufrechterhalten werden kann, lässt sich die Versorgung der Ostprovinzen mit den dringend benötigten Rohstoffen sichern.
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Studie
2. Soziodemografie
2.1 Bevölkerungsentwicklung und -verteilung
In den Westprovinzen leben 365 Millionen Menschen (Stand 2008), das
entspricht etwas über einem Viertel (28%) der chinesischen Gesamtbevölkerung von etwa 1,3 Milliarden Menschen. Die Bevölkerungsverteilung auf die
Provinzen ist dabei sehr unterschiedlich (siehe Abbildung 8): In den sechs
größten Provinzen leben mehr als drei Viertel der Bevölkerung, und die drei
bevölkerungsmäßig kleinsten (aber flächenmäßig bedeutsamen) Provinzen
Ningxia, Qinghai und Tibet reichen nicht einmal an die Einwohnerzahl
chinesischer Großstädte heran: In den Autonomen Regionen Tibet und
Xinjiang sowie in der Provinz Qinghai leben nur 8% der Bevölkerung
Westchinas, obwohl sie 53% der Fläche ausmachen.
Die Bevölkerungsdichte in Westchina nimmt von Osten nach Westen und
von Süden nach Norden hin ab. Relativ hoch ist die Besiedelungsdichte mit
100-600 Einwohnern pro Quadratkilometer im Ostteil der Provinz Yunnan,
in Guangxi und Guizhou sowie im Ostteil von Sichuan, in Chongqing,
Gansu, Ningxia und Shaanxi. Der Norden und Westen sind mit einer
Bevölkerungsdichte von 1-10 Einwohnern pro Quadratkilometer extrem
dünn besiedelt. Im westlichen Himalaja und in den Wüsten liegt die
Bevölkerungsdichte sogar unterhalb der Marke von 1 Einwohner pro
Quadratkilometer.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
In den Westprovinzen gibt es bereits eine Vielzahl von Millionenstädten,
so unter anderem Baotou, Chongqing, Chengdu, Guiyang, Kunming, Xi'an,
Lanzhou, Ürümqi oder Nanning. Die größten westlichen Metropolen sind
Chongqing (28 Millionen Einwohner), Chengdu (13 Millionen Einwohner)
und Xi'an (8 Millionen Einwohner).
1978 lebte etwa ein Fünftel der chinesischen Bevölkerung in Städten,
gut 40 Jahre später sind fast die Hälfte aller Chinesen Stadtbewohner:
Der durchschnittliche Urbanisierungsgrad in der Volksrepublik lag 2008 bei
45%. In den Westprovinzen ist der durchschnittliche Urbanisierungsgrad im
selben Zeitraum von 18% auf rund 38% gestiegen und liegt damit unter dem
Wert für Gesamtchina. Angesichts der dynamischen Wirtschaftsentwicklung
einiger Städte in den Westprovinzen ist jedoch eine Angleichung an das
gesamtchinesische Niveau zu erwarten.
Die Urbanisierungsgrad in den Provinzen Chongqing, Shaanxi, Innere
Mongolei und Ningxia liegt schon heute über dem chinesischen Durchschnitt. Zwischen 2003 und 2008 hat die Einwohnerzahl von Chongqing
sowie der Städte in den Provinzen Sichuan, Guangxi und Tibet besonders
stark zugenommen.
Die Bevölkerungsentwicklung in den Westprovinzen ist weitgehend stabil.
Zwischen 2003 und 2008 ging die Einwohnerzahl um durchschnittlich
0,2% pro Jahr zurück. Abweichungen von diesem Wert wurden in Chongqing und Sichuan registriert: Im genannten Zeitraum nahm hier die Bevölkerungszahl um durchschnittlich 2,1% beziehungsweise 1,3% pro Jahr ab.
Dagegen war in den Autonomen Regionen Xinjiang und Tibet ein Bevölkerungsanstieg von durchschnittlich 2% beziehungsweise 1,2% pro Jahr zu
verzeichnen. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass die dort lebenden
nationalen Minderheiten von der Ein-Kind-Politik ausgenommen sind.
Auch in der Autonomen Region Ningxia, einem Kernsiedlungsgebiet der
Hui-Chinesen, lag der Bevölkerungsanstieg mit durchschnittlich 1,3%
pro Jahr deutlich höher als im Durchschnittswert aller Westprovinzen.
Die Bevölkerungszahl Gesamtchinas ist von 2003 bis 2008 um durchschnittlich 0,66% pro Jahr gewachsen. Die Diskrepanz zwischen diesem
Wert und dem leichten Bevölkerungsrückgang in Westchina kann als Hinweis auf eine Wanderungsbewegung von West nach Ost interpretiert
werden.
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Studie
2.2 Altersstruktur
Die Altersstruktur in den Westprovinzen entspricht in etwa derjenigen
Gesamtchinas. Etwa ein Fünftel (21%) ist jünger als 14 Jahre, und 70%
gehören zur Gruppe zwischen 15 bis 64 Jahre. In der Provinz Guizhou sind
sogar 27% der Bevölkerung jünger als 14 Jahre. Im Vergleich zum Osten des
Landes hat die Alterspyramide der westlichen Provinzen ein etwas breiteres
Fundament an jungen Menschen: Im Durchschnitt der Ostprovinzen liegt
der Anteil von unter 14-Jährigen an der Bevölkerung bei 17%, 74% der
Bevölkerung sind zwischen 15 und 64 Jahre alt.
Mit knapp 68 Jahren ist die Lebenserwartung in den Westprovinzen aktuell
(2008) noch etwas geringer als in Gesamtchina, wo sie bei fast 73 Jahren
liegt. Noch stärker ist die Diskrepanz, wenn man die Lebenserwartung in
den westlichen Provinzen mit derjenigen in den wohlhabenden Ostküstenprovinzen vergleicht: In Shanghai beträgt sie 78 Jahre, in Peking 76 Jahre.
Zum Vergleich: In Deutschland beträgt die Lebenserwartung im Durchschnitt knapp 80 Jahre. Chongqing und Guangxi führen das Feld mit 72
und 71 Jahren an, während die Lebenserwartung in Tibet nur 64 und in
Qinghai nur 66 Jahre beträgt.
2.3 Bildungsniveau
Ein wichtiger Aspekt bei der Beurteilung des ökonomischen Potenzials der
Westprovinzen ist das Bildungsniveau. Dabei sind der Anteil der Akademiker an der Bevölkerung sowie deren Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt
von besonderem Interesse.
Das Bildungswesen in China gliedert sich in die Bereiche Grundschul-,
Mittelschul- und Hochschulbildung. Es besteht eine neunjährige Schulpflicht, die die sechsjährige Grundschulzeit und die Unterstufe der Mittelschule umfasst. Die Oberstufe der Mittelstufe dauert drei Jahre. Für die
Immatrikulation an einer Hochschule müssen die Absolventen der Mittelschule eine Aufnahmeprüfung ablegen.
Mit im Schnitt 13% hat ein in Vergleich zu Gesamtchina (8%) hoher Anteil
der Bevölkerung der Westprovinzen gar keinen Schulabschluss. Besonders
hoch ist der Anteil der Bevölkerung ohne Schulabschluss mit 34% in Tibet,
und auch Gansu und Qinghai erreichen einen Anteil von 17%. Der Anteil
der Bevölkerung, der mindestens die neunjährige Pflichtschulzeit absolviert
hat, liegt dagegen im Westen mit im Schnitt 71% nah an der Quote Gesamtchinas (72%), auch hier ist Tibet mit 61% das Schlusslicht der Westprovinzen.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Eine höhere Schulbildung im Sinne eines Sekundarschulabschluss (zwölfjährige Schulzeit) können in den Westprovinzen im Schnitt 11% der
Bevölkerung vorweisen, was auch nah am gesamtchinesischen Niveau
von 13% liegt.
Der relativ geringe Akademikeranteil von im Schnitt 5% an der Gesamtbevölkerung scheint typisch für die Westprovinzen, Gesamtchina erreicht
hier 7%. Den höchsten Akademikeranteil hat die Autonome Region Xinjiang
mit 9%, gefolgt von der Provinz Shaanxi (8%) sowie der Inneren Mongolei,
Ningxia und Qinghai mit jeweils 7%. Es überrascht, dass die als westliche
Boom-Zonen geltenden Provinzen Yunnan, Chongqing und Sichuan nur
mit einem Akademikeranteil von 4% aufwarten können.
Bei der Zahl der jährlichen Hochschulabsolventen liegen zwar alle Westprovinzen (Schnitt im Westen: 2,5 Absolventen pro 1.000 Einwohner p.a.)
hinter der östlichen Spitzenregion Shanghai (6,8 Absolventen pro Jahr je
1.000 Einwohner), aber der Vergleich mit Guangzhou (1,7) zeigt, dass sie
keinen generellen Rückstand gegenüber den Ostprovinzen aufweisen. So
kann Shaanxi (6,0) fast mit Shanghai gleichziehen, und auch die Provinzen
Chongqing (3,6), Innere Mongolei (3,2) und Sichuan (3,1) schneiden im
Vergleich der Westprovinzen gut ab.
Von den 1.666 chinesischen Universitäten liegen 390 in den Westprovinzen.
Dabei sind vor allem Shaanxi, Sichuan und Guangxi mit einer Zahl zwischen jeweils 50 und 65 Universitäten in Bezug auf die akademische Infrastruktur gut ausgestattet. In Relation zur Bevölkerungszahl ist der Westen
Chinas mit 1,1 Universitäten je eine Million Einwohner nicht wesentlich
schlechter gestellt als die Ostprovinzen. Hier liegt das Verhältnis bei 1,3
Universitäten je 1 Million Einwohner. Schließt man die Städte Peking
(4,8 Universitäten je 1 Million Einwohner), Shanghai (3,2 Universitäten
je 1 Million Einwohner) und Tianjin (3,7 Universitäten je 1 Million Einwohner) aus dem Vergleich zwischen West- und Ostprovinzen aus, dann reduziert sich der Unterschied in der akademischen Infrastruktur gegen null. Im
Westen weisen die Autonome Region Ningxia (2,1 Universitäten je 1 Million Einwohner) sowie die Provinzen Qinghai (2,0 Universitäten je 1 Million Einwohner) und Shaanxi (1,7 Universitäten je 1 Million Einwohner)
die höchste Hochschulkonzentration auf. Allerdings können sie noch nicht
mit den Metropolen der Küstenregionen mithalten.
Auch bei den Bildungsinvestitionen liegt der Westen noch zurück. 2007
wurden nach offiziellen chinesischen Statistiken in Gesamtchina knapp
200.000 CNY pro 1.000 Einwohner in Bildungseinrichtungen investiert.
Dabei liegen die östlichen Provinzen mit im Schnitt 211.000 CNY pro
1.000 Einwohner deutlich über den Westprovinzen, wo nur circa 170.000
CNY ausgegeben werden. Die geringsten Pro-Kopf-Bildungsinvestitionen
finden sich dabei in den Provinzen Guizhou, Gansu und Qinghai.
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Studie
2.4 Forschung und Entwicklung
Als Indikator für die Forschungsleistung in den Westprovinzen kann die
Zahl der angemeldeten Patente herangezogen werden. Bei dieser Kennzahl
bleiben die Westprovinzen im Allgemeinen weit hinter den Ostprovinzen
zurück, vor allem im Vergleich zu den Küstenregionen. So wurden 2008
nur 10% der in China angemeldeten Patente im Westen erarbeitet (insgesamt 33.000). Innerhalb der Westprovinzen sind die Unterschiede zudem
sehr stark: Zwei Drittel der in Westchina angemeldeten Patente entfallen
auf die Provinzen Sichuan (40%), Chongqing (14%) und Shaanxi (13%).
In der bezüglich Forschung und Entwicklung produktivsten Provinz im
östlichen China, Guangzhou, wurden 2008 aber immer noch fast doppelt
so viele Patente angemeldet wie in Sichuan. Allerdings gibt es auch in den
Westprovinzen wichtige Zentren für Forschung und Entwicklung, so in
Shaanxi, Sichuan oder Chongqing. Nähere Informationen dazu finden
sich in den Provinzportraits in Teil G dieser Studie.
2.5 Einkommensniveau
Die Kaufkraft der städtischen Bevölkerung liegt in den Westprovinzen im
Schnitt bei 9.650 CNY pro Jahr (circa 1.400 USD), bei einer Schwankungsbreite von 8.900 CNY (Xinjiang und Tibet) und 11.600 CNY (Chongqing).
Im Vergleich dazu liegt das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen der städtischen
Bevölkerung in den anderen chinesischen Provinzen im Schnitt bei 12.100
CNY (circa 1.700 USD), also deutlich höher.
Betrachtet man die Kaufkraft der ländlichen Bevölkerung, fallen die Unterschiede noch drastischer aus (siehe Abbildung 9). Im Westen kommt die
ländliche Bevölkerung im Schnitt auf ein verfügbares Pro-Kopf-Einkommen
von 2.600 CNY (rund 375 USD), in den anderen Provinzen im Schnitt auf
4.400 CNY (rund 630 USD). Der ohnehin schon sehr starke Einkommensunterschied zwischen Stadt und Land in China ist in den Westprovinzen
also noch stärker ausgeprägt.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
2.6 Privater Konsum
Die Konsumentenmärkte sind in Westchina noch deutlich schwächer ausgeprägt als im östlichen China, was im Wesentlichen auf das im Schnitt geringere Einkommensniveau zurückzuführen ist. Analog zum Anteil des Bruttoinlandsprodukts an Gesamtchina (19%) betrugen in Westchina die Ausgaben
für Konsumgüter 2008 im Einzelhandel 17% derjenigen Gesamtchinas. Da
sich diese Ausgaben aber auf einen Bevölkerungsanteil von 28% der ganzen
Volksrepublik verteilen, sind die Konsumausgaben pro Kopf in Westchina im
Schnitt deutlich geringer als im Osten: Gaben die Menschen im Westen im
Schnitt 5.300 CNY (rund 760 USD) im Jahr für Konsumgüter aus, sind es
im Osten 11.100 CNY (rund 1.600 USD). Deutlich über dem Schnitt liegen
dabei in den Westprovinzen die Innere Mongolei, Chongqing, Shaanxi und
Sichuan. Die Metropolregionen im Westen reichen dabei meistens an die
Durchschnittswerte im Osten Chinas heran, wenn auch nicht an die Spitzenwerte der Ostregionen in Peking oder Shanghai.
Wohlstandsgüter wie Autos, Klimaanlagen und Computer sind in den Westprovinzen ebenfalls noch weniger stark verbreitet als im Osten. Auf hundert
städtische Haushalte kommen 5,7 Autos, 48 Klimaanlagen und 44 Computer. In den stärker entwickelten Ostprovinzen sind es dagegen im Durch-
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Studie
schnitt 8,8 Fahrzeuge, 104 Klimaanlagen und 62 Computer (siehe Abbildung 10). Bei der Anzahl der Computer fällt auf, dass es zwischen den
Städten Ost und Westchinas keine starke "Digitale Kluft" zu geben scheint.
Damit besteht zumindest in den West-Städten bei Arbeitnehmern und
Konsumenten keine weitere Hürde für die Entwicklung hin zu einer
modernen Dienstleistungsgesellschaft.
Konsumbremsend wirkt sich in den Westprovinzen außerdem aus, dass
die gesamtwirtschaftliche Sparquote mit im Schnitt 65% deutlich über dem
gesamtchinesischen Schnitt von circa 50% liegt.
Eine von Roland Berger in ausgewählten Ballungszentren in Ostchina und
einigen Wachstumsregionen Westchinas 2008 durchgeführte Konsumentenbefragung ergab, dass in den am weitesten entwickelten Städten des Westens (insbesondere wurden Konsumenten in größeren Städten Sichuans,
Guangxis, Yunnans und in Chongqing befragt) bereits ähnliche Konsum
präferenzen wie im Osten herrschen4).
So gibt in Bezug auf Reiseaktivitäten sowohl in den ost- als auch in den
westchinesischen Metropolen über die Hälfte der Befragten an, dass sie
mindestens einmal im Jahr verreist. Auch einmal wöchentlich oder häufiger
Essen zu gehen, ist in Westchina genauso selbstverständlich wie im Osten.
Beim Kleiderkauf setzen sich die Parallelen zwischen Ost- und Westchina
fort. Interessant ist das starke Preisbewusstsein chinesischer Konsumenten.
4) Roland Berger Chinese Consumer Market Sur vey
(http://www.rolandberger.com/news/2009-06-25-rbsc-news-ChineseConsumerSur vey.html).
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
So ist in allen Regionen für 70% der Befragten der Preis wichtiger als die
Marke. Bei den Kaufkriterien zeigt sich bei den Konsumenten aus dem
Westen eine leichte Bevorzugung der Kategorien Preis, Design und Marke
bei Einkaufsentscheidungen.
In Summe ist daher für die Metropolen im Westen für die Zukunft eine
analog zu den Ostprovinzen verlaufende Konsumentwicklung zu erwarten,
die für entsprechend positionierte Konsumgüterhersteller und -vermarkter
große Wachstumspotenziale darstellt.
3. Besondere politische Herausforderungen
3.1 Soziale Brennpunkte: Armut, Arbeitslosigkeit und Wanderarbeiter
China hat es in den letzten 25 Jahren geschafft, die Armut deutlich zu reduzieren. So geht die UNO davon aus, dass die Zahl der als arm geltenden
ländlichen Bevölkerung von 130 Millionen Menschen im Jahr 1984 auf
circa 20 Mio. Menschen im Jahr 2007 zurückgegangen ist. Die chinesische
Regierung weist in ihren offiziellen Statistiken für das Jahr 2008 das Armutsniveau in Gesamtchina mit knapp 5% der Bevölkerung noch etwas höher
aus. Dabei ist der Anteil der armen Bevölkerung mit durchschnittlich 8,7%
im Westen deutlich höher als der im Osten (3,8%). Die höchsten Werte
weisen dabei die Provinzen Gansu (15%) und Qinghai (10%) auf.
Nach offiziellen Statistiken liegt die Arbeitslosenquote in Westchina bei
Werten zwischen 3,2 und 4,6%. Allerdings muss man davon ausgehen, dass
diese Statistiken wenig mit der Realität vor Ort zu tun haben: Die Datenlage
ist aufgrund des uneinheitlichen und unvollständigen Systems der statistischen Erfassung von Arbeitsmarktzahlen unzureichend. Hinzu kommt, dass
selbst die veröffentlichten Daten aufgrund politischer Restriktionen unter
Vorbehalt zu sehen sind. Die offizielle Arbeitslosenquote erfasst nur diejenigen städtischen Arbeitskräfte, die sich als arbeitssuchend registriert haben.
In der Arbeitslosenstatistik nicht berücksichtigt werden Wanderarbeiter,
Hochschulabsolventen, die neu auf den Arbeitsmarkt kommen, und ehemalige Beschäftigte der Staatsbetriebe. Bezieht man diese Gruppen bei der
Betrachtung der Arbeitslosigkeit in China mit ein, dürfte die Arbeitslosenquote in den Stadtgebieten zwischen 12% und 14% liegen. Das heißt, dass
die Zahl der Arbeitslosen in den chinesischen Städten in Gesamtchina auf
fast 46 Millionen geschätzt wird. Darunter sind etwa 20 bis 30 Millionen
Wanderarbeiter.
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Studie
Die Zahl der Wanderarbeiter aus ländlichen Regionen, die außerhalb ihrer
Heimatprovinz arbeiten, wird mit rund 140 Millionen veranschlagt 5). Die
Hälfte davon ist im Baugewerbe und in – meist exportorientierten – Industriebetrieben tätig. So kann man davon ausgehen, dass Wanderarbeiter von
den Folgen der Wirtschaftskrise stark betroffen sind. Im zweiten Halbjahr
2008 hat der Rückgang der Exportnachfrage nach Angaben des Ministeriums für Arbeit und Soziale Sicherheit über 10 Millionen Wanderarbeiter
ihren Arbeitsplatz gekostet. Mittelbar trifft diese Entwicklung die Westprovinzen besonders hart, denn viele Wanderarbeiter kommen aus den ländlichen Regionen des Westens. Zieht man in Betracht, dass die Transferzahlungen der Wanderarbeiter etwa 40% des Einkommens in den ländlichen
Regionen Chinas ausmachen, zeichnet sich ab, dass die erhöhte Arbeitslosigkeit das Einkommensgefälle zwischen den ländlichen Regionen des
Westens und den wohlhabenderen Regionen des Ostens zusätzlich
verschärfen wird.
3.2 Nationale Minderheiten und ethnische Konflikte
Auf chinesischem Territorium leben 55 anerkannte nationale Minderheiten.
Der Anteil der dominierenden Han-Chinesen an der Bevölkerung Gesamtchinas liegt bei etwa 92%.
Seit Gründung der Volksrepublik 1949 gilt in China offiziell das politische
Konzept eines "einheitlichen Vielvölkerstaats". In dessen Rahmen führte
die kommunistische Regierung das Prinzip der regionalen Gebietsautonomie
ein: 1947 wurde die Autonome Region Innere Mongolei gegründet, 1955
die Autonome Region Xinjiang; Mit dieser Politik sollte "ein goldener Mittelweg zwischen den beiden Extremen des 'Groß-Han-Chauvinismus' auf
Kosten der Minderheiten auf der einen Seite und des 'lokalen Nationalismus', das heißt separatistischer Tendenzen auf der anderen beschritten
werden", wie der China-Experte Thoralf Klein erklärt.
Im Westen Chinas liegen fünf Autonome Regionen: Guangxi, Innere Mongolei, Ningxia, Tibet und Xinjiang, die allein 44% der Fläche der Volksrepublik
China ausmachen, allerdings nur 8% der Bevölkerung. Außerdem bilden
diese Regionen den größten Teil der Außengrenze Chinas und verfügen
über beträchtliche Rohstoffvorkommen (siehe Seite 34f.). Sie sind außerdem
im Außenhandel von strategischer Bedeutung und erlauben es China, seinen ökonomischen Einflussbereich weit über die eigenen Grenzen hinaus
nach Zentralasien auszudehnen (siehe dazu Portrait der Autonomen Region
Xinjiang, Seite 166ff.). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Autonomiebestrebungen der nationalen Minderheiten in diesen Gebieten den
geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen der chinesischen Zentralregierung zuwiderlaufen.
5) Es existieren unterschiedliche Schätzungen über die Zahl der Wanderarbeiter und ihre Herkunftsregionen. Die unklare Datenlage ist darauf zurückzuführen, dass es sich hier um eine Grauzone
des Arbeitsmarktes handelt: Viele Wanderarbeiter halten sich illegal und damit ohne Anmeldung
an ihren Arbeitsorten auf.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
In den Ostprovinzen gehören 8% der Bevölkerung einer nationalen Minderheit an. In den Westprovinzen beträgt der Anteil der nichtchinesischen
Ethnien an der Bevölkerung rund 20%; das heißt, dort sind etwa 77 Millionen Menschen Angehörige einer nationalen Minderheit. Die westchinesischen Provinzen beziehungsweise Autonomen Regionen mit den höchsten
Anteilen an nationalen Minderheiten sind Tibet (94%), Xinjiang (59%),
Qinghai (46%), Guangxi (38%), Guizhou (38%), Ningxia (35%), Yunnan
(33%) und die Innere Mongolei (21%).
Der offiziellen Doktrin vom "einheitlichen Vielvölkerstaat" zum Trotz
schwelen in der Volksrepublik China nach wie vor ethnische Konflikte, die
sich insbesondere in Tibet und in Xinjiang immer wieder in gewaltsamen
Auseinandersetzungen zwischen Staatsmacht und Demonstranten entladen.
Angehörige nationaler Minderheiten kritisieren die politische, ökonomische
und kulturelle Dominanz der Han-Chinesen sowie den indirekten Zwang
zur Assimilierung: Sozialer Aufstieg sei für Angehörige nationaler Minderheiten nur um den Preis der Sinisierung zu haben. Beklagt wird außerdem,
dass die chinesische Zentralregierung den Anteil der nationalen Minderheiten an der Bevölkerung der Autonomen Regionen durch Anreize für den
Zuzug von Han-Chinesen reduzieren will. Vor diesem Hintergrund ist das
ethnisch motivierte Konfliktpotenzial in Chinas Westen höher als im Osten.
Obwohl die chinesische Regierung die Berichterstattung ausländischer
Journalisten über ethnische Konflikte so weit wie möglich unterdrückt, wird
in den internationalen Medien immer wieder über Proteste und Ausschreitungen berichtet. Im März 2008 eskalierte die Situation in Tibet, das seit
1950 nach dem Einmarsch chinesischer Truppen in das Herrschaftsgebiet
Pekings integriert ist: Eine Demonstration von Mönchen in der Hauptstadt
Lhasa, die die Freilassung von politischen Gefangenen forderten, war der
Auftakt zu den schwersten Protesten seit 20 Jahren. Im Juli 2009 lieferten
sich in Xinjiangs Hauptstadt Ürümqi Sicherheitskräfte und Polizei erbitterte
Straßenschlachten, bei denen über 180 Todesopfer zu beklagen waren und
die mindestens 1.700 Verhaftungen nach sich zogen6).
Es bleibt abzuwarten, inwieweit die sozialen Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu einer weiteren Verschärfung der ethnischen Konflikte führen werden. Experten sehen die Gefahr, dass die tendenziell sozial und politisch
schlechter gestellten Minderheiten bei steigender Arbeitslosigkeit und
erhöhtem Druck auf soziale Budgets stärker betroffen sind und dadurch
das Gewaltpotenzial steigen könnte.
Bislang war nicht zu beobachten, dass im Fall gewaltsamer Konflikte Ausländer oder ausländische Unternehmen bewusst angegriffen werden. Allerdings besteht natürlich das Risiko, bei einer Eskalation der Auseinander6) Auf die Hintergründe der Konflikte in Xinjiang wird im Profil dieser Autonomen Region ab Seite 166
eingegangen.
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Studie
setzung zwischen nationalistischen Kräften und Staatsmacht beziehungsweise Han-Chinesen "zwischen die Fronten" zu geraten und zufällig Opfer
einer Gewalttat zu werden.
3.3 Umwelt und Naturschutz
"Das Wirtschaftswunder ist bald zu Ende, denn die Umwelt hält nicht mehr
mit: Auf einem Drittel des chinesischen Territoriums geht saurer Regen
nieder, […], ein Viertel der Bürger hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Ein Drittel der Städter muss stark verdreckte Luft einatmen, weniger als 20% des städtischen Mülls werden umweltverträglich entsorgt." –
Derart drastisch hat Pan Yue, Vizeminister der chinesischen Umweltbehörde
SEPA, bereits 2005 in einem Interview mit dem "Spiegel" die ökologischen
Probleme der Volksrepublik China zusammengefasst. Dieser Befund hat sich
kaum verändert, obgleich die chinesische Zentralregierung inzwischen dem
Schutz der Umwelt in ihrer offiziellen Politik einen höheren Stellenwert
einräumt: So ist die State Environmental Protection Administration (SEPA)
zum Ministry of Environmental Protection (MEP) aufgewertet worden.
Im 11. Fünfjahresplan (2006-2010) wurden die Energieeffizienz und die
Förderung erneuerbarer Energien aufgenommen.
Die enormen Umweltprobleme der Volksrepublik China resultieren zum
einen aus den geografischen und klimatischen Bedingungen (siehe Seite
30ff.): In weiten Teilen des chinesischen Territoriums von 9,6 Mio. Quadratkilometern ist Ackerbau gar nicht oder nur eingeschränkt möglich. Von den
Erträgen der landwirtschaftlich genutzten Fläche – ihr Anteil liegt bei nur
13,5% der Gesamtfläche Chinas – müssen sehr viele Menschen satt werden,
sodass der Druck auf die natürlichen Ressourcen steigt. Die Inten-sivierung
der Landwirtschaft und das rapide Wirtschaftswachstum der letzten drei
Jahrzehnte haben die Belastung der Umwelt erheblich erhöht. Der Westen
Chinas ist davon in besonderem Maße betroffen.
Wasserverschmutzung und Wasserknappheit
Die Wasserressourcen Chinas sind ungleich verteilt: Vor allem im Norden
der Volksrepublik ist Wasser ein immer knapper werdendes Gut. In diesen
Teilen des Landes befinden sich jedoch wichtige Industriezentren sowie
zwei Drittel der landwirtschaftlich genutzten Flächen. Für deren Bewässerung und für die Trinkwasseraufbereitung wird zu einem großen Teil Tiefenwasser verwendet, dessen Vorkommen sich langsamer erneuert als Grundwasser oder Oberflächenwasser. Die Entnahme von Wasser aus tiefen
Schichten begünstigt außerdem die Wüstenbildung. Von den Westprovinzen
sind hiervon insbesondere die Autonomen Regionen Ningxia und die
Innere Mongolei betroffen.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
70% des Wasserverbrauchs Nordchinas fließen in die Bewässerung; davon
gehen circa 60% durch Leitungsverluste verloren (zum Vergleich: In den
USA liegen die Leitungsverluste zwischen 20% und 25%). Die Wassereffizienz in der Produktion lässt ebenfalls zu wünschen übrig: Nach Angaben
der Weltbank verbraucht die chinesische Industrie vier- bis zehnmal so
viel Wasser wie die Industriestaaten.
Das Problem der Wasserknappheit wird durch die Wasserverschmutzung
zusätzlich verschärft: Die Gewässer Chinas sind durch die Einleitung von
unbehandelten städtischen und industriellen Abwässern sowie durch Pestizide und Düngemittel extrem belastet: Zwei Drittel der Oberflächengewässer gelten als verschmutzt.
Wüstenbildung
Fast ein Drittel des chinesischen Territoriums besteht aus Stein- und Sandwüsten – und diese sind vielerorts auf dem Vormarsch und erobern weitere
Gebiete. Wanderdünen bedrohen in der Provinz Gansu ganze Siedlungen.
Die Sanddünen sind inzwischen auf eine Entfernung von 70 Kilometern an
die Hauptstadt Peking herangekommen, und Sandstürme sind wesentlich
häufiger geworden. Die Hauptursachen für die Desertifikation sind Abholzung, Überweidung und die Übernutzung der Wasserreserven. In den
westlichen Provinzen sind die Sandwüsten vor allem in den Autonomen
Regionen Xinjiang und der Inneren Mongolei zu finden. Um die Ausbreitung der Wüsten aufzuhalten, hat die chinesische Zentralregierung Aufforstungsprogramme aufgelegt. Nach offiziellen Angaben haben diese 2006
bewirkt, dass erstmals die Gesamtwüstenfläche reduziert werden konnte.
Entwaldung
Ursprünglich war China vor allem im Westen und im Süden dicht bewaldet.
Das starke Bevölkerungswachstum, die Ausdehnung der Agrarflächen und
intensiver Holzeinschlag ließen die Waldfläche schrumpfen. Große Wälder
gibt es in den Westprovinzen noch in Yunnan, Sichuan sowie in der Inneren
Mongolei. Nach der großen Flutkatastrophe in der Jangtse-Region und in
Nordostchina von 1998, die durch exzessive Rodungen im Quellgebiet des
Jangtse und Mekong begünstigt wurde, verbot die Regierung die Abholzung
von Naturwäldern. Um Überflutungen vorzubeugen und Erosion sowie
Desertifikation zu verhindern, wurden teilweise groß angelegte Aufforstungsprogramme initiiert. Das wohl bekannteste ist die sogenannte "Great
Green Wall", ein 4.480 Kilometer langer Baumgürtel, der vor allem die
nordwestlichen Provinzen und Peking schützen soll. Durch die Aufforstungsmaßnahmen hat sich der Anteil der Waldbedeckung an der Gesamtfläche Chinas wieder auf 18,2% erhöht (Stand 2006). Der zusätzliche
Flächenbedarf der Landwirtschaft (siehe Seite 34) und der Industrie erzeugt
aber Konflikte zwischen Wiederaufforstung und anderen Nutzungsmöglichkeiten, sodass einzelne Aufforstungsprogramme schon wieder gestoppt
oder verlangsamt wurden.
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Studie
Luftverschmutzung
Seit 2008 ist die Volksrepublik China der größte CO 2-Emittent der Welt
und hat die USA als das Land mit dem höchsten CO 2-Ausstoß abgelöst.
Am globalen CO2-Ausstoß hat China einen Anteil von 20,7%. China hat das
Kyoto-Protokoll unterzeichnet; allerdings lehnte es die Volksrepublik unter
Berufung auf ihren Status als Schwellenland bislang ab, verbindliche Verpflichtungen zur CO2-Reduktion einzugehen. Hier zeichnet sich jedoch
ein Kurswechsel ab: Im August 2009 benannte China erstmals konkrete
Ziele, die Zunahme seines CO2-Ausstoßes zu begrenzen.
Eine wesentliche Ursache für die hohen Treibhausgas-Emissionen ist die
Struktur des nationalen Energiemix: Mit einem Anteil von zwei Dritteln
dominiert hier die Kohle. China hat die größten Kohlevorkommen der Welt
und greift vorwiegend auf diese Ressource zurück, um den enormen Energiebedarf zu decken, den das rasante Wirtschaftswachstum verursacht: Seit
1990 ist der Energieverbrauch des Landes um 70% gestiegen. Jede Woche
geht in China ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb. In den großen Städten
wird das Problem der Luftverschmutzung außerdem durch die Zunahme
des Individualverkehrs verschärft: Der Bestand an privaten Fahrzeugen
soll sich von derzeit rund 20 Millionen bis 2023 auf 140 Millionen
erhöhen.
Nach einer Studie der Weltbank sind gerade die Städte in den westlichen
Provinzen – vor allem in Qinghai, Ningxia und Chongqing – besonders von
Luftverschmutzung durch Feinstaub betroffen.
Die Emissionen von Schwefeldioxid (SO2) und Stickoxiden (NOX) haben
sich seit den achtziger Jahren bezogen auf Gesamtchina verringert und
betreffen heute vornehmlich den geografischen Süden und Südosten der
Volksrepublik. Seit 2003 ist allerdings in den Provinzen Chongqing,
Guizhou und Guangxi wieder eine Zunahme der Schadstoffbelastung
zu beobachten. Diese ist vor allem auf das stärkere Wirtschaftswachstum
sowie die Ausweitung der Energieproduktion durch die Verstromung von
Kohle zurückzuführen.
Angesichts des dramatischen Ausmaßes der Umweltschäden wächst in den
Westprovinzen der Handlungsbedarf, Maßnahmen zum Schutz der Umwelt
zu ergreifen. Daraus ergeben sich vielversprechende Perspektiven für ausländische Unternehmen aus der Greentech-Branche, in der deutsche Anbieter eine dominierende Stellung einnehmen.
Die spezifischen Rahmenbedingungen der chinesischen Westprovinzen
und die besonderen politischen Herausforderungen, die sich für sie stellen,
bildeten und bilden immer noch wesentliche Motivationsfaktoren für die
Entwicklung und Weiterführung der Go-West-Strategie der chinesischen
Regierung.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
D. Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung:
Ziele, Ergebnisse und Ausblick
1. Die erste Phase der Go-West-Strategie
1.1 Die Einbettung der Go-West-Strategie in die zentrale Planung
der Volksrepublik China
Seit 1953 werden die politischen Rahmenbedingungen für die volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in China durch Fünfjahrespläne bestimmt. Allerdings haben sich die Rolle und Ausgestaltung dieser
Pläne mit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik 1978 deutlich verändert.
Bis dahin regelte die zentrale Planung was, wie viel, von wem für wen
produziert wird. Per definitionem handelte es sich um eine Zentralverwaltungswirtschaft, in der alle Wirtschaftsprozesse von einer staatlichen Zentralinstanz geplant und gelenkt wurden. Der Modernisierungskurs führte
zu einer allmählichen Transformation des Wirtschaftssystems: Immer mehr
marktwirtschaftliche Elemente – zum Beispiel Privateigentum an Produktionsmitteln, freie Preisbildung für den Großteil der Waren und Dienstleistungen – veränderten die Wirtschaftsordnung, die sich nach und nach
zu einer "sozialistischen Marktwirtschaft" entwickelt hat.
Dieser Wandel des Wirtschaftssystems bedingte ein verändertes Verständnis
für die Rolle der Fünfjahrespläne. Ausdruck dieses Gesinnungswechsels ist
die neue Bezeichnung, die das Zentralkomitee der KPCh 2005 eingeführt
hat. Zum ersten Mal wurde nicht mehr von "Plänen" gesprochen, sondern
von "Richtlinienzielsetzungen". Bei dieser Terminologie geht es um weit
mehr als um sprachliche Feinheiten. Dies zeigt sich auch daran, dass die
Rolle der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) im Zuge
einer Verwaltungsreform verändert wurde. Diese Institution, die als "Ministerium der Ministerien" gilt, soll sich künftig im Rahmen der volkswirtschaftlichen Lenkung auf die Themenfelder Planung, Forschung und Prognosen fokussieren.
Doch selbst nach der Verwaltungsreform behält die NDRC ihre Schlüsselposition in der chinesischen Wirtschaftspolitik. In den Händen dieser Kommission liegt nach wie vor die Hauptverantwortung für die Entwicklung
und die Umsetzung der Fünfjahrespläne. Somit gehört die NDRC zu den
maßgeblichen Akteuren bei der Ausarbeitung und Umsetzung der Go-WestStrategie.
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Studie
Die Go-West-Strategie wurde 1999 entwickelt und im Jahr 2000 erstmals
der Öffentlichkeit präsentiert. Die chinesische Führung integrierte das
Konzept dann als wesentlichen Baustein in den 10. Fünfjahresplan. Die
Go-West-Strategie hat die Zielsetzung, den deutlichen Entwicklungsrückstand der westlichen Provinzen im Vergleich zum östlichen China zu verringern und damit zum Abbau der sozialen und ökonomischen Disparitäten
innerhalb der Volksrepublik China beizutragen.
Das Konzept ist als Reaktion auf die zunehmende Diskrepanz zwischen der
Entwicklung der Ost- und Westprovinzen entstanden: Während der ersten
zwei Jahrzehnte der Reform- und Öffnungspolitik hat sich China bewusst
und ausschließlich auf die Entwicklung der östlichen Küstenregionen
konzentriert. Durch deren extremes Wachstum – das durch die "Coastal
Development Strategy" gefördert wurde – hat die Ungleichheit zwischen
den Küsten- und den Inlandsregionen der Volksrepublik stark zugenommen.
Vor diesem Hintergrund zeichneten sich Ende der neunziger Jahre deutliche
Unterschiede zwischen dem Osten und dem Westen Chinas ab:
> Sowohl das Volkseinkommen als auch das Niveau der individuellen Einkommen war extrem ungleich verteilt: 1999 haben die Westprovinzen
zum Bruttoinlandsprodukt der gesamten Volksrepublik China nur knapp
ein Fünftel beigetragen. Das Bruttoinlandsprodukt der Provinz Guizhou
lag beispielsweise bei einem Zwölftel der Wirtschaftsleistung von
Shanghai.
> In den ländlichen Gebieten des Westens herrschte teilweise extreme
Armut: 56% der armen Bevölkerung Chinas lebten in den westlichen
Regionen; der Anteil der als arm einzuschätzenden Bevölkerung lag in
den Provinzen Innere Mongolei, Gansu und Quinghai bei über 20%,
in den übrigen Westprovinzen immerhin noch bei über 10%.
> Der Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen, der die
Faktoren Lebenserwartung, Alphabetenquote, Schuleinschreibungsquote
und reale Kaufkraft in einem Index vereinigt, stand 1999 in den Westprovinzen im Schnitt bei 0,59, während die Ostprovinzen im Schnitt
0,76 erreichten. Die Westprovinzen liegen hierbei noch relativ nah an
der Grenze zu einem HDI von 0,5. Unterhalb dieser Marke spricht man
von gering entwickelten Ländern, während ein HDI von 0,8 die Grenze
zwischen Ländern mit mittlerem und denjenigen mit hohem Entwicklungsstand bildet.
> Minderheiten sind im Westen deutlich stärker vertreten als im Osten
(siehe Seite 44f.). Ethnische Spannungen und daraus entstehende
Konflikte sind umso schwieriger zu lösen, je größer die soziale
Ungleichheit ist.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
> Die Westprovinzen waren – und sind – erheblich von Umweltschäden
betroffen, insbesondere von Entwaldung, Wüstenbildung und daraus
resultierender Devastierung von Land. Schätzungen gehen davon aus,
dass 77% der Bodenerosion auf chinesischem Territorium im Westen
der Volksrepublik stattfinden.
Obwohl das chinesische System der Planwirtschaft auch dezentrale Elemente aufweist, so liegt die Verantwortung für die Umsetzung der Go-WestStrategie für alle wesentlichen zentral definierten Programme – insbesondere im Bereich der Infrastruktur – in den Händen der Zentralregierung.
Die zentrale Planung ist in jedem Falle – und das gilt auch für die Elemente
der Go-West-Strategie – eine verbindliche Vorgabe für die regionalen und
lokalen Gebietskörperschaften und muss von diesen in ihre eigenen Fünfjahrespläne übersetzt werden.
Innerhalb der NDRC ist eine eigene Abteilung für die Planung und Umsetzung
der Go-West-Strategie zuständig. Außerdem koordiniert die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission auf der Ebene der Zentralregierung die
Vorgaben der Go-West-Strategie mit den anderen Ministerien. Sind also zum
Beispiel für Westchina eine bestimmte fiskalische Förderung oder ermäßigte
Steuersätze für Unternehmen in dieser Region vorgesehen, muss das Finanzministerium die hierfür erforderlichen Mittel bereitstellen beziehungsweise ins Budget einplanen. Analog erfolgt die Planung und Umsetzung der
meisten Infrastrukturprojekte aus den Einzelministerien heraus, also etwa
aus dem Ministerium für Verkehr und Transport.
Dieser Koordinationsmechanismus liegt auch darin begründet, dass die
Finanzierung der im Rahmen der Go-West-Strategie vorgesehenen Maßnahmen weitgehend zentral erfolgen muss: Die Haushalte der westlichen
Provinzen sind ohnehin schon chronisch überlastet. Extrabudgetäre Vorgaben sind in der Regel kaum auf der Basis der regionalen Einnahmen
zu finanzieren.
Die begrenzten Mittel der Provinzen schränken de facto auch deren Spielraum für die Verwirklichung eigener Initiativen ein: Theoretisch können
die verantwortlichen Institutionen auf der Ebene der Provinzen beziehungsweise der Bezirke und Städte zwar weitere Maßnahmen und Programme
definieren, aber die Verwirklichung scheitert praktisch am knappen Budget.
Selbst wenn es also regionale Umsetzungspläne für die Go-West-Strategie
gibt, bleibt die Gesamtstrategie überwiegend ein stark zentral beziehungsweise national getriebenes Programm. Die Rolle der regionalen Regierungen
besteht im Wesentlichen daraus, die zentralen Programme administrativ zu
unterstützen, etwa durch verstärkende Beschlüsse für die Umsetzung auf
den nachgeordneten Verwaltungsebenen, durch Planungsleistungen oder
Genehmigungen.
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Studie
Für die Go-West Strategie ist eine Vielzahl von Regelungen relevant (siehe
Abbildung 11). Die wichtigsten sind:
> Die spezifischen "Go-West"-Pläne als Teil des 10. und des
11. Fünfjahresplans
> Der "Go-West" Implementation Guide und die Regelungen zu geförderten
Branchen für Auslandsinvestitionen ("Encouraged industries")
> Das chinesische Konjunkturprogramm
> Das 10-Industrien-Revitalisierungspaket
Diese wichtigsten Politikmaßnahmen werden im Folgenden kurz vorgestellt. Die weiteren auf der Abbildung 11 dargestellten Programme haben
flankierenden Charakter und bilden Umsetzungspläne in den einzelnen
Regionen und in den Fokusregionen, die aus den zentralen Plänen abgeleitet werden.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
1.2 Die Go-West-Strategie im 10. Fünfjahresplan (2001-2005)
Den 10. Fünfjahresplan (2001-2005) bestimmten ganz wesentlich folgende
"Leitlinien und Kampfziele", die auf dem XVI. Parteitag der KPCh im
November 2002 vorgestellt wurden:
> Die Inlandsnachfrage sollte wesentlich gesteigert werden.
> Die landwirtschaftliche Entwicklung sollte beschleunigt und das
Einkommensniveau der Landbevölkerung angehoben werden.
> Vorgesehen war eine Veränderung der Industriestruktur, wobei die
Reform der Staatsbetriebe sowie die Förderung der Industrialisierung
eine zentrale Rolle spielten. Als besonders wichtige Branchen wurden
die chemische Industrie sowie die Leicht-, Maschinen- und Brennstoffindustrie genannt.
> Die Schaffung einer modernen Verkehrsinfrastruktur sollte forciert
werden.
> Die staatlichen Investitionen in die Bereiche Wissenschaft, Forschung,
Bildung und Ausbildung sollten erhöht werden.
Als explizites Ziel des 10. Fünfjahresplans nannte die politische Führung
auch die Förderung der westchinesischen Provinzen als integralen Bestandteil
der Entwicklung der "harmonischen Gesellschaft" in China. Kernelement
dieser Idee ist nachhaltiges Wachstum, das einen Ausgleich zwischen
ökonomischen, ökologischen und sozialen Interessen anstrebt.
Diese übergeordnete Zielsetzung bedingt, dass die Go-West-Strategie als
zentraler Baustein in den 10. Fünfjahresplan integriert worden ist. Als
wesentliche Ziele wurden dabei festgeschrieben:
> Die Infrastruktur in ländlichen Gebieten sollte verbessert werden;
der Fokus lag dabei auf dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur:
– Durch eine Erweiterung des Fernstraßennetzes soll die Anbindung
der Regionen verbessert werden.
– Bis 2010 sollten neun wichtige Autobahnverbindungen zwischen
Ost und West fertig gestellt sein.
– Bis 2005 sollte das Eisenbahnnetz in Westchina auf 18.000 Kilometer
ausgebaut werden. Dafür waren 40% der Finanzmittel vorgesehen,
die im 10. Fünfjahresplan für den Ausbau beziehungsweise die
Erweiterung des Schienenverkehrs budgetiert waren.
– Die Wasserwege, vor allem die Ost-West-Verbindungen, sollten
ausgebaut werden.
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Studie
Im Bereich Umweltschutz wurden Wiederaufforstung und Rehabilitation
von Flächen als vordringliche Aufgaben benannt.
– Zu den wichtigsten Herausforderungen gehört der Kampf gegen
Degradation von Böden, gegen Erosion, Entwaldung und Wüstenbildung. Die Maßnahmen konzentrieren sich auf die Gebiete an den
Oberläufen des Jangtse und des Gelben Flusses. Bis 2010 sollen dort
11,6 Mio. Hektar Ackerland wiederaufgeforstet beziehungsweise in
Grasland zurückverwandelt werden.
– In den Westprovinzen sollen bis 2010 270 neue Naturschutzzonen
geschaffen werden. Dies würde eine Erhöhung der Naturschutzflächen
von 63 auf 128 Mio. Hektar bedeuten.
> Um das Bildungsniveau in den Westprovinzen anzuheben, wurde eine
Vielzahl von Projekten zur Verbesserung der Bildungs- und Ausbildungssituation vorgesehen. Der Schwerpunkt liegt dabei vor allem in ländlichen Gebieten.
> Die Steigerung der Effizienz in Industriebetrieben sowie eine Optimierung der Wirtschaftsstruktur durch die Förderung bestimmter Industriezweige zählten ebenfalls zu den Zielsetzungen des 10. Fünfjahresplans
für die Westprovinzen. Dabei spielte allerdings der primäre Sektor
immer noch eine starke Rolle.
– Die landwirtschaftliche Produktion sollte verbessert werden. Vorgesehen war eine Fokussierung auf den Anbau von Baumwolle, Zuckerrohr, Früchten, Gemüse, Blumen, Medizinpflanzen und Tabak sowie
eine Konzentration auf ertragsstärkere Tierarten in der Viehzucht.
– Die Potenziale zur Energieerzeugung durch Wasserkraft und die
Erdgasvorkommen der Westprovinzen sollten stärker genutzt werden.
– Die Rohstoffverarbeitung sollte ausgebaut werden, insbesondere die
Verarbeitung von mineralischen Rohstoffen, zum Beispiel bei der
Produktion mineralischer Düngemittel. Außerdem sollte die Forschung
im Bereich der Rohstoffverarbeitung intensiviert werden, etwa auf
dem Gebiet seltener Erze.
– Der Tourismus in den Westprovinzen sollte durch den Aufbau beziehungsweise den Ausbau der entsprechenden Infrastruktur gefördert
werden.
Wie diese Übersicht zeigt, wurden insgesamt durch die Go-West-Strategie
im Rahmen des 10. Fünfjahresplans in vielen Bereichen Maßnahmen angestoßen und Projekte initiiert. Allerdings waren Programme zur Verbesserung der Infrastruktur, des Naturschutzes, der Bildung und zur Veränderung
der Industriestruktur sowie zur Ansiedlung neuer Industriebetriebe langfristig angelegt. Dies bedingte, dass im Zeitraum des 10. Fünfjahresplans
nur die ersten Schritte auf dem Weg zur Entwicklung der Westprovinzen
erfolgen konnten.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
1.3 Die Go-West-Strategie im 11. Fünfjahresplan (2006-2010)
Als der 11. Fünfjahresplan im März 2006 vom Nationalen Volkskongress
verabschiedet wurde, betonte Hu Jintao, Staatspräsident und Vorsitzender
der KPCh, dass damit eine Kurskorrektur von einer quantitativen zu einer
mehr qualitativen Wirtschaftsentwicklung eingeleitet würde. Die Wirtschaftspolitik sollte künftig stärker die Leitmotive Nachhaltigkeit und soziale
Gerechtigkeit berücksichtigen, um "Widersprüche innerhalb des Volkes"
zu überwinden. Dieser Anspruch spiegelt sich in den politischen Zielen
des 11. Fünfjahresplans wider. Dazu gehört die Angleichung der sozialen
und ökonomischen Verhältnisse in allen Regionen der Volksrepublik China,
wobei besondere Anstrengungen der Verbesserung der Lebensverhältnisse
in den ländlichen Regionen gelten sollen. Der 11. Fünfjahresplan unterstreicht außerdem die Bedeutung des Umweltschutzes sowie der Energieeffizienz für die weitere Entwicklung der chinesischen Wirtschaft.
Angesichts dieser Meta-Ziele ist die Fortsetzung beziehungsweise der
qualitative und quantitative Ausbau der gezielten Fördermaßnahmen für
die Westprovinzen ein zwingend logischer Schritt der chinesischen Wirtschaftspolitik: Die Go-West-Strategie im 11. Fünfjahresplan knüpft daher
an die Zielsetzung des 10. Fünfjahresplans an und entwickelt sie weiter.
Die Schwerpunkte bei den Zielen und Programmen bilden die weitere
Forcierung der Infrastrukturentwicklung, vor allem beim Straßen- und
Schienenbau, sowie die Förderung bestimmter Wirtschaftszweige mit
dem Schwerpunkt auf folgenden Branchen:
>
>
>
>
>
>
>
Energiewirtschaft
Chemiebranche
Abbau und Verarbeitung von Mineralien
Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte
Maschinenbau
Hightech-Industrien
Tourismus
Insbesondere bei den höherwertigen Industrieprodukten und den Hightech-Bereichen zeigt sich, dass der 11. Fünfjahresplan eine regionale
Schwerpunktsetzung vorsieht: Die Ansiedlung dieser Branchen soll
vor allem in den Provinzen Sichuan, Chongqing und Shaanxi erfolgen
siehe Abbildung 12).
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Studie
Im 11. Fünfjahresplan ist für die Westprovinzen die besondere
Förderung von drei Fokusregionen mit Leuchtturmfunktion vorgesehen
(siehe Abbildung 13):
> Guanzhong-Tianshui (Provinzen Shaanxi und Gansu, Städte Xi'an,
Xianyang, Baoji und Tianshui): Fokussierung der Entwicklung auf Hightech-Industrien, Anlagen- und Gerätebau, Luftfahrtindustrie, moderne
Landwirtschaft und Tourismus, Errichtung einer ökologischen Schutzzone für den Oberlauf des Jangtse (siehe auch Portrait der Provinz
Shaanxi, Seite 152ff.)
> Chengdu-Chongqing: Fokussierung auf Anlagen- und Gerätebau, Hightech-Industrien, Wasserkraftanlagen, spezielle landwirtschaftliche Produkte, Erdgas-Förderung, Chemieindustrie und Tourismus
> "North Bay": Provinz Guangxi und Städte Nanning, Beihai, Qinzhou,
Anbindung an Guangdong und Hainan; dort Fokussierung auf Hafenwirtschaft, Raffinerie und Petrochemie, Forst- und Papierwirtschaft
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
In anderen Bereichen greift der 11. Fünfjahresplan die wesentlichen Zielsetzungen der vorangehenden Planungsperiode auf und entwickelt sie weiter:
> Im Bereich Umwelt- und Naturschutz sollen weitere Schutzzonen eingerichtet werden. Auch der Schutz natürlicher Ressourcen sowie die
Bekämpfung der Wüstenbildung haben nach wie vor einen hohen Stellenwert, der sich in Wiederaufforstungsprogrammen widerspiegelt.
> Angebot und Qualität der Dienstleistungen des öffentlichen Sektors
sollen verbessert werden, vor allem im Bildungs- und Gesundheitswesen.
> Diverse Programme zur Bildungs- und Ausbildungsförderung sollen zur
Förderung der Talententwicklung beitragen. Ein Schwerpunkt liegt dabei
im akademischen Bereich.
> Durch den Ausbau der "Öffnung nach außen" soll die Einbindung der
Westprovinzen in die Außenwirtschaft forciert werden. Dazu gehören
die Förderung und Lenkung von Auslandsinvestitionen in Westchina
sowie die verstärkte Zusammenarbeit zwischen den chinesischen Provinzen und mit dem Ausland, beispielweise in der Shanghai-Organisation
für Zusammenarbeit (SCO).
Shanghai-Organisation für
Zusammenarbeit (SCO)
Die im Jahr 2001 gegründete
SCO hat sechs Staaten Zentralund Ostasiens als Mitglieder: die
Volksrepublik China, Kasachstan,
Kirgisistan, Russland, Tadschikistan, Usbekistan. Als Beobachter
sind Indien, Iran, Mongolei und
Pakistan mit an Bord. Die Ziele
der SCO, die ihren Sitz in Peking
hat, sind die Verbesserung der
nachbarschaftlichen Beziehungen und der Zusammenarbeit in
Zentralasien, insbesondere in
den Bereichen Handel, Wissenschaft und Forschung, Energie,
Transport, Tourismus, Umweltschutz sowie Kultur und Bildung.
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Studie
1.4 Der "Go West Implementation Guide" und die Förderung ausländischer
Direktinvestitionen
Die chinesische Regierung hat die Eckpfeiler der inhaltlichen Ausrichtung
der Go-West-Strategie im "Go West Implementation Guide" festgelegt. Darin
werden zehn wesentliche Politikmaßnahmen definiert, die im Rahmen der
Go-West-Strategie umzusetzen sind:
1. Finanzierung der Infrastruktur: Die Zentralregierung stellt zusätzliche
Finanzmittel für die Entwicklung der Infrastruktur in den Westprovinzen
bereit, insbesondere für die vier auf Seite 66ff. dargestellten Großprojekte.
2. Fiskalische Transfers in die Provinzen: Seitens der Zentralregierung
werden den Provinzen zusätzliche Transferzahlungen zur Unterstützung
von Maßnahmen in der Landwirtschaftsentwicklung, zur Armutsbekämpfung und für den Umweltschutz gewährt.
3. Verbesserte Kreditunterstützung: Die chinesische Entwicklungsbank
und andere Banken sollen insbesondere für Infrastrukturprojekte die
Konditionen für die Finanzierung verbessern; dies betrifft vor allem
die Einräumung von längeren Kreditlaufzeiten.
4. Verbesserung der "weichen" Rahmenbedingungen für Investitionen: Hier
werden Maßnahmen zur verstärkten (Teil-)Privatisierung von Staatsbetrieben und zur Vereinfachung der Verfahren zur Anerkennung eines
Projekts in einer "geförderten Branche" definiert.
5. Steueranreize für Firmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung: Für Aktivitäten ausländischer Unternehmen, die unter die "geförderten Branchen" fallen, gilt bei einem Mindestumsatz von 70% in diesen Bereichen
eine reduzierte Körperschaftssteuer von 15% auf die Gewinne. Der Vorteil für ausländische Unternehmen aus dieser Regelung fällt allerdings
seit der Einführung des "Foreign Enterprise Income Tax Systems" (FEIT)
2008 geringer aus. Mit dieser neuen, vereinheitlichten Steuerregelung
hat sich nämlich der reguläre Steuersatz für ausländische Unternehmen
von 33% auf 25% reduziert. Im Zuge dieser Neuregelung sind außerdem
viele Ausnahmeregelungen für ermäßigte Steuersätze abgeschafft
worden.
6. Landnutzungsrechte gegen Beteiligung: Lokale Regierungen können im
Gegenzug zur Bereitstellung von Land für ein Projekt eines ausländischen Unternehmens Anteile an diesem Projekt erwerben.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
7. Mineralische Ressourcen: In diesem Segment wird ausländischen Unternehmen die Gebühr für die Nutzung von Prospektions- und Schürfrechten ein Jahr lang erlassen und im zweiten Jahr um 50% reduziert.
8. Ausweitung der geförderten Industriezweige für Auslandsinvestitionen: Die
Liste der in den Westregionen bei Auslandsinvestitionen förderfähigen
Branchen wird erweitert (Details dazu siehe nächste Seite), außerdem
soll der Zugang ausländischer Firmen in Dienstleistungsbranchen wie
Banken, Versicherungen, Einzelhandel oder Ingenieur-Dienstleistungen
erleichtert werden.
9. Verbesserung der Investitionsbedingungen für Auslandsinvestitionen: So
sollen "build-operate-transfer"(BOT)-Modelle 7) für Infrastrukturprojekte
stärker gefördert werden, und ausländische Unternehmen erhalten
Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten in lokaler Währung.
10. Reduktion von Investitionsanforderungen: Die Rahmenbedingungen
für Investitionen in Infrastrukturprojekte werden im Vergleich zu den
Regelungen für die östlichen Provinzen erleichtert. So wird zum Beispiel eine niedrigere Mindestkapitaleinlage verlangt, und das Kreditlimit für Fremdkapital in lokaler Währung wird erhöht. Joint Ventures
können sich demnach bis zu einer Höhe von 120% des chinesischen
Kapitalanteils verschulden, Gesellschaften mit ausschließlich ausländischer Beteiligung (Wholly Foreign Owned Enterprise – WFOE) bis zu
einem Limit in Höhe von 100% des ausländischen Kapitals.
Die Inhalte des "Go West Implementation Guide" signalisieren deutlich, wo
die Akzentsetzung liegt: Mehr als die Hälfte der aufgeführten Maßnahmen
zielt darauf ab, die Bedingungen für Unternehmen mit ausländischer Beteiligung zu verbessern. Dies zeigt eindeutig, welchen hohen Stellenwert die
chinesische Regierung den Auslandsinvestitionen für die Entwicklung des
Westens beimisst.
Für Auslandsinvestitionen in den chinesischen Westprovinzen wurde außerdem ein sehr ausführlicher Katalog der "geförderten Branchen" und der in
diesen Branchen vorrangig geförderten Aktivitäten ("Catalogue of Advantaged Industries for Foreign Investment in the Central-Western Region")
erstellt. Für diese Branchen können in den jeweils benannten Regionen
von ausländischen Unternehmen die sogenannten "preferential policies"
in Anspruch genommen werden, insbesondere der verminderte Körperschaftssteuersatz von 15%.
7) Bei BOT-Projekten stellt der private Investor die Entwicklung, Finanzierung und Errichtung sowie
den Betrieb eines Projektes sicher, während das Eigentum am Projekt in der Hand des chinesischen Staates bleibt. Refinanzierung und Gewinne werden durch die Erhebung von Nutzungsentgelten erwirtschaftet.
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Studie
In den Westprovinzen werden dabei spezifisch für einzelne Provinzen
insgesamt 218 Industriezweige und Aktivitäten benannt, die als "geförderte
Branchen" gelten. Die geförderten Branchen verteilen sich relativ gleichmäßig auf die einzelnen Provinzen, für jede Provinz stehen zwischen 15
(Quinghai) und 25 (Xinjiang) geförderte Industrien zur Verfügung.
Der Großteil dieser Anreize wird dabei nach wie vor in den rohstoff- und
infrastrukturbezogenen Bereichen gesetzt, also zum Beispiel bei mineralischen Produkten (32 geförderte Sektoren) und bei Maßnahmen zur Bewässerung oder zur Sanierung von Flächen (23 geförderte Sektoren). Aufgrund
der unterschiedlichen Akzente der Förderung je nach Region enthalten die
Regelungen kaum allgemeine Trends für den Westen. Für einzelne Industrien wurden allerdings Schwerpunktregionen definiert, zum Beispiel für
Chongqing der Automobilbau oder für Xinjiang verschiedene Mineralien
und landwirtschaftliche Produkte. Weil die Definition der geförderten
Branchen zum Teil sehr spezifisch ist – etwa die Förderung und Verarbeitung von Baryt in Guangxi –, kann im Rahmen dieser Studie keine vollständige Darstellung erfolgen. Die Schwerpunktbereiche werden allerdings
in Teil F "Schlussfolgerungen und Empfehlungen" (siehe Seite 120)
bezogen auf Chancen für deutsche Unternehmen noch einmal summarisch aufbereitet.
Die Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen lässt jedoch noch
nicht erkennen, dass diese Maßnahmen zur Lenkung von ADI bislang
große Wirkung gezeigt haben (siehe Seite 82f.).
Nach diesem Überblick über die wichtigsten politischen Rahmenprogramme
der Go-West-Strategie aus den ersten zehn Jahren soll nun eine Bestandsaufnahme des bisher Erreichten in den Bereichen Infrastruktur, Wirtschaftsentwicklung und Außenwirtschaft erfolgen, bevor auf einige aktuell, das
heißt im Jahr 2009, für die Entwicklung der Westprovinzen wichtige Politikmaßnahmen und die Weiterentwicklung der Go-West-Strategie in der
Zukunft eingegangen wird.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
2. Status quo: Infrastrukturentwicklung
2.1 Ziele der Infrastrukturentwicklung
Wie im vorangehenden Kapitel deutlich wurde, hat die Entwicklung der
Infrastruktur innerhalb der Go-West-Strategie bisher eine übergeordnete
Rolle gespielt. Dabei waren aus chinesischer Sicht zwei Aspekte von zentraler Bedeutung: zum einen der Ausbau der Verkehrswege, zum anderen der
Aufbau weiterer Kapazitäten für die Energieerzeugung und -übertragung. Um
den Rahmen dieser Studie nicht zu sprengen und die für die Wirtschaftsentwicklung wichtigsten Parameter zu erfassen, wird sich die Darstellung in
diesem Kapitel vor allem auf die Verkehrs- und Energieinfrastruktur fokussieren. Die Schwerpunktsetzung der chinesischen Politik der Infrastrukturentwicklung zeigt sich in den vier wichtigsten Großprojekten, die im Rahmen der ersten Fassung der Go-West-Strategie seit dem Jahr 2000 in
Angriff genommen wurden:
>
>
>
>
Süd-Nord-Wassertransferprojekt
West-Ost-Elektrizitätsübertragungssystem
West-Ost-Gaspipelines
Eisenbahnstrecke von Qinghai nach Lhasa
Von diesen vier Projekten wurde bisher allerdings nur der Bau der QinghaiTibet-Eisenbahn abgeschlossen, die 2006 ihren Betrieb aufnahm. Angesichts
der Dimensionen der anderen drei Projekte (sie werden ab Seite 67 im
Detail dargestellt) war von vornherein klar, dass deren Realisierung nicht
innerhalb der Laufzeit des 10. Fünfjahresplans zu schaffen sein würde. Von
der West-Ost-Erdgasleitung und dem West-Ost-Stromleitungsprojekt sind
Teilstücke fertig gestellt. Die Umsetzung des Süd-Nord-Wassertransferprojekts hat begonnen.
Neben diesen Großprojekten wurden konkrete Pläne für weitere Maßnahmen entworfen, vor allem im Bereich der Verkehrsinfrastruktur. Außerdem
wurden in diesem Sektor Elemente aus bereits vorhandenen Planungen
aufgegriffen und neu priorisiert.
Zu den wichtigsten Vorhaben im Straßenbau gehört das sogenannte
"5-vertikale & 7-horizontale Fernstraßen"-Projekt, das die wesentlichen
ökonomischen Zentren Chinas verknüpfen soll. Von diesen insgesamt zwölf
Verbindungen liegen neun (alle horizontalen und zwei vertikale) zumindest
teilweise in den Westprovinzen. Wichtige Beispiele für diese Strecken sind:
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Studie
> Die über 4.500 Kilometer lange Ost-West-Querung Chinas; sie führt von
Dandong (an der Grenze zu Nordkorea im äußersten Nordosten Chinas)
über Peking weiter über die Hauptstädte der Westprovinzen Innere
Mongolei (Hohhot), Ningxia (Yinchuan), Gansu (Lanzhou), Qinghai
(Xining) bis nach Tibet (Lhasa)
> Die etwas südlicher verlaufende und fast 4.000 Kilometer lange OstWest-Querung Chinas; ausgehend von der Küstenstadt Lianyungang in
der Provinz Jiangsu führt sie über Xi'an (Shaanxi) und Lanzhou (Gansu)
bis nach Ürümqi und nach Huoerguosi an der Grenze zu Kasachstan
> Die beiden noch weiter südlich verlaufenden Ost-West-Verbindungen,
die in Shanghai beginnen. Die eine Strecke führt über Chongqing nach
Chengdu; die andere Trasse verläuft südlich über die Stadt Guiyang
(Provinz Guizhou) bis nach Kunming (Provinz Yunnan)
> Die über 3.500 Kilometer lange Nord-Süd-Querung Chinas zwischen
Erenhot an der Nordgrenze der Autonomen Region Innere Mongolei zur
Mongolei über Taiyuan in der Provinz Shanxi weiter über Xi'an, Chengdu
und Kunming bis zur Grenze von Yunnan nach Vietnam in der Stadt
Hekou
Vor allem in der Neufassung der Go-West-Strategie im Rahmen des 11.
Fünfjahresplans wurde zusätzlich zu diesen Großprojekten im Bereich
Straßenbau eine Vielzahl von Detailplänen zum Ausbau weiterer Straßenund Schienenverbindungen, von Wasserwegen, Flughäfen sowie Projekten
im Bereich der Energie- und Informationsinfrastruktur sowie städtischer
Infrastruktur-Maßnahmen erstellt. Unter anderem sollte die Internetversorgung in ländlichen und abgelegenen Regionen, die Versorgung der Städte
mit Breitbandinternetverbindungen und Digital-TV sowie der öffentliche
Nahverkehr verbessert werden. Dafür war beispielsweise der Bau von UBahnen und Straßenbahnen in Chengdu, Chongqing und Xi'an geplant.
Weiterhin war der Ausbau der Wasser-, Strom-, Gas-, Fernwärmeversorgung
sowie der Abfallentsorgung und des Umweltschutzes in den Städten
vorgesehen.
2.2 Infrastrukturentwicklung in den Westprovinzen 2000 bis 2008
Zieht man ein Zwischenfazit der Go-West-Strategie für den Zeitraum 2000
bis 2008, so fällt die Bilanz im Bereich Infrastrukturentwicklung sehr positiv aus: Die Infrastruktur in den Westprovinzen wurde erheblich ausgebaut,
wie die folgende Übersicht zeigt (siehe Abbildung 14):
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Straßenbau
Bis 1999 existierten in den zwölf westchinesischen Provinzen insgesamt
circa 530.000 Straßenkilometer (davon 2.800 Kilometer Autobahnen). Bis
Ende des Jahres 2007 hatte sich die Gesamtlänge des Straßennetzes in
Westchina bereits auf 1.340.000 Kilometer erhöht (davon 15.000 Kilometer
Autobahnen). Somit wurde das Straßennetz zwischen 2000 und 2007
jährlich um durchschnittlich 12% ausgebaut, das Autobahnnetz sogar
um durchschnittlich jährlich 23%.
Der Großteil der zwischen 2000 und 2008 fertig gestellten Schnellstraßen
beziehungsweise Autobahnen kam den Provinzen Xinjiang, Gansu, Shaanxi,
Yunnan und Guangxi zugute. Etwa die Hälfte dieser Verbindungen schafft
mittelbar einen Schnellstraßen-Anschluss nach Peking.
Der "5/7"-Fernstraßenplan ist heute mit etwa 34.000 Straßenkilometern
(davon 26.000 Kilometern Schnellstraßen) nahezu fertig gestellt. Grenzüberschreitende Strecken wurden von Kunming (Yunnan) nach Laos in die
Stadt Modun (mit geplanter Weiterverbindung nach Bangkok) und von
Nanning (Guangxi) nach Youyi Guan in Vietnam gebaut.
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Studie
Schienennetz
Die Erweiterung des Schienennetzes in den chinesischen Westprovinzen
blieb mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 4% hinter
dem Verkehrsträger Straße zurück: Diese Diskrepanz spielt die politische
Gewichtung von "Schiene" und "Straße" in den letzten beiden Fünfjahresplänen wider.
Die Länge des westchinesischen Schienennetzes erhöhte sich von 1999
bis 2007 von 21.000 Kilometern auf 29.000 Kilometer. Darin enthalten
sind Abschnitte der wichtigsten bis 2009 fertig gestellten Verbindungen
zwischen Golmud (Qinghai) und Lhasa (Tibet) sowie zwischen Xi'an
(Shaanxi) und Nanjing (Jiangsu).
Im Vergleich der Westprovinzen untereinander kam der Netzausbau von
1999 bis 2007 mit einem jährlichen Plus von 10% in der Provinz Chongqing mit Abstand am schnellsten voran. Dort soll nach offiziellen Planungen der fünftgrößte chinesische Eisenbahnknotenpunkt entstehen. Ein
Containerterminal ist momentan im Bau, außerdem laufen die Arbeiten an
mehreren regionalen Verbindungsstrecken von Chongqing in nahegelegene
Städte. So wurde beispielsweise die Strecke Chongqing-Chengdu 2006 in
Betrieb genommen.
Luftverkehr
Bis 2000 gab es in den Westprovinzen insgesamt 49 Flughäfen, davon 15
mit internationalen Verbindungen. Pro Jahr wurden rund 361.000 Flüge
mit 29 Millionen Passagieren und 570.000 Tonnen Fracht abgewickelt.
Obwohl bis 2008 nur acht Inlandsflughäfen und ein internationaler Flughafen (Yunnan) hinzukamen, hat sich die Anzahl der Flüge auf 981.000 fast
verdreifacht (plus 12% pro Jahr); dementsprechend stiegen die Passagierzahlen auf 92 Millionen (plus 14% pro Jahr) und das Frachtaufkommen auf
1,2 Mio. Tonnen (plus 8% pro Jahr). Diese Zuwächse sind im Wesentlichen
auf Modernisierungsmaßnahmen und Kapazitätserweiterungen bestehender
Flughäfen zurückzuführen.
Im Bereich des Luftverkehrs konzentrierten sich die Anstrengungen in den
letzten zehn Jahren auf die Schaffung weiterer Knotenpunkte (Hubs) in den
Provinzen Xinjiang, Yunnan und Sichuan neben den bestehenden Hubs in
Chongqing und Xi'an (Shaanxi). In diesem Rahmen wurden die Flughäfen
in Ürümqi (Xinjiang) und Chengdu (Sichuan) ausgebaut, der Flughafen
in Kunming (Yunnan) wurde neu errichtet. Der Flughafen Xi'an (Shaanxi)
wurde modernisiert und einige Dutzend kleinerer Zubringerflughäfen in
der Fläche eröffnet, die zur Förderung der regionalen Integration sowie
des Tourismus dienen sollen.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Energieinfrastruktur
Die Erzeugungskapazität der westchinesischen Kraftwerke betrug Ende
1999 insgesamt 71 Gigawatt und erhöhte sich aufgrund gestiegener Regierungsinvestitionen mit einer jährlichen Zuwachsrate von 14% bis 2007 auf
200 Gigawatt. Wegen der großen Kohlevorkommen sowie der Entwicklung
von Windkraftanlagen fiel in der Inneren Mongolei der Anstieg der Erzeugungskapazität am stärksten aus (plus 21% pro Jahr auf 42 Gigawatt 2007).
Zu Beginn der Go-West-Strategie im Jahr 2000 bestand allerdings noch ein
großes Ungleichgewicht zwischen einer schnell wachsenden Kapazität zur
Stromerzeugung und der hinterherhinkenden Transportkapazität der Leitungsnetze. Die suboptimale Netzqualität sowie Engpässe oder das Fehlen
von Netzübergängen zwischen den einzelnen Regionalnetzen führen oft zu
regionalen Problemen in der Stromversorgung. Dieses Ungleichgewicht ist
bis heute noch nicht überwunden. Nach Aussagen von Experten konnte der
Netzausbau auch in den letzten Jahren nicht mit der Ausweitung der Erzeugungskapazität Schritt halten.
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Studie
BAHNLINIE QINGHAI-TIBET
Die 2006 eingeweihte Strecke war bisher das größte und wohl auch das aufwändigste
Eisenbahnprojekt des 21. Jahrhunderts. Sie schafft über Qinghais Provinzhauptstadt
Xining und Golmud (Qinghai) eine durchgehende, komfortable und für viele Chinesen
erschwingliche Verbindung von Peking nach Lhasa mit einer Fahrzeit von 48 Stunden.
Die eigentliche Neubaustrecke von Golmud nach Lhasa ist 1.125 Kilometer lang, davon
sind 550 Kilometer Schienen auf Permafrostboden verlegt. Die Trasse wurde zwischen
2000 und 2005 gebaut, wobei sich die Kosten auf circa 3,3 Mrd. EUR beliefen. Ein
großer Teil der Strecke liegt in einer Höhe von mehr als 4.000 Metern. Der Tanggula-Pass
(5.072 Meter über dem Meeresspiegel) ist der höchste Punkt der Trasse –
und zugleich der höchste Punkte weltweit, den eine Eisenbahn erreicht.
Aus Sicht der chinesischen Tibet-Politik hat dieses Verkehrsprojekt enorme strategische
Bedeutung. Erklärtes Ziel war es, mit der Errichtung der Neubaustrecke die wirtschaftliche Entwicklung Tibets durch eine stärkere Integration mit China zu fördern: Die Transportkosten für die tibetische Wirtschaft sollten gesenkt und der Zugang zu Tibets
Rohstoffen erleichtert werden. Außerdem sollte die Entwicklung des Tourismus neue
Arbeitsplätze in Tibet schaffen. Tatsächlich war nach der Fertigstellung der Linie ein
sprunghafter Anstieg des Tourismus zu verzeichnen. Nicht bestätigt hat sich die
Befürchtung mancher Tibeter, dass nach der Eröffnung der Bahnstrecke der Zuzug
von Han-Chinesen in die Autonome Region wächst.
Aus der Perspektive vieler Tibeter war der Bau dieser Bahnlinie politisch brisant. Einige
Kritiker sehen machtpolitische Ziele der Zentralregierung als die Hauptgründe für dieses
Infrastrukturprojekt: Damit solle der chinesische Anspruch auf Tibet zementiert werden.
Ein Ausbau der Straßenverbindung wäre weit wirtschaftlicher gewesen als das
aufwändige Großprojekt.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
WEST-OST-ELEKTRIZITÄTSÜBERTRAGUNGSSYSTEM
Der Energiebedarf Ostchinas wird nach Prognosen der Internationalen Energieagentur
2030 bei 773 Gigawatt liegen – das entspricht gegenüber 2005 einer Steigerung um
den Faktor 4,5. Aus eigener Kraft können die östlichen Provinzen ihren zunehmenden
Energiebedarf nicht decken, denn auf ihrem Territorium befindet sich der geringere Teil
der Energieträger, also etwa 47% der Kohlevorkommen und 32% der Erdgasvorkommen.
Die Westprovinzen dagegen verfügen reichlich über Ressourcen zur Energieerzeugung.
Dieses Problem der Diskrepanz zwischen regionalem Angebot und regionaler Nachfrage
zu bewältigen, ist und bleibt eine der großen Herausforderungen der Energiepolitik
Chinas.
Ein Lösungsansatz der chinesischen Regierung ist das im Rahmen des 10. Fünfjahresplans initiierte West-Ost-Elektrizitätsübertragungssystem. Damit wird der Energietransfer in West-Ost-Richtung durch weitere Ausbaumaßnahmen auf der Basis der
bereits Ende der achtziger Jahre festgelegten Struktur verbessert. Diese Struktur besteht
aus Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungssystemen auf den drei Hauptrouten
Nord (Innere Mongolei nach Peking-Tianjin-Tangshan), Zentral (Sichuan/Gezhouba
nach Shanghai) und Süd (Yunnan/Guangxi nach Guangdong). Die drei Trassen werden
bis 2020 sukzessive auf eine Leistung von insgesamt 110 Gigawatt erweitert; die
Nord- und die Zentralroute werden dann eine Leistung von jeweils 40 Gigawatt haben,
die Südroute von 30 Gigawatt. Teilabschnitte des West-Ost-Elektrizitätsübertragungssystems sind bereits fertig gestellt: Bis 2005 steigerte Sichuan (Zentralroute) die
für andere Regionen verfügbare Leistung auf 1,5 Gigawatt und Yunnan/Guangxi
(Südroute) auf 7 Gigawatt.
An das West-Ost-Elektrizitätsübertragungssystem knüpft die chinesische Regierung
die Erwartung, die Ressourcenvorkommen des Westens besser zu erschließen und den
Energienachschub für die Ostprovinzen mittel- und langfristig sicherzustellen. Neben
dem Stromtransport soll das Projekt auch die Verbindungen zwischen den regionalen
Leitungsnetzen verbessern.
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Studie
WEST-OST-GASPIPELINES
Die industriellen Zentren in den ostchinesischen Küstenprovinzen können ihren zunehmenden Energiebedarf nur decken, solange der Nachschub aus dem ressourcenreichen
Westen der Volksrepublik gesichert ist. Dies gilt auch für den Energieträger Erdgas.
Insbesondere die Autonome Region Xinjiang spielt eine Schlüsselrolle in der ErdgasVersorgung Chinas: Hier wurden 2008 24 Mrd. Kubikmeter Erdgas gefördert, davon
wurden 15 Mrd. Kubikmeter nach Ostchina geliefert. Allein im Tarim-Becken liegen
22% der chinesischen Gasvorräte. Vor diesem Hintergrund hat die chinesische Zentralregierung im Rahmen der Go-West-Strategie beschlossen, West-Ost-Pipelines zu
bauen, um die Versorgung Ostchinas mit diesem fossilen Brennstoff zu gewährleisten.
Bereits 2005 wurde die erste West-Ost-Pipeline fertig gestellt, in der Erdgas aus
Xinjiang für die Energieerzeugung in das Jangtse-Delta an die Ostküste Chinas transportiert wird. Von ihrem Ausgangspunkt in Lunnan bis zu ihrem Ziel Shanghai durchquert
sie auf einer Länge von 4.000 Kilometern zehn Provinzen. Eigentümer und Betreiber
dieser Pipeline, durch die jährlich etwa 12 Mrd. Kubikmeter Gas fließen sollen, ist
PetroChina. Die Trasse ist an die 2004 vollendete Shaan-Jing-Gaspipeline angeschlossen, die vom Sulige-Gasfeld in der Provinz Shaanxi über Shijiazhuang in der Provinz
Hebei nach Peking verläuft. Zusammen mit einer fast parallel geführten Pipeline vom
Changqing-Gasfeld (Shaanxi) versorgt diese Trasse die Provinzen Shanxi, Hebei sowie
die Städte Peking und Tianjin mit Gas. 2008 wurde mit dem Bau der zweiten WestOst-Pipeline begonnen, die – ihre acht Abzweigungen mit eingerechnet – 9.000 Kilometer lang ist und 30 Mrd. Kubikmeter Gas pro Jahr transportieren soll.
Sie verläuft von Khorgas (Xinjiang) nach Guangzhou (Provinz Guangdong). Die Streckenführung ist bis zur Provinz Gansu parallel zur ersten West-Ost-Pipeline geplant; außerdem soll es Verbindungen zwischen den beiden Trassen geben. Der westliche, 4.800
Kilometer lange Teil der zweiten West-Ost-Pipeline soll Ende 2009 in Betrieb genommen
werden, der östliche Teil Mitte 2011. Die Gesamtkosten des Projekts sind mit
20 Mrd. USD veranschlagt.
Da China seinen Erdgasbedarf mittel- und langfristig nicht aus inländischen Vorkommen
decken kann, sondern auf Importe angewiesen ist, setzt die Volksrepublik auf eine
Strategie des "going out": Bei den Erdgas-Importen kommt den zentralasiatischen
Nachbarländern eine Schlüsselrolle zu. In diesem Kontext ist die neue ZentralasienChina-Gaspipeline zu betrachten. Seit Mitte 2007 sind mehrere Abschnitte dieser
neuen Pipeline in Bau, deren Kosten sich insgesamt auf 7,3 Mrd. USD belaufen sollen.
Die Trasse startet in Turkmenistan an den Gasfeldern am Ufer des Amu Darya, quert bei
Olot nach Usbekistan und verläuft dann vom südlichen Kasachstan über die Gasfelder
Tengiz und Kashagan nach Alashankou in Xinjiang. Das angelieferte Gas fließt hier in die
West-Ost-Gaspipeline weiter Richtung Osten. Der erste Bauabschnitt der ZentralasienChina-Pipeline soll bis Ende 2009 fertig gestellt sein. Die Vollendung des zweiten
Bauabschnitts – mit einer Kapazität von 30 Mrd. Kubikmetern – ist bis 2011 geplant.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
SÜD-NORD-WASSERTRANSFERPROJEKT
Die Probleme bei der Wasserversorgung in China entstehen durch die extrem ungleiche
Verteilung dieser Ressource: In der Jangtse-Region und im Süden befinden sich über
80% der Wasservorkommen der Volksrepublik, die nördlichen und nordwestlichen Teile
des Landes leiden dagegen unter Wassermangel. Hinzu kommt, dass im Norden und
Nordwesten aufgrund der dichten Besiedelung und der intensiven landwirtschaftlichen
Nutzung – hier leben 46% der Bevölkerung – der Wasserbedarf immens hoch ist.
Dieses krasse Missverhältnis von natürlichem Wasserangebot und der Nachfrage
von Haushalten, Landwirtschaft und Industrie führt dazu, dass verstärkt Grund- und
Tiefenwasser entnommen wird. Experten warnen, dass die Grundwasservorräte unter der
nordchinesischen Tiefebene – hier befinden sich die Provinzen Hebei, Henan, Shandong
sowie die Städte Peking und Tianjin – bis 2030 aufgebraucht sein werden.
Dieser Entwicklung will die chinesische Regierung nicht tatenlos zusehen: Bereits in
den fünfziger Jahren entstanden erste Pläne, Wasser aus dem "feuchten" Süden in den
trockenen Norden umzuleiten. Diese Idee wird nun im Süd-Nord-Wassertransferprojekt
umgesetzt, dessen Gesamtkosten auf bis zu 62 Mrd. USD geschätzt werden. Bei diesem
größten Wassertransferprojekt der Welt sollen vom Ober-, Mittel- und Unterlauf des
Jangtse bis zu 52 Mrd. Kubikmeter Wasser pro Jahr in den Gelben Fluss, den Huaihe
und den Haihe umgeleitet werden. Das Wasser soll auf einer östlichen, einer zentralen
und einer westlichen Trasse Richtung Norden fließen.
Mit dem Bau der östlichen Route wurde 2002 begonnen; ihre Fertigstellung ist 2012
geplant. Sie soll nahe Jiangdu Wasser aus dem Jangtse abzweigen und nach Tianjin
bringen. Die zentrale Route soll vom Danjiangkou-Staudamm (Provinz Hubei) am
Oberlauf des Han-Flusses – eines Nebenflusses des Jangtse – nach Peking führen. Mit
den Bauarbeiten wurde 2004 begonnen, bis 2014 sollen sie abgeschlossen sein. Eine
technische Herausforderung ist die Untertunnelung des Gelben Flusses. Bislang wurde
erst der 300 Kilometer lange Nordteil der zentralen Route fertig gestellt. Eine weitere
Schwierigkeit stellt die Anhebung des Danjiangkou-Staudamms dar. Die westliche
Route soll von den Zuflüssen am Oberlauf des Jangtse zum Gelben Fluss führen. Dies
würde allerdings den Bau mehrerer Dämme und eines hunderte von Kilometern langen
Tunnels durch die Bayankel-Gebirgskette erfordern. Es ist deshalb fraglich, ob in absehbarer Zukunft mit der Umsetzung dieser Pläne begonnen wird. Die Bauzeit für diese
westliche Route wird auf bis zu 50 Jahre veranschlagt.
Das Süd-Nord-Wassertransferprojekt ist wegen seiner ökologischen Folgen stark
umstritten: Es ist zu befürchten, dass die zusätzliche Wasserentnahme die ohnehin
schon grenzwertige Wasserqualität des Jangtse erheblich verschlechtern wird. Noch ist
der Fluss, in den 2006 über 30,5 Mrd. Tonnen Abfälle aus Industrie, Landwirtschaft und
Privathaushalten "entsorgt" wurden, nur deshalb nicht umgekippt, weil seine riesigen
Wassermengen die Konzentration der Schadstoffe verdünnen.
8) Medium and Long-Term Development Plan for Renewable Energy.
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Studie
ERNEUERBARE ENERGIEN
Die chinesische Führung hat eindeutige Signale gesetzt: Erneuerbare Energien sollen
mittel- und langfristig die Nischenrolle verlassen, die sie bisher bei der Energieversorgung des Landes gespielt haben: 2007 hat die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission den "Mittel- und langfristigen Entwicklungsplan für Erneuerbare
Energien"8) veröffentlicht. Danach soll der Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Primärenergieverbrauch Chinas bis 2010 auf 10% steigen – dies bedeutet eine
Zunahme von 2,5 Prozentpunkten im Vergleich zu 2005. Bis 2020 soll sich der Anteil
regenerativer Energiequellen am Energiemix der Volksrepublik auf 15% erhöhen. Diese
Planung wird vom Erneuerbare-Energien-Gesetz flankiert, das 2006 in Kraft getreten ist.
Der Entwicklungsplan für erneuerbare Energie sieht bei der Windkraft bis 2020 eine
Erweiterung der installierten Leistung auf 30 Gigawatt vor. In der Inneren Mongolei, in
Tibet und im nördlichen Xinjiang sowie in den Provinzen Gansu und Qinghai sind die
Bedingungen für die Energieerzeugung durch Windkraft besonders gut. In diesen
Regionen sind im Rahmen des "Renewable Energy Development Plan" zahlreiche
Projekte zum Ausbau der Windenergie geplant. Anlagen mit einer Kapazität von mehr
als 1 Gigawatt sollen in Huitengxile (Innere Mongolei), in der Region Dabancheng
(Xinjiang) sowie in der Region Yumen (Gansu) errichtet werden. Im Westteil der Provinz
Gansu sollen bis zum Jahr 2015 in der Stadt Jiuquan außerdem 28 Windparks mit
einer Gesamtkapazität von 12 Gigawatt entstehen. Außerdem sind an verschiedenen
Standorten in der Inneren Mongolei Windparks mit einer Kapazität von mehr als
2 Gigawatt geplant.
Bis 2020 soll die Erzeugungskapazität von Solarenergie auf eine Leistung von 1,8 Gigawatt ausgebaut werden. Dank der großen Anzahl jährlicher Sonnenstunden sind
Westprovinzen wie Gansu, Qinghai, Shaanxi, Innere Mongolei, Tibet oder Xinjiang für
den Ausbau der Solarenergie prädestiniert. Dementsprechend sieht der "Renewable
Energy Development Plan" eine Vergrößerung der Kapazitäten vor. Übrigens wird mit
deutscher Beteiligung in der Inneren Mongolei ein großes solar-thermisches Kraftwerk
mit einer Leistung von 50 Megawatt projektiert. Dieses erste Parabolrinnenkraftwerk
Asiens wird von einem Joint Venture zwischen einem chinesischen Unternehmen und
der deutschen Solar Millennium AG realisiert.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
2.3 Weitere Planungen
Trotz der durchaus erfolgreichen Bilanz der bisherigen Maßnahmen: Die
Infrastrukturentwicklung der Westprovinzen kann noch lange nicht als
abgeschlossen betrachtet werden. Es sind derzeit verschiedene Großprojekte in der Umsetzung, und auch bei der Verkehrs- und Energieinfrastruktur sind weiterhin erhebliche Anstrengungen vorgesehen.
Auf den nationalen Fernstraßenplan von 1992, der inzwischen fast vollständig verwirklicht worden ist, folgte 2004 ein neuer Netzwerkplan (das sogenannte "7918"- Netz – 7x radial nach Peking, 9 Nord-Süd-Achsen, 18 OstWest-Achsen), der auf einen Zeithorizont bis 2020 ausgelegt ist. Im Rahmen
dieser Planung sind 21 Fernstraßen im Bau, vor allem in Xinjiang, Sichuan,
Gansu, Shaanxi und Yunnan. Von Xinjiang aus ist auch eine internationale
Verbindung ins Nachbarland Tadschikistan in Arbeit, die von Ku'erle (Xinjiang) nach Yierkeshitan (Tadschikistan) führen wird. Bis 2030 sollen in den
Westprovinzen insgesamt weitere 32.000 Kilometer Schnellstraßen gebaut
werden – damit würde sich die Länge der heute existierenden Strecken
mehr als verdreifachen.
Auf der aktuellen Liste der wichtigsten Schienenbauprojekte stehen
14 Verbindungen mit insgesamt 8.700 Kilometern; als die wichtigsten
Verbindungen gelten
> Provinzinterne Verbindungen in Xinjiang und Yunnan
> Verbindungen der Zentren Zentralchinas untereinander (in Shaanxi,
Gansu, Chongqing und Sichuan)
> Verbindungen Westchinas mit dem angrenzenden Ausland (Myanmar,
Kirgisistan, Usbekistan)
Die längsten Strecken (1.450 Kilometer) sollen von Hami (Xinjiang) nach
Bayan Nur (Innere Mongolei) sowie über eine Entfernung von 1.240 Kilometern von Ku'erle (Xinjiang) nach Ge'ermu (Qinghai) führen. Bis 2020
sollen dann alle großen Städte in den Provinzen Innere Mongolei, Sichuan,
Tibet, Xinjiang und Yunnan miteinander verbunden sein. Bis zu diesem
Zeitpunkt sollen auch die grenzüberschreitenden Strecken nach Kirgisistan,
Myanmar, Laos und Vietnam in Betrieb genommen werden.
Gemäß dem National Airport Allocation Plan vom Januar 2008 beabsichtigt
China, im Zeitraum 2011 bis 2020 52 neue Flughäfen zu bauen. Davon
sollen 29 in Westchina errichtet werden. Dabei stehen die Provinzen Xinjiang (sechs Flughäfen), Gansu (fünf Flughäfen) sowie Yunnan und Qinghai
(je vier Flughäfen) in den Plänen der Regierung an oberster Stelle.
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Studie
Hinzu kommt der Neubau von 97 Regionalflughäfen, den die chinesische
Regierung zwischen 2008 und 2020 plant. Davon sollen 45 bereits Ende
2010 fertig gestellt sein. Die Verwirklichung dieser Pläne würde bedeuten,
dass etwa 80% der Bevölkerung im Umkreis von 100 Kilometern im Einzugsgebiet von mindestens einem Flughafen leben.
In ihrem Referenzszenario geht die Internationale Energieagentur (IEA)
davon aus, dass der Energiebedarf der Volksrepublik China im Jahr 2030
bei 3.819 Mio. Tonnen Öleinheiten liegen wird (2005: 1.742 Mio. Tonnen
Öleinheiten). Das heißt, der Energieverbrauch Chinas wird im Prognosezeitraum mit einem Wachstum von durchschnittlich 3,2% pro Jahr zulegen.
2010 wird China voraussichtlich die USA als größten Energieverbraucher
der Welt ablösen. Um seinen zunehmenden Energiebedarf zu decken, muss
das Land die Kapazitäten für die Erzeugung und für die Übertragung von
Energie massiv ausbauen.
Im Energiemix Chinas entfällt auf Kohle ein Anteil von über 60%. An der
dominierenden Rolle dieses Energieträgers wird sich auch in Zukunft kaum
etwas ändern. Die Prognosen der IEA gehen davon aus, dass der KohleAnteil am chinesischen Primärenergiebedarf auch 2030 noch über der
60-Prozent-Marke liegen wird. Vor diesem Hintergrund ist auch in Westchina ein weiterer Ausbau von Kraftwerken zur Kohleverstromung vorgesehen.
In den Provinzen Shaanxi und Ningxia ist der Neubau mehrerer großer
Kohlekraftwerke geplant, um über Leitungsnetze mit hoher Kapazität die
Versorgung Pekings sicherzustellen beziehungsweise zu verbessern.
Als Ergänzung zur Stromerzeugung durch fossile Energieträger will China
die Nutzung der erneuerbaren Energien stark ausbauen (siehe Textbox Seite
70) und die Wasserkraft-Potenziale stärker als bisher nutzen. Dabei hat der
Ausbau der Wasserkraft in den Westprovinzen einen hohen Stellenwert:
Insbesondere entlang der Flüsse Jinsha (Yunnan, Sichuan), Yalong (Qinghai,
Sichuan, Yunnan), Dadu (Qinghai, Sichuan), Lancang (Qinghai, Tibet), am
Oberlauf des Gelben Flusses (Qinghai) sowie am Nu (Tibet, Yunnan) sind
konkrete Projekte geplant.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Im Bereich Energieübertragung ist absehbar, dass der Netzausbau mindestens in den kommenden fünf Jahren mit hoher Priorität vorangetrieben
werden muss. Die Zentralregierung stuft den Ausbau der regionalen Netze
und die Verbindung der Netze via Ultrahochspannungsleitungen als sehr
wichtig ein, um Effizienz und Versorgungssicherheit zu erhöhen. So werden
auch die großen Wasserkraftpotenziale des Westens verstärkt nutzbar
gemacht.
Die staatliche State Grid Corporation of China sieht in ihrem Netzentwicklungsplan bis 2020 eine "4x Ost-West-/6x Nord-Süd-Struktur" vor, das heißt
den Aufbau oder Ausbau von zehn Fernleitungen. Die Hauptachsen dieses
Netzes laufen von Shaanxi, Sichuan und der Inneren Mongolei nach Süden
und Osten in die Küstenregionen. Zusätzlich plant die China Southern
Power Grid Corporation9) bis 2030 den Bau zweier 1000-Kilovolt-Fernleitungen von Yunnan über Guangxi und Guizhou in die Ostprovinz Guangdong (siehe Abbildung 15).
9) Die State Grid Corporation of China (SGCC) und die China Southern Power Grid Corporation (CSG)
sind im Zuge einer Umstrukturierung 2002 der State Power Corporation entstanden, die in zwei
Gesellschaften für die Stromübertragung und fünf für die Stromerzeugung aufgespalten wurde. Die
SGCC und die CSG decken bei der Stromübertragung 80% beziehungsweise 20% des chinesischen Marktes ab.
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Studie
3. Status quo: Wirtschaft
3.1 Wirtschaftsentwicklung
Die Analyse der Wirtschaftsentwicklung zeigt deutlich, dass die Westprovinzen bislang nicht im selben Ausmaß vom gesamtchinesischen Wirtschaftswunder profitieren konnten wie die östlichen Regionen. Das Bruttoinlandsprodukt der Westprovinzen lag 2008 bei 5,8 Billionen CNY (ca. 840 Mrd.
USD). Das entspricht einem Anteil von 19% an der Wirtschaftsleistung der
Volksrepublik China. Bis zum Jahr 2000 hinkte die wirtschaftliche Entwicklung der westlichen Provinzen derjenigen Gesamtchinas hinterher. Seit
2001 konnte der Westen jedoch im Wachstumstempo aufholen und lag
beim Wachstum in etwa im gesamtchinesischen Schnitt. Um in der Wirtschaftskraft aber zum Osten aufzuschließen, müsste der Westen deutlich
stärker wachsen als Gesamtchina. Dies ist zur Zeit nicht der Fall (siehe
Abbildung 16).
Die Wirtschaftsleistung in den Westprovinzen ist extrem ungleich verteilt;
in der Größe und der Zusammensetzung ihrer Bruttoinlandsprodukte unterscheiden sich die einzelnen Autonomen Regionen und Provinzen erheblich.
Während die Wirtschaftskraft von Qinghai oder Tibet eher gering ist, erwirtschaften allein Sichuan, die Innere Mongolei, Guangxi, Shaanxi knapp 60%
des gesamten Bruttoinlandsproduktes des Westens (siehe Abbildung 17).
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Pro Kopf liegt das Bruttosozialprodukt in Westchina im Schnitt nur bei
60% des östlichen Chinas. Von der Inneren Mongolei abgesehen, bleibt
das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt der westlichen Provinzen auch hinter
dem gesamtchinesischen Durchschnitt zurück.
3.2 Auswirkungen der Wirtschaftskrise
China ist Mitte 2009 eines der wenigen Länder der Erde, dessen Volkswirtschaft trotz der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise weiter wächst.
Trotz des starken Einbruchs der Exportwirtschaft wurden in den ersten
beiden Quartalen 2009 gemäß der offiziellen Verlautbarungen der chinesischen Regierung immer noch höhere einstellige Wachstumsraten erreicht.
In Expertenkreisen wird zum Teil die Validität dieser Statistiken kritisch
diskutiert, da die Exportabhängigkeit der chinesischen Wirtschaft doch sehr
stark ist. Was die Westprovinzen angeht, ist eine verlässliche Aussage über
die Auswirkungen der Wirtschaftskrise eine noch größere Herausforderung,
weil die statistischen Daten auf Provinzebene häufig erst mit Zeitverzögerung zur Verfügung stehen und sich oft nicht mit den national berichteten
Zahlen decken.
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Studie
Glaubt man den offiziellen Statistiken trotz einiger Unklarheiten, gibt es
Indikationen dafür, dass die Westprovinzen von den Auswirkungen der
Wirtschaftskrise zwar ebenso wie Gesamtchina hart getroffen werden,
aber weniger stark als die östlichen Regionen. Dies lässt sich anhand
von drei Aspekten belegen:
> Wachstum der Volkswirtschaft: Zieht man die offiziellen chinesischen
Statistiken zu Rate, zeigen sich in den drei Quartalen, in denen man
die härtesten Effekte der Wirtschaftskrise erwarten kann, nämlich dem
dritten und vierten Quartal 2008 und dem ersten Quartal 2009, die
Westprovinzen leicht stärker in der Entwicklung als das östliche China.
Zwar sinkt das Wirtschaftswachstum in beiden Regionen (Ost/West)
deutlich, aber im Westen jeweils weniger stark als im Osten.
> Exporte: In der chinesischen Exportwirtschaft hat die Finanz- und
Wirtschaftskrise zu einem massiven Einbruch geführt, und das trifft die
Exporteure in den Westprovinzen. So lässt sich aus den offiziellen Statistiken ablesen, dass die Exporte im ersten Halbjahr 2009 im Vergleich
zum Vorjahresmonat jeweils ähnlich stark gesunken sind wie in Gesamtchina (siehe Abbildung 18). Von daher zeigt sich kaum ein Unterschied
zwischen West und Ost. Zusätzlich kommt nun allerdings ins Spiel, dass
der Westen in seiner Wirtschaftsstruktur deutlich weniger stark vom
Export geprägt ist als das östliche China. Machten 2008 nach offiziellen
Statistiken die Exporte in Gesamtchina 33% der gesamten Wirtschaftsleistung aus, waren es im Westen nur knapp 8%. Auch ein gleicher prozentueller Rückgang der Exporte trifft den Westen daher weniger stark
als den Osten Chinas.
> Konjunkturpaket: Als drittes Argument lässt sich anführen, dass das chinesische Konjunkturpaket zu großen Teilen dem Westen Chinas zugute
kommt (siehe Seite 97). Allein in den Wiederaufbau Sichuans fließen
1 Billion CNY (144 Mrd. USD).
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
3.3 Wirtschafts- und Industriestruktur
Die Wirtschaftsstruktur der Westprovinzen ist noch stärker am primären
Sektor, das heißt an der Landwirtschaft, orientiert als im östlichen China.
Machte die Landwirtschaft 2007 im Westen im Schnitt 16% der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung aus, sind es im Osten Chinas nur 9%. Allerdings
liegt der Anteil der Landwirtschaft bereits erheblich niedriger als vor einem
Jahrzehnt: Im Jahr 2000 erreichte der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in praktisch allen Westprovinzen noch Werte zwischen 20% und 30%. Im Vergleich der einzelnen Westprovinzen zeigt sich,
dass die Landwirtschaft vor allem in den südlicheren Provinzen Sichuan
(fast 20% Anteil am BIP), Guangxi (18%), Yunnan (18%) sowie in Xinjiang
(19%) eine sehr wichtige Rolle spielt.
Im sekundären Sektor10), der eigentlichen Industrieproduktion, gibt es
anteilsmäßig nur geringe Unterschiede zwischen Ost und West. Der Westen
liegt hier knapp unter, der Osten knapp über 50% am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt (48% vs. 53%). Der Überhang des primären Sektors in den
Westprovinzen wird durch einen geringer ausgeprägten (tertiären) Dienstleistungssektor kompensiert, der im Westen im Schnitt 35%, im Osten
dagegen 39% der Wertschöpfung ausmacht. Einen Überblick über die
Zusammensetzung der Wirtschaftsleistungen der Einzelprovinzen bietet
Abbildung 19 (zur Vermeidung von Missverständnissen wird der Bergbau
separat ausgewiesen).
10) Inklusive Verarbeitung von landwirtschaftlichen Produkten, Bergbau und Energieerzeugung.
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Studie
In der Zusammensetzung des sekundären Sektors zeigen sich deutliche
Unterschiede zwischen West und Ost. So macht der Bergbau im Westen im
Schnitt 8,5% der Wertschöpfung aus (gegenüber 4,0% im Osten). Der Bergbau gehört vor allem in Xinjiang (29% Anteil am BIP), Shaanxi (19%), Qinghai (16%) und der Inneren Mongolei (13%) zu den wichtigsten Wirtschaftsfaktoren. Auf die Bereitstellung von Energie, Gas und Wasser entfallen
4,5% im Westen, gegenüber 2,8% im Osten.
Dagegen ist die verarbeitende Industrie von besonders hoher Bedeutung
für die Ökonomie in den Provinzen Qinghai (40% Anteil am BIP), Sichuan
(39%), Chongqing (28%), und Yunnan (27%), wobei hier eine detaillierte
Betrachtung zeigt, dass der hohe Anteil in Sichuan und Chongqing vor
allem auf verschiedenen Segmenten des Anlagenbaus beruht (11% beziehungsweise 14% am BIP), während in Qinghai stärker die Metallverarbeitung (allein 19% am BIP) und in Yunnan die Verarbeitung von Tabak
(13% am BIP) dominieren.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Man kann also zu der Schlussfolgerung gelangen, dass nicht nur die Wirtschaftsleistung, sondern auch die Wirtschaftsstruktur im Westen derzeit
nicht so weit entwickelt ist wie im östlichen China. Noch deutlicher wird
dies bei der Betrachtung einzelner Sektoren: Während 2007 der Westen
in den Sektoren Landwirtschaft und Bergbau mit 26% und 29% der chinesischen Wirtschaftsleistung in diesen Sektoren deutlich über dem BIP-Anteil
von 19% liegt, liegt der Anteil der produzierenden Industriezweige mit
12% deutlich darunter.
3.4 Industrielle Kerne
Insgesamt zeigen sich neben Bergbau und Landwirtschaft sechs weitere
Industriezweige, in denen sich die Wertschöpfung der Westprovinzen deutlich positiv vom durchschnittlichen Beitrag des Westens zum gesamtchinesischen Volkseinkommen abhebt und regionale Stärken zeigt:
> In der Getränkeindustrie mit 30% der gesamtchinesischen Wertschöpfung, vor allem in Sichuan
> In der Tabakindustrie mit mehr als einem Drittel der gesamtchinesischen
Wertschöpfung, vor allem in Yunnan
> In der Metallverarbeitung (ohne Eisen und Stahl) mit 29% der gesamtchinesischen Wertschöpfung, vor allem in Yunnan, Gansu und der
Inneren Mongolei
> Bei der Erzeugung von Erdgas, Wasser und Elektrizität mit einem Fünftel
der gesamtchinesischen Wertschöpfung, vor allem in Sichuan und der
Inneren Mongolei
> Im Hotel- und Gaststättengewerbe mit einem Fünftel der gesamtchinesischen Wertschöpfung, vor allem in Sichuan und der Inneren Mongolei
> In der pharmazeutischen Industrie mit knapp einem Fünftel der gesamtchinesischen Wertschöpfung, vor allem in Sichuan und Shaanxi
Beim Blick auf die relative Stärke von bestimmten Branchen der einzelnen
Westprovinzen im Vergleich zu Gesamtchina fällt auf, dass Sichuan in fast
allen verarbeitenden Branchen, in der Landwirtschaft, dem Tourismus sowie bei kommunalen Dienstleistungen unter den Westprovinzen eine führende Stellung einnimmt; bezogen auf den Anteil am gesamtchinesischen
BIP spielt die Provinz insbesondere eine Führungsrolle in der Getränkeherstellung (16% der gesamtchinesischen Wertschöpfung in diesem Bereich).
In vielen anderen Branchen zeigt Sichuan im Vergleich zu seinem Anteil am
gesamtchinesischen BIP von 3% deutliche Stärken, zum Beispiel im Tourismus (6%), der Pharmaindustrie (6%) oder in der Landwirtschaft (6%).
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Darüber hinaus finden sich in einzelnen Westprovinzen wichtige regionale
Industriekerne, die jeweils im Vergleich zum Beitrag der Provinz zum BIP
Gesamtchinas überproportional ausgeprägt sind. Dabei sind insbesondere
zu nennen:
> Die Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte in Sichuan und Guangxi
und die Lebensmittelproduktion in der Inneren Mongolei
> Die Medienindustrie in Sichuan und Yunnan
> Die kohle- und erdölverarbeitende Industrie in Shaanxi
> Die chemische Industrie und die Mineralienverarbeitung in Sichuan
> Die Eisen- und Stahlverarbeitung in Sichuan und der Inneren Mongolei
> Die Automobilindustrie in Chongqing
3.5 Wirtschaftsförderung durch Industrie- und Hightech-Parks
Chinas Wirtschaftsentwicklung ist sehr stark mit dem Auf- und Ausbau von
speziellen Entwicklungszonen verbunden, in den denen die Wirtschaftsförderung regional fokussiert wird. Schon der Beginn der Politik der ökonomischen Öffnung Chinas in den 1980er Jahren ist mit der Einrichtung von vier
Sonderwirtschaftszonen verbunden (Shenzen, Zhuhai, Shantou, Xiamen).
Im weiteren Verlauf wurden dann auch in vielen anderen Gebieten Chinas
Industrieparks eingerichtet, die gut ausgebaute Infrastruktur anbieten und in
denen spezifische Förderbedingungen gelten, also etwa reduzierte Ertragssteuersätze oder bestimmte Zoll- und Umsatzsteuerregeln für Importe und
Exporte. Die beiden wichtigsten Gruppen von Industrieparks sind die Nationalen Wirtschafts- und Technologie-Entwicklungszonen (National Economic
and Technological Development Zones, ETDZ) auf der einen Seite und die
Nationalen Hightech Entwicklungszonen (National High Tech Industrial
Development Zones, HIDZ) auf der anderen Seite. Erstere wurden seit den
1980er Jahren in verschiedenen Städten zur fokussierten Entwicklung der
lokalen Wirtschaft geschaffen, letztere waren in den 1990er Jahren Ergebnis
des sogenannten "Fackel-Programms", mit dem die chinesische Regierung
die Technologieentwicklung im Land vorantreiben wollte. Die HIDZ sind im
Unterschied zu den ETDZ stärker auf den Austausch mit Forschungseinrichtungen angelegt.
Heute existieren in ganz China 54 ETDZ, davon 13 in Westchina, und 53
HTDZ, davon 12 in Westchina. Mit wenigen Ausnahmen sind diese Industrie- und Hightech-Parks in der Nähe der jeweiligen Provinzhauptstädte
angesiedelt. Bezüglich der Anzahl von jeweils etwa einem Fünftel entspricht
die Zahl der Entwicklungszonen in Westchina also in etwa dem Anteil der
Wirtschaftsleistung. In der Qualität können aber nur sehr wenige Parks in
Westchina mit den Wettbewerbern im Osten mithalten, wie ein Rating aller
chinesischen Industrieparks von www.ChinaKnowlegde.com ergab.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Darin wurden die Industrieparks in einem gewichteten Ranking nach Kategorien wie Wirtschaftsleistung der jeweiligen Stadt, Wirtschaftsleistung
des Parks, Kostenstrukturen, Zugang zu qualifiziertem Personal und ParkManagement in sieben Kategorien von AAA (sehr gut) bis C (unbefriedigend) eingeordnet. Das Abschneiden der in den Westprovinzen angesiedelten Parks ist in Abbildung 20 zusammengefasst.
Es zeigt sich, dass es nur die Parks in Chongqing, Shaanxi und Sichuan in
die Spitzengruppe einer A-Bewertung schaffen, eine ganze Reihe von Parks
im Westen dagegen in den unteren Kategorien landet – vor allem die Parks
in den wirtschaftlich schwachen Regionen Qinghai, Ningxia und Tibet, aber
auch die in Xinjiang. Auch bezüglich der Industrieparks besteht also noch
Nachholbedarf in Westchina.
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Studie
4. Status quo: Außenwirtschaft
4.1 Außenhandel
Beim Außenhandel liegen die Westprovinzen nach wie vor sehr weit hinter
den anderen Regionen Chinas zurück: Der Anteil der westlichen Provinzen
an den gesamtchinesischen Exporten beträgt knapp 4%. Auf der Importseite
liegt der Anteil ebenfalls nur bei 4%.
Den dominierenden Part im Außenhandel Westchinas spielen bei den Exporten die Autonome Region Xinjiang sowie die Provinzen Sichuan und Shaanxi;
die drei Provinzen erreichen zusammen einen Anteil von 50%. Die Innere
Mongolei und die Provinzen Sichuan und Guangxi kommen bei den Importen zusammen auf einen Anteil von 35%. Die starke Rolle von Guangxi bei
den Einfuhren lässt sich durch die Küstenlage und die damit verbundene
direkte Anbindung an Seehäfen und internationale Handelsströme erklären.
Analog erklärt sich die große Bedeutung Xinjiangs bzgl. der Exporte aus der
Grenzlage der Provinz zu den Zentralasiatischen Republiken Kasachstan,
Kirgisistan, Tadschikistan sowie zu Russland, der Mongolei und Indien und
dem daraus entstehenden Handelsverkehr. Ihre Lage und die starke Rolle
im Handel ist einer der Hauptgründe für die hohe strategische Bedeutung,
die die chinesische Zentralregierung dieser Autonomen Region beimisst
(siehe Portrait der Autonomen Region Xinjiang, Seite 166ff.).
4.2 Ausländische Direktinvestitionen
Zu den zentralen Zielen der chinesischen Regierung im Rahmen der GoWest-Strategie zählt die Förderung der ausländischen Direktinvestitionen 11)
in den Westprovinzen. Man könnte dies als Versuch der Wiederauflage des
Erfolgsmodells interpretieren, das sich bereits in den Küstenregionen Ostchinas bewährt hat: Hier wurden die Industrialisierung und der damit
einhergehende wirtschaftliche Aufschwung überwiegend durch den
Zustrom ausländischen Kapitals getrieben.
Ob beziehungsweise in welchem Umfang es gelungen ist, ausländische
Investoren zu einem Engagement in Westchina zu bewegen, lässt sich
nur im Vergleich mit der gesamtchinesischen Entwicklung beurteilen: Die
ausländischen Direktinvestitionen in der Volksrepublik China sind in den
zehn Jahren zwischen 1999 und 2008 mit durchschnittlich 10% pro Jahr
sehr dynamisch gewachsen und lagen 2008 bei 92 Mrd. USD.
11) Unter ausländischen Direktinvestitionen sind hier Kapitalanlagen ausländischer natürlicher oder
juristischer Personen in China zu verstehen, die typischerweise zu einer Kapitalbeteiligung von
über 10% an dem entsprechenden Unternehmen führen.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Betrachtet man die Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen in
den Westprovinzen, stellt man fest, dass das Gefälle zu Gesamtchina sehr
groß ist. Beim Zustrom ausländischen Kapitals liegt der Westen noch weiter
zurück als bei der Wirtschaftsleistung. Allerdings zeichnet sich ein Aufwärtstrend ab: In den letzten Jahren sind die ausländischen Direktinvestitionen
in Westchina deutlich gestiegen. Sie haben zwischen 2004 und 2008 mit
einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 35% zugelegt,
während die ausländischen Direktinvestitionen bezogen auf Gesamtchina
um durchschnittlich 11% gewachsen sind.
Die wichtigsten Formen ausländischer Direktinvestitionen12)
> Wholly Foreign Owned Enterprise (WFOE) – Gesellschaft mit ausschließlich
ausländischer Beteiligung
> Equity Joint Venture (EJV) – Gründung erfolgt als haftungsbeschränkte
Gesellschaft chinesischen Rechts; Beteiligung des ausländischen Investors
grundsätzlich mindestens 25%; Kapitalstruktur, Einlagen und Gewinnverteilung entsprechen dem Verhältnis der Investitionen der Gesellschafter
> Cooperative Joint Venture (CJV)/Contractual Joint Venture – Intention,
Flexibilität für die Zusammenarbeit zwischen ausländischen Investoren und
chinesischen Partnern zu ermöglichen; Gesellschaftsform ist vor allem für
Projekte mit beschränkter Laufzeit gedacht
> Niederlassung (Branch) – unselbständige Niederlassung ohne eigene
Rechtspersönlichkeit; nur in bestimmten Bereichen möglich, zum Beispiel
Finanzdienstleistungen
> Personengesellschaften – Gründung von Personengesellschaften durch
ausländische Unternehmen oder natürliche Personen; in der Praxis derzeit
noch schwierig
Der Anteil an allen ausländischen Direktinvestitionen in China, der in die
Westprovinzen geflossen ist, hat sich von einer niedrigen Basis ausgehend
zwischen 2005 und 2008 von 8% auf 14% vergrößert. Er liegt damit aber
immer noch deutlich unter dem Anteil, den die westlichen Provinzen an
der gesamtchinesischen Wertschöpfung erwirtschaften (siehe Abbildung
21). Das heißt, der Westen absorbiert nach wie vor sehr viel weniger
ausländische Direktinvestitionen, als es eigentlich dem Anteil seiner
Wirtschaftsleistung entsprechen würde.
12) Die Darstellung erfolgt nach dem Investitionsführer China 2009, hrsg. von DEG, F.A.Z. Institut
und Rödl & Partner, Seite 58 ff.
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Studie
Bei der Investitionstätigkeit ausländischer Unternehmen zeichnen sich klare
Schwerpunkte ab: 80% aller Auslandsinvestitionen in Westchina fließen in
die Provinzen Sichuan (26%), Chongqing (22%), in die Innere Mongolei
(21%) und nach Shaanxi (11%).
BASF eröffnet Produktionsstätte für Betonzusatzmittel in Kunming
Die BASF AG hat im Mai 2009 in Kunming eine Fabrik für Betonzusatzmittel
eingeweiht. Damit gehört das Unternehmen – es beschäftigt weltweit 97.000
Mitarbeiter, davon 6.300 in China – zu den deutschen Pionieren in der von ausländischen Firmen bislang eher weniger stark frequentierten westchinesischen
Provinz Yunnan.
Im Segment Construction Chemicals stellt BASF in China bereits seit 1988
Betonzusatzmittel her. Die Fabrik in der Provinzhauptstadt Kunming ist die
13. Produktionsanlage im Bereich Bauchemie, die das Unternehmen in der
Volksrepublik errichtet hat. Das 6.500 Quadratmeter große Werksgelände
befindet sich in der Kunming State New & High Technology Development Zone
40 Kilometer außerhalb von Kunming. Mit den bereits bestehenden Produktionsstätten in Chongqing und Chengdu und der neuen Fabrik in Kunming will
das deutsche Unternehmen die Nachfrage auf dem wachsenden Markt des
Baugewerbes in dieser Region decken.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
4.3 Präsenz ausländischer Unternehmen in Westchina
Wie die Zahlen und Fakten zur Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen und des Warenhandels bereits nahelegen, ist die Präsenz ausländischer Unternehmen in den Westprovinzen weitaus schwächer ausgeprägt
als im Osten Chinas. Von den 286.000 in der Volksrepublik registrierten
ausländischen Unternehmen sind nur 16.600 – das entspricht einem Anteil
von 6% – in den westlichen Provinzen präsent. Die meisten Unternehmen
mit ausländischer Beteiligung finden sich heute in den Provinzen Sichuan
und Shaanxi sowie in den südlichen Provinzen Yunnan und Guangxi
(siehe Abbildung 22).
Bislang machen sich deutsche Unternehmen rar in Westchina: Von den
knapp 3.600 Unternehmen in der Datenbank der Deutschen Auslandshandelskammer in China sind nur 167 (5%) in Westchina registriert. Der Anteil
liegt damit noch knapp unterhalb des Anteils aller ausländischen Unternehmen in den Westprovinzen (6%). Die Verteilung der deutschen Unternehmen innerhalb des Westens zeigt dabei – analog zu den Ergebnissen beim
Engagement aller ausländischen Unternehmen in China – einen Schwerpunkt in den Provinzen Sichuan, Shaanxi und Chongqing (siehe
Abbildung 23).
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Studie
In der Branchenverteilung zeigt sich die Dominanz des Maschinenbaus,
dem fast die Hälfte der deutschen Unternehmen in Westchina zuzurechnen
ist. Es folgen mit deutlichem Abstand in der Bedeutung die Elektronik-,
IT-, Automobil- und Chemiebranche (siehe Abbildung 23). Dass sich trotz
dieser in praktisch allen Dimensionen der Außenwirtschaft stark zurückliegenden Position in Westchina auch Chancen für Unternehmen bieten
können, die die sich in dieser Region entwickelnden Märkte und die spezifischen Rahmenbedingungen zu nutzen verstehen, soll anhand der Beispiele
in den Textkästen in diesem Kapitel und in den Provinzportraits verdeutlicht werden.
Veolia-Gruppe betreibt zahlreiche Wasseraufbereitungsanlagen in
Westchina
Die französische Veolia-Gruppe ist seit 1995 in China in verschiedenen Infrastrukturbereichen tätig, wobei Projekte in der Wasserwirtschaft den Schwerpunkt bilden. So betreibt der internationale Umweltdienstleister mit weltweit
300.000 Mitarbeitern derzeit 27 Wassermanagement-Projekte in China,
zum Beispiel für den Stadtbezirk Pudong in Shanghai.
In den Westprovinzen ist Veolia in verschiedenen Projekten aktiv: Das Unternehmen hat 1998 eine Wasseraufbereitungsanlage in Chengdu errichtet und
ist Betreiber der Anlage. Außerdem hat Veolia 2004 die Trinkwasserversorgung
in Hohhot, der Hauptstadt der Inneren Mongolei, übernommen. Seit 2009
betreibt der französische Umweltdienstleister neun Anlagen zur Wasserversorgung in der Provinzhauptstadt von Yunnan, Kunming, und seit 2007 vier Wasseraufbereitungsanlagen in Lanzhou, der Hauptstadt der Provinz Guangxi. Die
Go-West-Strategie kam der Expansion von Veolia zugute, denn im Zuge des
Ausbaus der Infrastruktur in den Westprovinzen wurden die kommunalen
Versorgungsnetze stark erweitert und modernisiert.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
5. Status quo: Rahmenbedingungen für ausländische Firmen in Westchina
5.1 Rahmenbedingungen in China insgesamt
Die Westprovinzen sind ein Teil Chinas. Das heißt, die Rahmenbedingungen
und Spielregeln, denen ausländische Unternehmen bei ihrer Geschäftstätigkeit in der Volksrepublik unterworfen werfen, gelten für den Westen und
den Osten gleichermaßen. Die Studie "German Business Expansion in China
2008-2010", die die Deutsche Handelskammer China veröffentlicht hat,
gibt einen Überblick, wie deutsche Unternehmen ihre Lage und Perspektiven in China einschätzen. Für diese Publikation wurde ein repräsentatives
Sample der rund 4.500 deutschen Unternehmen befragt, die mittlerweise
in China aktiv sind.
Die befragten Unternehmen kommen zu der Einschätzung, dass sich die
Rahmenbedingungen für ihre Geschäftstätigkeit insgesamt verbessert haben.
Die große Mehrheit der deutschen Unternehmen (80%) gibt an, dass die
Ziele ihres China-Engagements erreicht, wenn nicht sogar übertroffen
wurden.
Auch der Blick in die Zukunft fällt in der Studie "German Business Expansion in China 2008-2010" positiv aus: Etwa zwei Drittel der Firmen rechnen mit wachsenden Marktchancen. Außerdem erwarten sie, dass sich die
Möglichkeiten verbessern, lokale Zulieferer in ihre Wertschöpfungsketten
einzubinden. Fast alle Unternehmen (90%) der Stichprobe beabsichtigen,
ihre Aktivitäten in China auszuweiten. Allerdings erwarten sie steigende
Arbeits- und Energiekosten. Mehr als die Hälfte glaubt, dass sich die steuerlichen Bedingungen verschlechtern werden, über 40% rechnen mit einer
Intensivierung des Wettbewerbs.
Obwohl die Perspektiven auf dem chinesischen Markt nach wie vor positiv
eingeschätzt werden, beklagen die im Rahmen der Studie "German Business
Expansion in China 2008-2010" befragten Unternehmen einige Hindernisse, mit denen sie bei ihrer Geschäftstätigkeit konfrontiert sind: Als "Problem oder großes Problem" bezeichnen 80% der Umfrageteilnehmer die
Rechtssicherheit und die Einhaltung von Vereinbarungen. 75% klagen über
den Mangel an qualifiziertem Personal. Ebenso viele Unternehmen sehen
die Verletzung gewerblicher Schutzrechte sowie Bürokratie als "Problem
oder großes Problem". Korruption wird als weniger gravierend wahrgenommen als in der Vergangenheit, aber immerhin zwei Drittel der Befragten
bewerten sie noch als erschwerenden Faktor für die Geschäftstätigkeit.
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Studie
Generell gehen die Firmen (90%) jedoch davon aus, dass sich die Rahmenbedingungen in China verbessern oder zumindest stabil bleiben. Skepsis
zeigen sie jedoch bei den Themen Rechtssicherheit und Einhaltung von
Vereinbarungen: Hier glauben nur 20% beziehungsweise 30% der Befragten
an eine Verbesserung der Situation. Fast drei Viertel der Unternehmen
beabsichtigen, ihre Beschäftigtenzahl zu erhöhen. Mehr als die Hälfte plant,
beim Einkauf den lokalen Anteil auszuweiten und mehr Forschung vor Ort
zu betreiben; aber nur 20% haben vor, eine eigene Produktion in China
aufzubauen.
Die grundsätzliche Zuversicht in die Entwicklung des chinesischen Marktes
hat bislang auch die Wirtschaftskrise nicht nachhaltig erschüttert: Wie die
im Sommer 2009 durchgeführte "China Business Confidence Survey" der
Auslandshandelskammern in China ergab, schätzen die deutschen Unternehmen in der Volksrepublik ihre Lage nach wie vor positiv ein. Fast drei
Viertel der Befragten, darunter viele kleine und mittelständische Betriebe,
gehen davon aus, dass sich die chinesische Wirtschaft im ersten Halbjahr
2010 wieder erholen wird. Viele Unternehmen gaben an, dass sie Umsatzeinbußen im Exportgeschäft durch höhere Absätze auf dem chinesischen
Markt zumindest teilweise kompensieren konnten.
5.2 Rahmenbedingungen in Westchina im Speziellen
Was die Rahmenbedingungen anbelangt, so werden die Aufnahme und die
Ausübung einer Geschäftstätigkeit in den Westprovinzen immer noch als
schwieriger beurteilt als in Ostchina. Zu diesem Ergebnis kommt die Weltbank-Studie "Doing Business in China 2008": Die Gründung eines Unternehmens dauert mit durchschnittlich 45 Tagen länger als im Osten (39
Tage). Ähnlich verhält es sich mit der Zeit, die die Registrierung von Eigentum (57 Tage im Westen vs. 50 Tage im Osten), die Registrierung von
Kreditgarantien (21 Tage im Westen vs. 14 Tage im Osten) und zur Durchsetzung von Verträgen vor Gericht (351 Tage im Westen vs. 300 Tage im
Osten) in Anspruch nehmen. Im Rahmen dieser Weltbank-Studie erhalten
Sichuan, Chongqing und Shaanxi nicht nur die besten Platzierungen unter
allen Westprovinzen; sie schneiden im Schnitt auch besser ab als die ostchinesischen Provinzen (siehe Abbildung 24).
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5.3 Wesentliche Motive für das Engagement ausländischer Unternehmen
in Westchina
Im Rahmen der Studie "German Business Expansion in China 2008-2010"
nannten die befragten Unternehmen im Wesentlichen die folgenden Motive
für ihr China-Engagement:
> Der überwiegende Teil der befragten deutschen Unternehmen (80%) gibt
an, dass die Größe des chinesischen Absatzmarktes das ausschlaggebende
Argument für den Schritt nach China war.
> Mehr als 40% der Firmen unternahmen den Schritt auf den chinesischen
Markt, weil sie einem Kunden nachgefolgt sind.
> Für etwa ein Drittel der Unternehmen war der kostengünstige Einkauf
das Motiv für eine Geschäftstätigkeit in China. Rund 40% der Firmen
führen die niedrigen Produktionskosten als Grund an.
> Der Exportanteil der deutschen Unternehmen mit einer Produktionsstätte in China liegt im Durchschnitt bei knapp 30%. Dies stützt die
Einschätzung, dass die meisten Firmen aus Deutschland die Perspektiven
auf dem chinesischen Absatzmarkt als Hauptmotiv ihrer China-Aktivitäten betrachten.
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Studie
Die Unternehmensinterviews, die für die vorliegende Studie geführt wurden,
machten deutlich, dass das Engagement in Westchina im Prinzip auf einer
ähnlichen Motivationslage basiert. Unterschiede gibt es allenfalls bei der
Gewichtung der einzelnen Faktoren: So werden die Marktchancen als
bedeutsamer eingeschätzt, die Kostenposition dagegen als weniger relevant.
Der lokale Einkauf spielt – sofern es nicht um den Bezug von Rohstoffen
geht – eine eher geringe Rolle. Gleicht man diese Motivationslage mit dem
Stärken-Schwächen-Profil der Westprovinzen ab, so zeigt sich, dass der
Westen eher in den Bereichen punkten kann, die von den Unternehmen
als weniger wichtig betrachtet werden (siehe Abbildung 25).
Überraschend wenig Bedeutung messen die befragten Unternehmen der
vorhandenen politischen Unterstützung und der Wirtschaftsförderung zu.
Dies wird nicht als besonderer Mehrwert der Westprovinzen betrachtet, da
viele andere Standorte in China ähnliche Konditionen bieten. Auch Kostenfaktoren sind in der Regel eher in zweiter Linie relevant für ein Engagement
im Westen. Die (stark verbesserte) Infrastruktur ist eher ein "hygienischer"
Faktor: Sie wird als notwendige Voraussetzung angesehen und nicht als
Differenzierungsmerkmal, das den Ausschlag für eine Standortentscheidung
zugunsten der Westprovinzen geben könnte.
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5.4 Besondere Herausforderungen für ausländische Unternehmen
in Westchina
Bei einem Engagement in den Westprovinzen nehmen die in den Interviews
befragten Unternehmen spezifische Hürden und Hindernisse wahr:
> Das Qualifikationsniveau des Personals ist typischerweise wesentlich
schlechter als an der Ostküste. Ausländische Unternehmen müssen also
deutlich mehr Zeit für Aus- und Weiterbildung investieren – und laufen
häufig Gefahr, dass manche Beschäftigte ihre Tätigkeit nur als Sprungbrett für einen Stellenwechsel an die Ostküste nutzen.
> Nur wenige Expatriates sind bisher nach Westchina gezogen, dementsprechend klein – oder in vielen Städten überhaupt nicht existent – sind die
sozialen Zirkel, in denen sich ausländische Mitarbeiter bewegen können.
Die Bereitschaft von Expatriates, eine Tätigkeit in den westlichen Provinzen aufzunehmen, ist deshalb eher gering. Übrigens verlangen auch viele
chinesische Führungskräfte eine Art "Westzuschlag", um ihren Wirkungskreis von den Ost- in die Westprovinzen zu verlegen.
> Lokale Behörden und Partner im Westen haben häufig weniger Erfahrung
im Umgang mit Ausländern und ausländischen Unternehmen. Dementsprechend langwierig gestalten sich manche Prozesse, die zudem in der Regel
einen größeren persönlichen Einsatz erfordern als in den Ostprovinzen.
> Der Aufbau langfristiger und intensiver persönlicher Beziehungen ist im
Westen meist noch wichtiger für den Geschäftserfolg als im östlichen
China – das erfordert Zeit und Geduld.
> Die enormen Entfernungen und die anderen logistischen Herausforderungen aufgrund der geografischen Gegebenheiten machen den Westen
im Wesentlichen nur für die Bedienung des lokalen Marktes interessant.
Die Märkte außerhalb der Ballungszentren sind aber noch wenig entwickelt.
Aus Sicht der ausländischen Unternehmen kann der Westen jedoch mit
einem Vorzug aufwarten: Das Thema der gewerblichen Schutz- und Urheberrechte wird hier im Schnitt als weniger problematisch eingestuft als in
Ostchina: Da Verletzungen der geistigen Eigentumsrechte typischerweise
vor allem bei Produkten auftreten, die exportiert werden, wirkt sich die
deutlich geringer Exportorientierung der Wirtschaft in den Westprovinzen
diesbezüglich positiv aus. Außerdem gibt es aus der Perspektive der befragten Unternehmen im Westen weniger hinreichend qualifizierte und motivierte Player, die Produkte kopieren.
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Studie
Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich aus Sicht der Unternehmen die
Rahmenbedingungen in Westchina nicht grundsätzlich oder extrem, sondern eher graduell und bezüglich einiger Spezifika von denen in anderen
Regionen Chinas unterscheiden.
5.5 Stärken und Schwächen der Westprovinzen
Die wesentlichen eruierten Stärken und Schwächen der Westprovinzen
können nun summarisch zusammengefasst werden (siehe Abbildung 26)
6. Die zweite Phase der Go-West-Strategie: Blick in die Zukunft
6.1 Zehn Jahre Go-West-Strategie: Zwischenbilanz
Im Sommer 2009 arbeitet man bei der Nationalen Entwicklungs- und
Reformkommission an einer Bestandsaufnahme der im 11. Fünfjahresplan
vorgesehenen Maßnahmen für die Westprovinzen und an einer Novellierung der Go-West-Strategie. In den Prozess der Evaluierung des Erreichten
und der Ausarbeitung neuer Maßnahmen ist auch eine Vielzahl von externen Experten und Forschungseinrichtungen eingebunden, so etwa die
chinesische Akademie der Wissenschaften.
Die chinesische Regierung hebt in ihrer bisherigen offiziellen Bewertung die
positiven Effekte der Go-West-Strategie hervor: Erfolge seien insbesondere
bei der Infrastrukturentwicklung, dem Wirtschaftswachstum, der Erhöhung
der Haushaltseinkommen sowie durch die Veränderung der Wirtschafts-
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
struktur – stärkere Entwicklung der Industrieproduktion relativ zur Landwirtschaft – erzielt worden. Es wurden auch in der Tat einige messbare
Fortschritte erreicht. Beispielhaft sei hier angeführt, dass sich der Human
Development Index der Vereinten Nationen für die Westprovinzen zwischen 1999 und 2008 von im Schnitt 0,59 auf 0,72 verbessert hat. Damit
hat der Westen fast das Niveau erreicht, das die Ostprovinzen im Jahr
1999 hatten. Heute stehen diese mit einem HDI von 0,82 schon jenseits
der Schwelle von 0,8, ab der man bei einem Land von einem hohem
Entwicklungsstand spricht.
Auch auf Provinzebene werden hauptsächlich Erfolge berichtet. So zeigt sich
in einer Analyse der Planumsetzung im 10. Fünfjahresplan, dass alle Provinzen die in den Fünfjahresplänen vorgesehenen Ziele weitestgehend erfüllt
haben (siehe Abbildung 27). Betrachtet wurden die Kategorien ökonomische Entwicklung, soziale Entwicklung, Infrastrukturentwicklung, Industrieansiedlung, Umwelt und die grundsätzliche Datentransparenz beziehungsweise Datenverfügbarkeit. Im Ergebnis zeigen sich nur sehr geringe
Schwankungen der erzielten Werte im Vergleich zur 100-Prozent-Planerfüllung und keine signifikanten Abweichungen zwischen den Provinzen – die
Rangfolge ist daher wenig aussagekräftig. Allerdings ist davon auszugehen,
dass im offiziellen chinesischen Reporting-Mechanismus im Regelfall eine
volle Zielerreichung berichtet wird, gegebenenfalls mit entsprechender
Anpassung der Daten. Die Aussagefähigkeit dieser Berichte für einen
systematischen Vergleich der Provinzen ist daher eingeschränkt.
Das Beispiel zeigt aber deutlich eine wichtige Beobachtung: Weder bei der
Definition spezifischer Zielstellungen und Programme noch in der politischen Zielerreichung lassen sich extreme Unterschiede zwischen den Provinzen feststellen, beziehungsweise die Unterschiede erweisen sich als
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Studie
so gering, dass sie wenig Aussagekraft für einen Standortvergleich haben.
Es muss aber generell festgehalten werden – dies hat die Darstellung in
den vorangehenden Kapiteln gezeigt –, dass zehn Jahre nach dem Start
der Go-West-Strategie in vielen Bereichen noch ein erheblicher Abstand
zwischen den Westprovinzen und den wohlhabenderen Ostprovinzen klafft:
Paradigmatisch hierfür ist, dass bei einem Bevölkerungsanteil von 28% das
Bruttoinlandsprodukt des Westens immer noch nur 19% der gesamtchinesischen Wirtschaftsleistung ausmacht – es hat sich also im Vergleich zu 1999
nicht verbessert. Schlaglichtartig kann die immer noch problematische
Situation Westchinas innerhalb der Volksrepublik in der Abbildung 28
zusammengefasst werden.
In einem Interview mit dem US-Magazin "Newsweek" im Oktober 2008
hat Ministerpräsident Wen Jiabao auch klar benannt, dass die Disparitäten
der sozialen und ökonomischen Entwicklung innerhalb der Volksrepublik
nach wie vor ein gravierendes Problem darstellen: "Obwohl China mit einer
Bevölkerung von 1,3 Milliarden Menschen in den vergangenen Jahren
durch die Reform- und Öffnungsbemühungen eine sehr schnelle ökonomische und soziale Entwicklung durchlaufen hat, steht es immer noch vor
der Herausforderung von starken Ungleichgewichten in der Entwicklung
zwischen den Regionen und zwischen Stadt und Land (…) China bleibt
ein Entwicklungsland."
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
In ihrer Einschätzung der Go-West-Strategie umreißt die chinesische Regierung relativ klar diejenigen Problemfelder, die die politische Führung der
Volksrepublik China auch in den nächsten Jahren vor erhebliche Herausforderungen stellen wird:
> Im Vergleich zur Infrastrukturentwicklung ist die Entwicklung der
Industrieproduktion noch zurückgeblieben.
> Die Industriestruktur ist noch relativ wenig diversifiziert. Nach wie
vor dominieren Grundstoffe und die Grundstoffverarbeitung.
> Es wird kritisch hinterfragt, ob die Steueranreize für Auslandsinvestitionen ein hinreichend attraktives Instrument darstellen, um das Engagement ausländischer Unternehmen in den Westprovinzen zu fördern.
> Das Geschäftsklima und die Rahmenbedingungen für die Geschäftstätigkeit von Unternehmen entsprechen noch nicht den Standards, die in
den Küstenregionen inzwischen üblich sind.
> Das Wirtschaftsleben in den westlichen Provinzen wird immer noch
maßgeblich von den Aktivitäten der Staatsbetriebe bestimmt. Kleine und
mittelständische Unternehmen im Privateigentum sind nach wie vor
unterrepräsentiert.
> Als weitere Schwierigkeit zeichnet sich ab, dass die Auswirkungen der
Finanz- und Wirtschaftkrise auch die Entwicklung der Westprovinzen
beeinflussen werden.
Defizite sind außerdem bei der Umsetzung einzelner Ziele der Go-West-Strategie vor Ort festzustellen: Auf der Provinzebene haben sich die Rahmenbedingungen für eine Geschäftstätigkeit von Unternehmen bisher kaum verbessert. Dies ergab eine Studie der Weltbank, die die Reformbemühungen der
einzelnen Provinzen für die Jahre 2006 und 2007 untersucht hat. In die
Analyse einbezogen waren Kriterien wie der Aufwand bei der Unternehmensgründung, Aufwand zur Registrierung von Eigentum, Zugang zu
Krediten und Durchsetzbarkeit von Verträgen. Ergebnis der Studie: Anders
als in den Ostprovinzen zeigten die Provinzregierungen im Westen wenig
Initiative, um die Situation auf diesen vier Feldern durch entsprechende
gesetzliche Regelungen zu verbessern. Chongqing ist hier die Ausnahmeerscheinung: Hier wurden in allen vier Bereichen Maßnahmen ergriffen,
um die Geschäftsbedingungen attraktiver zu gestalten.
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Studie
Die Go-West-Strategie muss also fortgeschrieben werden, da ihre Ziele noch
bei weitem nicht erreicht sind. Dazu bereitet die Regierung aktuell neue
Initiativen vor. Seit Ende 2008 hat die Go-West-Strategie mit zwei wichtigen Regierungsprogrammen neuen Rückenwind bekommen, dem chinesischen Konjunkturprogramm als Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise und dem Zehn-Industrien-Revitalisierungsplan.
6.2 Das chinesische Konjunkturprogramm
Das im November 2008 aufgelegte chinesische "4 Billionen-Konjunkturprogramm" kommt überwiegend den Westprovinzen zugute. Wesentliche
Bestandteile dieses Konjunkturpakets sind auf Westchina ausgerichtet (siehe
Übersicht in Abbildung 29) und zielen auf die Beschleunigung beziehungsweise die Erweiterung von Maßnahmen, die bereits im aktuellen Fünfjahresplan aufgenommen waren. Dazu gehört der forcierte Aufbau von Transport- und Infrastrukturprojekten, unter anderem der West-Ost-Gaspipelines.
Ein hoher Stellenwert wird auch den Wiederaufbaumaßnahmen in der
Provinz Sichuan eingeräumt, um die Beseitigung der von dem Erdbeben
2008 verursachten Schäden zu beschleunigen (Details dazu im Portrait
der Provinz Sichuan ab Seite 129).
Außerdem ist im Konjunkturprogramm die Unterstützung strukturschwacher Gebiete durch den Wohnungsbau und den Aufbau beziehungsweise
die Modernisierung lokaler Infrastruktur sowie durch Umweltschutzprojekte vorgesehen.
Allein die Maßnahmen zur Beschleunigung von Transport- und Infrastrukturprojekten sowie für den Wiederaufbau in der Provinz Sichuan umfassen
ein Volumen von 2,5 Billionen CNY. Dies entspricht fast zwei Dritteln des
Gesamtumfangs des Konjunkturpakets (siehe Abbildung 29). Angesichts
dieser Dimensionierung ist zu erwarten, dass von dem "4 Billionen-Konjunkturprogramm" noch einmal ein deutlicher Impuls für die Entwicklung
der Infrastruktur gerade in den Westprovinzen ausgeht.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Die stark ausgeprägte Fokussierung auf Infrastrukturmaßnahmen ist ein
auffallendes Merkmal des chinesischen Konjunkturprogramms – besonders
dann, wenn man einen Vergleich zu den Konjunkturprogrammen der westlichen Industriestaaten anstellt, bei denen die Stärkung des privaten Konsums ein wichtiges Element darstellt. Die Ankurbelung der privaten Nachfrage spielt dagegen in den konjunkturbelebenden Maßnahmen der
chinesischen Regierung eine Nebenrolle.
Nach Informationen der chinesischen Regierung wurden bis Frühjahr
2009 circa 1 Mrd. CNY ausgegeben. Man kann davon ausgehen, dass
das "4 Billionen-Konjunkturprogramm" aktuell deutlich zur Stabilisierung
des Wirtschaftswachstums beiträgt.
6.3 Der Zehn-Industrien-Revitalisierungsplan
Als Ergänzung zum Konjunkturpaket hat die chinesische Regierung im
Frühjahr 2009 den sogenannten "Zehn-Industrien-Revitalisierungsplan"
vorgelegt. Die dabei in den Fokus genommenen Branchen der Industrieproduktion (außer Logistik) tragen heute einen Anteil von 40% zum
chinesischen Bruttoinlandsprodukt bei:
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Studie
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>
>
Automobilbau
Eisen- und Stahlverarbeitung
Textilindustrie
Maschinen- und Anlagenbau
Schiffbau
Elektronik und Informationstechnologie
Konsumgüter
Petrochemie
Metallverarbeitung (ohne Eisen und Stahl)
Logistik
Um diese Industriezweige zu fördern, wurde ein umfassendes Maßnahmenpaket geschnürt. Seine Elemente setzen im Wesentlichen an den Hebeln
Nachfrage, Kontrolle der Produktionskapazitäten und Modernisierung der
Produktion an:
> Zur Stabilisierung der Nachfrage sind zum Beispiel Subventionen für den
Kauf von Nutzfahrzeugen in der Landwirtschaft und Steuerermäßigungen beim Kauf von Kleinwagen vorgesehen. Außerdem ist eine Reihe
weiterer Initiativen angelaufen. Dazu gehört die Stärkung der lokalen
Automobilbranche durch die öffentliche Hand, die verstärkt chinesische
Modelle kauft. Die Kreditzinsen für die Fahrzeugfinanzierung wurden
gesenkt. Um den Konsum anzukurbeln, wurden die Verbrauchssteuern
auf in China produzierte Weine und Spirituosen, Kosmetikprodukte,
Schmuck und Luxusuhren gesenkt; gleichzeitig wurden die Importzölle
für ausländische Produkte angehoben. Mit dem Ankauf von 590.000
Tonnen Aluminium, 59.000 Tonnen Zink und 30 Tonnen Indium trat
die Regierung auf dem Rohstoffsektor unmittelbar als Nachfrager in
Erscheinung.
> Um die angestrebte Verbesserung der Industriestruktur nicht zu konterkarieren, sind Maßnahmen zur Kontrolle der Produktionskapazitäten
vorgesehen. Eine weitere Expansion in der Eisen- und Stahlindustrie
soll verhindert werden; stattdessen ist ein Abbau beziehungsweise eine
Konsolidierung geplant: Die Kapazität der Stahlerzeugung soll um mindestens 100 Mio. Tonnen verringert werden. Schwerpunkte werden dagegen auf den Ausbau der Produktionskapazitäten im Spezialanlagenbau
gesetzt. Außerdem sind Anreize zur Konsolidierung in den Branchen
Automobilindustrie, Metallverarbeitung und Schiffbau vorgesehen: So
soll in der Automobilindustrie die Zahl der Anbieter von vierzehn auf
zehn zurückgehen. Alle Pläne zum Ausbau der Werften sind für die
nächsten drei Jahre gestoppt.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
> Durch den Einsatz neuer Technologien sollen Produktionsanlagen und
-prozesse modernisiert werden. Entsprechende Maßnahmen sind unter
anderem für die Automobilindustrie, in den Branchen Elektronik und
Informationstechnologie sowie in der Textilindustrie geplant. Hier soll
der Fokus auf Industrietextilien und Hightech-Materialien liegen. Für die
Automobilindustrie werden 10 Mrd. CNY bereitgestellt, um Innovationen und die Entwicklung von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben zu
unterstützen. Im Maschinenbau ist die Förderung von Zielindustrien
vorgesehen; zu ihnen gehören unter anderem erneuerbare Energien,
Kraftwerkstechnik, Hochspannungs- und Stromübertragungstechnik,
Hochgeschwindigkeits-Schienensysteme und städtische Verkehrssysteme.
Wie sich zeigt, weisen die im Zehn-Industrien-Revitalisierungsprogramm
adressierten Branchen eine hohe Korrelation mit denjenigen Wirtschaftszweigen auf, die bereits das ökonomische Profil der Westprovinzen prägen
beziehungsweise in diesen Regionen besonders gefördert werden sollen.
So umfasst der Bereich Logistik unter anderem die Förderung von regionalen Logistikzentren auf der Achse Xi'an-Lanzhou-Ürümqi und ChengduChongqing.
6.4 Weiterentwicklung der Go-West-Strategie
Im Sommer 2009 hat die chinesische Zentralregierung angekündigt, bereits
Ende des Jahres – und damit vor der für 2010 vorgesehenen Präsentation
des 12. Fünfjahresplans – ein überarbeitetes und erweitertes Programm für
die Go-West-Strategie zu entwerfen und zu veröffentlichen. Bereits heute
zeichnet sich ab, dass dieses Programm ebenso wie der nächste Fünfjahresplan vor allem den Ausbau und die Differenzierung der Industrieentwicklung in den Westprovinzen zum Inhalt haben wird. Die Gewichtung wird
sich vom Aufbau beziehungsweise von der Verbesserung der Infrastruktur
in Richtung der eigentlichen ökonomischen Entwicklung verschieben. Lag
der Schwerpunkt der bisherigen Förderpolitik also auf der Schaffung der
Rahmenbedingungen für die Ankurbelung der Wirtschaft, so geht es jetzt
darum, diesen Rahmen mit ökonomischem Leben zu erfüllen. Anders ausgedrückt: Die "Hardware" steht nun bereit; jetzt kommt es darauf an, sie
durch die Installation der "Software" zum Laufen zu bringen.
Dabei ist ein wichtiges Anliegen, eine größere Ausgewogenheit der Wirtschaftsstruktur zu erreichen: Als Ergänzung zu den klassischen grundstofforientierten Industrien sollen deshalb Sektoren wie Hightech-Industrien,
erneuerbare Energien, Dienstleistungsbranchen und Tourismus speziell
gefördert werden. Außerdem sind verstärkte Anstrengungen und Anreize
zur Förderung des Handels zu erwarten; ausgebaut werden sollen sowohl
die interregionalen Handelsbeziehungen der Westprovinzen als auch der
Außenhandel.
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Studie
In den Interviews, die bei den Recherchen zur vorliegenden Studie geführt
wurden, hielten sich Vertreter der offiziellen Stellen noch sehr bedeckt, was
die konkrete Ausgestaltung des aktualisierten Go-West-Programms anbelangt. Die Gesprächspartner der NDRC und vom chinesischen Handelsministerium (MOFCOM) wollten keine Details zu Inhalten und neuen Elementen des Programms preisgeben. Allerdings deuteten sie an, dass es ein oder
zwei neue Fokusregionen (siehe Seite 56f.) geben wird. Damit würde sich
die Zahl der Fokusregionen von derzeit drei auf vier beziehungsweise fünf
erhöhen.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
E. Die Attraktivität der chinesischen Westprovinzen:
Benchmarking der Gebietskörperschaften
1. Methodik
Ziel des Benchmarkings der Provinzen und der wesentlichen Wirtschaftszentren in Westchina ist es, einen methodischen Vergleich der einzelnen
Standorte vorzunehmen. Anhand verschiedener relevanter Standortfaktoren
soll die Attraktivität der einzelnen Gebietskörperschaften für ein unternehmerisches Engagement, das heißt für die Bearbeitung lokaler Märkte oder
eine Unternehmensansiedlung, beurteilt werden.
Die Betrachtung ist dabei in zwei Dimensionen gegliedert: Die analytische
Perspektive basiert auf neutral erhobenen und statistisch verfügbaren Parametern. Die Unternehmensperspektive liefert auf der Grundlage von strukturierten Interviews eine konkrete, gegebenenfalls subjektive und pragmatische Einschätzung der Standorte aus der Sicht der Firmen, die bereits in
Westchina aktiv sind.
Die vergleichende Betrachtung der Westprovinzen und ihrer wichtigsten
Städte erfolgt entlang eines Kriterienrasters mit den wesentlichen Kategorien
>
>
>
>
>
>
Marktattraktivität
Infrastrukturniveau
Kostenniveau
Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen
Personal und Innovation
Rahmenbedingungen für den Geschäftsbetrieb
In den einzelnen Kategorien wurden Parameter definiert, die (soweit
möglich) als statistisch verfügbare Indikationen für die Leistungsfähigkeit
der einzelnen Standorte gemessen werden können. Zum Beispiel dient der
Umfang der ausländischen Direktinvestitionen als Indikator für die Qualität
der lokalen Wirtschaftspolitik; als Merkmal für den Entwicklungsstand
der Verkehrsinfrastruktur wird unter anderem die Zahl der wöchentlichen
Flugverbindungen nach Peking herangezogen. Eine komplette Aufstellung
der für die Ermittlung der Rangfolgen verwendeten Parameter findet sich
in Abbildung 30.
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Studie
Die Parameter wurden aus den vorhandenen statistischen Quellen, insbesondere aus den Jahrbüchern der einzelnen Gebietskörperschaften, systematisch für alle zwölf Westprovinzen erhoben. Daraus wurden mit Hilfe
eines Scoring-Modells Rangtabellen für die einzelnen Faktoren abgeleitet.
In einem zweiten Schritt wurden dann die Rangplätze der Gebietskörperschaften unter Gleichgewichtung der fünf Hauptkategorien zu einem
Gesamtrangplatz aus analytischer Perspektive aggregiert.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Parallel zu dieser Analyse wurden im Juni und Juli 2009 in China ausführliche persönliche oder telefonische Interviews mit 15 ausländischen Unternehmen geführt, die bereits in den Westprovinzen aktiv sind. Ein wesentliches
Anliegen dieser Gespräche war es, analog zur analytischen Perspektive in
Erfahrung zu bringen, wie die befragten Unternehmen die Rahmenbedingungen für eine Geschäftstätigkeit in den Westprovinzen einschätzen. Die
Unternehmen wurden dabei auch explizit aufgefordert, gemäß ihrer Beurteilung Rangplätze zur Attraktivität einzelner Standorte in den Westprovinzen (Provinz- und Stadtebene) zu vergeben. Auch diese Einschätzungen
wurden zu einem Gesamtrangplatz aus Unternehmensperspektive aggregiert.
Eine schematische Übersicht der angewendeten Methodik findet sich in
Abbildung 31.
Um die Attraktivität von Standorten in den Westprovinzen zu beurteilen,
reicht es aber nicht aus, ausschließlich die Ebene der Provinzen zu berücksichtigen. Auf einer zweiten Ebene werden daher parallel zu den Provinzen
die wichtigsten Wirtschaftszentren in Westchina im Benchmarking gegenübergestellt. Die Auswahl dieser Städte musste bereits im Vorfeld der Interviews erfolgen; dabei wurde folgendermaßen vorgegangen: Zunächst
wurden für die 30 größten Städte der Westprovinzen die einfach zu bestimmenden Faktoren Bruttoinlandsprodukt, Wirtschaftswachstum und ausländische Direktinvestitionen erhoben. Auf dieser Basis erfolgte die Auswahl
der 15 wichtigsten Wirtschaftszentren. Xianyang wurde dann im Laufe der
Analyse aufgrund der räumlichen Nähe zu Xi’an nicht separat betrachtet.
Die Auswahl wurde mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie abstimmt. Wegen ihres Status als regierungsunmittelbare Stadt und
ihrer ökonomischen Bedeutung wird Chongqing auf Ebene der Provinzen
betrachtet. So ergibt sich eine Gesamtheit von 13 wichtigen Wirtschaftszentren, die in Abbildung 32 dargestellt werden.
Die Schwerpunktbildung anhand der wichtigsten ökonomischen Parameter
hatte zur Folge, dass in dieses Raster keine Städte aus Tibet und aus der
Provinz Quinghai aufgenommen wurden. Dagegen werden aus anderen
Provinzen jeweils mehrere Städte analysiert, etwa Chengdu, Mianyang
und Nanchong in Sichuan.
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Studie
2. Kernergebnisse des Benchmarkings auf Provinzebene
In der Zusammenschau aller Ergebnisse des Benchmarkings der Provinzen
ergibt sich das Bild gemäß Abbildung 33:
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Demnach zeigt sich eine Dreiergruppe von "führenden" Provinzen ("Stars"),
die sich sowohl aus analytischer als auch aus Unternehmensperspektive als
die attraktivsten Standorte unter den Westprovinzen positioniert haben.
Dies sind die Provinzen Chongqing, Shaanxi und Sichuan. Das Ergebnis ist
insofern keine Überraschung, als sich in diesen Provinzen die industriellen
Kerne des Westens befinden und sich auch ein großer Teil des Engagements
ausländischer – und auch deutscher – Unternehmen (siehe Kapitel Industriestruktur und Außenwirtschaft, Seite 77f. und 82) auf diese Regionen
konzentriert.
In einer zweiten "Verfolger"-Gruppe ("Fast Follower") finden sich die Autonome Region Innere Mongolei, die in der analytischen Perspektive überraschenderweise sogar Platz eins unter allen Westprovinzen erreicht, sowie
die südlichen Grenzregionen Yunnan und Guangxi. Beide wurden aus der
Unternehmensperspektive hoch bewertet, wobei Guangxi aus analytischer
Sicht noch besser abschneidet als Yunnan.
Die anderen sechs weiter nördlich und westlich gelegenen Provinzen
fallen alle in beiden Perspektiven deutlich zurück und gehören damit in
die Gruppe der Provinzen mit der geringsten Attraktivität ("Dogs"), mit Tibet
als – leider wenig überraschendem – eindeutigem Schlusslicht aus beiden
Perspektiven.
Dieses Resultat lässt sich nun in Teilergebnisse herunterbrechen. Betrachtet
man die Ergebnisse in den einzelnen Dimensionen der analytischen Perspektive (siehe Abbildung 34), fällt auf den ersten Blick die starke Stellung
der Inneren Mongolei auf.
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Studie
Diese Führungsposition der Inneren Mongolei ist vor allem auf die starke
Wirtschaftsentwicklung in den vergangenen Jahren zurückzuführen: Mit
einem Bruttoinlandsprodukt von 776 CNY (rund 112 Mrd. USD) im Jahr
2008 liegt die Autonome Region auf Platz zwei der Westprovinzen und
erreicht mit einem durchschnittlichen (nominalen) Wirtschaftswachstum
über die vergangenen fünf Jahre von über 18% den ersten Platz unter
den westlichen Provinzen.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Auch bei der Infrastrukturentwicklung und den wirtschaftspolitischen
Rahmenbedingungen liegt die Innere Mongolei im Westen vorne. Diese
Provinz ist inzwischen über alle Verkehrsträger sehr gut an die östlichen
Provinzen angebunden. Bei der Betrachtung der ausländischen Direktinvestitionen pro Einwohner liegt die Innere Mongolei im Westen ebenfalls
an der Spitze. Bei dieser Platzierung profitiert sie allerdings auch davon,
dass bei vielen Faktoren eine "Pro Einwohner"-Kategorie als Maßzahl
benutzt wurde, was sich bei gegebener relativ dünner Besiedlung und
dem – mit Chongqing zusammen – höchsten Urbanisierungsgrad in den
Westprovinzen (50%) positiv auf die Bewertung auswirkt.
Die drei Provinzen Sichuan, Chongqing und Shaanxi erreichen aus analytischer Perspektive in allen Dimensionen die der Inneren Mongolei nachfolgenden vorderen Ränge. Wenn man die Details der Ergebnisse in den
einzelnen Analysedimensionen betrachtet, lässt sich diese Platzierung vor
allem auf folgende Faktoren zurückführen: die starken und dynamisch
wachsenden regionalen Volkswirtschaften, die gute Stellung bezüglich
verfügbarer Hochschulabsolventen und Forschungslandschaft (gemessen
in der Zahl der Patente relativ zum Bruttoinlandsprodukt) sowie die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die in höherem Maße als anderswo in Westchina ausländische Direktinvestitionen anziehen.
Eine Umkehrung der in den meisten anderen Kategorien gegebenen Rangfolgen lässt sich in Bezug auf das Kostenniveau beobachten. Dort, wo die
stärkste Wirtschaftsleistung und die ansonsten besten Rahmenbedingungen
zu beobachten sind, zeigt sich im Schnitt dann im Gegenzug ein tendenziell
höheres Niveau bei den Arbeits- und Energiekosten.
Der Vergleich der Westprovinzen mit dem östlichen China offenbart noch
deutliche Abstände. Dies illustriert die Gegenüberstellung von Chongqing,
der größten regierungsunmittelbaren Agglomeration des Westens, und
Shanghai, der größten und ebenfalls direkt der Zentralregierung in Peking
unterstellten Stadt in Ostchina. Dabei zeigt sich, dass Shanghai im Vergleich zu Chongqing
>
>
>
>
>
>
pro 1.000 Einwohner fast doppelt so viele Universitätsabsolventen
ein doppelt so hohes verfügbares Pro-Kopf-Einkommen
um den Faktor 3,3 höhere Konsumausgaben pro Kopf
viermal höhere ausländische Direktinvestitionen
4,8 mal mehr Internetverbindungen pro 1.000 Einwohner und
5,1 mal mehr angemeldete Patente pro Jahr
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Studie
aufzuweisen hat. Auch die führenden Wirtschaftskerne Westchinas liegen in
ihrer Entwicklung also noch mit deutlichem Abstand hinter den ostchinesischen Benchmarks zurück.
In der Unternehmensperspektive zeigen sich Sichuan, Chongqing und
Shaanxi den anderen Provinzen deutlich überlegen (siehe Abbildung 35).
Häufig konnten die Unternehmen auch nur zu diesen drei Provinzen aus
eigener Erfahrung sinnvolle Aussagen treffen.
Aus Unternehmenssicht bietet über diese Dreier-Gruppe hinaus vor allem
der südliche Teil der Westprovinzen interessante Perspektiven: Im Hinblick
auf die logistischen Möglichkeiten in der "North Bay"-Region und den
Seehafenzugang gilt Guangxi als vielversprechender Standort, ebenso
Yunnan, das sich zunehmend zur Handelsdrehscheibe nach Myanmar,
Laos, Thailand und Vietnam entwickelt.
In der Rangfolge der Unternehmen folgen dann die Autonomen Regionen
Innere Mongolei und Xinjiang, bei denen in den Gesprächen vor allem das
Rohstoff-, das Energie- und das landwirtschaftliche Potenzial hervorgehoben
wurde. Alle anderen Westprovinzen werden nur von einzelnen Unternehmen als relevant erachtet, die spezifische Interessen in den jeweiligen
Regionen haben, etwa Kunden, Geschäftspartner oder die Nutzung
bestimmter natürlicher Ressourcen (beispielsweise die Verarbeitung
regionstypischer landwirtschaftlicher Produkte).
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Man muss beachten, dass aus der Unternehmensperspektive nicht allen
Standortfaktoren die gleiche Bedeutung beigemessen wird. Aus Unternehmenssicht wird als die absolut vorrangige Motivation für ein Engagement
in den Westprovinzen und als wesentlicher treibender oder einschränkender Faktor weitgehend einheitlich die Möglichkeit der Erschließung neuer
Märkte genannt. Nur in Ausnahmefällen werden seitens der Unternehmen
andere spezifische Gründe als relevant bezeichnet, zum Beispiel konkrete
Anfragen von regionalen Gebietskörperschaften für Infrastrukturprojekte.
Der zweitwichtigste Faktor aus Unternehmenssicht ist das Infrastrukturniveau. Hier nehmen die meisten Unternehmen eine deutliche Verbesserung
der Situation in den letzten Jahren wahr. Die Infrastrukturentwicklung ist
auch nach Einschätzung der Unternehmen der sichtbarste Erfolg der
Go-West-Strategie.
Als drittwichtigsten Standortfaktor wird das Thema Personal und Innovation
aufgeführt. Die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal hat für die Unternehmen eine hohe Bedeutung. Teilweise sehen sie hier aber einen Engpass.
Zwar gibt es in Westchina im Unterschied zu den ostchinesischen Wirtschaftszentren weniger Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt: Die Zahl der
ausländischer Unternehmen als Arbeitgeber ist noch relativ gering und die
Zahl qualifizierter Arbeitnehmer ist eigentlich groß. De facto gelten diese
jedoch als weniger gut ausgebildet und weniger vertraut mit den Anforderungen, die gerade ausländische Unternehmen an Beschäftigte stellen. Für
viele in den Westprovinzen eingestellte Mitarbeiter ist ihre Tätigkeit vor
Ort auch nur eine Durchgangsstation und ein "Sprungbrett" für einen
Wechsel zu Unternehmen an Chinas Ostküste.
Bei der Frage der Bedeutung des Kostenniveaus gehen die Meinungen der
Unternehmen am weitesten auseinander. Für einige produktionsorientierte
Unternehmen ist das Kostenniveau ein sehr wichtiger Faktor und eine wesentliche Motivation, eine Produktion im Westen aufzubauen. Der überwiegende Tenor aller Gespräche war jedoch, dass dem Kostenniveau eher
unterdurchschnittliche Bedeutung beigemessen wird. Hinzu kommt, dass
die Kostenvorteile der Westprovinzen durch Nachteile an anderer Stelle
(zum Beispiel beim Qualifikationsniveau der Mitarbeiter) teilweise aufgehoben werden.
Wie bereits im Kapitel D (siehe Seite 92f.) dargestellt, ist der Faktor Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen – eine der wesentlichen Stärken der Westprovinzen – für die befragten Unternehmen eines der am wenigsten relevanten
Kriterien für eine Standortentscheidung. Auch die wirtschaftspolitischen
Rahmenbedingungen spielen für die Unternehmen im Prinzip keine
wichtige Rolle.
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Studie
Für die vergleichende Beurteilung der Westprovinzen aus Unternehmenssicht lässt sich aus diesen Bewertungen folgende Schlussfolgerung ziehen:
Es werden diejenigen Provinzen bevorzugt, die heute tendenziell stärkere
lokale Märkte bieten können, logistisch und infrastrukturell besser dastehen
und hinreichend und gut qualifizierte Arbeitskräfte anbieten können.
Bei den darüber hinaus relevanten "weichen" Faktoren für eine Entscheidung für oder gegen bestimmte Standorte spielt insbesondere eine Rolle,
dass man bei der Etablierung einer lokalen Repräsentanz in den Westprovinzen auch die Belange der eigenen entsandten nicht-chinesischen Mitarbeiter
berücksichtigen muss. Hier gelten die weiter südlich gelegenen Provinzen
als attraktiver für "Expatriates", weil sich hier schon mehr ausländische
Unternehmen angesiedelt haben. Als "entlegener" wahrgenommene Provinzen, und dazu zählt zum Beispiel auch die analytisch stark bewertete Innere
Mongolei, werden aufgrund der geringen Verbreitung von "Expatriate
Communities" als weniger attraktiv beurteilt.
3. Kernergebnisse des Städte-Benchmarkings
Die Ergebnisse des Benchmarkings der 13 wichtigsten Wirtschaftszentren in
Westchina ergeben ein Bild, das zum Teil mit den Ergebnissen der Provinzbetrachtung korreliert (siehe Abbildung 36).
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Klar führend – sowohl aus analytischer als auch aus Unternehmensperspektive – zeigen sich die wichtigsten Agglomerationen in denjenigen Provinzen, die auf den ersten Plätzen des Provinz-Benchmarkings liegen: Xi'an in
Shaanxi und Chengdu in Sichuan. Auch die auf der Provinzebene weit oben
platzierte Innere Mongolei erzielt hier mit Baotou und ihrer Hauptstadt
Hohhot eine hohe analytische Bewertung, während analog zur aus Unternehmenssicht wichtigen Region Guangxi deren Hauptstadt Nanning auch
in der Städtebetrachtung hoch bewertet wird.
Überraschend im Vergleich zur Provinzperspektive ist allerdings die überaus
positive Beurteilung von Yunnans Hauptstadt Kunming aus beiden Perspektiven. Aus analytischer Perspektive sind für diese hohe Bewertung die in
Relation zu den anderen "nachfolgenden" Städten relativ stark entwickelte
Wirtschaft sowie die sehr gut ausgebaute Infrastruktur und Erreichbarkeit
ausschlaggebend. Letzteres ist ein Kernaspekt dafür, dass Kunming sich
zunehmend zur chinesischen Drehscheibe des Handels mit der ASEANRegion entwickelt. Auf der Unternehmensseite waren viele der InterviewPartner von den ökonomischen Potenzialen dieses "Tors nach Südostasien"
überzeugt: Die Chancen der geplanten Asian-China Free Trade Area
(ACFTA) steigern die Attraktivität des Standorts für Unternehmensansiedlungen ebenso wie die mehrfach in den Unternehmensgesprächen
erwähnten Anziehungskräfte der "Stadt des ewigen Frühlings".
Auf den hinteren Rangplätzen zeigt sich eine stärkere Spreizung der Beurteilungen aus analytischer und Unternehmenssicht als im Provinzvergleich.
Während aus analytischer Perspektive die weiter nordwestlich gelegenen
Städte Ürümqi, Yinchuan und Lanzhou etwas besser abschneiden, werden
aus Unternehmenssicht die südlicheren Standorte Guiyang, Guilin,
Mianyang und Nanchong als attraktiver wahrgenommen.
Aus der Einzelbetrachtung entlang der verwendeten Beurteilungskriterien
in der analytischen Perspektive (siehe Abbildung 37) geht hervor, dass
die in der Spitzengruppe angesiedelten Städte vor allem in den Bereichen
Marktattraktivität, Infrastruktur und bei den Rahmenbedingungen des
Geschäftsbetriebs vorne liegen. Chengdu und Xi'an können außerdem
in den Bereichen Personal und Innovation punkten.
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Studie
In Bezug auf die Kostensituation zeigt sich analog zum Provinz-Benchmarking eine Umkehrung der Favoritenstellungen. Bei den Städten aus der
zweiten Reihe hinter der jeweiligen Provinzhauptstadt, also etwa Guilin,
Nanchong oder Mianyang fällt mit Ausnahme von Baotou auf, dass sie in
der Bewertung deutlich hinter den führenden Städten zurückbleiben und
in fast allen Kategorien das Schlusslicht der analytischen Bewertungsskala
bilden.
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4. Schlussfolgerungen zur Attraktivität der Westprovinzen im Vergleich
Die Ergebnisse der analytischen Perspektive und der Unternehmensperspektive sind für den Vergleich der Westprovinzen insofern synchron, als keine
Extremfälle aufgetreten sind, in denen die Bewertung von Provinzen je
nach Perspektive diametral entgegengesetzt ausfällt. Die offensichtlichste
Divergenz der Perspektiven ergibt sich in der Einschätzung der Inneren
Mongolei. Ihre auf Basis der gegebenen Fakten hervorragende Ausgangsposition bewerten die Unternehmen bisher nicht so hoch wie die anderer
Regionen. Die Vorzüge dieser Provinz werden offensichtlich seitens der
Unternehmen noch nicht wahrgenommen. Die Innere Mongolei hat sich
mittlerweile zur ökonomisch zweitwichtigsten Westprovinz entwickelt,
hat einen hohen Urbanisierungsgrad und kann das zweithöchste Haushaltseinkommen in Westchina vorweisen. Diese Tatsachen sprechen dafür,
dass hier ein stark konzentrierter und daher attraktiver Markt entsteht,
was jedoch bisher anscheinend nicht ins Bewusstsein vieler Unternehmen
gedrungen ist.
Generell ist zu beobachten, dass die Unternehmen – und dies deckt sich
mit der faktischen Verteilung ausländischer Unternehmen in Westchina
(siehe Kapitel Außenwirtschaft, Seite 82ff.) – in ihren Präferenzen den
schon stärker eingetretenen Pfaden folgen und die südlicher gelegenen
Provinzen bevorzugen. Dies gilt für die Beurteilung auf der Provinzebene,
zeigt sich jedoch noch deutlicher bei der Bewertung der Städte. Den neuen
Chancen, die derzeit auf Basis der starken Wirtschaftsentwicklung auch im
nördlichen Teil Westchinas entstehen, wird bislang keine so große Aufmerksamkeit geschenkt.
Der naheliegende erste Fokus einer Analyse der Markt- und Standortpotenziale in Westchina seitens der Unternehmen wird daher aktuell vorrangig
eher in den südlicheren Teilen Westchinas liegen. Die Bearbeitung der
lokalen Märkte oder gar eine Ansiedlung in Provinzen wie der Inneren
Mongolei, Gansu oder Xinjiang wird selbst von den Unternehmen, die
bereits in diesen Regionen aktiv sind, als Pioniertätigkeit betrachtet.
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Studie
F. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1. Deutsch-chinesische Wirtschaftsbeziehungen
Als die Bundesrepublik Deutschland und China im Jahr 1972 diplomatische
Beziehungen aufnahmen, exportierten deutsche Unternehmen Waren für
270 Mio. USD in die Volksrepublik; 2008 lag dieser Wert bei 34,1 Mrd.
USD. Die Zahl der deutschen Unternehmen, die auf dem chinesischen
Markt aktiv sind, wird auf etwa 4.600 geschätzt. Längst sind es nicht mehr
ausschließlich Konzerne, die die Chancen in China nutzen: Immer mehr
mittelständische Unternehmen haben in den letzten Jahren den Schritt
in das "Reich der Mitte" gewagt.
Seit Beginn der chinesischen Reformpolitik haben sich die bilateralen
Wirtschaftsbeziehungen stark intensiviert. Das Handelsvolumen hat
sich dynamisch entwickelt und lag 2008 auf dem Rekordniveau von
93,5 Mrd. EUR (siehe Abbildung 38).
Auf Deutschland entfällt ein Drittel des chinesischen Handels mit der
Europäischen Union. Damit ist Deutschland Chinas wichtigster Handelspartner unter den EU-Ländern. Insgesamt liegt Deutschland auf Rang
sechs der chinesischen Handelspartner. Umgekehrt ist die Volksrepublik
für Deutschland der wichtigste asiatische Handelspartner, gefolgt von
Japan, Südkorea und Indien:
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Ein Drittel der deutschen Ausfuhren nach Asien ist für die Volksrepublik
bestimmt. China ist nach den USA Deutschlands zweitwichtigster Handelspartner außerhalb Europas: Die Exporte nach China haben mit einem
Volumen von 34,1 Mrd. USD einen Anteil an den gesamten deutschen
Ausfuhren von 4%.
Die deutschen Direktinvestitionen in China betrugen 2008 900 Mio. USD;
kumuliert belaufen sie sich auf 15,7 Mrd. USD. Die chinesischen Investitionen in Deutschland erreichen umgekehrt kumuliert erst 650 Mio. USD.
Die Perspektiven für deutsche Unternehmen in der Volksrepublik China
sind ambivalent: Einerseits begünstigt die Wirtschaftskrise – vor allem auf
Provinzebene – protektionistische Tendenzen; zudem fördern die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Anbieter. Andererseits sorgt das Konjunkturpaket für eine anhaltende
Investitionstätigkeit und für die Umsetzung von Infrastrukturprojekten.
Und gerade in diesen Bereichen punkten deutsche Unternehmen, weil diese
Nachfrage ausgezeichnet zu ihren Stärken passt. Vor allem Spitzentechnologien sind gefragt. Die deutsche Wirtschaft kann auch von der Orientierung auf nachhaltiges Wachstum durch die Stärkung der Binnennachfrage
profitieren: Die chinesische Führung wird erhebliche Investitionen vornehmen müssen, um den ökonomischen Rückstand einiger Provinzen
auszugleichen.
Hier sollten Unternehmen beachten, dass gerade die Provinzen in Zentralund Westchina beim geplanten weiteren Ausbau der Infrastruktur und bei
der Förderung der Binnennachfrage für die chinesische Wirtschaftspolitik
einen sehr hohen Stellenwert einnehmen. Auch die stärkere Gewichtung
ökologischer Belange im 11. Fünfjahresplan und im Konzept der "harmonischen Gesellschaft" kommt der deutschen Wirtschaft zugute. Bei den
geplanten Maßnahmen zum Schutz der Umwelt können sich deutsche
Unternehmen durch ihre besondere Kompetenz in der Umwelttechnologie
gegenüber chinesischen und internationalen Wettbewerbern profilieren.
2. Die Bedeutung Westchinas für die deutsche Wirtschaft
Es ist davon auszugehen, dass sich für deutsche Unternehmen in den Westprovinzen in Zukunft vor allem in den Branchen Chancen bieten werden,
in denen sie heute schon für China eine starke Rolle spielen. Dazu zählen
insbesondere der Maschinen- und Anlagenbau, die chemische Industrie
sowie die Kfz-Industrie.
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Studie
Im Außenhandel Deutschlands mit China insgesamt dominieren heute hochwertige Industriegüter. Zwar sind die deutschen Exporte nach China zwischen dem ersten Quartal 2008 und dem ersten Quartal 2009 leicht gesunken, jedoch hat sich deren Struktur nur leicht verändert. Eine Verschiebung
ist auf das Einbrechen der Automobilexporte um 33% zurückzuführen. Der
Anteil des Maschinen- und Anlagenbaus an den gesamten deutschen Ausfuhren liegt bei circa 30%. Die Automobilindustrie kommt nach dem deutlichen Rückgang 2009 auf einen Anteil von 13%. Auf die Elektrotechnik
und chemische Erzeugnisse entfallen jeweils 11%.
Diese Struktur weist eine starke Übereinstimmung mit der Verteilung der
deutschen Unternehmen auf, die heute in den chinesische Westprovinzen
vertreten sind (siehe Kapitel Außenwirtschaft, Abbildung 23): Von den dort
aktiven Firmen finden sich 45% im Maschinenbau, 9% in der Automobilindustrie, 11% im Bereich Elektronik und 7% in der Chemiebranche.
3. Chancen für die deutsche Wirtschaft: Marktperspektive
Die Volkswirtschaft wächst in Westchina immer noch stärker als im restlichen China, und teilweise von einer nicht mehr so geringen Basis aus.
Damit geht vor allem in den städtischen Agglomerationen eine Steigerung
des Einkommens und der Konsumausgaben einher.
Führende globale Akteure im Konsumgütermarkt haben das bereits erkannt
und geben die Richtung vor: So hat Coca Cola im Juni 2009 eine neue
Abfüllanlage mit einer Kapazität von 200.000 Tonnen in Ürümqi in der
Autonomen Region Xinjiang eröffnet. Die Investition hatte ein Volumen
von 30 Mio. USD.
In den städtischen Regionen der westlichen Provinzen kommt zum reinen
Wirtschafts- und Einkommenswachstum noch der Bevölkerungszuwachs
hinzu. Experten gehen davon aus, dass künftig der Urbanisierungsgrad
Chinas um einen Prozentpunkt pro Jahr zunimmt. Heute liegt der Urbanisierungsgrad in Gesamtchina bei 45%, im Westen nur bei 38%. Sollte
der Westen diese Lücke schließen und im Urbanisierungsgrad das Niveau
Gesamtchinas erreichen, würde die Stadtbevölkerung des Westens um
26 Mio. Einwohner zunehmen. Ginge damit auch ein Sprung vom durchschnittlichen verfügbaren Einkommen zwischen Stadt und Land in Westchina einher, entstünden alleine durch diese Bewegung zusätzliche für
Konsum verfügbare Einkommen von 33 Mrd. USD jährlich. Dies wiederum
würde bedeuten, dass die Attraktivität der westlichen Provinzen als Absatzmärkte für Konsumgüter steigt.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Diese Entwicklung wird – im Einklang mit der wirtschaftspolitischen
Zielsetzung der chinesischen Regierung, die Inlandsnachfrage zu stärken –
mittel- und langfristig dazu führen, dass die Industrialisierung der westlichen Provinzen fortschreitet, weil die Produzenten von Konsumgütern,
hier vor allem chinesische Unternehmen, die Nähe der Absatzmärkte
suchen. Davon könnten deutsche Unternehmen profitieren, denn der
Ausbau bestehender und der Aufbau neuer Produktionsstätten erhöht
die Nachfrage im Maschinen- und Anlagenbau.
Direkt auf den Konsumgütermärkten Westchinas sind deutsche Unternehmen allerdings bisher praktisch nicht vertreten. Es bieten sich aber – abgeleitet aus dem Aufwärtstrend beim Konsum – Perspektiven in angrenzenden
Branchen wie dem Handel oder der Logistik. Dort sind heute schon einige
deutsche Unternehmen in Westchina aktiv. Die Tatsache, dass Westchina
mit Yunnan im Süden und Xinjiang im Nordwesten auch zunehmend zum
strategischen Umschlagsplatz für den chinesischen Außenhandel nach
Südostasien und Zentralasien auf dem Landwege wird, unterstreicht
diese Entwicklung.
4. Chancen für die deutsche Wirtschaft: regionale Perspektive
Bei der Investitionstätigkeit ausländischer Unternehmen in Westchina
zeichnen sich klare Schwerpunkte ab: 80% aller Auslandsinvestitionen
in Westchina fließen in die Provinzen Sichuan (26%), Chongqing (22%),
in die Innere Mongolei (21%) und nach Shaanxi (11%).
Auf Basis des im Rahmen der vorliegenden Studie durchgeführten Benchmarkings lassen sich die chinesischen Westprovinzen bezüglich ihrer
generellen Attraktivität in drei Gruppen einteilen:
1. Klar führende Regionen ("Stars"): Sichuan, Chongqing, Shaanxi
2. Sich dynamisch entwickelnde Regionen mit deutlichem Potential
("Fast Follower"): Innere Mongolei, Yunnan, Guangxi, Xinjiang
3. Für unternehmerisches Potenzial (noch) wenig attraktive Regionen
("Dogs"): Tibet, Qinghai, Gansu, Ningxia, Guizhou
Diese Kategorisierung wird dadurch bestätigt, dass die tatsächliche regionale Verteilung der ausländischen Direktinvestitionen in den westlichen
Provinzen und die Potenzialanalyse dieser Studie zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommen. Innerhalb der einzelnen Regionen sind die ökonomischen
Zentren in der Regel die jeweiligen Provinzhauptstädte. Eine Ausnahme
von dieser Regel bildet nur Batou in der Inneren Mongolei, das neben der
Hauptstadt Hohhot ein wichtiges Zentrum der ökonomischen Entwicklung
darstellt.
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Studie
Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse sollten in einer Standortanalyse für
Westchina regional die "Stars" als erstes betrachtet werden, je nach Branche
aber auch die "Fast Follower"-Regionen in den Blick genommen werden.
Aus diesem Grund werden im folgenden Teil G die "Stars" über den Steckbrief hinaus noch einmal ausführlicher dargestellt.
5. Chancen für die deutsche Wirtschaft: Branchenperspektive
Zwar fließen heute nur circa 14% aller ausländischen Direktinvestitionen
nach China überhaupt in den Westen, ihre Verteilung ist aber durchaus
aufschlussreich. Analysiert man die für die westchinesischen Provinzen
bestimmten ausländischen Direktinvestitionen im Detail nach Zielbranchen,
zeigen sich ganz klare Schwerpunkte, die sich dann auch regionalspezifisch
differenzieren lassen.
So gelangt der größte Anteil des von den Westprovinzen vereinnahmten
Zustroms an ausländischen Direktinvestitionen (50%; Stand 2007) in den
Aufbau von Produktionsstätten für Industriegüter; dieser Wert ist allerdings
etwas niedriger als in Ostchina, wo er 60% beträgt. Den zweitgrößten Block
mit circa 25% machen Investitionen in Immobilien aus, ein gegenüber dem
18%-Anteil in den östlichen Provinzen deutlich höherer Wert, der auch im
Bereich Immobilienentwicklung den Nachholbedarf des Westens belegt.
Ebenfalls eine deutlich wichtigere anteilige Rolle als im Osten spielen
im Westen Auslandsinvestitionen in die Versorgung mit Energie, Gas und
Wasser; in dieses Segment fließen hier 9% des ausländischen Geldes, in
Ostchina dagegen nur 2%. In den westchinesischen Provinzen absorbieren
Groß- und Einzelhandelsaktivitäten 4% der Auslandsmittel, im Osten liegt
deren Anteil bei 2%.
Diese Analyse lässt eine eindeutige Schlussfolgerung zu: Im Ausbau der
Industrieproduktion, der Immobilienwirtschaft, des Energie- und Versorgungssektors und (schon mit deutlichem Abstand) des Handels spielt also
heute die Musik für ausländische Unternehmen in Westchina.
Dies kann und wird in den kommenden Jahren auch so bleiben, wenn man
die Aussage vom stellvertretenden politischen Direktor des Ministeriums
für Wohnungsbau und städtisch-ländliche Entwicklung, Xu Zhongwei, im
Kontext der oben bereits beschriebenen Urbanisierungsentwicklung Ernst
nimmt: "Die schnelle Zunahme der Urbanisierung wird mindestens 1 Billion
CNY (ca. 144 Mrd. USD) jährliche Investitionen in Wasserbereitstellung,
Heizung, Abfallentsorgung und anderen öffentlichen Dienstleistungen in
den Städten hervorrufen."
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Legt man eine Verteilung dieser Größen analog der Verteilung des Bruttoinlandsprodukts zugrunde, würde dies bedeuten, dass jährlich Investitionen
in Höhe von etwa 27 Mrd. USD in die Modernisierung der Ausrüstung der
Versorgungsdienstleistungen in Westchina fließen – ein nicht zu vernachlässigendes Marktpotenzial.
Für deutsche Unternehmen, die vor allem in den Segmenten Maschinenbau
und Industrieausrüstung sowie im Anlagenbereich für Energie und Versorgung eine starke Position sowohl auf dem Weltmarkt als auch in China
haben, bieten sich hier also in erster Linie Chancen. Gesondert zu betrachten sind dann Branchen, die entweder in den Statistiken nicht klar abgrenzbar sind oder vor allem spezifische Regionen betreffen. So sind einzelne
Branchen wie beispielsweise die Automobilindustrie eher darauf angewiesen, sich an den bereits existierenden Clustern zu orientieren, also vor
allem an Chongqing und Sichuan. Aus den massiven Herausforderungen
Westchinas im Bereich der Umweltverschmutzung ergeben sich aber auch
starke Potenziale für die weltweit führende deutsche Greentech-Branche 13);
dies gilt im Bereich Umwelt-Technologie in unterschiedlichen Ausprägungen für fast alle westlichen Provinzen.
Gleichzeitig ist es erklärtes Ziel der chinesischen Regierung, in der nächsten
Phase der Entwicklung von "Go West" stärker die Industrieentwicklung
voranzutreiben, wobei auch der Hochtechnologie eine stärkere Rolle
zukommen soll. Da der planwirtschaftliche Ansatz Chinas zumindest einen
stark richtungsweisenden Charakter für die Industrieentwicklung hat, sind
in der folgenden Tabelle (siehe Abbildung 39) für die wichtigsten Branchen
jeweils die regionalen Schwerpunkte für Auslandsinvestitionen nach den
offiziellen Vorgaben seitens der chinesischen Politik zusammengefasst.
Diese Schwerpunkte werden in den Listen der "geförderten Industrien" in
den Umsetzungsbestimmungen der Go-West-Strategie aufgeführt. Ergänzend werden die heute schon erkennbaren attraktivsten Standorte auf Basis
der Ergebnisse dieser Studie dargestellt. Die Tabelle auf der folgenden Seite
bietet damit eine erste regionale Orientierung für Branchenteilnehmer,
die sich für ein Engagement in den Westprovinzen interessieren.
13) Die Perspektiven der deutschen Umweltindustrie auf dem chinesischen Markt werden ausführlich
in der Publikation "GreenTech made in Germany 2.0. Umwelttechnologie-Atlas für Deutschland"
(München, 2009) dargestellt.
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Studie
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
6. Empfehlungen an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
Es gehört zu den wesentlichen Anliegen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, die Aktivitäten der deutschen Wirtschaft und insbesondere des deutschen Mittelstandes national und international zu unterstützen. Im Wesentlichen kann dies auf drei Wegen geschehen:
> Aufbereitung und Angebot von Informationsmaterial und Entscheidungshilfen
> Weiterentwicklung und Fokussierung der bereits existierenden
spezifischen Instrumente der Außenwirtschaftsförderung
> Dialog mit der chinesischen Regierung über die Rahmenbedingungen
für deutsche Unternehmen
In Bezug auf Chinas Westen sind zunächst einmal die Aufbereitung und
Verbreitung von Basisinformationen wichtig, zu denen auch die vorliegende
Studie beitragen soll. Für den an China generell und den Möglichkeiten
in Westchina interessierten Leser werden hier umfassende Entscheidungshilfen angeboten.
Es hat sich im Rahmen der Arbeiten an der Studie aber gezeigt, dass die
Verfügbarkeit von Informationen, die für eine Analyse von Standorten in
Westchina relevant sind, stark reduziert ist. Viele statistische Quellen liegen
nur in chinesischer Sprache vor, nur wenige auf Englisch, praktisch keine in
deutscher Sprache. Auch wichtige Dokumente über die Wirtschaftspolitik,
etwa die Liste der für Auslandsinvestitionen geförderten Industriezweige,
sind nicht ohne weiteres zu erhalten. Die vorliegende Studie kann hier eine
erste Brücke bauen. Eine Aufarbeitung der Förderbedingungen der Förderbedingungen für spezifische Einzelbranchen und attraktive Regionen in
Westchina wäre ein nächster Schritt.
Dass in Guangxi Auslandsinvestitionen in die Technologieentwicklung und
die Herstellung von Floatglas, in Guizhou solche in Schleifmaterialien und
Schleifwerkzeuge, in Xinjiang und in Gansu solche in den Weinanbau oder
in Qinghai solche in die Yak-Fell-Verarbeitung gefördert werden, kann hier
nur beispielhaft dargestellt werden – die entsprechende Liste geförderter
Spezialindustrien umfasst alleine für die Westprovinzen 218 Einzelposten.
Solche Informationen zu Förderbereichen, aber auch ganz generell zur
ökonomischen Entwicklung einzelner Branchen in Datenbanken aufzubereiten und leichter, also am besten online und zumindest in englischer
Sprache, verfügbar zu machen, kann eine starke Unterstützung gerade
für mittelständische Unternehmen mit Interesse an China darstellen. Der
Bedarf an einer solchen Hilfestellung scheint umso größer, als die deutschen
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Studie
Unternehmen in China grundsätzlich beklagen, dass es um die Verfügbarkeit der für strategische Entscheidungen relevanten Informationen sehr
schlecht bestellt sei – was die Geschäftstätigkeit signifikant behindere.
Die Ergebnisse dieser Studie können auch dazu dienen, die existierenden
Aktivitäten der Außenwirtschaftsförderung regional und industriebezogen
zu fokussieren. Auf Basis der in dieser Studie enthaltenen Informationen
können Maßnahmen der Absatz- und Kooperationsförderung avisiert
werden, also zum Beispiel Informations- und Kontaktveranstaltungen mit
Industrie- und Handelskammern in Deutschland oder mit anderen Institutionen der Außenwirtschaftsförderung. Die Ergebnisse des Benchmarkings
der Regionen und die nach Industrien organisierte, in Abbildung 39 dargestellte Orientierungstabelle können dabei als Grundlage für die Planung
entsprechender Maßnahmen dienen.
Auch die Organisation von Delegationsreisen nach Westchina wäre ein
geeignetes Instrument, um Unternehmer aus erster Hand über die Potenziale der westlichen Provinzen zu informieren. In diesem Zusammenhang
ist zu empfehlen, künftig stattfindende Delegationsreisen von hochrangigen
deutschen Regierungs- und Wirtschaftsvertretern gemäß den Ergebnissen
dieser Studie zu fokussieren. Das die "zentralen" Westprovinzen Sichuan,
Chongqing und Shaanxi dabei vor allem attraktive Ziele darstellen, ergibt
sich logisch aus der bisherigen Darstellung. Daneben werden aber in
Zukunft auch einige der Westprovinzen an der Peripherie stark an Bedeutung und Potenzial gewinnen. Dies ist zum Beispiel schon heute bei der
Inneren Mongolei zu beobachten, vor allem im Umkreis des Themas Energie. Aber auch die Provinz Yunnan kann – etwa mit dem Schwerpunkt
auf Handel und Logistik – ein attraktives Ziel sein.
In Zusammenarbeit mit den Auslandshandelskammern, Delegationen und
Repräsentanzen der Deutschen Wirtschaft in China kann außerdem überlegt
werden, inwiefern ein weitergehendes Engagement dieser Einrichtungen in
und für Westchina sinnvoll ist. Die heute bereits vorhandene Repräsentanz
der deutschen Kammern in Chengdu kann dazu als Basis dienen. Um die
zu erwartenden starken Potenziale bei der Ausrüstung der städtischen
Infrastrukturen besser für deutsche Unternehmen nutzbar zu machen,
bietet es sich auch an, zu diesem Punkt weiter- und tiefergehende Analysen
vorzunehmen und auch in Kontakt mit den lokalen Regierungen zu treten.
Die Ergebnisse dieser Studie lassen sich schließlich auch auf der nationalen
Ebene für den weiteren Austausch mit der chinesischen Regierung nutzen.
Die Resultate erlauben ein fundiertes Gespräch mit der chinesischen Regierung darüber, dass nach Maßgabe der vorgenommenen Analysen aber auch
rein faktisch die Rahmenbedingungen in Westchina offensichtlich in der
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Wahrnehmung der Unternehmen noch nicht hinreichend attraktiv sind,
um den Nachholbedarf der westlichen Provinzen beim Zufluss ausländischer Direktinvestition zu decken.
Dies zeigt sich daran, dass der ADI-Anteil des Westens der relativen Wirtschaftsentwicklung noch immer hinterherläuft. Es ist aktuell nicht absehbar,
dass sich dieser Zusammenhang durch den Einfluss der Wirtschaftskrise
stark verändert. Wenn – analog zur starken Entwicklung der östlichen
Provinzen Chinas – die Angleichung der Verhältnisse in Westchina auch
und vor allem mit Hilfe ausländischer Investitionen erfolgen soll, müssen
weitere und über die gegebenen Anreize hinaus gehende Verbesserungen
der Rahmenbedingungen erzielt werden. Die bisher ergriffenen Maßnahmen
– vor allem im Bereich der Infrastruktur – werden von den Unternehmen
als sehr positiv wahrgenommen, stellen aber eher einen "hygienischen"
Faktor dar; das heißt, sie sind eine notwendige Bedingung für ein Engagement, aber leisten nur einen geringen Beitrag als hinreichendes Entscheidungskriterium.
Die gegebenen Kostenvorteile in den Westprovinzen werden teilweise
wieder durch Nachteile, zum Beispiel bei der Qualifikation des Personals,
kompensiert. Die Anreize, die ermäßigte Sätze bei Unternehmenssteuern
bieten, werden von den Unternehmen als nicht sehr hoch bewertet; alle vor
Ort stattfindenden Maßnahmen der Wirtschaftsförderung werden nicht als
spezifischer Standortvorteil in den westlichen Provinzen betrachtet, weil es
vergleichbare Maßnahmen in vielen chinesischen Regionen gibt. Will die
chinesische Regierung also eine höhere Attraktivität der Westprovinzen für
ausländische Unternehmen bewirken, muss sie ihre Anstrengungen bezüglich industriepolitischer Anreize verstärken.
Ein sehr konkreter und viel versprechender Ansatz könnte außerdem darin
bestehen, die Zusammenarbeit mit China im Kontext der Bekämpfung des
Klimawandels und der Umweltprobleme zu verstärken. Die Ausführungen
zur Energiesituation und zu den bestehenden Umweltproblemen Westchinas in dieser Studie haben gezeigt, dass ein Umsteuern in Richtung mehr
Nachhaltigkeit für China und speziell auch für Westchina nicht nur zum
Erhalt der globalen Lebensräume unerlässlich ist, sondern auch wirtschaftliche Chancen bietet. Deutschland hat mit seiner internationalen Vorreiterrolle bei den erneuerbaren Energien, bei Effizienztechnologien oder anderen Umwelttechnik-Bereichen (wie etwa in der Abfall- oder Wasserwirtschaft) einen klaren internationalen Wettbewerbsvorteil, der gerade in
Westchina zum Tragen gebracht werden kann. Vor diesem Hintergrund
wäre zum Beispiel eine Initiative für einen deutsch-chinesischen "Umweltpakt" eine interessante Basis für den Ausbau der wirtschaftlichen Aktivitäten Deutschlands in Westchina.
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Studie
G. Profile der Provinzen
In diesem Teil werden die chinesischem Westprovinzen und ihre 13 wichtigsten Wirtschaftszentren einzeln vorgestellt. Dies erfolgt in Form von
"Steckbriefen" mit den wichtigsten Daten und Fakten sowie den Rangpositionen, die die Provinzen und Städte nach den Ergebnissen der Studie
im Benchmarking einnehmen.
Die "Star"-Provinzen werden ergänzend zum "Steckbrief" mit einem ausführlichen Text beschrieben. Aufgrund des spezifischen Interesses des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie sowie der besonderen
Bedeutung der Provinz für den Handel mit Zentralasien wird die Autonome
Region Xinjiang aus der Gruppe der "Fast Follower" herausgegriffen und
ebenfalls in Textform portraitiert.
Die Reihenfolge der Provinzdarstellungen orientiert sich an der Gruppierung, die sich aus dem Benchmarking ergibt:
"Stars"
1. Sichuan: Provinz-Steckbrief, Provinzbeschreibung und
Steckbriefe zu Chengdu, Mianyang und Nanchong
2. Chongqing: Provinz-Steckbrief und Provinzbeschreibung
3. Shaanxi: Provinz-Steckbrief, Provinzbeschreibung und Steckbrief
zu Xi'an
"Fast Follower"
4. Xinjiang: Provinz-Steckbrief, Provinzbeschreibung und Steckbrief
zu Ürümqi
5. Innere Mongolei: Provinz-Steckbrief und Steckbriefe zu Hohhot
und Baotou
6. Guangxi: Provinz-Steckbrief und Steckbriefe zu Nanning und Guilin
7. Yunnan: Provinz-Steckbrief und Steckbrief zu Kunming
"Dogs"
8. Gansu: Provinz-Steckbrief und Steckbrief zu Lanzhou
9. Guizhou: Provinz-Steckbrief und Steckbrief zu Guiyang
10. Ningxia: Provinz-Steckbrief und Steckbrief zu Yinchuan
11. Qinghai: Provinz-Steckbrief
12. Tibet: Provinz-Steckbrief
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Literaturempfehlung
Über diese Studie hinaus existieren eine Reihe sehr gelungener und nützlicher Aufarbeitungen zu den chinesischen Westprovinzen in englischer
Sprache. Als Quellen zur Vertiefung der Betrachtung können hier empfohlen werden:
> Die Investitionsführer der chinesischen Regierung zu den einzelnen
Provinzen, die unter
http://www.fdi.gov.cn/pub/FDI_EN/News/Focus/Subject/IICS/
default.jsp abrufbar sind
> Die Publikation "The China Business Handbook 2009",
herausgegeben von ACA Publishing Ltd; London 2009
> Die Profile der chinesischen Provinzen von HKDC:
http://info.hktdc.com/mktprof/china.htm
> Die Profile der chinesischen Provinzen auf Alibaba.com:
http://resources.alibaba.com/china-biz.html
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Studie
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
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Studie
Sichuan
"Land des Überflusses" wurde die Provinz im alten China genannt: Der
fruchtbare Boden des Roten Beckens und der Handel förderten das Ansehen
und den Wohlstand Sichuans. Auch heute noch spielt die bevölkerungsreichste Westprovinz eine Schlüsselrolle in der wirtschaftlichen Entwicklung der Region: Mehr als ein Fünftel des gesamten Bruttoinlandsprodukts
des Westens wird in Sichuan erwirtschaftet. Im Rahmen der Go-WestStrategie soll sich die stark landwirtschaftlich geprägte Provinz noch stärker
als bisher als moderner Industrie- und Dienstleistungsstandort etablieren.
Die drei größten Städte Sichuans – Chengdu, Nanchong und Mianyang 14)
– sind die ökonomischen Zentren der Provinz.
Sichuan ist mit einer Fläche von 485.000 Quadratkilometern größer als
Deutschland und Österreich zusammengenommen. Das dicht besiedelte
Zentrum der Provinz ist das 200.000 Quadratkilometer große SichuanBecken, das von Bergketten umgeben wird: Im Westen ragt das Gebirge
Daxue Shan mit dem Gonnga Shan (7.555 Meter) auf, dem höchsten Berg
Sichuans. Im Osten liegt das Qinling-Gebirge und nach Südosten begrenzt
das Dalou-Shan-Gebirge das Rote Becken. Der Jangtse markiert über lange
Strecken die West- und Südgrenze der Provinz.
Die Gebirge und ihre Ausläufer sowie das Rote Beckens bilden jeweils
eigene Klimazonen: In der Tiefebene ist das Klima subtropisch; im Jahresmittel liegt die Temperatur bei 14-19° C mit 280 bis 300 frostfreien Tagen.
Der durchschnittliche jährliche Niederschlag beträgt 1.000 Millimeter. Dies
sind ideale Bedingungen für hohe Erträge in der Landwirtschaft. Zum Teil
sind sogar zwei Ernten pro Jahr möglich. Die höheren Lagen Sichuan bieten
dagegen unwirtlichere Voraussetzungen: Die durchschnittliche Jahrestemperatur liegt hier teilweise bei 8° C, die Niederschlagsmenge bei 500 bis
700 Millimetern.
Bevölkerung
Mit über 80 Millionen Einwohnern (Stand 2008) ist Sichuan mit Abstand
die bevölkerungsreichste Provinz in Westchina – die nächstgrößte Provinz
Guangxi bringt es lediglich auf 48,2 Millionen Einwohner. In der Hauptstadt Chengdu leben 2008 12,8 Millionen Menschen, das sind fast ein
Viertel mehr als noch 2003. Sichuan ist die Heimat verschiedener ethnischer Gruppen: Neben den Han-Chinesen mit einem Anteil an der ProvinzBevölkerung von circa 94% leben in Sichuan 2,5 bis 5 Millionen Angehörige
der nationalen Minderheiten der Yi, Tibeter, Miao, Qiang, Hui, Tujia,
Bouyei, Naxi und Lisu. Diese ethnischen Gruppen sind vor allem im
Westteil Sichuans ansässig.
14) Siehe "Steckbriefe " auf den Seiten 138 und 139.
Chengdu, die "Brokat-Stadt"
Seidenbrokat war seit dem seit
2. Jahrhundert vor Christus
ein gefragter Exportartikel
Chengdus. Der Stoff aus Sichuan
wurde bis nach Zentralasien und
ins Römische Reich geliefert.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Erdbeben von Sichuan
Die Provinz liegt in einer gefährlichen geologischen Zone: Hier stoßen die
eurasische und die indische Kontinentalplatte aneinander, sodass die Erdbebengefahr in Sichuan seit jeher groß ist. Am 12. Mai 2008 kam es zu einem
heftigen Beben der Stärke von 7,9 auf der Richter-Skala, das nach offiziellen
Angaben 69.227 Tote forderte, darunter über 20.000 Kinder, die von zusammenstürzenden Schulgebäuden begraben wurden. 374.000 Menschen wurden
verletzt, 5,8 Millionen Menschen wurden obdachlos. Das Epizentrum des
Bebens lag im Kreis Wenchuan, etwa 80 Kilometer von der Provinzhauptstadt
Chengdu entfernt.
Die Naturkatastrophe verursachte für die Wirtschaft der Provinz Schäden in
Höhe von 14,5 Mrd. USD. Von den Auswirkungen waren über 16.000 Unternehmen betroffen. Der Wiederaufbau der zerstörten Gebiete hat für die chinesische
Zentralregierung einen hohen Stellenwert. Dies zeigt sich auch daran, dass von
den im "4 Billionen-Konjunkturprogramm" vorgesehenen Mitteln ein Viertel für
die Beseitigung der Erdbeben-Schäden bestimmt ist.
Deutschland hat ebenfalls einen Beitrag zum Wiederaufbau geleistet: Die
Bundesregierung hat für die Wiederherstellung von acht zerstörten Schulen
3,6 Mio. EUR zur Verfügung gestellt. Dazu kam eine Unterstützung für humanitäre Nothilfemaßnahmen in Höhe von 20,1 Mio. EUR. Darüber hinaus hat die
Bundesregierung 20,1 Mio. EUR aus Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit
bereitgestellt. Zusätzlich haben deutsche Unternehmen und ihre Mitarbeiter
circa 10 Mio. EUR gespendet.
Die gemeinsamen Anstrengungen zeigen Wirkung: Zum Jahrestag des Erdbebens hatte bereits ein Drittel der 5,8 Millionen obdachlos Gewordenen wieder
ein eigenes Dach über dem Kopf. Allerdings leben immer noch Millionen der
Erdbeben-Geschädigten in Containersiedlungen.
Einkommen und Konsumverhalten
Das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen der städtischen Bevölkerung in
Sichuan betrug im Jahr 2007 10.500 CNY (rund 1.390 USD). Damit befand
sich die Provinz knapp unter dem westchinesischen Durchschnitt von
11.500 CNY (rund 1.500 USD). Im Vergleich zum Pro-Kopf-Einkommen in
den Metropolen Ostchinas war Sichuan allerdings weit abgeschlagen: In
Shanghai lag das Pro-Kopf-Einkommen bei 20.700 CNY (rund 2.730 USD)
pro Jahr und damit fast doppelt so hoch wie in Sichuan.
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Studie
Das Konsumverhalten fällt in Sichuan etwas zurückhaltender aus als in
anderen westlichen Provinzen: Die tatsächlichen Konsumausgaben je Einwohner liegen hier bei 5.900 CNY (circa 780 USD); damit belegt die Provinz den vierten Rang in Westchina, war aber über dem westchinesischen
Durchschnitt von 5.300 CNY (circa 700 USD). Der Umsatz des Einzelhandels in Sichuan erreichte im Jahr 2008 481 Mrd. CNY (circa 63,5 Mrd.
USD) und legte damit im Vergleich zum Vorjahr um fast ein Fünftel zu.
Was die Verbreitung von Wohlstandsgütern in Sichuan anbelangt, so liegt
die Provinz über dem West-Durchschnitt: Die Pkw-Dichte beträgt 6,1 Autos
pro 100 städtische Haushalte (vs. 5,7 im West-Durchschnitt) , fast in jedem
zweiten Haushalt gibt es einen Computer (49 pro 100 städtische Haushalte
vs. 44 im West-Durchschnitt) und fast in jedem Haushalt eine Klimaanlage
(87 pro 100 städtische Haushalte vs. 42 im West-Durchschnitt). Die starke
Abweichung bei den Klimaanlagen lässt sich damit erklären, dass Sichuan
zu den heißesten Provinzen im Westen gehört.
Infrastruktur
Auf der aktuellen Liste der wichtigsten im Rahmen der Go-West-Strategie
geplanten Verkehrsprojekte steht auch der Ausbau der Eisenbahnstrecken in
Sichuan. Diese Trassen sind darauf ausgelegt, die neuen Zentren in Zentralchina wie Sichuan, Shaanxi und Chongqing zu verbinden (siehe Seite 64).
In der Provinz Sichuan gibt es zwei Flughäfen mit Verbindungen ins Ausland und neun mit Inlandsflügen. Im Jahr 2008 starteten von Sichuan aus
pro Woche 243 Flüge nach Peking – damit belegt Sichuan bezüglich der
Häufigkeit der Flugverbindungen in die chinesische Hauptstadt den zweiten
Platz unter allen Westprovinzen.
Die Gesamtkapazität aller Kraftwerke in Sichuan betrug im Jahr 2007 32
Gigawatt; das bedeutet gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung von rund
18%. Während die Provinz im Jahr 2005 mit 22 Gigawatt noch die höchste
Gesamtkapazität bei der Energieerzeugung von allen Westprovinzen vorweisen konnte, wurde sie 2007 von der Inneren Mongolei, deren Gesamtkapazität bei 42 Gigawatt lag, von ihrem Spitzenplatz verdrängt.
Bildung und Forschung
In Sichuan gibt es 53 Universitäten. Mit dieser Zahl liegt Sichuan hinter
Shaanxi auf dem zweiten Rang unter den Westprovinzen. Aufgrund seiner
großen Bevölkerung kommt Sichuan bei der Relation Hochschulen je
1 Million Einwohner allerdings nur auf 0,6, was deutlich unter dem WestDurchschnitt von 1,1 liegt. In Bezug auf die Verfügbarkeit von HochschulAbsolventen hat sich Sichuan auf Platz zwei in Westchina positioniert.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Die Zahl der Uni-Abgänger ist im Zeitraum von 2005 bis 2008 stetig
gewachsen und liegt heute bei mehr als 250.000 pro Jahr. Der Akademikeranteil liegt in Sichuan mit 4% leicht unter dem Durchschnitt aller westlichen Provinzen von 5%.
Sichuan gibt als größte Volkswirtschaft Westchinas mit einem Anteil von
20% am Bruttoinlandsprodukt aller westlichen Provinzen absolut betrachtet
am meisten für Investitionen in Bildungseinrichtungen aus (7,4 Mrd. CNY).
Relativ zur Einwohnerzahl gesehen bleiben die Bildungsinvestitionen mit
138.000 CNY (rund 18.000 USD) pro 1.000 Einwohner allerdings deutlich
unter dem Durchschnitt der Westprovinzen von 168.000 CNY (rund
22.100 USD).
Als Indikator für die Forschungsleistung der Region und ihr Innovationspotenzial kann man die Zahl der Patentanmeldungen heranziehen, die seit
2007 eine deutlich steigende Tendenz aufweist: 2007 wurden in Sichuan
knapp 10.000 Patente angemeldet, 2008 bereits 13.400. Damit liegt
Sichuan unter den Westprovinzen auf dem zweiten Platz. Zum Vergleich:
In Deutschland wurden 2008 circa 62.000 Patente angemeldet, also
etwa fünfmal so viele wie in Sichuan.
Innerhalb der Provinz spielt Chengdu eine besonders wichtige Rolle als
Innovationszentrum: In der Hauptstadt befinden sich die bedeutendsten
Forschungseinrichtungen Sichuans, insgesamt sind hier 70 Forschungsinstitute und andere universitäre Einrichtungen ansässig. Über 600.000 Wissenschaftler sind in Chengdu tätig – so viele wie an keinem anderen Standort
Westchinas.
Natürliche Ressourcen und Rohstoffe
Sichuan gehört mit verwertbaren Wasserressourcen von 110 Gigawatt zu
den Provinzen Westchinas, die das höchste Potenzial für Wasserkraft aufweisen.
Mit Erdgasvorkommen von 560 Mrd. Kubikmetern liegt die Provinz auf
dem dritten Platz in Westchina. In Sichuan sind 130 Arten von Mineralien
nachgewiesen. Davon befinden sich von 50 Arten die größten Vorkommen
in China auf dem Territorium von Sichuan. Die Provinz weist das drittgrößte Eisenvorkommen Chinas auf und verfügt über 95% der chinesischen
Titan- und über die Hälfte der Vanadium-Vorkommen Gesamtchinas.
Pandas in Sichuan
Das 1975 gegründete WolongNaturreservat 150 Kilometer
nordwestlich von Chengdu beherbergt etwa 60 Große Pandas. Ein
Forschungszentrum und eine
Zuchtstation tragen hier dazu bei,
die Population der vom Aussterben bedrohten Spezies zu erhalten. Eine weitere Forschungsund Zuchtstation für den Kleinen
und Großen Panda befindet sich
in der Nähe von Chengdu.
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Studie
Wirtschaftsleistung
Sichuan ist das ökonomische Schwergewicht in Westen: Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 1251 Mrd. CNY (circa 180,3 Mrd. USD) liegt die Provinz 2008 an der Spitze der Westprovinzen; Sichuans Wirtschaftsleistung
trägt einen Anteil von 21,5% zum gesamten West-BIP bei und erwirtschaftet
4,2% des gesamtchinesischen Bruttoinlandsprodukts. Das Wachstum
Sichuans lag zwischen 2004 und 2008 bei durchschnittlich 12% pro Jahr.
Das entspricht in etwa dem westlichen Durchschnitt von 13% im selben
Zeitraum. Mit einem Anteil von 27% am Provinz-BIP ist die Hauptstadt
Chengdu das ökonomische Zentrum Sichuans. Nanchong, die zweitgrößte
Stadt in Sichuan, erwirtschaftet einen Anteil von 4% und Mianyang, die
drittgrößte Stadt, steuert einen Anteil von 5,9% zur Wirtschaftsleistung
der Provinz bei. Das in Chengdu erwirtschaftete Bruttoinlandsprodukt
belief sich 2008 auf 390 Mrd. CNY (circa 56,2 Mrd. USD), das entspricht
gegenüber dem Vorjahr einem Wachstum von etwa 17%.
Wirtschaftsstruktur
Der Anteil des primären Sektors am Bruttoinlandsprodukt (BIP) Sichuans
liegt bei fast 20%. Stellt man diesen Wert dem gesamtchinesischen Anteil
von 10% oder dem durchschnittlichen Anteil in den Westprovinzen von
16% gegenüber, wird auf Anhieb deutlich, dass die Landwirtschaft in
Sichuan ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Aus dieser Provinz stammen
etwa 6% der gesamten chinesischen Agrarproduktion. Der BIP-Anteil des
sekundären Sektors liegt in Sichuan bei 52% und entspricht damit exakt
dem gesamtchinesischen Durchschnitt. Den durchschnittlichen BIP-Anteil
des sekundären Sektors in den Westprovinzen von 40% übertrifft Sichuan
um 12 Prozentpunkte. Der Bergbau dagegen liefert mit 5% einen geringeren
Beitrag zum Provinz-BIP als in anderen westlichen Regionen (West-Durchschnitt: 8,5%). Auch der BIP-Anteil des Dienstleistungssektors fällt mit
23% in Sichuan niedriger aus als Durchschnitt Westchinas (35%).
Warenhandel mit dem Ausland
Im Außenhandel konnte Sichuan erheblich zulegen. Diese Entwicklung
kann als Erfolg der Go-West-Strategie interpretiert werden. Im Jahr 2008
hatten die Exporte aus Sichuan ein Volumen von 10,7 Mrd. USD; das entspricht gegenüber dem Vorjahr einer Steigerung von circa 47%. In Anbetracht der Erdbebenschäden ist diese Zunahme besonders beeindruckend.
Ein Drittel aller Ausfuhren Sichuans wurde von Unternehmen mit ausländischer Kapitelbeteiligung abgewickelt. Das Volumen der Importe nach
Sichuan betrug im Jahr 2008 9,2 Mrd. USD, was gegenüber dem Vorjahr
eine Zunahme von fast 50% bedeutet. Etwa die Hälfte aller Einfuhren in
die Provinz entfiel auf Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Kernindustrien, Cluster
Sichuan ist sehr stark von Landwirtschaft geprägt, was durch das subtropische Klima und die fruchtbaren Böden im Sichuan-Becken begünstigt wird.
Sichuan zählt zu den führenden Reisproduzenten; bei Mais, Weizen, Raps,
Roggen, Soja und Kartoffeln liegt die Provinz ebenfalls an der Spitze. Stark
ist Sichuan auch bei der Herstellung von Seide und Materialien aus Pflanzenfasern, insbesondere aus Hanf.
Die Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte zu Nahrungsmitteln und
Getränken spielt in der Wirtschaft von Sichuan eine wichtige Rolle: Die
Provinz zählt zu den Zentren der Getränkeherstellung in China: 16% des
gesamtchinesischen Getränke-Outputs werden in Sichuan produziert. Dort
sind auch die führenden Wein- und Spirituosenhersteller der Volksrepublik
ansässig, zum Beispiel die Chengdu Sugar and Wine Corporation.
Trotz der großen Bedeutung der Landwirtschaft bemüht sich Sichuan
bereits seit den achtziger Jahren, sich als Industrie- und Hightech-Standort
zu profilieren. Mit Erfolg – inzwischen haben sich zahlreiche große chinesische Unternehmen angesiedelt, beispielsweise die Chengdu Food Group,
Sichuan Medicine Co. Ltd. und die Chengdu Automobile Co. Ltd. Schwerpunkte liegen in den Branchen Elektronik, Automobilbau, chemische Industrie und Pharmaindustrie. Auch die Luftfahrtindustrie ist in Chengdu aktiv:
Hier ist der Sitz der Chengdu Aircraft Industry, die vor allem Militärflugzeuge für die chinesische Armee produziert. Außerdem zählt Chengdu
zu den Zentren der Biotechnologie in China.
In den letzten zehn Jahren entdecken immer mehr ausländische Konzerne
den Standort Sichuan: Zu den "Global Playern", die hier Produktionsstätten
aufgebaut haben, gehören unter anderem Microsoft, Cisco, Intel (siehe
Seite 135), IBM und Motorola. Im Bereich Finanzdienstleistungen sind in
Chengdu zahlreiche internationale Großbanken mit Niederlassungen vertreten, darunter Citibank, HSBS, Standard Chartered Bank, ABN AMRO, BNP
Paribas. Chengdu plant außerdem, nach Shanghai und Shenzhen der dritte
Börsenplatz Chinas zu werden.
Sichuan hat fünf wirtschaftliche Entwicklungszonen auf der Provinzebene;
zu den wichtigsten gehört die "Chengdu Hi-Tech Industrial Development
Zone". Sie wurde 1988 gegründet und 1991 als eine der ersten nationalen
Hightech-Entwicklungszonen anerkannt. Die Branchenschwerpunkte dieser
80 Quadratkilometer großen Entwicklungszone liegen in der Mikroelektronik, der Software-Entwicklung, der Herstellung von Präzisionsmaschinen
sowie in der Pharmaindustrie mit einem Fokus auf moderne Anwendungen
der traditionellen chinesischen Medizin. Besondere Erfolge hat die Entwicklungszone im Bereich Software und Mikroelektronik vorzuweisen: Hier
haben sich unter anderem Fujitsu, Intel und IBM angesiedelt.
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Studie
Der Tourismus ist ebenfalls ein wichtiger Wirtschaftszweig in Sichuan. Jedes
Jahr kommen über 160 Millionen chinesische Touristen und über 1,4 Millionen Besucher aus dem Ausland in die Provinz, die etwa 5% zur Wirtschaftsleistung des Hotel- und Gaststättengewerbes in Gesamtchina beiträgt. Sechs der zahlreichen Sehenswürdigkeiten Sichuans stehen auf der
UNESCO-Liste der Weltkultur- beziehungsweise Weltnaturerbestätten:
Dazu gehört der Emei Shan. Der 3.099 Meter hohe Berg ist ein Heiligtum
der chinesischen Buddhisten und Ziel Tausender von Pilgern. Weltberühmt
ist auch die Buddha-Statue in Le Shan. Die Figur des Dafo ("Großer
Buddha") wurde im 8. Jahrhundert in Sandstein gemeißelt und ist
71 Meter hoch.
Die Liberalisierung des Dienstleistungssektors nach Chinas WTO-Beitritt
ebnete den Weg für Investitionen ausländischer Unternehmen im Groß- und
Einzelhandel. Inzwischen sind die international bekannten Handelsunternehmen Carrefour (Frankreich), Metro (Deutschland) und Wal-Mart in
Sichuan vertreten.
Chengdu-Chongqing Economic Zone
In der Go-West-Strategie des 11. Fünfjahresplans der chinesischen Regierung
wird die Chengdu-Chongqing Economic Zone als eine von drei wichtigen
Fokus-regionen definiert, die in Westchina für die ökonomische Entwicklung
und bei der Zusammenarbeit zwischen Provinzen und städtischen Agglomerationen eine Führungsrolle übernehmen sollen. Die Chengdu-Chongqing Economic Zone umfasst eine Fläche von 155.000 Quadratkilometern – das entspricht
einem Viertel der gesamten Fläche der Provinz Sichuan und der regierungsunmittelbaren Stadt Chongqings. Zu ihrem Gebiet gehören 14 Städte in Sichuan
und 23 Bezirke und Kommunen in Chongqing. Im politischen Programm für die
Chengdu-Chongqing Economic Zone ist vorgesehen, bestimmte Industriezweige
stärker zu entwickeln. Insbesondere sind dies der Maschinen- und Anlagenbau,
Hightech-Industrien, Wasserkraftan lagen, die Verarbeitung landwirtschaftlicher
Produkte und Nebenprodukte, die chemische Industrie und der Tourismus.
Außerdem soll eine ökologische Schutzzone am Oberlauf des Jangtse aufgebaut werden. Zu den Planungen für die Kernregion gehört auch, die Verbindung
zwischen den Städten Chengdu und Chongqing durch den Bau weiterer Strassenverbindungen und eine Schnellzugstrecke zu verbessern. Das Projekt der
Chengdu-Chongqing Economic Zone soll als Schrittmacher fungieren, damit die
Region zu den anderen Modellprojekten der interprovinziellen Zusammenarbeit
im Osten Chinas aufschließen kann, zum Beispiel dem "Yangtze River Delta",
dem "Pearl River Delta" und der "Bohai Bay Region". Auf dem Gebiet der
Chengdu-Chongqing Economic Zone werden derzeit etwa 5% von Chinas
Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet. Künftig soll die Bedeutung dieser Region
für die gesamtchinesische Wirtschaft noch größer werden: Der Anteil am
BIP Chinas soll in den kommenden Jahren auf 10% wachsen.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Ausländische Direktinvestitionen
Sichuan hat sich als das Zentrum der ausländischen Geschäftstätigkeit
in Westchina etabliert: Zwischen 2005 und 2008 sind die ausländischen
Direktinvestitionen (ADI) in diese Provinz durchschnittlich jährlich um 45%
gewachsen. Im Jahr 2008 flossen ausländische Direktinvestitionen (ADI) in
Höhe von 3,3 Mrd. USD nach Sichuan; damit ist es Sichuan gelungen, unter
allen westlichen Provinzen den größten Umfang an ausländischen Direktinvestitionen anzuziehen. Die 3,3 Mrd. USD entsprechen etwa einem Viertel
aller für die westlichen Provinzen bestimmten ausländischen Direktinvestitionen. Der Anteil Sichuans an den ADI nach Gesamtchina lag 2008 bei
3,6%. Innerhalb der Provinz erweist sich die Hauptstadt Chengdu als immer
stärkerer Magnet für ausländische Direktinvestitionen: 2005 betrugen die
ADI nach Chengdu 0,5 Mrd. USD, 2008 waren es bereits 1,451 Mrd. USD.
Immer mehr ausländische Unternehmen entdecken Sichuan als attraktiven
Standort: So sind hier bereits zahlreiche Fortune-500-Unternehmen ansässig
geworden, darunter Motorola, IBM, United Technologies, Coca Cola, Pepsi
Cola, Toyota, Sumitomo, Marubeni, Lafarge Cement, oder GM. Intel ist das
wohl prominenteste Beispiel einer ausländischen Investition in Sichuan
(siehe unten).
Intel verlagert Halbleiter-Wert in den Westen
Intel ist seit 1985 auf dem chinesischen Markt aktiv und beschäftigt dort
mittlerweile über 6000 Mitarbeiter in den Bereichen Herstellung, Forschung
und Ent-wicklung, Verkauf und Marketing. Dabei ist Intel nicht nur in Peking
und Shanghai präsent, sondern auch an zahlreichen Standorten im Westen der
Volksrepublik. Niederlassungen des IT-Unternehmens befinden sich in Chengdu,
Kunming, Chongqing, Xi'an und sogar in Ürümqi, der Hauptstadt von Xinjian. In
Chengdu, der Provinzhauptstadt von Sichuan, betreibt Intel eine HalbleiterFabrik und plant derzeit, diese Produktionsstätte weiter auszubauen. Im Zug
der Expansion in Westchina soll ein Werk in Shangai mit 2.000 Mitarbeitern bis
Mitte des Jahres 2010 stillgelegt werden; zeitgleich soll eine zweite "State-ofthe-Art"-Fabrik in Chengdu zur Herstellung und zum Test von hochentwickelten
Mikroprozessoren eröffnen. Durch den Standortwechsel will das kalifornische
Unternehmen von dem im Vergleich zu Shanghai deutlich niedrigeren Lohnniveau in Sichuan profitieren und durch eine Verringerung der Produktionskosten
der momentan schwierigen Situation in der Halbleiterbranche entgegenwirken.
In der Vergangenheit wurden die Investitionen von Intel in Westchina bereits
als Meilensteine in Pekings Go-West-Strategie bezeichnet.
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Studie
Auch zahlreiche deutsche Unternehmen haben sich in Sichuan niedergelassen. Von den 3.500 in der Datenbank der Deutschen Handelskammer
gelisteten Firmen hat sich ein Drittel in der Provinz Sichuan angesiedelt.
Bei der Standort-Wahl entschieden sich alle deutschen Unternehmen für
die Provinzhauptstadt Chengdu. Zum Beispiel ist der Bayer-Konzern hier
seit 1997 mit der Sparte Tiergesundheit aktiv. Andere deutsche Unternehmen sind Kühne + Nagel, Siemens und Bosch.
Ein weiterer Indikator für die Bedeutung Sichuans im Rahmen der deutschchinesischen Wirtschaftsbeziehungen ist die Tatsache, dass Chengdu die
einzige Stadt im Westen Chinas ist, in der die Deutsche Handelskammer
mit einem Verbindungs-büro vertreten ist. Außerdem ist Chengdu der Sitz
eines der vier deutschen Generalkonsulate in China.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
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Studie
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
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Studie
Chongqing
Bis 1997 gehörte Chongqing zur Provinz Sichuan, dann erhielt die Region
den Status einer regierungsunmittelbaren Stadt und wurde damit den
Metropolen Peking, Shanghai und Tianjin gleichgestellt. Dieser administrative Schritt hatte Symbolcharakter: Die chinesische Regierung unterstrich
damit den hohen Stellenwert, den sie Chongqing bei der Weiterentwicklung
der Provinzen im Landesinnern beimaß. Der Stadtprovinz war die Rolle der
Lokomotive zugedacht, die den Westen Chinas auf einen steilen wirtschaftlichen Wachstumspfad ziehen sollte. Dieses Kalkül ist aufgegangen. Chongqing hat sich als eine der tragenden Säulen der Go-West-Strategie erwiesen.
Mit einer Fläche von 82.300 Quadratkilometern und 28,2 Millionen Einwohnern wird Chongqing häufig die "größte Stadt der Welt" genannt. Allerdings täuscht diese Bezeichnung leicht darüber hinweg, dass die Verwaltungseinheit Chongqing nicht nur das Stadtgebiet von Chongqing mit 7
Millionen Einwohnern umfasst, sondern auch ländliche Bezirke und Kreise.
Auf dem Landstreifen entlang des Jangtse im Nordosten der Provinz spielt
die Landwirtschaft eine wichtige Rolle. Die Stadt Chongqing liegt auf einer
felsigen Landzunge am Zusammenfluss des Jialing-Flusses mit dem Jangtse
und wird wegen der vielen Hügel auch Shan Cheng ("Stadt der Berge")
genannt. Das Klima in Chongqing ist subtropisch, die Temperaturen betragen im Jahresmittel 18° C. Die tiefsten Temperaturen im Winter liegen bei
6° C, die Sommertemperaturen zwischen 27° C und 29° C.
Die Han-Chinesen stellen bei weitem den größten Anteil an der Bevölkerung der Provinz von Chongqing. Etwa 1,75 Millionen Menschen – das
sind rund 6% der Provinzbevölkerung – werden einer der 49 anderen
ethnischen Gruppen zugerechnet, die in Chongqing vertreten sind. Die
meisten Angehörigen der nationalen Minderheiten leben im Südwesten
der Provinz.
Umwelt
Die pittoreske Lage der Stadt in einer Hügellandschaft hat auch Nachteile,
zumindest was die Luftqualität anbelangt: Die Kombination aus hoher
Luftfeuchtigkeit und Luftverschmutzung setzt Einwohnern und Gästen
Chongqings sehr zu. Die Stadtregierung hat eine Reihe von Maßnahmen
ergriffen, um dieses Problem zu entschärfen. Dazu gehören zum Beispiel
der Umstieg von Kohle auf die Energiequelle Erdgas, die Umrüstung von
Linienbussen auf Erdgasantrieb sowie die Stilllegung beziehungsweise
Umsiedlung von Betrieben mit hoher Schadstoff-Emission.
Provisorische Hauptstadt
Während des japanisch-chinesischen Krieges (1937-1945) war
Chongqing die Hauptstadt der
Guomindang-Regierung, die sich
aus Nanjing ins Landesinnere
zurückziehen musste. In dieser
Zeit wurden zahlreiche Industriebetriebe und öffentliche Einrichtungen nach Chongqing evakuiert, um sie außerhalb der
Reichweite japanischer Bombenangriffe zu bringen. Auch wenn
diese Unternehmensansiedlungen aus der Not geboren waren,
so legten sie doch eine wichtige
Basis für die Entwicklung Chongqings als Industriestandort.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Die starke Wasserverunreinigung durch die Einleitung von Industrie- und
Haushaltsabwässern beeinträchtigt die Wasserqualität des Jangtse und
seiner Zuflüsse erheblich. Die Regierung will in großem Umfang in Kläranlagen investieren, um dieses Problem einzudämmen.
Einkommen und Konsumverhalten
Das Pro-Kopf-Einkommen der städtischen Bevölkerung in Chongqing betrug
im Jahr 2007 11.600 CNY (circa 1.500 USD). Mit diesem Wert platzierte
sich Chongqing auf Rang eins unter den Westprovinzen und lag erheblich
über dem West-Durchschnitt von 9.500 CNY (circa 1.250 USD). Allerdings
blieb selbst Chongqing als Spitzenreiter der westlichen Provinzen weit
hinter den Metropolen des Ostens zurück. Zum Vergleich: Das Pro-KopfEinkommen von Shanghai belief sich 2007 auf 20.700 CNY (circa 2.700
USD) und war damit wesentlich höher als in Chongqing.
Der Einzelhandel erzielte 2008 einen Umsatz von 206 Mrd. CNY (circa
27,2 Mrd. USD) und legte damit gegenüber dem Vorjahr um 24% zu. Auch
internationale Handelsunternehmen haben inzwischen Filialen in Chongqing eröffnet und profitieren von der gestiegenen Kaufkraft: Vor Ort
präsent sind beispielsweise Carrefour, Wal-Mart und Metro.
Das für westchinesische Verhältnisse überdurchschnittliche Einkommensniveau spiegelt sich auch am Lebensstandard und an der Verbreitung von
Computern wider: Auf 100 Haushalte kommen in Chongqing 58 Computer
(Stand 2008). Mit dieser Relation liegt die Stadt weit über dem West-Durchschnitt von 44 Computern je 100 Haushalte – und erreicht fast den OstDurchschnitt von 62. Die Pkw-Dichte ist dagegen mit 4,4 Autos je 100
Haushalte geringer als im westchinesischen Durchschnitt (5,7). Wegen
der feucht-heißen Sommer gehören Klimaanlagen offensichtlich zur Grundausstattung jeden Haushalts: Auf 100 Haushalte kommen 155 Klimaanlagen
(West-Durchschnitt 42).
Infrastruktur
Im Rahmen der chinesischen Go-West-Strategie soll Chongqing zur wichtigsten Verkehrsdrehscheibe im Südwesten ausgebaut werden. Die Regierung
von Chongqing hat angekündigt, dass weitere Investitionen in die Infrastruktur geplant sind. Bis 2012 sollen 300 Mrd. CNY für den Ausbau und
die Modernisierung des Transportsektors verwendet werden. Jeweils ein
Drittel dieser Summe ist für den Flughafen Jiangbei und die Erweiterung des
Straßennetzes vorgesehen: 1.000 Kilometer Schnellstraße sollen neu gebaut
werden. Bereits heute verbinden Autobahnen Chongqing mit Chengdu und
anderen Städten in der Provinz Sichuan. Richtung Süden führt eine Autobahn nach Guiyang (Provinz Guizhou), nach Westen verläuft eine Strecke
über Wuhan bis an die Ostküste. Weitere Verbindungen sind nach Sichuan
und in die östliche Nachbarprovinz Hubei vorgesehen.
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Studie
Die Schienenverbindungen wurden in den letzten Jahren ausgebaut beziehungsweise modernisiert: Ein wichtiges Projekt ist die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Chongqing und Guangzhou im Südosten Chinas.
Seit der Einweihung dieser Trasse hat sich die Fahrzeit zwischen den beiden
Städten von 38 auf 31 Stunden verringert. Bis 2020 ist der Bau weiterer
Hochgeschwindigkeitsstrecken geplant, unter anderem über Wuhan und
Nanjing nach Shanghai. Außerdem soll bis 2009 die 1.000 Kilometer lange
Strecke zwischen Chongqing und Lanzhou, der Provinzhauptstadt von
Gansu, fertig gestellt sein.
Die Binnenschifffahrt spielte für die Verkehrsanbindung Chongqings schon
immer eine wichtige Rolle. Seit dem Bau des Drei-Schluchten-Staudamms
(siehe Seite 145) ist der Jangtse auch für große Schiffe eine durchgehende
Verbindung zu den Wirtschaftszentren im Osten Chinas. Deshalb sind
erhebliche Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur für die Binnenschifffahrt geplant: So sollen bis 2010 15 Mrd. CNY in den Ausbau von
Chongqings Häfen fließen, der Großteil dieser Mittel ist für Containerterminals bestimmt. China International Maritime Container, der weltgrößte Produzent der Stahlboxen, hat bereits 150 Mio. USD in eine
Container-Produktion in Chongqing investiert
Jiangbei, der internationale Flughafen im Südwesten der Provinz, zählt mit
einem Passagieraufkommen von über 8 Millionen zu den zehn wichtigsten
Flughäfen Chinas. In der Provinz gibt es außerdem zwei Inlandsflughäfen,
Wanzhou Wuqiao und Qianjiang Zhoubai. Sie sollen künftig ein Frachtvolumen von über 100.000 Tonnen pro Jahr abwickeln. Im Jahr 2008 starteten
durchschnittlich 132 Flüge pro Woche aus der Provinz nach Peking.
Um den wachsenden Energiebedarfs Chongqings zu decken, wurde die
Ölpipeline aus Myanmar über Kunming (Provinz Yunnan) nach Chongqing
verlängert. Hier mündet sie direkt im Changshou Chemical Industry Park,
wo sich ein Zentrum der Petrochemie dieser Provinz befindet.
Bildung und Forschung
Chongqing hat ein im Vergleich zu den anderen Westprovinzen ein gehobenes Bildungsniveau. Nach offiziellen chinesischen Statistiken hat die Stadt
34 Universitäten und liegt damit relativ zur Bevölkerungszahl im Schnitt
der Westprovinzen. Pro Jahr schließen in der Provinz pro 1.000 Einwohner
3,6 Personen ein Hochschulstudium ab, was den zweithöchsten Wert in
den Westprovinzen (nach Shaanxi mit 6 Personen) darstellt, Der Akademikeranteil in der Bevölkerung liegt mit 4% noch knapp unter dem Schnitt
der Westprovinzen (5%).
Allerdings wurden im Jahr 2007 in Chongqing 7,4 Mrd. CNY (fast 1 Mrd.
USD) in Bildungseinrichtungen investiert. Dies stellt den dritthöchsten
Wert in Westchina insgesamt dar und erreicht relativ zur Einwohnerzahl
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
mit 263.000 CNY (circa 34.716 USD) pro 1.000 Einwohner den zweithöchsten Wert im Westen, der auch über dem Durchschnitt der östlichen
Provinzen liegt (193.000 CNY; circa 25.500 USD).
In Bezug auf die Forschungsleistung wurden in Chongqing 2008 pro
1 Million Einwohner 171 Patente angemeldet, was sehr deutlich über dem
Schnitt der Westprovinzen von 91 liegt, allerdings noch weit unter dem
gesamtchinesischen Schnitt von 273.
Seit 2004 bemüht sich Chongqing um die Einrichtung von InnovationsPlattformen. Eine dieser Plattformen soll die Forschungs- und Entwicklungsleistung der Stadt nach vorne bringen, indem Laboratorien und TechnologieForschungszentren errichtet werden. Mit Unterstützung der Southwest
Agricultural University und der Chongqing University wurden im Jahr
2004 bereits fünf Laboratorien und zehn Forschungszentren gegründet.
Deren Zahl soll bis Ende des 11. Fünfjahresplans im Jahre 2010 auf 30
beziehungsweise 40 Einrichtungen anwachsen.
Drei-Schluchten-Staudamm
Die Idee, im Mittellauf des Jangtse im Bereich der Drei Schluchten einen Damm
zu bauen, um die Schiffbarkeit des Flusses zu verbessern und seine Wasserkraft
zu nutzen, kam bereits 1919 auf. 1992 wurde dann die Umsetzung dieses
Projekts genehmigt – obwohl ein Drittel der Delegierten des Nationalen Volkskongresses dagegen stimmte. Angesichts der Tatsache, dass dieses Gremium
Regierungsvorlagen üblicherweise mit 98% und mehr Stimmen absegnet, sagt
dieses Votum viel über die Ambivalenz der chinesischen Gesellschaft gegenüber
dem Drei-Schluchten-Staudamm aus.
Der Drei-Schluchten-Staudamm ist mit einer Kapazität von mehr als 18.000
Megawatt die größte Wasserkraftanlage der Welt. Die Gesamtlänge der Staumauer beträgt 2.309 Meter, sie ist 185 Meter hoch. Über ein fünfstufiges,
1.600 Meter langes Schleusensystem überwinden die Schiffe einen Höhenunterschied von 113 Metern. Der durch den Damm entstandene Stausee hat eine
Länge von 645 Kilometern; sein Wasserspiegel soll eine Höhe von 175 Metern
haben. Für das Projekt mussten 1,3 Millionen Menschen umgesiedelt werden.
Über 1.000 Städte und Dörfer wurden geflutet.
Unter ökologischen Aspekten ist der Drei-Schluchten-Staudamm umstritten:
Kritiker befürchten, dass sich der Sediment- und Nährstoffhaushalt des Jangtse
verschlechtern wird. Hinzu kommt: Die Siedlungen wurden vor ihrer Flutung
nicht gereinigt, sondern einschließlich ihrer Kläranlagen, Mülldeponien und
Industrieanlagen unter Wasser gesetzt.
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Studie
Natürliche Ressourcen und Rohstoffe
Der Jangtse und seine Nebenflüsse prägen nicht nur die Landschaft Chongqings, sondern haben für die Provinz auch eine große Bedeutung als Energielieferanten: Die Wasserkraft spielt eine wesentliche Rolle für Chongqing;
auf dem Gebiet der Provinz befinden sich über 1.000 Wasserkraftwerke
verschiedener Größe, die zusammen eine Kapazität von 619 Gigawatt
haben. Das für Chongqing wichtigste – und weltweit bekannte – Projekt zur
Energiegewinnung durch Wasserkraft ist der Drei-Schluchten-Damm (siehe
Seite 145). Dieses gigantische Wasserkraftwerk ist für Chongqing nicht nur
unter dem Aspekt der Energieerzeugung relevant, sondern auch in Bezug
auf die Logistik: Der Drei-Schluchten-Damm macht es möglich, dass nun
Schiffe mit einer Kapazität von über 10.000 Tonnen den Jangtse flussaufwärts bis nach Chongqing befahren können.
Wirtschaftsleistung
Das Bruttoinlandsprodukt Chongqings betrug im Jahr 2008 510 Mrd. CNY
(rund 74 Mrd. USD). Dies entspricht gegenüber dem Vorjahr einem nominalen Wachstum von 24%. Der Anteil der Provinz am Bruttoinlandsprodukt
des Westens betrug 2008 9%; zur gesamtchinesischen Wirtschaftsleistung
erbrachte Chongqing einen Beitrag von 1,7%. In den letzten fünf Jahren
(2003-2008) ist das BIP von Chongqing durchschnittlich um 15% pro Jahr
gestiegen. Mit dieser Wachstumsrate landet Chongqing mit Shaanxi nach
der Inneren Mongolei auf dem zweiten Platz unter den westchinesischen
Provinzen.
Wirtschaftsstruktur
Die Landwirtschaft hat einen Anteil von 13% am Bruttoinlandsprodukt von
Chongqing; dies liegt unter dem West-Durchschnitt von 16%. Der Bergbau
trägt nur knapp 2% zur Wirtschaftsleistung Chongqings bei (West-Durchschnitt: 8,5%). Wie in einer großen Agglomeration nicht anders zu erwarten, dominieren bei der Wertschöpfung der sekundäre Sektor mit einem
Anteil von 40% und der Dienstleistungssektor mit einem Anteil von 46%.
Warenhandel mit dem Ausland
Die Exporte aus Chongqing hatten im Jahr 2008 ein Volumen von 5,3 Mrd.
USD. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das einen Zuwachs von fast 20%.
Knapp ein Fünftel aller Exporte wird von ausländischen Unternehmen
abgewickelt. Die Ausfuhren aus Chongqing stellen einen Anteil von 8%
an den gesamten Exporten aus Westchina. Das Volumen der Importe nach
Chongqing betrug 2008 3,7 Mrd. USD; das entspricht einem Anteil von
7% an allen Importen, die für Westchina bestimmt waren. Ausländische
Unternehmen haben 30% der Einfuhren nach Chongqing bestritten.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Kernindustrien, Cluster
Chongqing ist eines der wichtigsten industriellen Zentren Westchinas. Die
Stadtprovinz hat von den Investitionen und Vergünstigungen im Rahmen
der Go-West-Strategie profitiert. In den letzten Jahren haben zahlreiche
chinesische Unternehmen Produktionsstätten in Chongqing aufgebaut:
Beispielsweise errichtet der Haushaltsgerätehersteller Haier hier für 2,8
Mrd. CNY eine Fabrikanlage mit 94 Hektar, in der rund 10.000 Beschäftigte
Klimaanlagen, Fernseher, Waschmaschinen etc. produzieren sollen.
Die Attraktivität des Standorts rührt nicht zuletzt daher, dass in Chongqing
die Produktionskosten wesentlich niedriger liegen als in den Industrieregionen der Ostküste. Gleichzeitig bietet Chongqing eine gut ausgebaute Infrastruktur sowie qualifizierte Arbeitskräfte. Auch die Voraussetzung für die
Ansiedlung beziehungsweise Entwicklung von Hightech-Industrien ist gut.
Dies liegt unter anderem daran, dass in Chongqing einige technologieintensive Rüstungsbetriebe ansässig sind; einige von ihnen haben inzwischen
auf zivile Produktion umgestellt.
Ein wichtiges Rückgrat der Industrieproduktion in Chongqing bilden die
bereits Anfang der neunziger Jahre gegründeten Entwicklungszonen Chongqing Economic Technology Development Zone und Chongqing High-Tech
Industry Development Zone.
In der 1990 gegründeten Chongqing Economic Technology Development Zone
(ETDZ), mit einer Fläche von 10 Quadratkilometern in 3 Kilometern Entfernung zum Stadtzentrum Chongqings gelegen, sind über 900 chinesische
und 300 ausländische Unternehmen ansässig. Schwerpunktbranchen sind
die Automobilindustrie, Telekommunikation, Biotechnologie, Medizintechnik und Lebensmittelindustrie. Die ETDZ legte auch die Basis für die Weiterentwicklung des tertiären Sektors durch die Ansiedlung von Unternehmen aus den Bereichen Finanzdienstleistungen, Handel und dem Hotelund Gaststättengewerbe.
Die Chongqing High-Tech Industry Development Zone (HTDZ) umfasst eine
Fläche von 20 Quadratkilometern und wurde 1991 mit dem Ziel gegründet,
insbesondere Hochtechnologie-Branchen zu fördern. An diesem Standort
haben sich inzwischen rund 4.000 Firmen niedergelassen. Der Fokus liegt
auf den Branchen IT und Telekommunikation, Software- und HardwareEntwicklung, Mess- und Regeltechnik, Photoelektronik und Elektromechanik, Pharma und Feinchemie.
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Studie
Chongqing ist eines der Zentren der chinesischen Automobilindustrie: Diese
Branche erwirtschaftet einen Anteil von 10% des Bruttoinlandsprodukts der
Provinz. Zur Wertschöpfung der Automobilindustrie Gesamtchinas trägt
Chongqing 6% bei. In der Stadtprovinz werden pro Jahr über 500.000
Autos und mehr als 90.000 Lastwagen produziert.
Zu den größten Automobilherstellern in Chongqing gehört die Changan
Ford Mazda Automobile Corporation. An diesem Joint Venture hält die
Chongqing Changan Automobile 50%, Ford 35% und Mazda 15%. Das
Gemeinschaftsunternehmen produziert und vertreibt die Ford-Modelle
Fiesta, Focus, Mondeo und S-max sowie den Mazda 2, Mazda 3 und den
Volvo S40. Außerdem ist Changan an einem Joint Venture mit Suzuki
beteiligt und produziert in Chongqing vier Modelle dieser Marke.
Gemeinsam mit der Fiat-Tochter Iveco hat die Shangai Automotive Industry
Corporation Group im Jahr 2006 in die Chongqing Heavy Vehicle Corporation investiert: Nun werden in Chongqing Iveco-Lkw hergestellt.
Eine starke Rolle spielt Chongqing bei der Produktion von Motorrädern:
Ein Drittel aller Motorräder, die China exportiert, stammt aus den Fabrikhallen Chongqings. Yamaha und Piaggo haben hier Joint Ventures mit chinesischen Unternehmen gegründet. Zu den wichtigsten Motorrad-Herstellern
in Chongqing zählen Chongqing Zongshen Motorcycle, die Jialing Group
und die Lifan Group. Letztere gilt als beispielhafte Erfolgsgeschichte für die
Entwicklung von Privatunternehmen. Seit ihrer Gründung 1992 entwickelte sich die Firma zu einem der größten chinesischen Motorradhersteller und
einem internationalen Konzern mit 12.000 Beschäftigten, der in über 100
Länder exportiert. Eigene Produktionsstätten außerhalb Chinas betreibt
Lifan in Vietnam, Thailand und der Türkei. 2005 ist Lifan erfolgreich in
die Autoproduktion eingestiegen.
Auch die Hochtechnologie-Branchen haben eine starke Stellung in der Stadt:
Beispielsweise ist die chinesische TCL Corporation hier aktiv, einer der
größten Hersteller von Unterhaltungselektronik weltweit. Ausländische
Unternehmen aus den Branchen IT und Telekommunikation wie beispielsweise UTStarcom, Hewlett Packard und Nokia sind ebenfalls in Chongqing
präsent.
Unternehmer-Karriere
Yin Mingshan, Gründer und
Geschäftsführer des LifanKonzerns, wurde während der
Kulturrevolution als Konterrevolutionär verurteilt und verbrachte
zwei Jahrzehnte im Arbeitslager.
Nach seiner Entlassung arbeitete
er in einem Buchverlag. 1992
gründete er mit sechs Geschäftspartnern, seiner Frau und
seinem Sohn mit einem Startkapital von 15.000 USD eine
Motorrad-Werkstatt. Dies war
die Keimzelle der Lifan-Gruppe.
Heute beschäftigt der Motorradund Autohersteller 12.000
Mitarbeiter und zählt zu den
größten Privatunternehmen
Chinas.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Unternehmen aus den Bereichen Energieerzeugung und Chemieindustrie
sind in Chongqing ebenfalls zahlreich vertreten. Große chinesische Firmen
sind hier zum Beispiel die China National Petroleum Corporation (CNPC),
SinoChem und SinoPEC. Als Beispiele für Unternehmen aus dem Ausland
lassen sich BP, ExxonMobil und BASF nennen.
Geht es nach den Plänen der Provinzregierung, so soll sich Chongqing zu
einem Zentrum für Umwelttechnologie entwickeln: So plant die Stadt Chongqing ein Kompetenzzentrum für Elektroautos und -zubehör, das Forschung
und Entwicklung sowie Fertigung umfasst. Mit Suntech Power ist in der
Provinz Chongqing im Bezirk Wanzhou ein bereits etabliertes GreentechUnternehmen ansässig. Suntech ist der drittgrößte Hersteller von Solarzellen weltweit und produziert vor allem für den Export.
Wirtschaftspolitische Schwerpunkte
Im Rahmen ihrer Go-West-Strategie räumt die chinesische Regierung der
Stadtprovinz Chongqing einen hohen Stellenwert ein. Die Chengdu-Chongqing Economic Zone ist eine von drei wichtigen Kernregionen, die in Westchina in der ökonomischen Entwicklung und bei der Zusammenarbeit
zwischen Provinzen und städtischen Agglomerationen eine Führungsrolle
übernehmen sollen. Einzelheiten über die Chengdu-Chongqing Economic
Zone werden in dem Text über Sichuan auf Seite 134 dargestellt.
2007 hat Chongqing den sogenannten "Ein Ring – Zwei Flügel"-Plan15)
veröffentlicht. Mit "Ring" ist die Zone gemeint, die im Radius von einer
Stunde Fahrzeit um das eigentliche Stadtzentrum liegt. Sie umfasst auf einer
Fläche von fast 29.000 Quadratkilometern 23 der insgesamt 40 Bezirke und
Kreise Chongqings und gilt als ökonomisches Kraftzentrum der Provinz:
Hier werden etwa 80% des Bruttoinlandsprodukts Chongqings erwirtschaftet. Innerhalb des Rings sind mehrere ambitionierte Projekte geplant: Ein
großer neuer Industriepark soll sich auf Dienstleistungsbranchen fokussieren. Für einen ähnlichen Park im Norden ist eine Konzentration auf den
Automobilbau, Elektronik und Pharma vorgesehen, für die Zone im Westen
ein Schwerpunkt auf Hightech, vor allem Mikroelektronik und die
Software-Entwicklung.
Weitere Industrieparks sollen an den Bahnlinien in die umliegenden Kommunen entstehen und sich unter anderem auf Erdgas, Petrochemie, Nahrungsmittel und Hightech fokussieren. Bis 2010 sollen allein in diese neuen
Industriezonen 1 Bill. CNY (rund 144 Mrd. USD) investiert werden.
15) "One-hour Economic Circle and the Two Wings"
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Studie
Die "Zwei Flügel" breiten sich von der Ringzone in den Nordosten und den
Südosten der Provinz Chongqing aus. Auf dem Gebiet des nordöstlichen
Flügels mit dem Bezirk Wangzhou als Zentrum erstreckt sich der DreiSchluchten-Stausee. Das Areal des Nordost-Flügels umfasst 11 Bezirke
und Kreise der Provinz. Der Fokus im nordöstlichen Flügel liegt auf Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Tourismus. Das Zentrum des südöstlichen
Flügels mit insgesamt sechs Bezirken und Kreisen ist der Bezirk Qianjiang.
In diesem Gebiet soll der Aufbau einer nachhaltigen Tourismuswirtschaft
eine wichtige Rolle spielen.
Duravit produziert Sanitärausstattung in Chongqing
Duravit beschäftigt als Designmarktführer unter den Bad-Ausstattern weltweit
5.000 Mitarbeiter und produziert Sanitärkeramik, Badmöbel sowie Wannenund Wellnessprodukte. Das 1817 im Schwarzwald gegründete Unternehmen
startete seine Aktivitäten in West-China 2003 mit einem Joint Venture und
wählte die Provinz Chongqing als Standort für die Duravit Chongqing Sanitaryware Co. Ltd. Zwei Jahre später erfolgte die offizielle Einweihung des neu
gebauten Produktions- und Verwaltungsgebäudes mit Sitz in Youxi-Town
(Jiangjin) in der Nähe von Chongqing, wo Duravit 20 Mio. USD investiert hat.
Heute ist das ehemalige Gemeinschaftsunternehmen eine 100-prozentige
Tochter und firmiert als Duravit Sanitaryware Co. Ltd.
Ausländische Direktinvestitionen
Die ausländischen Direktinvestitionen (ADI) nach Chongqing erreichten
2008 ein Volumen von 2,7 Mrd. USD. Damit rangiert Chongqing in Westchina auf dem zweiten Platz hinter Sichuan. Dabei hat sich der Zufluss
ausländischer Direktinvestitionen in den letzten Jahren rasant entwickelt:
Zwischen 2004 und 2008 ist das ADI-Volumen durchschnittlich um 41%
pro Jahr gewachsen. Über 1.500 ausländische Unternehmen waren im Jahr
2007 in der regierungsunmittelbaren Stadt registriert. Damit steht Chongqing bezüglich der Präsenz ausländischer Unternehmen auf dem fünften
Platz in China (nach Sichuan, Shaanxi, Guangxi und Yunnan). Gut möglich,
dass sich diese Reihenfolge demnächst verändert, denn die ausländischen
Direktinvestitionen haben von 2007 auf 2008 einen sehr großen Sprung
gemacht: Sie sind um den Faktor 2,4 gestiegen.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Immer mehr deutsche Unternehmen werden in Chongqing ansässig. Dazu
gehört der Badausstatter Duravit, der in der Metropole eine Produktionsstätte betreibt (siehe oben). Die Linde AG investierte zusammen mit einer
Tochter des chinesischen Chemiekonzerns Sinopec 50 Mio. EUR in ein
Gemeinschaftsunternehmen in Chongqing. Linde wird zunächst eine
Luftzerlegungsanlage bauen, die ab 2011 Sauerstoff für die Herstellung
der Basischemikalie VAM liefert.
Auch die BASF AG ist in der Region aktiv. Der Ludwigshafener Konzern
plant in Chongqing den Bau einer Fabrik für das Kunststoffvorprodukt MDI.
Mit einer geplanten Kapazität von 400.000 Tonnen soll damit die weltweit
größte Produktionsstätte für MDI entstehen.
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Studie
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
154
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Studie
Shaanxi
Mit einer Fläche von 190.000 Quadratkilometern ist Shaanxi die neuntgrößte Provinz Chinas. Ihre Lage in Zentralchina macht sie zu einem wichtigen Knotenpunkt des chinesischen Verkehrsnetzes.
Der größte Teil von Shaanxi liegt auf einer Höhe von 1.000 bis 2.000
Metern über dem Meeresspiegel. Deutlich tiefer – auf circa 400 Metern
über dem Meeresspiegel – zieht sich das dicht besiedelte Tal des Wei von
West nach Ost durch die Provinz. In dieser Guanzhong-Ebene ("Gebiet innerhalb der Pässe") leben zwei Drittel der 37,6 Millionen Einwohner von
Shaanxi. Der Gelbe Fluss bildet die Ostgrenze zur Nachbarprovinz Shanxi
und bahnt sich seinen Weg durch zahlreiche Täler und Schluchten. In den
äußersten Norden Shaanxis erstrecken sich die Ausläufer der Ordos-Wüste,
deren größter Teil auf dem Territorium der Inneren Mongolei liegt.
Das südlich der Provinzhauptstadt Xi'an verlaufende Qin-Ling-Gebirge ist
innerhalb der Provinz eine Klimascheide: Während die Gebiete im Norden
trocken-gemäßigt (340-600 Millimeter Niederschlag pro Jahr) und kälter
sind, ist der Süden um die Hanzhong-Ebene subtropisch-feucht (800-1.200
Millimeter Niederschlag pro Jahr) und etwas wärmer; die Vegetation
besteht aus Wäldern, Wiesen und Reisfeldern. An der Südgrenze Shaanxis
zu Sichuan befindet sich das Gebirge Dabashan. Sandstürme und Kältewellen sind dort keine Seltenheit. Insgesamt sind Winter und Frühjahr
die trockensten Perioden, in denen – selbst im feuchteren Süden –
Bewässerung in der Landwirtschaft erforderlich sein kann.
Die Einwohner der Provinz Shaanxi sind fast ausschließlich Han-Chinesen.
Die Region um Xi'an ist stellenweise sehr dicht besiedelt; hier liegt die Bevölkerungsdichte zwischen 800 und 1.000 Einwohnern pro Quadratkilometer. In der Hauptstadt leben etwa 8,4 Millionen Menschen. Der Norden
der Provinz ist eher ländlich geprägt und meist dünn besiedelt. 42% der
Provinzbevölkerung leben bereits in Städten, und es gibt einen starken
Trend zu einer weiteren Urbanisierung. Wie die meisten Westprovinzen
hat Shaanxi eine relativ junge Bevölkerung. Der Anteil der Altersgruppe
zwischen 15 und 64 Jahren liegt bei 73%.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Geschichte
Shaanxi ist eine Provinz, die bereits im Altertum eine bedeutende Rolle
gespielt hat: Im 11. Jahrhundert vor Christus gründete die Zhou-Dynastie
ihre Hauptstadt unweit des heutigen Xi’an am Wei-Fluss in der GuanzhongEbene. Nach der Einigung Chinas unter Qin Shi Huangdi ("Erster Kaiser")
221 vor Christus war Xi’an über 1.000 Jahre lang das Zentrum der politischen Macht in China. In der Ära der Tang-Dynastie (618-906) war die
Stadt eine der größten und wohlhabendsten Metropolen der Welt. Das
damalige Chang’an ("Ewiger Friede") lag am östlichen Ende der Seidenstraße, die China mit Europa verband, und war schon im 9. Jahrhundert
eine Millionenstadt und ein bedeutendes, multikulturelles Handelszentrum.
Das Ende der Tang-Dynastie war auch das Ende Xi’ans als Chinas Hauptstadt. Die Spuren der Geschichte sind in der Hauptstadt Shaanxis noch
heute allgegenwärtig: Die Sehenswürdigkeiten im historischen Zentrum –
die 14 Kilometer lange Stadtmauer, der Trommel- und Glockenturm, die
Große Moschee etc. – bringen zahlreiche Besucher aus China und aus
dem Ausland nach Shaanxi und machen den Tourismus zu einem wichtigen
Wirtschaftszweig der Provinz.
Umwelt
Die Verschmutzung der Umwelt ist in der gesamten Provinz ein schwerwiegendes Problem: Nach Schätzungen der Weltbank sind etwa 13 Millionen
Einwohner Shaanxis auf Wasser angewiesen, dessen Qualität als gesundheitsgefährdend eingestuft wird. Kläranlagen fehlen weitgehend; in die
Flüsse der Provinz werden nicht nur Haushaltsabwässer eingeleitet, sondern
auch in großem Umfang Industrieabwässer. In den letzten Jahren hat die
Regierung Maßnahmen für den Gewässerschutz ergriffen. So wurden seit
2005 mehrere Kläranlagen gebaut, einige Werke geschlossen und die
Kontrollen der Auflagen zu Gewässerreinhaltung verstärkt.
Dem Norden der Provinz setzt die Desertifikation immer stärker zu: Die
Ordos-Wüste ist auf dem Vormarsch und erobert Teile des Ackerlandes. Die
Bodenerosion verstärkt das Risiko von Überflutungen. Um die Desertifikation und Bodenerosion zu bekämpfen, wurde mit Aufforstungsmaßnahmen
begonnen. Bis 2010 soll eine Fläche von 1,5 Millionen Hektar aufgeforstet
werden. Der Anteil der Forstfläche am Territorium Shaanxis soll von 30%
(Stand 2005) auf 41% steigen.
Infrastruktur
Weil ein Großteil der Fläche Shaanxis gebirgig ist, gestaltete sich der Aufbau
der Verkehrsinfrastruktur schwierig. Dementsprechende Lücken hatte das
Straßen- und Schienennetz vor Beginn der Go-West-Strategie. In den letzten
Jahren versuchte die Regierung jedoch, diesen Schwachpunkt zu beheben
Seidenstraße
Bereits in der Antike war die
Seide eine begehrte Exportware:
Lange war die Seidenstraße der
einzige Handelsweg aus dem
Reich der Mitte ins Abendland.
Der Ausgangspunkt der Seidenstraße war die Stadt Chang’an,
das heutige Xi’an. Von dort führte
sie weiter nach Westen und teilte
sich auf dem Gebiet des heutigen Xinjiang in zwei Routen, die
nördlich und südlich des TarimBeckens verliefen und sich bei
Kashgar wieder vereinigten. Die
weitere Strecke der Seidenstraße
ging über den Karakorum-Pass
durch Persien nach Syrien.
156
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Studie
und baute bis 2007 etwa 80.000 Kilometer neue Straßenverbindungen,
davon 1.700 Kilometer Autobahnen/Schnellstraßen sowie 1.200 Kilometer
neue Schienenstrecken.
Im Bereich Straßenbau wurden in letzter Zeit wichtige Infrastrukturprojekte
fertig gestellt. So verlaufen zwei Achsen des nationalen Fernstraßenplans
("5 horizontal, 7 vertikal") (siehe Seite 63) durch Xi'an und schaffen über
Zhengzhou eine Anbindung an die Ostküste und über Lanzhou eine Verbindung nach Xinjiang. Über die Nord-Süd-Achse gibt es eine Verbindung von
Xi'an in die Innere Mongolei beziehungsweise über Chengdu nach Yunnan.
Das Ziel ist, die Fahrzeit in die Zentren der Nachbarprovinzen auf acht
Stunden zu verringern. Entsprechende Schnellstraßen sind bereits in Bau.
Auf einer Bahn-Hochgeschwindigkeitstrasse sollen Passagiere künftig die
Strecke von Xi'an nach Zhengzhou (Henan) zurücklegen. Die Arbeiten an
der 460 Kilometer langen Trasse wurden bereits begonnen. Eine Neubaustrecke zwischen Taiyuan (Shanxi) und Zhongwei (Ningxia) wird den Norden der Provinz Shaanxi in Richtung Westen mit Ürümqi verbinden und
nach Osten für eine Anbindung an das ostchinesische Schienennetz sorgen.
Vor kurzem wurde die 270 Kilometer lange Strecke von Shenmu in NordShaanxi nach Shuozhou (Shanxi) elektrifiziert; sie verbindet die Kohlefelder
im Norden Shaanxis mit den Häfen an der Ostküste. Außerdem wird derzeit
an einer 300 Kilometer langen Trasse von Xi'an nach Pingliang (Gansu)
gebaut.
Shaanxi hat einen internationalen und vier Inlandsflughäfen; drei weitere
sollen bis 2020 neu gebaut werden. Das Flug- und Passagieraufkommen
ist zwischen 2000 und 2008 mit durchschnittlich 13% beziehungsweise
16% pro Jahr stark gewachsen. Pro Woche starten etwa 240 Flüge von Xi'an
nach Peking. Der mit 11,3 Millionen Passagieren pro Jahr (Stand 2007)
größte Flughafen Nordwestchinas soll bis 2011 auf eine Passagierkapazität
von 26 Millionen Passagieren ausgebaut werden.
Bis 2010 ist eine Erweiterung der elektrischen Netzleitungskapazität
zum Ausbau des Energieexports vorgesehen. Hierbei sind insbesondere
die Verbindungen aus der Guanzhong-Ebene in die Küstenprovinz Jiangsu
sowie aus dem nördlichen Shaanxi in den Nordteil Jiangsus für die Versorgung der Ostküste relevant; diese Trassen sind Bestandteil des gesamtchinesischen Netzplans 2020. Auch innerhalb der Provinz soll das Elektrizitätsnetz erweitert werden, um die Energieversorgung der Unternehmen
sicherzustellen. Hier war es in der Vergangenheit zu Engpässen
gekommen.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Wegen der umfangreichen Vorkommen von Energieressourcen und ihrer
zentralen Lage spielt die Provinz Shaanxi eine wichtige Rolle im chinesischen Netz der Gaspipelines. Von und durch Shaanxi verlaufen mehrere
Gaspipelines nach Peking, Tianjin und Shangai. Auch die Trasse der WestOst-Gaspipelines (siehe Seite 68) führt von Xinjiang über Shaanxi nach
Shanghai.
Einkommen und Konsumverhalten
Die Kaufkraft liegt in den städtischen Regionen Shaanxis mit rund 9.300
CNY (circa 1.220 USD) pro Kopf und Jahr im Mittelfeld unter den Westprovinzen (9.500 CNY, Stand 2007). Die ländliche Bevölkerung kommt nur
auf ein verfügbares Einkommen von circa 2.300 CNY (circa 300 USD). Im
Vergleich zu den weiter entwickelten Küstenprovinzen liegt sie weit zurück
– vor allem bei der ländlichen Bevölkerung, deren durchschnittliche Kaufkraft nur die Hälfte des Niveaus der östlichen Provinzen erreicht.
Das Konsumniveau ist daher noch relativ niedrig; dies spiegelt sich unter
anderem an der im Vergleich mit Ostchina niedrigen Penetration der städtischen Haushalte mit Wohlstandsgütern wie Computer, Klimaanlagen und
Pkw wider. Im Vergleich unter den westchinesischen Provinzen ist die
Anzahl der Klimaanlagen weit überdurchschnittlich (100 pro 100 städtische
Haushalte vs. 42), die der Computer ebenfalls überdurchschnittlich (56 vs.
44); dagegen fällt die Pkw-Dichte mit 4,5 Autos pro 100 städtische Haushalte etwas niedriger aus als im West-Durchschnitt (5,7).
Bildung und Forschung
Shaanxi ist ein Zentrum von Forschung und Wissenschaft in Westchina. Die
Provinz hat allein 66 Universitäten und belegt damit Platz eins unter den
Westprovinzen. Nach der Relation von Hochschulen zur Einwohnerzahl
belegt Shaanxi mit 1,7 Universitäten auf eine Million Einwohner den dritten Rang im Westen. In der Provinz schließen mit 6 Absolventen pro 1.000
Einwohner jährlich die meisten Personen in den Westprovinzen ein Studium ab – ein Wert, der doppelt so hoch ist wie im Schnitt der Westprovinzen (2,8) und fast an den Shanghais (6,8) heranreicht. Dementsprechend
hoch ist der Anteil von Akademikern an der Bevölkerung: Er liegt bei 8%,
der West-Durchschnitt dagegen nur bei 5%.
Xi'an gilt mit 43 Universitäten und Fachhochschulen – sowie mit 400 ITund Softwareunternehmen – als einer der wichtigsten Forschungs- und
Entwicklungsstandorte in Westchina und hat im Provinzvergleich besonders
viele Hochschulabsolventen vorzuweisen: Das Verhältnis zwischen UniAbsolventen und Bevölkerung der Hauptstadt liegt bei 19 zu 1.000 Einwohnern im Jahr – diese Relation ist nicht nur der Spitzenwert unter den westchinesischen Städten, sondern übertrifft auch Shanghai – dort liegt das
Verhältnis bei 6,8 Absolventen zu 1000 Einwohnern im Jahr.
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Studie
In der Zahl der angemeldeten Patente als Indikator für die Forschungsleistung der Provinz liegt Shaanxi mit knapp 4.500 im Jahr 2007 in der Spitzengruppe der Westprovinzen und mit 117 Patenten pro 1 Million Einwohner auch deutlich über dem Schnitt der Westprovinzen.
Die hohe Bedeutung von Wissenschaft und Forschung schlägt sich auch in
den Bildungsinvestitionen nieder, die 2007 mit fast 11 Mrd. CNY (rund 1,4
Mrd. USD) 19% der in den Westprovinzen für Bildung investierten Summe
ausmachen. Nur die wesentlich größere Provinz Sichuan hat absolut mehr
in Bildung investiert. Pro 1.000 Einwohner liegt Shaanxi bei den Bildungsinvestitionen mit 286.000 CNY an der Spitze der Westprovinzen und auch
deutlich über dem Schnitt der östlichen Provinzen (193.000 CNY).
Natürliche Ressourcen und Rohstoffe
Shaanxi verfügt über große Vorkommen an Energieressourcen, die vor allem
im Nordteil der Provinz liegen: Das Kohlevorkommen wird auf 163 Mrd.
Tonnen geschätzt, damit hat Shaanxi die drittgrößten Kohlereserven in
China nach Xinjiang und der Inneren Mongolei. Das Ölvorkommen in
Shaanxi beläuft sich auf 1,1 Mrd. Tonnen, das Erdgasvorkommen auf
588 Mrd. Kubikmeter. Die Entwicklung des Energiesektors, insbesondere
der "North Shaanxi energy and chemical base", ist ein integraler Teil der
Wachstumsstrategie der Provinz.
Wirtschaftsleistung
Shaanxi profitierte als eines der wichtigsten Wachstumszentren Westchinas
überproportional von der Go-West-Strategie. Das Bruttoinlandsprodukt
belief sich 2008 auf 685 Mrd. CNY (rund 99 Mrd. USD), davon wurde ein
Drittel in der Hauptstadt Xi'an erwirtschaftet. Das BIP der Provinz Shaanxi
entspricht einem Anteil von 2,3% an der gesamtchinesischen Wirtschaftsleistung, damit liegt Shaanxi hinter Sichuan (180 Mrd. USD; 4,2%) und etwa
gleichauf mit der Inneren Mongolei und Guangxi. 2008 betrug das Wirtschaftswachstum der Provinz Shaanxi 16%; zwischen 2004 und 2008
erreichte das durchschnittliche jährliche Wachstum 15% und kam so über
den westchinesischen Fünfjahresschnitt von 14% und übertraf damit bei
Weitem die jährliche durchschnittlichen Wachstumsrate Gesamtchinas
von 9,1%. Unter den Westprovinzen wuchs mit 18% pro Jahr nur die
Innere Mongolei noch schneller.
Wirtschaftsstruktur
Der primäre Sektor hat mit einem Anteil von 11% am Bruttoinlandsprodukt
von Shaanxi einen geringeren Stellenwert als in vielen anderen Westprovinzen (durchschnittlich 16%). Den größten Beitrag zum BIP der Provinz
liefert der sekundäre Sektor mit 52%. Hier gibt es deutlich dominierende
Yan'an
Etwa 250 Kilometer nördlich von
Xi'an befindet sich Yan’an, ein
legendärer Ort in der Geschichte
der Kommunistischen Partei
Chinas (KPCh): Hier richteten
die Überlebenden des Langen
Marsches 1936 das neue Hauptquartier der KPCh ein. Von Yan'an
aus organisierten Mao und die
Führungskader der Partei den
bewaffneten Kampf gegen die
Guomindang-Regierung, der
1949 mit dem Sieg der kommunistischen Volksbefreiungsarmee
und der Gründung der Volksrepublik China endete.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Branchen: Der Bergbau erwirtschaftet 19% des Provinz-BIP, das produzierende Gewerbe 22%. Innerhalb des produzierenden Gewerbes spielen
insbesondere der Bausektor (8%), die Energieerzeugung und -versorgung
(3%), die petrochemische Industrie (3%) und der Sektor Transportausrüstung (Luftfahrt, Automotive) (3%) eine bedeutende Rolle. Der BIP-Anteil
des tertiären Sektors liegt bei 33%. Hier dominieren mit einem Anteil von
jeweils 7% am Provinz-BIP die Branchen Transport und Logistik sowie
Groß- und Einzelhandel.
Einige Branchen in Shaanxi haben große Relevanz für die Wirtschaft Chinas:
Der Bergbau der Provinz erwirtschaftet einen Anteil von 8% der gesamtchinesischen Produktion in diesem Wirtschaftszweig und liegt damit auf Platz
eins unter den Westprovinzen. Die wachsende Bedeutung der petrochemischen Industrie in Shaanxi zeigt sich an einem Wertschöpfungsanteil von
5% des gesamtchinesischen Outputs dieser Branche; hier ist Shaanxi unter
den westlichen Provinzen ebenfalls die Nummer eins. Shaanxis Pharmasektor liegt mit 3% des chinesischen BIP in diesem Sektor hinter Sichuan auf
Rang zwei der Westprovinzen. Der Transportsektor (Flugzeugbau, Automobil) nimmt den dritten Platz nach Sichuan und Chongqing (3%) ein.
Warenhandel mit dem Ausland
Der Außenhandel Shaanxis verzeichnet in den letzten zehn Jahren einen
starken Aufwärtstrend. Das Export-Volumen lag 2008 bei 6,8 Mrd. USD,
das entspricht einem Wachstum von 28% gegenüber dem Vorjahr. Das
Volumen der Importe betrug 3,7 Mrd. USD, das bedeutet ein Plus von 27%
im Vergleich zu 2007. Damit hat sich die Handelsbilanz verbessert. Mit
einem Anteil von 77% am Handelsvolumen ist die Provinzhauptstadt Xi'an
das Schwergewicht des Außenhandels in Shaanxi, weitere Zentren sind die
Städte Baoji (12%) und Xianyang (6%). Die mit Abstand größten Handelspartner waren 2006 die Europäische Union (29%), die USA (17%),
Japan (9%) und Indien (8%).
Die wichtigsten Exportgüter sind elektromechanische Erzeugnisse (37%),
Mineralien und Erze (23%), Agrarprodukte (10%), Textilien (8%) und Hightech-Produkte (5%). Auf diese Produktgruppen entfielen 2006 mehr als
vier Fünftel des Gesamtvolumens aller Ausfuhren der Provinz Shaanxi.
Kernindustrien, Cluster
Der Guanzhong-Tianshui-Städtecluster mit den Städten Xi'an, Xianyang,
Baoji, Weinan in der Guanzhong-Flussebene wurde von der chinesischen
Zentralregierung als eine der drei Kernentwicklungszonen (siehe Seite 56)
im Westen definiert. Diese Kernentwicklungszone ist provinzübergreifend:
Die Stadt Thianshui liegt in der Nachbarprovinz Gansu. Zu den Plänen für
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Studie
diese Kernentwicklungszone gehört eine Förderung der Urbanisierung;
dabei ist vorgesehen, dass die Städte Xi'an und Xianyang zusammenwachsen sollen. Aufgrund der starken Präsenz von Universitäten und anderen
wissenschaftlichen Institutionen ist diese Kernentwicklungszone ein
Schwerpunkt für Forschung und Entwicklung. Dies wiederum erweist
sich als attraktiver Standortfaktor für technologieintensive Branchen wie
den Flugzeug- und Automobilbau, die optische Industrie, Optik, IT/Software sowie das Business Process Outsourcing16).
Shaanxi hat fünf Hightech- und Wirtschaftsentwicklungszonen (Xi'an,
Bao'ji, Yangling, Weinan, Xianyang). Die Xi'an High-Tech Industrial Development Zone ist eine der erfolgreichsten Chinas und beherbergt circa
1.300 chinesische und 900 ausländische Unternehmen.
In Shaanxi befindet sich Chinas führender Cluster für Flugzeugbau: Der Xian
Yangliang Aviation Park, etwa 50 Kilometer nordöstlich von Xi'an gelegen,
ist ein nationales Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Hier haben sich Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen sowie Unternehmen angesiedelt,
darunter mehrere große Flugzeughersteller, Hochschulen sowie mehrere
Forschungsinstitute.
Der Bereich Luft- und Raumfahrt ist noch an weiteren Standorten in Shaanxi
präsent: Xi'an ist der Sitz einiger chinesischer Raumfahrtunternehmen. In
der Provinz sind viele große Namen der chinesischen Luftfahrtindustrie
zuhause: Xian Aircraft Industry Group, Shaanxi Aircraft und Hanzhong
Aircraft stellen Komponenten, Transport-, Kurzstreckenpassagier- und
Militärflugzeuge sowie einen Regionaljet her. Xian Aero Engine Group ist
das größte chinesische Outsourcing-Unternehmen für Luftfahrtmotoren
(2007). Joint Ventures von Xian Aero Engine mit Rolls-Royce und Pratt &
Whitney produzieren Komponenten für mehrere amerikanische und
europäische Flugzeughersteller.
Weitere Schwerpunktbranchen der Provinz Shaanxi sind der Maschinenbau
und der Fahrzeugbau: Die Shaanxi Automotive Group (Offroad-Fahrzeugund Lkw-Herstellung) hat mit anderen Unternehmen der Branche eine
"Engineering Academy" für Aus- und Weiterbildung sowie für Forschungund Entwicklung gegründet. Die Shaanxi Automotive Group kooperiert mit
der deutschen MAN Gruppe; außerdem ist das Automobilunternehmen ein
Joint Venture mit Cummins (USA) zur Motorenherstellung eingegangen.
Shaanxi Fast Gear ist Chinas größter Getriebehersteller und betreibt mit
Easton aus den USA ein Joint Venture.
16) Beim Business Process Outsourcing (BPO) werden einzelne Geschäftsprozesse (zum Beispiel
Buchhaltung, Personalverwaltung, Teile der Forschung und Entwicklung) einem externen Dienstleistungsunternehmen übertragen.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
BYD Auto aus Guangdong hat in Xi'an eines der weltgrößten Werke für
Akkumulatoren und stellt über seine Tochter SinoMOS Hybrid-Elektrofahrzeuge her. Im Maschinenbau sind einige ausländische Unternehmen aktiv,
darunter auch deutsche Firmen: Bosch, Siemens, Metso, ABB, Schneider.
Shaanxi ist inzwischen auch die Heimat zahlreicher chinesischer und ausländischer Unternehmen aus dem Hightech-Sektor: Datang Telecom, Zhongxing Telecom (ZTE), IRICO (Elektronik) sowie Xi'an Janssen Pharma (eine
Tochter von Johnsson & Johnsson), Infineon und Qimonda, Applied Materials, Honeywell, Hewlett-Packard und International Rectifier. Die meisten
dieser Unternehmen haben sich in den Hightech- und Wirtschaftsentwicklungszonen angesiedelt, wo sie Produktionsstätten sowie Forschungsund Entwicklungseinrichtungen betreiben.
Während der Süden das regionale Zentrum der metallverarbeitenden Industrie darstellt, ist der Norden Shaanxis mit seinen Kohle-, Gas- und Ölreserven stark von der Energie- und Chemiebranche geprägt. Hier haben sich viele
chinesische Energiekonzerne angesiedelt, darunter Shaanxi Coal Chemical,
Shenhua Energy Group, Petrol China, Shaanxi Yanchang Petrol, China
Natural Gas. Auch ausländische Unternehmen sind hier präsent: Anglo
American, Shell, Messer, British Petrol, Dow Chemical und Genesis Energy.
Im Moment bauen viele Öl- und Chemieunternehmen in der Region um
die Städte Yulin, Shenmu, Fugu Coal-to-Petrol-Anlagen 17); aktiv in diesem
Bereich sind derzeit die Shaanxi Coal Chemical Group (Methanol, Butanediol), Shenhua Energy Group (Coal-to-Oil), Anglo American (Coal-to-Chemicals), Sino Biopharmaceutical (Coal-to-Olefin), Dow Chemical and Shenua
Energy (Coal-to-Chemicals) sowie Sasol (Südafrika, Coal-to-Liquid). Weiterhin baut China United Coalbed Methane mit Longmen Hui Cheng Investment in Hancheng Anlagen zur Methangasextraktion aus Kohlegruben.
Die Ölförderung ist ebenfalls ein wichtiger Faktor in Shaanxis Wirtschaft:
Die Shaanxi Yangchong Petroleum Group – das Unternehmen in seiner
heutigen Form entstand 2003 im Zuge der Verstaatlichung des Ölsektors
der Provinz und ist heute der viertgrößte Ölkonzern Chinas – förderte 2007
8,3 Mio. Tonnen Rohöl und plant für 2010 eine Ausweitung auf 12 Mio.
Tonnen. 2009 stellte es eine neue Großraffinerie für verschiedene Chemiekalien und Treibstoffe fertig, und 2010 soll eine neue Methanol-Raffinerie
in Betrieb gehen. Genesis Energy investiert momentan in neue Förderkapazitäten im Xunyi-Ölfeld.
Für die Erdgas-Förderung sind vor allem die Gasfelder im Ordos-Becken
relevant – eines der wichtigsten Fördergebiete für PetroChina. Royal Dutch
Shell fördert hier seit 2007 im Rahmen eines Joint Venture für PetroChina
im Changbei-Feld.
17) Chemisches Verfahren zur Kohleverflüssigung, um Erdöl als Ausgangsstoff für die Petrochemie
zu ersetzen.
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Studie
Shaanxi ist ein Netto-Exporteuer von Elektrizität. Der unabhängige chinesische Elektrizitätskonzern Huaneng Enterprises ist einer der wichtigsten
Investoren und baut derzeit ganz im Norden der Provinz den Fugu-Qingshuichuan-(Kohle)-Kraftwerkskomplex auf. Im Süden Shaanxis gibt es an
den Flüssen Hanjiang, Xihe and Shuhe mehrere Wasserkraftwerke. Ein
isländisches Konsortium hat in Geothermiekraftwerke investiert.
In der landwirtschaftlichen Produktion der Provinz ist der Schwerpunkt der
Anbau von Getreide, Gemüse und Obst. Vor allem der Apfelanbau wurde in
den letzten Jahren stark gefördert: Auf einer Fläche von 426.000 Hektar
wachsen 40% der chinesischen Apfelernte. Im Kontext der Landwirtschaft
wird in der Provinz Shaanxi auch in der Gentechnik geforscht: Eine wichtige Institution ist hier die Universität Yangling. Einen engen Bezug zur
Landwirtschaft hat auch das Produktportfolio der chemischen Industrie,
die viele Agrarchemikalien herstellt.
Wirtschaftspolitische Schwerpunkte
Für die wirtschaftliche Weiterentwicklung der Provinz setzt die Regierung
primär auf hochtechnologie- und exportorientierte Branchen. Dabei sollen
einige Wirtschaftszweige innerhalb der Hightech-Zonen besonders gefördert
werden. Dazu gehört beispielsweise die pharmazeutische Industrie oder
der Maschinen- und Anlagenbau, dessen Produktivität erhöht werden soll.
Das besondere Augenmerk der Regierung gilt der Armutsbekämpfung,
vor allem im ländlichen Raum. Zu den geplanten Maßnahmen zählen die
Umsiedlung von Bauern aus Gegenden mit wenig fruchtbaren Böden in
stadtnahe Gebiete sowie die Ansiedlung von (Spezial-/Nischen-)Agrarbetrieben für den Export.
Ausländische Direktinvestitionen
Shaanxi empfing zwischen 2004 und 2008 im Durchschnitt 13% aller
ausländischen Direktinvestitionen, die in diesem Zeitraum nach Westchinas
geflossen sind. Damit belegt die Provinz nach Sichuan, Chongqing und der
Inneren Mongolei den vierten Platz. 2008 lag der Anteil an den ausländischen Direktinvestitionen (ADI) in den Westprovinzen bei 11% (1,4 Mrd.
USD). Die durchschnittliche jährliche ADI-Wachstumsrate in Shaanxi
betrug 27% in den Jahren von 2004 bis 2008. Dieser Wert liegt unterhalb
des West-Durchschnitts von 35% – allerdings ist dies auch auf das bereits
relativ hohe Ausgangsniveau Shaanxis zurückzuführen. Innerhalb der
Provinz hatte Xi'an die höchste Anziehungskraft für ausländische Direktinvestitionen – mit einer durchschnittliche jährlichen ADI-Wachstumsrate
von 43% überholte die Hauptstadt ganz klar alle anderen Standort Shaanxis.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Dies ist ein Hinweis, dass die besondere Förderung der Region Xi'anXianyang im Rahmen der Vorgaben für die Kernentwicklungszone des
Guanzhong-Tianshui-Cluster greifbare Ergebnisse zeigt.
2007 flossen in Shaanxi rund 49% der ausländischen Direktinvestitionen
(613 Mio. USD) in die produzierende Industrie, etwa 31% (390 Mio. USD)
in den Immobiliensektor der Provinz. Weit abgeschlagen folgten mit einem
Anteil von je circa 4% die Branchen Energiewirtschaft und Gas-/Wasserversorgung sowie Hotel- und Gaststättengewerbe.
Von den derzeit 34 in Shaanxi in der Datenbank der Deutschen Handelskammer gelisteten Unternehmen aus Deutschland haben sich die meisten
in der Region Xi'an und einige wenige im nahe gelegenen Baoji angesiedelt,
das ebenfalls im Guanzhong-Tianshui-Cluster liegt. Der Großteil der deutschen Firmen kommt aus den Branchen Maschinenbau und Elektronik/Software/IT, darunter sind Unternehmen wie Infineon, Siemens und Thyssenkrupp. Zulieferbetriebe der Branchen Automobil und Luftfahrt sind ebenfalls
in Shaanxi vertreten, zum Beispiel Schaeffler, Bosch und Messer Gas. Deutsche Firmen sind außerdem in den Branchen Einzelhandel, Chemie, Baumaterialien und Logistik präsent, beispielsweise Metro, Kühne & Nagel, Heidelberg). Fraport hält einen fast 25-prozentigen Anteil am Flughafen Xianyang.
Fraport AG beteiligt sich am Flughafen Xi'an
Als erster ausländischer Flughafenbetreiber hat sich die Fraport AG an einem
nicht börsenorientierten Airport in China beteiligt: Das deutsche Unternehmen
hält 24,5% der Anteile an einem Joint Venture mit der China West Airport
Group, das künftig den Flughafen von Xi'an in der Provinz Shaanxi betreiben
soll. Der internationale Airport der Provinzhauptstadt von Shaanxi kann eine
beachtliche Entwicklung vorweisen: Der Flughafen der alten Kaiserstadt mit
der weltberühmten Terrakotta-Armee hat im ersten Halbjahr 2009 7 Millionen
Passagiere abgefertigt. Das entspricht im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum einer Steigerung von 30%. Auch künftig verspricht der mit einer
Entfernung zum Stadtzentrum von 27 Kilometer gut positionierte Airport ein
hohes Passieraufkommen: In seinem Einzugsgebiet leben 40 Millionen
Menschen.
US-amerikanische Unternehmen sind in Shaanxi ebenfalls zahlreich vertreten. Sie verteilen sich auf die Branchen Lebensmittel- und Getränkeherstellung (Pepsi), Einzelhandel (Wal-Mart), Elektronik/Software/IT (Oracle,
EMC, Hewlett Packard, International Rectifier, Honeywell), Energie und
Chemie (Dow Chemical, Applied Material), Bergbau (Anglo American)
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Studie
sowie Transportausrüstung und Maschinenbau (Pratt & Whitney, Cooper
Electric). Weitere ausländische Konzerne, die sich in Shaanxi angesiedelt
haben, kommen aus Australien, Finnland, Frankreich (Carrefour), den
Niederlanden (Shell) und der Schweiz (ABB).
Politisches Umfeld für Investoren
Die Regierung von Shaanxi zeigt sich für ausländische Investitionen in den
meisten Kernindustrien der Provinz sehr aufgeschlossen. Ziel ist es, bestehende Industrien zu modernisieren sowie neue technologieintensive Branchen anzusiedeln. Die 13 Schwerpunktbranchen im "Catalogue of competitive industries for Foreign Investment in Shaanxi" decken sich mit denen
des nationalen Entwicklungsplans für Zentral- und Westchina (siehe Seite
55ff.). Hervorgehoben werden in der Provinz jedoch die Bereiche Verkehrsinfrastruktur und städtische Versorgung, Verarbeitung fossiler und anderer
nicht-erneuerbarer Rohstoffe, Nischen-/Spezialprodukte und -techniken in
der Landwirtschaft, Modernisierung von Staatsbetrieben in der verarbeitenden Industrie, Tourismusentwicklung und die Ansiedlung neuer Branchen
wie Agrartechnologie, Materialtechnik, Biotech oder energieeffiziente
Technologien.
Tendenziell geht es also um jene Bereiche, die zum Technologietransfer und
zur Schaffung hochqualifizierter Beschäftigung beiträgt. Die Ausbeutung
natürlicher Ressourcen durch ausländische Unternehmen ist deshalb nur
in Verbindung mit technologieintensiven Anwendungen erwünscht.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
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Studie
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
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Studie
Xinjiang
Die Autonome Region Xinjiang ist die größte Provinz Chinas: Ihre Fläche von
1,6 Mio. Quadratkilometern entspricht einem Sechstel des gesamten chinesischen Territoriums. Die Autonome Region Xinjiang hat eine gemeinsame
Grenze mit acht Staaten: Mongolei, Russland, Kasachstan, Kirgisistan,
Tadschikistan, Pakistan und Indien.
Xinjiang ist von Gebirgen umgeben – vom Altai im Norden, vom Pamir im
Westen, der Kunlun Shan im Süden und der Altun Shan im Südosten. Manche Gipfel dieser Bergketten sind mehr als 7.000 Meter hoch. Der Gebirgszug Tian Shan ("Himmelsgebirge") zieht sich auf einer Länge von 2.500
Kilometern quer durch Xinjiang und teilt dabei die Provinz in zwei große
Beckenlandschaften: das Junggar-Becken im Norden und das Tarim-Becken
im Süden. Hier liegt die Wüste Taklamakan, mit einer Ausdehnung von
300.000 Quadratkilometern die zweitgrößte Sandwüste der Welt. Xinjiang
gehört zu den trockensten Provinzen Chinas, was in der Landwirtschaft
großflächige Bewässerung erforderlich macht.
In Xinjiang leben 21,3 Millionen Menschen, davon etwa zwei Drittel in
ländlichen Gebieten. Aufgrund der geografischen Bedingungen – die Landschaft Xinjiangs besteht größtenteils aus Wüsten und Bergen – ist die
Besiedelungsdichte eher gering.
In Ürümqi ("Schöne Weiden"), seit dem 19. Jahrhundert die Hauptstadt der
Provinz, leben 2,4 Millionen Einwohner, davon sind 75% Han-Chinesen 18).
Das sehr trockene Klima (etwa 270 Millimeter Niederschlag pro Jahr) ist
kontinental geprägt: Die Sommer sind sehr heiß, die Winter dagegen extrem
kalt. Das Thermometer fällt dann auf bis zu minus 30° C.
Geschichte
Vor 2.000 Jahren war Xinjiang ein Knotenpunkt des Weltwirtschaft und
Chinas Tor nach Zentralasien und Europa: Die beiden Routen der Seidenstraße waren die Transportwege für den Warenverkehr aus China in das
Römische Reich. Im 18. Jahrhundert eroberten chinesische Truppen das
Gebiet Xinjiangs. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde Xinjiang
zwar offiziell von chinesischen Militärgouverneuren regiert, tatsächlich
war es jedoch seit den zwanziger Jahren sowjetisches Einflussgebiet und
war von 1934 bis 1941 ein Satellitenstaat der UdSSR. Die chinesischen
Kommunisten besetzten Xinjiang 1949; damit war die Region wieder Teil
des chinesischen Herrschaftsgebiets. 1955 wurde die Autonome Region
Xinjiang gegründet.
18) Dieser Wert liegt erheblich über dem Durchschnitt der Gesamtprovinz von 41%.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Exkurs: Ethnische Konflikte in Xinjiang
Xinjiang war seit jeher eine multiethnische Region, die einerseits durch
verschiedene Kulturen geprägt wurde und andererseits den Herrschaftsansprüchen unterschiedlicher Mächte ausgesetzt war. Von den 21,3 Millionen
Einwohnern Xinjiangs stellen die vor allem im Nord- und Ostteil der Provinz
lebenden Han-Chinesen einen Anteil von 40%19). Der Bevölkerungsanteil der
Uiguren liegt bei 47%; außerdem sind in Xinjiang Kasachen (5%) sowie Usbeken, Tadschiken und Angehörige anderer zentralasiatischer Völker ansässig.
Die unterschiedlichen kulturellen und ökonomischen Bedürfnisse dieser Gruppen und die Autonomiebestrebungen der turksprachigen Ethnien stellen bereits
seit Gründung der Volksrepublik China ein Konfliktpotenzial dar: Schon in den
fünfziger Jahren gab es Aufstände. Die Repressalien und die harte Assimilierungspolitik der chinesischen Zentralregierung während der Kulturrevolution
empfanden die Angehörigen der ethnischen Minderheiten als Ausdruck einer
aggressiven Fremdherrschaft. Zwar wurden die Spielräume zum Ausleben der
eigenen kulturellen Identität nach dem Ende der Kulturrevolution wieder größer,
die grundlegenden Probleme sind jedoch geblieben: Aus der Sicht der nationalen Minderheiten, vor allem der Uiguren, besetzen die Han-Chinesen die
Schlüsselstellungen in Politik und Wirtschaft.
Auf dem Nährboden dieser latenten Unzufriedenheit kam es in den neunziger
Jahren immer wieder zu militanten Aktionen uigurischer Separatisten. Im
Gegen-zug verschärfte die chinesische Regierung ihre Gangart gegen jegliche
Form von politischen Meinungsäußerungen, die mehr Rechte für nationale
Minderheiten fordern.
Eine Reihe von Zwischenfällen im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 diente
der chinesischen Regierung als Begründung, gegen die uigurische Bevölkerung
vorzugehen. Amnesty International klagt über massive Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang, darunter willkürliche Verhaftungen, Misshandlungen und das
Verschwindenlassen uigurischer Aktivisten. Auch die Religionsfreiheit der meist
moslemischen Uiguren sei nicht gewährleistet.
Im Juli 2009 eskalierte die Situation, als bei einer Demonstration in Ürümqi
187 Menschen getötet und über 1.600 Personen verhaftet wurden.
Umwelt
Desertifikation und Bodenerosion sind gravierende Umweltprobleme in
Xinjiang: Weite Teile der Provinz (750.000 Quadratkilometer) sind Wüste,
und jedes Jahr wird die Fläche um 100 Quadratkilometer größer.
19) Der Anteil der Han-Chinesen an der Bevölkerung Xinjiangs hat sich in den letzten Jahrzehnten
erheblich vergrößert: 1949 lag er noch bei 5%.
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Studie
Die Desertifikation betrifft fast alle Bezirke und Städte Xinjiangs und verschärft die Wasserknappheit und die Degradation (vor allem Versalzung) des
Bodens. Um die Desertifikation und die weitere Bodenerosion aufzuhalten,
wurde mit Aufforstungsarbeiten begonnen: Zum Beispiel wurde ein Baumgürtel entlang der Schnellstraße durch die Wüste Taklimakan gepflanzt,
um die Fahrbahn vor Verwehungen zu schützen. Ein weiteres Aufforstungsprojekt sieht die Anpflanzung von Bäumen an den Hängen des TianshanGebirges vor.
Aufgrund des extrem trockenen Klimas ist der landwirtschaftliche Anbau
nur durch extensive Bewässerung möglich – mit entsprechenden Belastungen für den Wasserhaushalt Xinjiangs. Um einer weiteren Verschärfung
der Trinkwasserknappheit entgegenzuwirken, wurde in den letzten Jahren
erheblich in den Ausbau effizienter Bewässerungssysteme investiert: So
wurde in den Regionen Turpan und Shihezis die Kanalbewässerung zunehmend auf Tröpfchenbewässerung umgestellt, die zwei Drittel weniger
Wasser verbraucht.
Ein anderes schwer wiegendes Umweltproblem in Xinjiang ist die Luftverschmutzung, vor allem in den Kohleabbaugebieten. Wie auch anderswo in
China setzen unterirdische Kohlebrände riesige Mengen an CO 2 frei. Die
meisten dieser Kohlenbrände schwelen in Xinjiang. In Ürümqi ist die Luftverschmutzung ebenfalls gravierend, denn die Lage inmitten von Bergen
verschärft die Situation. Die Bewohner und Besucher der Hauptstadt leiden
unter dem Smog, der vor allem im Winter so dicht sein kann, dass der
Flughafen gesperrt werden muss. Inzwischen hat die Regierung einige
Maßnahmen ergriffen, um die Luftverschmutzung zu bekämpfen, etwa
den Einbau von Filtern in Kraftwerke und Industrieanlagen sowie die
Verlegung von Fabriken.
Einkommen und Konsumverhalten
Die Kaufkraft ist mit circa 8.900 CNY (rund 1.200 USD) pro Kopf und Jahr
in den urbanen Regionen Xinjiangs eher gering; selbst im Vergleich unter
den Westprovinzen liegt sie am unteren Ende der Skala. Wie überall in
Westchina ist auch in Xinjiang der Unterschied zwischen Stadt und Land
dramatisch: Auf dem Land erreicht die Bevölkerung nur eine Kaufkraft
von 2.700 CNY (rund 360 USD). Das Konsumniveau ist daher noch relativ
niedrig, was sich auch an der im Vergleich mit Ostchina niedrigen Penetration der städtischen Haushalte mit Gütern wie Computern, Klimaanlagen
und Autos zeigt. Im westchinesischen Vergleich sind diese Konsumniveaus
zwar ebenfalls unterdurchschnittlich, aber die Pkw-Dichte (4,6 pro 100
städtische Haushalte) und die Verbreitung von Computern (41,3 pro 100
Haushalte) liegt nicht mehr weit unterhalb des West-Durchschnitts
(5,7 beziehungsweise 44).
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Im Vergleich zu anderen Millionenstädten der Westprovinzen liegt die
Kaufkraft in Ürümqi mit 12.300 CNY pro Kopf (rund 1.800 USD) relativ
niedrig. Dieser Wert liegt zum Beispiel in Baotou bei 21.000 CNY, in
Xi’an bei 15.000 CNY und in Chengdu bei 17.000 CNY. Dennoch hat sich
Ürümqi in den letzten Jahren zu einem großen Konsumzentrum entwickelt:
Die Zhongshan Road gehört zu den bekanntesten Einkaufsstraßen in China.
Der Umsatz des Einzelhandels in Xinjiang betrug im Jahr 2008 103 Mrd.
CNY (rund 14,8 USD), eine Steigerung von 20% gegenüber dem Vorjahr.
Infrastruktur
Die Hauptstadt ist der Knotenpunkt in der Infrastruktur Xinjiangs: Ob
Schiene oder Straße – alle nationalen und internationalen Verbindungswege aus der und in die Provinz laufen in Ürümqi zusammen.
Seit 2000 wurde im Rahmen der Go-West-Strategie das Fern- und Schnellstraßennetz ausgebaut: Die Region Ürümqi ist nun über die neue Autobahnverbindung, die von Korgas an der kasachischen Grenze über Ürümqi via
Lanzhou (Gansu) und Xi'an (Shaanxi) weiter an die Ostküste führt, mit den
Hauptrouten nach Nordchina (Yinchuan, Baotou, Hohhot) und Südchina
(Chongqing, Chengdu, Guiyang, Kunming, Nanning/North Bay Area)
verbunden. Bis 2020 sind weitere wichtige Straßenverbindungen geplant,
unter anderem der Ausbau der Strecken zwischen der tadschikischen
Grenze und Kashi weiter nach Ürümqi sowie eine weitere grenzüberschreitende Verbindung nach Kasachstan.
Künftig soll noch stärker in den Verkehrsträger Schiene investiert werden.
Das wichtigste Projekt ist der Anschluss an die Qinghai-Tibet-Eisenbahn in
Golmud (Qinghai), der eine weitere Verbindung nach Zentralchina herstellt.
Die Bahnstrecke von Ürümqi nach Kashi soll über die Grenze nach Kirgisistan verlängert werden. Außerdem ist eine Direktverbindung über Hami in
die Innere Mongolei vorgesehen. Insbesondere der Ausbau der grenzüberschreitenden Eisenbahnstrecken hat für die wirtschaftliche Entwicklung
Xinjiangs enorme Bedeutung: Diese Trassen schaffen eine Verbindung zum
europäischen Eisenbahnnetz und damit eine Alternative zum aufwendigen
Gütertransport auf dem Land- und Seeweg über die ostchinesischen Häfen.
Xinjiang hat zwei internationale (Ürümqi und Kashgar) und neun Inlandsflughäfen; bis 2020 sollen sechs weitere neu gebaut werden. Das Flug- und
Passagieraufkommen ist zwischen 2000 und 2008 um durchschnittlich
etwa 18% pro Jahr stark gewachsen. Etwa 140 Flugzeuge starten jede
Woche von Ürümqi nach Peking.
Frachtzug nach Hamburg
Seit 2008 gibt es eine direkte
Güterzugverbindung von Hamburg nach Xinjiang. Die Waggons
sind 18 Tage unterwegs.
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Studie
Bildung und Forschung
Xinjiang hat unter den Westprovinzen mit 9% den höchsten Anteil von
Personen mit einem höheren Bildungsabschluss an der Bevölkerung – der
West-Durchschnitt liegt lediglich bei 5% –, obwohl der Anteil der Personen
mit Sekundarschulabschluss mit 12% nur im unteren Mittelfeld der westlichen Provinzen liegt (West-Durchschnitt: 11%).
Die Relation von Universitäten zur Einwohnerzahl liegt in Xinjiang bei 1,2
Hochschulen je 1 Million Einwohner; dieser Wert liegt genau zwischen den
Durchschnittswerten für Westchina (1,1) und Ostchina (1,3). In der Autonomen Region gibt es 26 Universitäten. Die Zahl ihrer Absolventen wuchs
zwischen 2005 und 2008 um durchschnittlich 15% pro Jahr. Das Verhältnis
von Uni-Absolventen zu Einwohnerzahl lag 2007 bei 2,7 Hochschulabgängern je 1000 Einwohner. Mit Investitionen in Bildungseinrichtungen von
knapp 140.000 CNY pro 1.000 Einwohner liegt Xinjiang deutlich unter
dem Schnitt der Westprovinzen von 170.000 CNY.
In der Forschungsleistung schneidet Xinjiang im Westen Chinas noch
deutlich unterdurchschnittlich ab. So wurden 2007 lediglich knapp
1.500 Patente angemeldet, was einer Quote von 70 pro 1 Million Einwohner entspricht und deutlich unter dem westchinesischen Durchschnitt von 91 liegt.
Natürliche Ressourcen und Rohstoffe
Xinjiangs enorme Ressourcenvorkommen tragen erheblich zur wirtschaftlichen Entwicklung der Autonomen Region bei: Die öl- und petrochemische
Industrie erwirtschaftet einen großen Teil des Bruttoinlandsprodukts der
Autonomen Region; auch das BIP-Wachstum von real 11% (2007/2008)
ist größtenteils der Expansion dieses Sektors geschuldet: Die öl- und petrochemische Industrie wurde durch die Erschließung neuer Kohle-, Öl- und
Gasfelder sowie der dazugehörigen Infrastruktur (Raffinerien, Anlagen
zur Kohlevergasung, Pipelines und Stromleitungen) in den letzten Jahren
massiv ausgebaut. Für die Zentralregierung spielt Xinjiang eine strategische
Schlüsselrolle, um mittel- und langfristig den wachsenden Energiebedarf
zu decken.
Xinjiang hat große Kohle-Vorkommen; die jährliche Fördermenge beträgt
49 Mio. Tonnen. 2007 wurde im Turpan-Becken ein weiteres Kohlevorkommen von 100-200 Mio. Tonnen entdeckt. Das Vorkommen im ZhundongTagebau liegt ebenfalls bei circa 200 Tonnen. Außerdem verfügt die Provinz
über 30% beziehungsweise 34% der gesamtchinesischen Erdöl- und Gasvorkommen; damit rangiert sie in China auf Platz zwei; im Vergleich der Westprovinzen nimmt sie beim Erdöl sogar Rang eins ein.
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
In Xinjiang gibt es 1.400 Erz- und Mineralienminen, und bei einigen Bodenschätzen verfügt die Autonome Region über die größten Vorkommen in
China (unter anderem für Beryllium, Kaliglimmer, Natron, Salpeter,
Serpentin; nach Expertenschätzungen vermutlich auch bei Andalusit
und Edelsteinen).
Xinjiang ist Ausganspunkt der beiden West-Ost-Gaspipelines (siehe Seite
68), die die Versorgung der ostchinesischen Küstenprovinzen mit Erdgas
sicherstellen sollen. Die erste Pipeline wurde 2005 fertig gestellt, mit
dem Bau der zweiten wurde 2008 begonnen. Xinjiang ist Durchgangsund Anschlussprovinz für die Zentralasiatische Gaspipeline, die bis 2011
vollendet sein soll. Durch Xinjiang verläuft auch eine fast 1.000 Kilometer
lange Ölpipeline von der Atasu-Region in Kasachstan nach Alashankou.
Wirtschaftsleistung
Xinjiang hat mit einem Bruttoinlandsprodukt von 420,3 Mrd. CNY (60,6
Mrd. USD) einen Anteil von 1,4% am gesamtchinesischen BIP; damit liegt
es etwas hinter Chongqing und etwas vor Gansu und Guizhou. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs real von 2007 auf 2008 mit 11%. Damit lag Xinjiang im unteren Mittelfeld der westlichen Provinzen. Zwischen 2004 und
2008 lag das durchschnittliche jährliche BIP-Wachstum bei 12%. Mit diesem Wirtschaftswachstum hatte sich Xinjiang im unteren Drittel der
Westprovinzen positioniert.
Ürümqi ist ein ökonomisches Schwergewicht in der Autonomen Region:
Der Anteil der Hauptstadt am Bruttoinlandsprodukt von Xinjiang liegt bei
etwa 25%; die Wirtschaftsleistung der Stadt wuchs von 2007 auf 2008
um 15% (real).
Wirtschaftsstruktur
Die Autonome Region Xinjiang ist einer der wichtigsten Rohstoff- und
Energielieferanten Chinas. Allein der Bergbau trug 2007 29% des Bruttoinlandsprodukts Xinjiangs und 7% des gesamtchinesischen BIP in diesem
Sektor bei und ist damit der wichtigste Industriezweig der Autonomen
Region. An zweiter Stelle folgt die Landwirtschaft (primärer Sektor) mit
einem BIP Anteil von 19%. Der sekundäre Sektor kommt dagegen nur
auf 15% Anteil am BIP, Dienstleistungen liegen mit einem Anteil von
38% etwa im Schnitt der Westprovinzen.
Warenhandel mit dem Ausland
Im Außenhandel Xinjiangs waren in den letzten Jahren starke Zuwächse
zu verzeichnen: Die Exporte stiegen zwischen 2002 und 2007 um durchschnittlich 54% pro Jahr an.
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Studie
Die Importe legten in diesem Zeitraum um durchschnittlich 10% pro Jahr
zu. Diese Entwicklung spiegelt deutlich das Interesse Chinas wider, sich in
Xinjiang strategisch und ökonomisch auf die Wirtschaftsbeziehungen zu
den zentralasiatischen Nachbarländern auszurichten.
Der Außenhandel der Provinz erreichte 2008 ein Volumen von insgesamt
25 Mrd. USD, das entspricht einer Steigerung um mehr als das Doppelte
im Vergleich zu 2007, als ein Volumen von 11,5 Mrd. USD erreicht wurde.
Dabei besteht ein starker Handelsüberschuss von 18,5 Mrd. USD Exporten
vs. 6,5 Mrd. USD Importen.
Der Großteil der Exporte geht in die angrenzenden Länder Zentralasiens.
Die geografische Schwerpunktsetzung wirkte in der Finanzkrise stabilisierend, da die Exportnachfrage in dieser Region nichts so stark eingebrochen
ist wie auf den europäischen Märkten und in den USA. Das relative Gewicht der Exporte nach Zentralasien – sie bestehen zum Großteil aus
Konsumgütern – hat sich dabei stark erhöht: Die Exporte in die zentralasiatischen Länder, vor allem nach Tadschikistan, sind seit 2002 jährlich
um durchschnittlich 75% gewachsen. Der Großteil der Exporte in diese
Region besteht aus Konsumgütern. Kasachstan (etwa die Hälfte der
Exporte) und Kirgisistan (knapp ein Drittel der Exporte) sind mit Abstand
die wichtigsten Handelspartner der Provinz. Abgeschlagen an dritter Stelle
liegt Russland mit nur circa 5%.
Die wichtigsten Exportgüter sind Textilien, Schuhe, Maschinen, Elektrogeräte und Möbel. Importiert werden hauptsächlich die Rohstoffe Öl,
Eisenerz, Altmetall, Kupfer und Aluminium. Die mit Abstand größten
Handelspartner sind Kasachstan und Kirgisistan.
Die Importe wuchsen in den vergangenen Jahren nicht ganz so dynamisch
auf 6,5 Mrd. USD. Dabei kamen circa 80% der Einfuhren aus Kasachstan.
Immer mehr Unternehmen aus den östlichen Provinzen nutzen Xinjiang als
Sprungbrett nach Zentralasien: Die Autonome Region profitiert dabei von
ihrer geografischen Lage als Transitland.
Kernindustrien, Cluster
In der Provinz sind vier Kernzonen der wirtschaftlichen Entwicklung definiert: die Tianshan Region im Nordosten (verarbeitendes Gewerbe, Dienstleistungen), die Bayinguole-Akesu-Region im Südosten (Energieerzeugung,
Chemische Industrie, Landwirtschaft), die Tulufan-Hami-Region im Westen
(Energieerzeugung, Chemische Industrie, metallverarbeitende Industrie,
Landwirtschaft) sowie die Yili-Hetian-Region im Norden (Landwirtschaft,
Grenzhandel).
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Die Go-West-Strategie der chinesischen Regierung – Chancen für die deutsche Wirtschaft?
Trotz der Anstrengungen der Regierung, die Wirtschaftsbasis Xinjiangs zu
diversifizieren und die Wertschöpfungstiefen zu erhöhen, sind der Bergbau,
Energieerzeugung, die Chemische und Petrochemische Industrie sowie die
Landwirtschaft weiterhin die wichtigsten Wirtschaftszweige der Provinz.
So arbeiten im Umfeld von Zhundong, einem der größten chinesischen 20)
Kohlenfelder (Östliches Junggar-Becken) etwa 200 Kilometer östlich von
Ürümqi gelegen, bereits 40 Unternehmen im Kohle-, Energie- und Chemiesektor; weitere 60 Projekte sind in den nächsten Jahren geplant. Hervorzuheben sind die Shandong Yankuang Group (Kohleförderung, synthetische
Herstellung von Ammoniak, Carbamidherstellung), die Shenhua Group mit
der China Guodian Corp. (Kohleförderung, Kraftwerksbau/Stromerzeugung) sowie Sinopek (Alkeneherstellung). In Yili nahe dem kasachischen
Grenzübergang betreibt die Xinwen Mining Group eine Chemiefabrik
zur Herstellung von Methangas aus Kohle.
In Dabacheng befindet sich einer der größten Windparks Asiens: Die Anlage
hat 118 Windräder. Nach ihrer Erweiterung soll die Windkraftanlage sich
auf eine Fläche von 50 Quadratkilometern ausdehnen und eine Kapazität
von 400 Megawatt haben. Die in Dabacheng erzeugte Energie soll in das
Stromnetz der Autonomen Region eingespeist werden. Das Projekt wird von
einem Joint Venture der Sustainable Energy Asia (SEA) und der Xinyuan
Zhongyuan Energy Technology Ltd realisiert.
Um die Wirtschaft zu diversifizieren und die Wertschöpfungstiefe zu
erhöhen, hat die Regierung zwei Technologieentwicklungszonen in Ürümqi
eingerichtet: die Ürümqi High-Tech Development Zone und die Ürümqi
Economic and Technology Development Zone (UETDZ). Hier haben sich
seit 2004 über 1.000 Windkraftausrüster, Lebensmittelhersteller, Maschinenbauer und Exportabwickler angesiedelt. An internationalen Unternehmen sind Coca-Cola, die Tingyi Holding (Cayman-Inseln) mit Xinjiang
Fumanduo Food, SK Telekom (Südkorea) und Carlsberg (Dänemark) vertreten. Auch Goldwind Science & Technology Co. Ltd., Chinas zweitgrößter
und international expandierender Hersteller für Windkraftanalgen, hat hier
seinen Stammsitz. Ein weiterer Vertreter einer Wachstumsbranche ist die
IPAR Biological, die in der Pharmaentwicklung tätig ist. Trotz ihrer relativ
kleinen Fläche trägt die UETDZ 5% zum BIP der Region Ürümqi bei.
In der Landwirtschaft konzentriert sich Xinjiang auf den Baumwoll- und
Tomatenanbau. Xinjiang ist mit 3 Mio. Tonnen pro Jahr (2007) – das ist
etwa ein Drittel der Gesamtproduktion in der Volksrepublik – der größte
Baumwollproduzent Chinas. Da die Weiterverarbeitung (Fäden, Stoffe)
kaum in der Region erfolgt und die Baumwollpreise auf dem Weltmarkt
20) Gesichert 69 Mrd. Tonnen an Reser ven, potenziell 390 Mrd. Tonnen
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Studie
stark gefallen sind, hat dieser Sektor mit strukturellen Problemen zu kämpfen. Dies bekommen vor allem die Millionen von armen Saisonarbeitern zu
spüren, die zur Erntezeit beschäftigt werden. Xinjiang ist einer der weltgrößten Produzenten von Tomatenketchup, was den anbauenden Bauern
stabile Einkommen bringt. Weiterhin produziert die Landwirtschaft Xinjiangs Obst, Gemüse, Milch und Zuckerrüben. Die Viehhaltung spielt
ebenfalls eine wichtige Rolle.
Wirtschaftspolitische Schwerpunkte
Die chinesische Zentralregierung hat sich im Rahmen der Go-West-Strategie
das Ziel gesetzt, die Wirtschaft der Provinz zu stärken, ihre großen Naturressourcen nutzbar zu machen, die Umweltschäden zu bekämpfen sowie
die – vor allem in den ländlichen Regionen verbreitete – Armut zu beseitigen. Um diese Ziele zu erreichen, ist eine Reihe von Maßnahmen vorgesehen. Zu den bereits begonnenen Projekten gehören:
> der Infrastrukturausbau (Verkehr und Energie)
> die Steigerung der Kohle-, Öl- und Gasförderung (Kohle vor allem
in Zhundong und im Turpan-Becken; Öl und Gas insbesondere
im Junggar-Becken und im Turpan-Hami-Becken)
> die Förderung beziehungsweise Entwicklung der Petrochemischen
Industrie
> Elektrizitätserzeugung
> Technologieentwicklungszonen in Ürümqi
> Ausweitung der kostenfreien Schulbildung von neun auf zwölf
Schuljahre in besonders einkommensschwachen Regionen
> Aufforstungsprojekte gegen Desertifikation und Überflutungen
Gerade im Anlaufen oder für die kommenden Jahre geplant sind Verbesserung der Bewässerungstechnologie in der Landwirtschaft sowie ein Ausbau
der Stromerzeugung. Bis 2020 soll von großen Kraftwerken am ZhungdongKohlefeld Strom über das West-Ost-Elektrizitätsübertragungssystem (siehe
auch Seite 67) nach Henan und Sichuan sowie in das Jangtse-Delta geliefert
werden. Der Anteil von Sonne und Windkraft an der Energieerzeugung soll
gesteigert werden. Vorgesehen sind außerdem eine stärkere Förderung der
Tourismusbranche sowie die Vertiefung der Wertschöpfung an den Handelsumschlagplätzen (sogenannte Border Processing Zones: Yining, Bole und
Tacheng Zone).
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Joh. Barth & Sohn weitet die Hopfenverarbeitung in Xinjiang aus
Die 1794 in Nürnberg gegründete Firma Joh. Barth & Sohn gehört zur BarthHaas-Gruppe, eines der weltweit führenden Unternehmen für Hopfenhandel
und -verarbeitung. Die Barth-Haas-Gruppe (BHG) ist in den wichtigen Hopfenanbaugebieten der Welt aktiv. Bereits 1989 hat die BHG enge Handelskontakte
in China geknüpft, was die Basis für zwei eigene Unternehmen in der Volksrepublik gelegt hat: 1994 wurde die Xinjiang Green Diamond Hop Co., Ltd. (GDH)
gegründet, 1995 die Gansu Tian Ma Hop Co., Ltd.
Die GDH hat sich mit einer neuen Anlage zur Hopfenverarbeitung in Hutubi
(70 Kilometer nordwestlich von Ürümqi) und einem Investitionsvolumen von
4 Mio. EUR als Technologieführer in der Hopfenverarbeitung in China etabliert.
Die Firma beschäftigt in Xinjiang 20 festangestellte Mitarbeiter sowie etwa
40 Saisonkräfte und beliefert Braukunden im In- und Ausland. Mit zusätzlichen
Investitionen in Hopfenanbauflächen in Nord- und Südxinjiang sieht sich
das Unternehmen gut positioniert, um seinen Expansionskurs in der schnell
wachsenden chinesischen Brauindustrie fortzusetzen.
Ausländische Direktinvestitionen
Nach Xinjiang floss zwischen 2004 und 2008 im Durchschnitt nur ein
Anteil von 1,4% der nach Westchina gehenden ausländischen Direktinvestitionen (ADI). Die ADI in den westlichen Provinzen wuchsen jedoch mit
durchschnittlich 43% pro Jahr in diesem Zeitraum sehr stark; Xinjiang
konnte davon allerdings nicht überdurchschnittlich profitierten: Im Jahr
2008 beliefen sich die ADI in Xinjiang auf 190 Mio. USD – das entspricht
einem Anteil von 1,5% an den ausländischen Direktinvestitionen in Westchina. Von den Städten Xinjiangs profitierte Ürümqi erwartungsgemäß am
meisten vom Zustrom ausländischer Direktinvestitionen – 73% aller ADI
in der Autonomen Region gingen in die Hauptstadt. Betrachtet man den
Zufluss der ADI nach Wirtschaftszweigen, so waren die fünf wichtigsten
Branchen in Xinjiang die Landwirtschaft (26%), der Einzelhandel (20%),
die verarbeitende Industrie (18%), der Bergbau (10%), die Energieerzeugung (9%) sowie Transport und Logistik (8%).
Die acht deutschen Unternehmen in der Datenbank der Deutschen Handelskammer in China, die in Xinjiang aktiv sind, befinden sich alle in der
Hauptstadt Ürümqi. Darunter ist jedoch nur ein produzierendes Unternehmen: Green Diamond Hop Co. gehört zur Barth-Haas-Gruppe und betreibt
Hopfenanbau- und Verarbeitung (siehe oben); die übrigen Firmen sind
in den Bereichen Logistik und Vertrieb, Ausrüstung und Maschinen tätig.
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In den letzten Jahren haben sich einige ausländische Unternehmen in
Xinjiang niedergelassen: Hewlett-Packard war eines der ersten multinationalen Unternehmen am Standort Ürümqi. Der amerikanische IT-Dienstleister
und Hardware-Hersteller EMC gründete 2008 eine Vertriebsniederlassung
in Ürümqi. Carrefour betreibt bereits drei Geschäfte in Ürümqi und plant
die Eröffnung von zwei weiteren Filialen in Xinjiang. Die französische
Supermarktkette hat außerdem ihre Hauptverwaltung für Nordwest-China
in die Provinzhauptstadt verlegt, und Coca Cola hat im Sommer 2009
eine neue Abfüllanlage in der Region errichtet.
Um die Attraktivität für ausländische Investoren zu erhöhen, folgt Xinjiang
im Wesentlichen den Empfehlungen, die die Zentralregierung im Rahmen
ihrer Go-West-Strategie ausgearbeitet hat. So wird die Ansiedlung bestimmter "geförderter Branchen" unterstützt, zum Beispiel durch die Gewährung
von Steuererleichterungen für ausländische Unternehmen, die einen überwiegenden Teil ihres Umsatzes in den genannten Branchen erzielen.
Generell zielt die Investitionsförderung darauf ab, ausländische Investoren
anzuziehen, die den Vorstellungen der chinesischen Regierung entsprechen.
Dazu gehört eine Erhöhung der Wertschöpfungstiefe, Investitionen in
Technologie, Schaffung von qualifizierter Arbeit sowie die Zusammenarbeit
mit chinesischen Unternehmen. Die Reinvestition von Gewinnen, eine
lange Verweildauer und Wachstum werden durch das Investitionsregime
belohnt. Dagegen ist die reine Ausbeutung von Energieressourcen (Gas,
Kohle, Öl) nicht erwünscht. Diese behalten sich die Chinesen selbst vor.
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Impressum
Die Go-West-Strategie Chinas – Chancen für die deutsche Wirtschaft
Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie
Gesamtverantwortung: Stefan Schaible
Projektmanagement: Thilo Zelt
Leitung Team China: Jennifer Wilson
Redaktion: Andrea Wiedemann
Roland Berger Strategy Consultants GmbH
Am Sandtorkai 41
20457 Hamburg
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
© Roland Berger Strategy Consultants
10/2009, all rights reserved
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